Predigt 519 zum Dorffest

Zurück

Predigt vom 14.07.1985 - Pastor Schnabel - Dorffest - Röm. 12, 9 - 12

Predigttext:

"Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet."

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!

Liebe Gemeinde!

Im Mai dieses Jahres haben sich zwei Deutsch Everner zufällig in Griechenland getroffen. Sie haben sich herzlich begrüßt und sind in‘s Gespräch gekommen.

Würden diese beiden Deutsch Everner sich hier auf der Straße treffen, sie würden vermutlich aneinander vorbeigehen. So ist das: Die Heimat wird erst in der Fremde bedeutsam.

Zu Hause ist Heimat alltäglich. Und doch übersehen wir da vieles, denn in der Alltäglichkeit gibt es untereinander viel zu entdecken. Wir wachsen ja alle noch, wir sind alle noch nicht fertig, wir sind noch nicht so, wie Gott uns haben will. Und darum spürt jeder Mensch in bestimmten Augenblicken seines Lebens, dass da noch was kommen müsste. Das spüren auch Menschen, die schon alles haben, was man für Geld kaufen kann.

Ihr Lieben, solange wir uns im Werden vor Gott begreifen, leben wir. Begreifen wir uns nicht mehr im Werden, dann sind wir schon tot, auch, wenn unser Herz noch schlägt und unsere Verdauung noch funktioniert. Gott will, dass wir wachsen zum Guten hin. Und das soll geschehen da, wo wir leben - und das ist Deutsch Evern.

Zu unserer Gemeinde gehören etwa 2.000 Christen. Ich beobachte: Je größer die Liebe zu Christus ist, desto belangloser wird für den Einzelnen, zu welcher Konfession er gehört; ob er römisch-katholisch oder freikirchlich, baptistisch oder ev.luth. ist. Tagsüber sind die meisten von uns außerhalb von Deutsch Evern tätig. Aber mittags kehren die Schüler heim, und abends kommen die Berufstätigen von der Arbeit. Und am Wochenende sind viele zu hause. Das hört man an unserem Ort: Da laufen die Kreissägen und Rasenmäher und Schlagbohrer dröhnen. Die meisten Deutsch Everner sind geschäftige Leute, die immer etwas auszubauen oder anzubauen oder umzubauen haben. Manchmal ruhen die Deutsch Everner auch. Jetzt im Sommer zieht manchmal abends ein feiner Duft von gebratenem Fleisch durch die Gärten. An unserem Ort kann man Sport treiben. Hier gibt es einen literarischen Zirkel. Hier wird in den Häusern musiziert, gemalt und gedichtet. Hier gibt es Parteien, Vereine und Gruppen, die sich gegenseitig durchdringen. Hier ist eine Feuerwehr immer bereit. Vorgestern Abend war sie z.B. zum Probealarm in Melbeck zur Stelle. An unserem Ort haben auch tüchtige Eltern dafür gesorgt, dass wir an unserem Ort noch eine Schule haben für unsere Jüngsten. Wir haben hier Läden, einen Gasthof, eine Sparkasse, Betriebe und Werkstätten, einen Friseur. Und wenn man den Eröffnungsreden unseres Dorffestes glauben soll, dann spielt offensichtlich die Bundespost eine ganz große Rolle an unserem Ort.

Ich habe bedacht, dass man in Deutsch Evern eigentlich alles kaufen kann, was man zum Leben braucht; zum Teil auch mehr als das. Wir sind gesegnet an diesem Ort mit Frieden und Wohlstand und mit einer schönen Landschaft. Wir gehören zu dieser Gemeinde aus zwei Gründen: Einmal, weil wir getauft sind, und weil wir am gleichen Ort wohnen. Unsere verschiedenen Lebensschicksale haben uns hier zusammengeführt. Und es sind nur wenige von uns, die seit Beginn ihres Lebens hier gelebt haben. Ich habe mal nachgezählt: Von dreißig Konfirmanden sind nur sieben in Deutsch Evern aufgewachsen. Und wer hier in der dritten Generation lebt, der gehört schon zum sogenannten "Deutsch Everner Uradel". Die meisten von uns sind "Zugereiste". Ich habe anhand des Kirchenbuches festgestellt, dass die Deutsch Everner buchstäblich aus der ganzen Welt kommen. Hier sind alle Volksstämme vertreten von Schleswig-Holstein bis Bayern, vom Rheinland bis nach Lettland. Nur aus dem Saarland habe ich keinen gefunden. (Vielleicht zieht ja Erich Honecker noch nach Deutsch Evern, wenn er pensioniert ist - Heiterkeit in der Gemeinde) Besonders zahlreich sind natürlich die Niedersachsen. Aber es sind auch Sachsen und Thüringer, Mecklenburger, Ostpreußen, Schlesier und Pommern. Und es ist auch interessant, die Geburtsorte von Deutsch Evernern zu studieren. Zu unserer Gemeinde gehören Menschen, die sind in Guatemala und Nepal, in Prag und in Peking, in Chicago, in Rio de Janeiro, in Shanghai und in Riga geboren.

Und in dieser Verschiedenheit der Herkunft sind wir alle getauft auf den Namen des einen Herrn. Und wir, die wir hier an diesem Ort leben, stehen alle in dem einen Kirchenbuch. Und dieses wirkliche Leben hier in Deutsch Evern, das ist wichtig. Wer das nicht annimmt, der verpasst seine Heimat.

Mir hat eine alte Frau aus Ostpreußen einmal gesagt: Wie kostbar uns die Heimat war, das haben wir erst gemerkt, als wir sie verloren hatten.

Unsere irdische Heimat ist hier und jetzt. Hier hat Gott uns hingestellt. Und ich freue mich, dass so viele das auch nutzen und hier am Ort tätig sind über ihre Berufstätigkeit hinaus. Hier werden unsere Kinder geboren. Hier wachsen unsere Kinder auf. Und das jüngste Kind in unserer Gemeinde ist [Name], der vor vier Tagen das Licht der Welt erblickte; seine Wiege steht im Lärchenweg. Wenn der kleine [Name] als jüngster Deutsch Everner hier getauft wird, dann wird auch unsere Glocke läuten, die täglich mittags 12 Uhr und abends 18 Uhr läutet. Diese Glocke zeigt mehr an als nur die Tageszeit. Auf unserer Glocke steht: "Wachet und betet - fürchtet euch nicht." Diese Glocke erinnert uns auch täglich daran, dass unser Leben in Gottes Hand steht, dass Gott allein unserem Leben Sinn und Würde gibt und dass es ein Irrtum ist, wenn wir meinen, wir müssten unserem Leben Sinn geben durch unser Ansehen oder durch unsere Arbeit. Die letzte, tiefe Würde und den letzten Sinn unseres Lebens hat uns Gott in der Taufe geschenkt. Das kann kein Mensch dem anderen nehmen, das bleibt uns. Und das allein macht uns frei, wie Brüder und Schwestern zu leben. Dieses neue Leben hat Jesus "das Reich Gottes" genannt. Und in jedem Vaterunser, wenn wir beten "Dein Reich komme, dein Wille geschehe…" bitten wir um dieses neue Leben, dass es auch geschehe hier unter uns in Deutsch Evern. Das Reich Gottes bedeutet Güte und Gerechtigkeit. Es bedeutet. Schutz und Hilfe für die Schwachen. Es bedeutet Liebe zueinander. Es bedeutet gutes Leben in unseren Familien, Es bedeutet geteilte Freude und geteiltes Leid, Auf diesem Grund muss keiner mehr angeben und muss keiner mehr der Größte sein. Denn dann lassen wir ja Jesus Christus über unser Herz verfügen.

Es wäre gut möglich, dass von dieser Gemeinde hier in Deutsch Evern der entschiedene Wille zum Frieden ausgeht. Und wir könnten uns darin einig werden und dem Nachdruck verleihen, dass wir auf Erden leben wollen, nicht wie in einem Materiallager, sondern wie in einem Garten, den Gott uns anvertraut hat. Das alles kann geschehen, wenn wir darum gemeinsam beten und miteinander unserem Herrn gehorsam sind. Wir würden dann natürlich beileibe noch nicht alles richtig machen, aber unser Leben wäre lebendiger. Wir müssten nicht so zugeknöpft und eingemauert sein. Freude und Trauer, Liebe, Trost und Schmerz würden wir fühlen und teilen. Auch die Männer könnten das tun. Wir könnten aussprechen, was unser Herz berührt und kämen hinaus über das tägliche Geklapper, das zu oft auf der Oberfläche entlang spaziert. Wir könnten, wir würden, es wäre möglich. Gott bietet uns dieses neue Leben an, aber wir verschanzen uns immer noch zu sehr hinter Mauern und Zäunen - und manchmal auch hinter Biergläsern. Wir ziehen Zäune um unsere Häuser. Wir ziehen Zäune um unsere Herzen. Wir warnen auf großen Schildern vor dem bissigen Hund. Und dahinter hocken wir, leicht gekränkt und schnell beleidigt. Und darum sind unsere Häuser so schwer zugänglich. Und ob wir da noch mehr Tunnel und noch mehr Brücken bauen, das alles hilft nichts, solange wir nicht Gottes Wort über uns gelten lassen und unser Herz Jesus Christus gehört. Das ist uns immer voraus. Und wann das ganz wirklich wird, das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass Gott uns Jesus Christus gesandt hat. Und dass Jesus Christus uns so sehr geliebt hat in dieser Unvollkommenheit und Schwäche und Verhärtung, in der wir uns nun mal befinden, dass ER so fest daran geglaubt hat, dass aus uns hartherzigen Menschen noch etwas werden kann, dass ER sein Leben dafür gab, um uns zu zeigen: Das seid ihr mir wert. Ich glaube daran, dass es gut wird mit euch. Und weil Christus an uns geglaubt hat, weil er so fest darauf vertraut hat, und weil er auferstanden ist, habe ich Hoffnung, haben wir Hoffnung, dass es gut werden kann mit uns. Und darum sind wir fröhlich in der Hoffnung und geduldig in Bedrängnis.

AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - Amen!