Predigt vom 05.01.1986 - Pastor Schnabel - Matthäus 2, 1-12
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Wir haben heute im Evangelium die Geschichte gehört von den drei Weisen aus dem Morgenland, die als Heiden nach Bethlehem kommen und das Kind anbeten.
In der Epistel, diesem kleinen Ausschnitt aus dem Paulusbrief, hörten wir davon, dass Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, sich in Jesus Christus offenbart hat, und dass die Heiden - ausdrücklich die Heiden - Miterben dieser Botschaft sind und mit zu seinem Leib gehören.
In beiden Texten spielt das Licht eine große Rolle. Der Apostel sagt: es ist ihm eine Gnade, dass er den Heiden "Gottes Ratschluss in Jesus Christus" an’s Licht bringen darf. Und die Weisen aus dem Morgenland folgen dem Licht des Sterns und werden einen langen Weg geführt vom heidnischen Morgenland bis zur Krippe.
Die Heiden und das Licht Gottes, das in Jesus Christus erscheint, das ist das Thema von Epiphanias. Ich habe das neulich schon mal erwähnt: Die Heiden haben tatsächlich ihren Namen von ‘der Heide , von der Landschaft, in der wir hier leben in der Lüneburger Heide. Das Wort "Heide" bezeichnet das öde Land, das nicht beackert wurde, auch im Gegensatz zum Wald - "Im Wald und auf der Heide...." - nicht?
"Der Heide" ist nun im übertragenen Sinn einer, der im geistlichen Ödland lebt; abseits vom Zentrum des Geistes. Hier ist also ein Landschaftsbegriff übertragen auf einen inneren Zustand des Menschen, auf seinen geistigen Platz.
Heiden leben abseits vom Licht. Später ist das Wort "Heide" ein abfälliges Wort geworden. Auch in finsteren Zeiten unserer Kirchengeschichte: Die Heiden wurden für religiös und für moralisch minderwertig gehalten. Heiden mussten bekehrt werden. Heiden waren noch nicht getauft.
Nun könnte man umgedreht sagen: In Deutsch Evern sind z.B. fast alle Menschen getauft. Müsste man daraus folgen, dass es in Deutsch Evern keine Heiden gibt? Und die nächste Frage wäre dann: Worin unterscheiden sich eigentlich Heiden von Christen?
Die Bibel erzählt erstaunliche Geschichten von Heiden. Wichtige Geschichten von hervorragenden Heiden. Der barmherzige Samariter z.B., das Gleichnis, das Jesus erzählt, der war ein Heide. Martin von Tours, nach dem wir auch unsere Kapelle benannt haben, der war, als er seinen Mantel teilte, ein Heide; er war nicht getauft. Und die heiligen drei Könige - später hat man sie "heilig" genannt - die waren auch Heiden. Die waren die Weisen aus dem Morgenland. Die kommen aus dem Orient; aus dem Osten. Wir nennen ja auch den Osten "Morgenland", weil da morgens die Sonne aufgeht.
Diese Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland ist eine wichtige Geschichte, die es in sich hat. In der Bibel wird sie erzählt in ganzen zwölf Sätzen. Es ist wie ein Theaterstück in drei Szenen. Die erste Szene, die Suche; die zweite Szene, die große Enttäuschung; und die dritte Szene, die Entdeckung.
Die erste Szene, die Suche: Die drei Weisen im Morgenland haben den Stern gesehen, SEINEN Stern, und sie kommen, um IHN anzubeten.
Die Heiden im Orient haben das Zeichen einer neuen Zeit erkannt, sie haben SEIN Licht gesehen, noch ehe die zentralen Religionsbetriebe in Jerusalem überhaupt davon gehört haben. Diese Heiden erkennen das Licht als das Licht dessen, den uns Gott gesandt hat. Und sie geben sich nun nicht damit zufrieden und sagen: Aha, wir haben das Zeichen gesehen, und damit gut, sondern sie fragen: Wo kommt das Licht her? Und sie suchen die Quelle dieses Lichtes.
Die Heiden aus dem Orient, die Weisen, sind es gewohnt, durch die Wüste zu reisen. Sie machen sich also geduldig auf, auf einen entbehrungsreichen Weg. Der längste Weg beginnt ja mit dem ersten Schritt. Das Licht, das sie gesehen haben, führt nach Westen, zu einer Stadt auf dem Berg. Und als sie ankommen, setzt die zweite Szene dieser Geschichte ein, die große Enttäuschung.
Die Weisen suchen mit Eifer nach der Quelle des Lichtes, und so kommen sie nach Jerusalem. Dort werden sie enttäuscht. Sie treffen auf selbstgefällige Priester, die die Religion vermarkten.
Jerusalem, das Zentralheiligtum, die Stadt auf dem Berge, liegt im Dunkel. Jerusalem hat noch nichts gehört von der Geburt Christi. Jerusalem hat den Stern nicht gesehen. Jerusalem, die Stadt, wo doch immerhin die religiösen Spezialisten leben und arbeiten, die hören von den Heiden, von den Weisen aus dem Morgenland, zum ersten Mal die gute Nachricht.
Durch die Orientalen erfährt Gottes Volk, dass der Messias geboren wurde. Erst die Suche und die Anfrage der drei Weisen aus dem Morgenland bringt die Priester überhaupt dazu, in den Heiligen Schriften nachzuschauen und zu lesen, ob da etwas verheißen ist.
Und nun achtet darauf, was die Weisen fragen. Die Weisen fragen nämlich nicht: Wer ist Christus? Und sie fragen auch nicht: Was ist er? Sondern sie fragen: Wo ist ER zu finden? Wir wollen IHN anbeten!
Die Weisen aus dem Morgenland wollen also keine Lehre von Jesus Christus haben, sie wollen auch keine Beschreibung haben, wer er ist, sondern sie wollen ihm selbst begegnen.
Herodes, der König von Jerusalem, - nach dem damals gängigen Sprachgebrauch kein Heide - dieser Herodes erschrickt. Christ, der Retter ist da, das ist für ihn und seinesgleichen keine gute Nachricht. Herodes und die, die in seinem Dunstkreis leben, ihnen ist jedes Mittel recht, diese Rettung zu verhindern.
Schon hier bei der Geburtsgeschichte Jesu klingt seine Kreuzigung an.
Also - die große Enttäuschung setzt ein und die drei Weisen aus dem Morgenland verlassen den heiligen Ort Jerusalem enttäuscht. Sie gehen weiter, dem Stern nach, um Christus zu finden. Und die Priester und Tempeldiener gehen nicht mit. Was sollen sie auch suchen? Sie leben ja in dem schrecklichen Irrtum, in der Selbstherrlichkeit, sie sind der Ansicht: Wir haben ja die Wahrheit und die Religion, und alle anderen, die kommen, die müssen sich bitteschön vor uns erst mal ausweisen. Und weil sie nicht suchen, haben sie später auch keinen Anteil an der Entdeckung.
Und nun die dritte Szene, die letzte: Sie entdecken, dass das Licht aus einer kleinen Hütte kommt. Und an dieser Hütte endet ihre Reise. Sie gehen hinein und finden Christus, den Retter, auf den Knien einer Magd.
Die heidnischen Weisen demütigen sich vor dem Kind, sie knien nieder und beten es an. Und alles, was ihnen kostbar ist, legen sie diesem Kind zu Füßen. Die Bibel zählt es auf: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
In dieser tiefgründigen Geschichte sind diese Geschenke auch Symbole. Gold steht für Königtum; Weihrauch für Priestertum; und Myrrhe für Prophetie.
Und damit ist angezeigt: Christus ist Höhepunkt und Ende alles irdischen Königstums; Christus ist Höhepunkt und Ende des Priestertums; Christus ist ist Höhepunkt und Ende der Prophetie.
Die Geschichte schließt ganz einfach: Nachdem sie ihn angebetet haben, ziehen sie in ihr Land zurück. Und Jerusalem, das Zentralheiligtum, das lassen sie links liegen.
Ihr Lieben!
Wenn wir die Bibel genau lesen, entdecken wir, dass die Bibel eine viel größere Weite hat, als das, was wir oft in die Grenzen unserer - auch lutherischen - Konfessionen einkästeln. In dieser Geschichte ist zu lernen, dass alle Menschen, ob Juden, ob Christen, ob sonst etwas, dass alle Menschen Erfahrungen mit Gott machen.
Wer das Licht sucht und sich nicht von religiösen Vorurteilen beschränken lässt, der kann nach dieser Geschichte offensichtlich eher das Licht erkennen als die, die es zu besitzen meinen.
Jesus selbst hat einmal auf den Samariter gezeigt. Seht den Heiden, hat er gesagt, der tut das Rechte zur rechten Zeit und erkennt treffsicher, wer sein Nächster ist.
Die Weisen aus dem Morgenland, ein Schwarzer ist dabei, vermutlich auch ein Gelber, sind Heiden. Sie suchen ernsthaft den Herrn und entdecken ihn und beten ihn an. Und die religiösen Spezialisten in Jerusalem, die ja nach der Sprachregelung keine Heiden sind, die nehmen nichts wahr. Sie feilen an Lehrsätzen und Definitionen herum. Sie bestehen auf formulierten Glaubensbekenntnissen. Und als die Hohepriester und Pharisäer Jesus selbst persönlich begegnen, hören sie gar nicht hin, was er sagt. Sie sehen auch nicht, was er tut, sondern sie fragen: Jesus, wo ist dein religiöser Ausweis? Jesus soll sich ausweisen. Er soll sich ihren religiösen Bedingungen unterwerfen. Er soll im Rahmen der Sprachregelung bleiben. Und das tut Jesus nicht. Er sprengt den Rahmen, und darum kreuzigen sie ihn.
Nur ein alter Pharisäer, Nikodemus, durchbricht die Enge seines Systems und kommt bei Nacht und Nebel zu Jesus und findet den Herrn seines Lebens und erfährt, was es heißt, geistlich neu geboren zu sein.
Wer ist ein Heide? Wer ist ein Christ? Angesichts dieser tiefen Erfahrung?
Im Grunde ist diese Frage bei dieser Entscheidung nicht so besonders wichtig. Wichtig ist, dass wir dem Licht folgen, und suchen, und uns danach sehnen, dass wir Christus begegnen.
IHN selbst erfahren und IHN im Herzen bekennen und in unserem Leben bezeugen mit unserem Sinnen und Trachten, darauf kommt es an.
Und wenn wir mal im Römerbrief nachlesen: Das erste Bekenntnis der Christen, das war ganz kurz, das hieß einfach: Christus ist der Herr meines Lebens! Paulus sagt, wer das bekennt, der ist Christ. In diesem Bekenntnis tritt eine Ergriffenheit zutage, die sich doch immer nur hilflos in Worte fassen lässt, weil unsere Sprache, die ja so ist aus der gegenständlichen Welt, immer zu klein ist, um das Tiefe, Heilige, zu fassen.
Darum hat die Bibel immer ihre Inhalte und Gleichnisse in Bildern dargestellt, weil die Lehrsätze und die Definitionen nicht ausreichen. Es ist im Grunde schrecklich, zu sehen, was in unserer Kirche der Streit angerichtet hat um Begriffe wie "Jungfrauengeburt", um Begriffe wie "Auferstehung des Fleisches". Der Streit, ob Jesus den Titel "Gottes Sohn" zu recht trägt. Der Streit um ev.-lutherisch und ev.-reformiert und römisch katholisch. Und ein großer Teil der ökumenischen Diskussion ist oft nur ein Streit der Funktionäre, wo es um Sprachregelungen geht und damit um Machtfragen.
Das Bestehen auf der reinen Lehre ist oft nur ein Vorwand. Da geht es gar nicht um lebendige Gotteserfahrung.
Wer etwas von Gottes Licht gespürt hat, der macht sich auf, wie die Weisen aus dem Morgenland; wenn nötig, auch an der Institution der Kirche vorbei.
Ob Heide, ob Jude, ob Christ, ob Muselmann, ich gehe mit ihnen. Das Licht ist uns von Gott geschenkt, aber keiner von uns hat es in seinem Besitz.
Und darum machen wir uns lächerlich, auch als Kirche, wenn wir’s verwalten oder gar verkaufen wollen.
Wenn man schon Trennlinien zwischen Menschen ziehen will, dann vielleicht eine Trennlinie zwischen den Menschen, die suchen, und den Menschen, die sich selbst genug sind. Aber auch da habe ich Hemmungen, denn das wechselt oft. Wer heute selbstgefällig erscheint und sich selbst genügt, der kann ja morgen schon von Gottes Geist erfasst werden. Da ist nichts Endgültiges. Genaue Trennlinien zu ziehen ist eine komplizierte Sache, sie hängt leicht mit dem Richten zusammen und führt dazu, dass wir Menschen sortieren.
Wichtig allein ist, dass wir Gott anbeten und ihm begegnen in Christus, und dass sein Licht auf unser Leben fällt, dass Christus uns befreit von unserem eigenen Ich. Wir finden uns selbst, wenn wir IHN finden.
Dass ER in uns wohnt, dass ER unser Leben bestimmt und uns vereint mit Gott, dem Grund unseres Lebens.
Ein Letztes noch: Unsere Kirche wirkt gegenwärtig vielleicht dadurch nicht sehr anziehend auf Heiden, weil unsere Kirche - das steckt ihr noch in den Knochen manchmal so ähnlich wie ein totalitäres System - an der Sprachregelung hängt und darauf besteht.
Mich hat mal als Vikar ein fanatischer Kirchenvorsteher gefragt: Glauben Sie, dass Jesus auf dem Wasser gehen konnte? Und ich habe ihm gesagt, dass ich an Jesus Christus glaube, und dass ich darauf vertraue, dass er Gottes Botschaft an uns ist. Und die Geschichte mit dem Wasser verstehe ich so:… und als ich anfing zu sagen, wie ich’s verstehe, hat dieser Kirchenvorsteher mir das Wort abgeschnitten und hat gesagt: Das genügt mir, ich weiß jetzt Bescheid!
Er wollte im Grunde nur Kontrolle ausüben, er wollte meine Gesinnung prüfen, er wollte mich sortieren.
Wer nicht auf die Frage mit Ja oder Nein antwortete, der war für ihn ein Heide, basta! Und meine unmittelbare Erfahrung mit Gott, die ja viel lebendiger ist, die doch in einer Vielfalt von Worten dargestellt werden kann, das interessierte ihn nicht.
Bei Außenstehenden haftet unserer Kirche leider dieses Image immer noch an, und auch den Pastor verstehen manche wie einen Eisenbahnschaffner, der die geistlichen Fahrscheine kontrolliert und locht. Das verbaut den Weg zu Christus, und da wollen viele nicht mitfahren.
Aber ich will schließen mit einer beglückenden Erfahrung. Das gibt’s nämlich auch: In unserer Bibelstunde Mittwoch abends, da kommen wir langsam in eine Atmosphäre, wo jemand frei sagen kann: das kann ich so nicht glauben, wie es da steht! Oder: Ich glaube das, aber ich habe trotzdem Angst vor dem Tod!
Das kann gesagt werden, ohne dass jetzt ein anderer den Kopf schüttelt und ohne, dass man Angst haben muss; gleich fallen die anderen über mich her und sprechen mir das Christsein ab!
In solchen Augenblicken sind wir wirklich eine geistliche Gemeinschaft, nämlich die, die da suchen. Da gibt es eine Ähnlichkeit mit den Weisen aus dem Morgenland.
Wir haben das Licht gesehen und suchen den, von dem das Licht ausgeht, und wir beten ihn an und hoffen, dass von diesem Lichte etwas auf den Weg unseres Lebens fällt, und dass wir die Richtung behalten, und dass wir einmal an’s Ziel kommen. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Chriso Jesu - AMEN!