Predigt vom 24.12.1985 - Pastor Schnabel - Heilige Nacht - Tit. 2, 11-14
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Im Brief des Paulus an Titus steht der Predigttext unter der Überschrift "Die heilbringende Gnade".
"Denn es ist erschienen die rettende Gnade Gottes für alle Menschen. Sie will uns dazu erziehen, dem Leben ohne Gott und den weltlichen Begierden abzusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben und dabei auf die Erfüllung seligmachender Hoffnung zu warten auf das Erscheinen der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns dahingegeben hat, um uns von aller Ungerechtigkeit zu erlösen und sich ein reines Volk als sein Eigentum zu schaffen, das bemüht ist, gute Werke zu tun."
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde!
Die rettende Gnade Gottes will uns erziehen, gerecht und fromm in der Welt zu leben. Sie will uns erziehen in der Hoffnung auf den großen Gott und auf Jesus Christus - man könnte hinzufügen: den kleinen Gott. Und dann klingt es hier tatsächlich so, als gäbe es zwei Götter. Aber es ist der gleiche, der sich uns Menschen verschieden darstellt. Tatsächlich unterscheidet hier die Bibel zwischen dem großen und dem kleinen Gott Jesus Christus.
Und darum ist dieser Text aus der Bibel vorgegeben für den Geburtstag Jesu Christi, denn der "kleine Gott" liegt in der Krippe. Ein Kind, für das in der großen Welt kein Platz zu sein schien.
Am Anfang die Krippe, und am Ende das Kreuz, und vor der Krippe der große Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, der ihn in’s Leben ruft.
Und nach dem Kreuz der große Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, der ihn von den Toten auferweckt und ihn auferstehen lässt; der ihn zu sich ruft und damit bestätigt, was er tat und wer er war.
Im Glaubensbekenntnis heißt es in diesem schönen Bild: "Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters."
Jesus Christus, der kleine Gott, war da und hat uns seinen Geist gegeben. Und in diesem Bild zu bleiben: er schaut auf uns herab - auch jetzt, in diesem Augenblick - und sieht, ob wir seine Botschaft auf Erden begriffen haben und ob wir dieser Botschaft vertrauen und damit leben und sterben und unser Leben darauf gründen.
Gott wurde Mensch, heißt auch: der große Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, wurde ein kleiner Gott. Sie sind eins, sie stellen sich nur verschieden dar.
Die Christenheit hat sich Jahrhunderte lang gebalgt, zum Teil in peinlicher Rechthaberei, um die Frage: War Jesus nun Gott oder war er Mensch, oder war er beides? Und wenn ja, kann man denn beides sein?
Zu beobachten ist auch in der Geschichte unserer Kirche, dass es für diejenigen, die von seinem Geist ergriffen waren, das nie ein Problem gewesen ist. Sie haben immer im Glauben erfahren, dass Gott das Ganze ist. Und sie wussten, es geht um Liebe und Gehorsam. Und alles, worin wir in unserer Sprache von Gott reden, sind Bilder und irdische Gleichnisse für das unaussprechlich große Ganze. Es sind Bilder, in denen wir reden. Und wer es in der Naturwissenschaft weit genug bringt, der weiß, dass tatsächlich alle unsere Wahrnehmungen Bilder sind, Gleichnisse, dass es keine Materie gibt, sondern Energie, Kraft und Geist.
Wie ist das nun mit dem großen und dem kleinen Gott? Ich kann das auch nur wieder mit einem neuen Bild zu sagen versuchen.
Der große Gott, das ist der Schöpfer Himmels und der Erden, der, den du tatsächlich staunend erfahren kannst, wenn du in sternklarer Nacht zum Himmel aufschaust. Der, den du erfahren kannst angesichts des Schönen. Der, den du auch erfahren kannst im Leid angesichts des Schrecklichen und Furchtbaren. ER ist der, dem du nichts vorrechnen kannst. ER ist der, der er ist, sagt das Alte Testament. Damit habt ihr euch abzufinden. Ihr seid Kreaturen, ihr seid Geschöpfe.
Schon unsere Vorfahren und alle Menschen, die keine Christen sind, haben sich herum geschlagen mit Gott. Auch, wenn es Heiden waren, wussten sie doch, sie sind Geschöpfe, sie sind aus einem Ureinen hervorgebracht. Aber Gott war für sie eine schreckliche Schicksalsmacht, von der man nie wusste, wie sie es meinte. Dieses Unheimliche an Gott, das kann man noch heraushören bei dem Märchen von Rübezahl, der mal was Gutes tut, oder auch mal was Böses. Er ist unberechenbar.
Nun sagt hier das Neue Testament: "Aber uns ist erschienen die rettende Gnade Gottes für alle Menschen." Das heißt, Gott ist erkennbar geworden. Er ist nicht mehr die unheimliche Schicksalsmacht, sondern der große Gott ist klein geworden - in der Weihnachtsgeschichte wird es so ganz einfach erzählt - er wird ein Kind im Stall. Und an dieser zunächst ganz einfachen Geschichte wird vieles deutlich. Beobachtet mal, welchen Gruppen dieses Kind im Stall zuerst Sinn macht und einleuchtet. Erkannt ist es zunächst von den ruhelosen, Wahrheit suchenden Menschen: den Weisen aus dem Morgenland und den einfältigen Hirten. Die anderen begreifen noch nicht.
Der große Gott wird klein, damit wir ihn verstehen können. Das ist ein Wunder, aber es leuchtet ein.
Ich will das noch einmal in einem anderen Gleichnis sagen.
Am vorletzten Sonntag bin ich im Wald bei Wendisch Evern spazieren gegangen mit meinen Kindern. Da habe ich einen Ameisenhaufen gesehen. Ich habe mir vorgestellt, diese Ameisen könnten mich sehen. Sie würden ängstlich durcheinanderlaufen. Sie sähen mich als großen Schatten und könnten mich wohl irgendwie erahnen, aber ihrer kleinen Welt könnten sie mich nicht zuordnen. Ich bin viel zu groß für sie. Sie wissen auch nicht, was ich vorhabe. Ich möchte ihnen gerne sagen: Ich will euch nichts tun, es ist gut, dass ihr da seid. Aber ich stehe vor diesen Ameisen und kann mich nicht verständlich machen und mir wird klar ich müsste wie eine Ameise werden, damit ich ihnen das mitteilen könnte, klein werden müsste ich wie sie. In Gleichnissen ihrer kleinen Ameisenwelt müsste ich ihnen von der großen Welt erzählen.
Für so eine Ameise wäre die Strecke von Wendisch Evern bis nach New York so weit, wie für uns tausend Lichtjahre Entfernung zu einem fremden Stern. Eine Strecke, die wir uns ja auch nicht vorstellen können, weil uns in unserer sinnlichen Wahrnehmung die Maßstäbe dafür fehlen.
Uns, deren Leben siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt achtzig, wie es in der Bibel heißt in einem Psalm (90, 10), wird gesagt: tausend Jahre sind vor dir, Gott, wie ein Tag, der gestern vergangen ist. (90, 4)
Merkt ihr? Den großen Gott begreifen wir nicht in unseren irdischen Begriffen. Wir können ihn ahnen, aber wir können ihn nicht fassen in unseren Begriffen von Raum und Zeit. Wir sind Gottes Geschöpfe, wir sind zu klein, um Gott zu erfassen.
Unser Text sagt: Es ist uns erschienen die rettende Gnade Gottes. Der kleine Gott Jesus Christus ist uns erschienen. Und darum heißt es in der Bibel: Das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit. Ganz nahe ist Gott uns gekommen, damit wir ihn verstehen können. So, wie ein Mensch eine Ameise werden müsste, um den Ameisen eine verständliche Botschaft zu bringen, so ist Gott in Jesus menschlich verstehbar geworden.
Er sah aus wie wir, er lebte und lachte wie wir, er weinte wie wir. Der Unterschied besteht darin, dass er ganz eins war mit Gott. Und das, was wir an Gottesgefühl in unseren Herzen spurenweise tragen, dass das den ganzen Mann beseelte. Er hat gelebt, was er sagte, er war selbst das, was sagte und tat. Und er ist darum - wie die Bibel sagt - der Weg und die Wahrheit und das Leben. (Joh. 14, 6) In Christus ist die rettende Gnade Gottes für alle Menschen erschienen.
Und nun sagt die Bibel hier, die Gnade Gottes will uns erziehen. Christus wie ein Erzieher‘ Jesus wie ein Lehrer? Da mögen wir zurückschrecken und an unsere Schulerfahrungen denken. Die Erfahrungen waren nicht nicht immer gut, aber lasst nicht gleich die Jalousien runter. Erinnert euch an die Schulzeit - wir haben doch auch Lehrer gehabt, die gerade darum gut waren, weil sie daran glaubten, dass an uns nicht Hopfen und Malz verloren war, sondern dass in uns etwas steckte, was zum Leben erweckt werden konnte, dass wir erziehbar waren. Lehrer, die darauf vertrauten, dass aus uns etwas werden konnte. Lehrer, die erkannten: da ist ein Schatz zu heben, nur braucht”s Geduld, viel Geduld, und vor allem Liebe. Ohne Liebe gibt es diese Geduld nicht.
So ähnlich ist das mit unserem Erzieher Jesus. ER hat fest darauf vertraut, dass wir erzogen werden können zu dem, wozu Gott uns bestimmt hat. Und wir spüren das, wenn wir uns auf seinen Geist einlassen, wenn wir uns von ihm erziehen lassen. Denn auch der Schüler muss Vertrauen zum Lehrer haben, spüren dass der es gut mit ihm meint. Wenn SEIN Geist in unserer Nähe ist, dann werden uns die Aufgaben leicht, da spüren wir, dass er uns liebt, dass uns nichts trennen kann von Gott.
Ich will das im Gleichnis ausmalen: Ich hatte eine Lehrerin, die war streng, aber sie hatte uns lieb. Bei einer Arbeit ging sie hinter uns entlang und tippte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einen Fehler. Man merkte, es tat ihr weh, wenn man eine Arbeit verhauen hatte und sie eine schlechte Note geben musste. Sie hoffte für uns und sie glaubte an uns. Sie versuchte es immer wieder. Ich verdanke dieser Frau viel.
Anders war’s bei dem alten Lehrer Becht. Wenn er hinter einem vorbeiging während einer Klassenarbeit, da fing man an zu schwitzen, da wusste man, er lauerte nur drauf, dass unsereins Fehler machte. Er war ein resignierter Lehrer, der keine Hoffnung für uns hatte. Und wenn wir etwas falsch machten, dann sagte er: Hab ich”s doch gesagt, wusste ich’s doch, dass ihr’s nicht schafft! Wenn wir da bei einer Arbeit etwas falsch machten, dann lachte er nur höhnisch.
Ich erinnere mich, dass er einmal einen Kandidaten mitbrachte, der auch Lehrer werden wollte. Wir standen auf und sagten: Guten Morgen! Und setzten uns wieder. Und da zeigte der Lehrer auf die Klasse und sagte: Diese Klasse hier, das ist alles Schrott! Die kapieren nichts! Einige von ihren Eltern habe ich schon unterrichtet, die waren auch alle Schrott! Nur auf die kleine Renate müssen sie achten, die ist gut in Rechtschreibung; ihre Mutter schreibt ja auch den ganzen Tag Adressen in einem Büro.
Merkt ihr? Dieser Lehrer war fertig mit der Welt. Dieser Lehrer verkörperte geradezu den Geist der Welt, die von der rettenden Gnade Gottes nichts weiß. Dieser Lehrer verkörperte den Geist, mit dem Menschen sich gegenseitig fertig machen, keine Hoffnung füreinander haben und einander abschreiben und zerstören.
Ohne die Gnade Gottes erkennt man nur immer die schreckliche Macht des Schicksals, das Gesetz des Stärkeren, die vorhandene Unvollkommenheit.
Paulus sagt: "Uns aber ist erschienen die rettende Gnade Gottes." Er will uns erziehen. Christus ist der Einschnitt auch in der Weltgeschichte. Er hat unser Menschenbild geprägt. Und es zeugt von wenig historischer Kenntnis, wenn jemand behauptet, da sei nun Christus geboren und es hätte sich nichts in der Welt geändert. Wir würden uns aber umschauen, wenn wir in der Welt vor Christus leben müssten. Vieles würden wir dann entdecken, was uns heute selbstverständlich ist. Freilich, es ist noch nicht lange her. Freilich, es geschieht schreckliches Unrecht, Mord und Totschlag. Aber es ist seit Christi Geburt so etwas wie ein Weltgewissen gewachsen. Und wenn nur Menschen da sind, die aufschreiben, was an Bösem geschieht. Das täten sie vor Christi Zeit nicht, weil man sagte: Tja, so ist die Welt eben, und sie wird sich nie ändern.
Jesus hat damals vorausgesetzt, dass wir wachsen können, dass noch nicht aller Tage Abend ist mit uns. Und das ist Gottes gute Botschaft an uns in Jesus Christus, der uns verheißen hat: Ihr seid noch nicht fertig, schreibt euch selbst nicht ab, ihr seid so kostbar, dass er sogar sein Leben ließ für uns. Selbst seine verschlafenen Jünger sprachen ja eher eine beredte Sprache dafür, dass es mit dieser Welt eben nichts wird und dass der Mensch ein Schwein bleibt.
Jesus geht an’s Kreuz und betet noch am Kreuz für uns, weil er fest darauf vertraut, dass wir Gottes Kinder sind und dass es gut werden soll mit uns, dass mit uns Großes geschehen soll. Jesus verliert die Hoffnung nicht und auch nicht den Glauben an uns.
Siehe, ich verkündige euch große Freude,.. Merkt ihr jetzt, was das bedeutet? Siehe, ich sende euch...
Der Engel am leeren Grab sagt: Seht die Stelle ist leer, wo er gelegen hat, er ist auferstanden. Der Tod konnte ihn nicht halten. Macht die Augen auf, es geht in diesem Leben mit rechten Dingen zu. Gott ist klein geworden in Jesus Christus, damit wir erzogen werden können. Der kleine Gott ist unser Erzieher geworden, der daran geglaubt hat, dass wir wachsen können. Am Kreuz hat er noch daran geglaubt, dass aus uns krummen Hölzern aufrechte Bäume gezogen werden können.
Jesus ist da allerdings auch einem großen Erzieher gleich, dass er uns Freiheit lässt. Er bietet über die Jahrhunderte hinweg uns den Glauben und das Vertrauen an und hofft, dass wir seine Hand nehmen, dass wir uns führen lassen, dass wir ihm unser Leben anvertrauen.
Wer sich weigert, den zwingt er nicht. Wenn wir Jesu Erziehung nicht annehmen, dann könnte es allerdings geschehen, dass wir viel zu spät erkennen, dass es damals einer gut mit uns meinte.
Aber wir wollten nicht, wir haben uns geweigert. Wir waren störrisch, wir waren davon überzeugt, dass wir selbst wüssten, was gut und richtig für uns ist.
Schnell vergeht eines Menschen Zeit. Der kleine Gott wird im Stall geboren und über diesem Stall leuchtet ein Stern. Der große Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, wird klein in diesem Kind und zeigt, dass er uns liebt.
Gehst du auf diese Liebe ein, dann bist du gerettet. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - Amen!