Predigt 550

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Predigt vom 18.05.1986 - Apg. 2, 1-18

Liebe Gemeinde, unser Glaubensbekenntnis hat drei Teile. Der erste Teil handelt von Gott, der alles Seiende geschaffen hat.

Der zweite Teil handelt von Jesus Christus, unseren Herrn und Heiland, in dem Gottes Geist zu Tage trat.

Und der dritte Teil vom Heiligen Geist und der christlichen Kirche, die der Heilige Geist hervorgebracht hat.

Und es ist in allen drei Teilen immer das Eine - letztlich Unsagbare - das da in drei Wirkungen mit menschlichen Worten bezeichnet wird. Darum redet die Bibel auch vom Geist Gottes, vom Geist Christi und vom Heiligen Geist, und das ist immer die gleiche Kraft, und manchmal sind die Wörter auch austauschbar.

Heute ist Pfingsten - der Geburtstag der Kirche.

Es ist mir spät eingefallen - wir hätten vielleicht auch eine Geburtstagstorte backen und sie auf den Altar stellen können. Aber wir hätten sehr viele Kerzen gebraucht, weil unsere Kirche schon so alt ist.

Wir feiern aber beim Geburtstag immer den ersten Tag zum Gedächtnis. Der Tag ist das heute, an dem den Jüngern zum ersten Mal durch den Geist Gottes ein Licht aufging.

Bis kurz vorher - bis zu Himmelfahrt - da war Christus ihnen in Person begegnet. Aber er war immer ihr Herr und sie waren die Jünger, die ihm folgten.

Christus war ihr Meister und sie waren die Lehrlinge. Christus gab und sie empfingen.

Und dann kam Himmelfahrt, Christus war zurückgekehrt zu Gott, und das hatte zunächst zur Folge, dass sie erst mal allein waren. Die Jünger waren schon im Begriff, auseinander zu gehen, weil sie diese Situation des Alleinseins nicht kannten. Sie waren im Begriff, auseinander zu gehen So, wie eine Schule auseinanderfällt, wenn kein Lehrer mehr da ist. Oder so, wie ein Betrieb auseinanderfällt, wenn kein Meister ihn leitet.

Aber Christus hatte zu Zeiten seines irdischen Lebens vorgesorgt. Und an seine Worte, die sie damals nicht gleich verstanden haben, erinnern sich jetzt die Jünger, an alles, was er gesagt hatte, was sie mit ihm erlebt hatten. Und da geht ihnen - an jenem denkwürdigen Pfingsttag - ein Licht auf.

Die Konfirmanden haben auch gelernt; Pfingsten ist der Tag, wo die Jünger das "Aha-Erlebnis" haben. Wo Ihnen das Licht aufgeht, wo sie plötzlich begreifen, was von Anfang an beschlossen war.

Was sie nicht gleich erkannt hatten, das wissen wir jetzt: wir sollen nämlich fortführen, was Christus begonnen hat. Und darum heißt es in den Abschiedsreden, die wir beim Evangelisten Johannes finden, dass Christus, noch als er bei ihnen ist, ihnen sagt: "Ich will bei such geistig gegenwärtig sein, meine Wahrheit soll euch leiten!"

Die Jünger werden davon überwältigt, dass sie plötzlich begreifen, was sie sollen. Sie sollen hingehen in alle Welt, sie sollen weitergeben, was sie empfangen haben und sie sollen eine Gemeinde sein, sie sollen einander ergänzen. Und so ist das bis auf den heutigen Tag.

Das, was die Jünger damals in der ersten Stunde, am ersten Pfingsttag, zur Verfügung hatten an Geistesgaben, das haben wir hier in der Gemeinde bis auf den heutigen Tag genauso. Wir haben Gemeinschaft, wir haben Gebet, wir brechen das Brot und teilen den Kelch. Wir stehen unter der Verheißung Christi, zusammen mit unseren Kindern. Wir hören Gottes Wort. Und die Geschichten der Bibel die atmen den Heiligen Geist.

Und wenn wir darauf hören, dann bricht auch über uns der Geist herein wie ein Brausen vom Himmel, und er kann unser Leben erfüllen, und er kann auch unser altes, verfahrenes Leben durcheinander bringen. Wir finden hier in unserer Mitte alles, was da in der Pfingstgeschichte erwähnt wird. Wir haben vielleicht manchmal keinen Blick und kein Ohr dafür, aber wir haben alle Zutaten zu einer Gemeinde, die von dem Geist ergriffen wird.

Die Bibel erzählt in der Pfingstgeschichte, die wir vorhin gehört haben, dass damals jeder in seiner Sprache die großen Taten Gottes verkündigen hörte. Das bezieht sich nicht nur auf die Fremdsprachen der verschiedenen Völker, sondern das hat noch eine besondere Bewandtnis. Jesus hatte seinen Geist der Gemeinde gegeben und Petrus predigte und sprach aus dem Geist Christi.

Aber nun ist das ganz wichtig zu beobachten. Das war nicht so, wie wenn Einer redet und die Anderen hören. Das war nicht So, wie wenn Einer gibt und die Anderen empfangen. Sondern Petrus bringt in der Predigt zur Sprache, was die Anderen schon im Herzen vernommen haben, was sie schon fühlen. Und ihr merkt, das ist anders, als wenn ein Redner redet und nur Zuhörer da sind. Und das ist das Wichtige, was wir lernen müssen: Bis auf den heutigen Tag unterscheidet das nämlich die Predigt von einem anderen Vortrag.

Das ist das, was eine Predigt zum Teil des gemeinsamen Gottesdienstes macht und von einer öffentlichen Rede sonst unterscheidet. Meine Stimme hier auf der Kanzel erhebt sich nur aus unserer gemeinsamen Besinnung, aus unserer gemeinsamen Andacht. Wir sind hier eine Gemeinde und nicht Teilnehmer einer theologischen Vortragsreihe. Darum beginnt auch die Predigt immer mit den Worten: "Liebe Gemeinde!" und nicht mit: "Meine Damen und Herren!" oder: "Liebe Zuhörer!"

Das heißt, die Predigt jeden Sonntag geht davon aus, dass unter uns schon eine Richtung des Herzens vorhanden ist. Darauf baut die Predigt auf. Und das macht z.B. die Predigten an großen Festtagen so schwer, weil da der Prediger nicht immer diese gemeinsame Richtung des Herzens voraussetzen kann.

Es ist das Leben, der Geist und der Sinn, der unter den versammelten Christen wohnt, und der aus den Worten des Predigers redet. Es gibt da einen Zusammenhang zwischen der Gemeinde und dem, was der Prediger sagt. Es ist nämlich so, dass jeder von euch durch seine Teilnahme hier im Gottesdienst, durch sein Dasein hier im Gottesdienst, durch sein Singen und Beten und Denken in diesem Gottesdienst wirkt, auch in die Predigt hinein.

Das ist übrigens bei den Dichtern, die der Wahrheit auf der Spur sind, so ähnlich. Ich bin nicht euer Lehrer und ihr seid nicht meine Schüler, sondern Christus ist unser Herr, und er ist gegenwärtig, wo sein Wort gepredigt und gehört wird.

Gemeinde ist darum etwas anderes, es ist ein ergänzendes Geben und Nehmen, das von dem Geist unter uns gerührt und geführt wird. Die Kraft des Geistes wirkt durch das Wort. Und zwar in jedem Menschen auf verschiedene Weise.

Da gibt es unter uns welche, in denen der Geist eine stille Andacht bewirkt. Da gibt es unter uns sehr tatkräftige Menschen, die den Gottesdienst brauchen zur Sammlung. Da gibt es die Frömmigkeit von Kindern. Und da gibt es die Fülle der Erfahrungen der Alten, auf die der Geist Gottes trifft und der sie belebt. Die Kraft des Geistes wirkt in jedem auf seine Weise. Und dadurch entsteht aus verschiedenen Menschen eine Gemeinde, die - man kann es mit einem modernen Wort bezeichnen - die in einem Konsens lebt.

In der Pfingstgeschichte verkündigt Petrus Jesus Christus als den Gekreuzigten und er erinnert an die Worte und Taten Jesus. Christus ist auferstanden und mit der Auferstehung hat Gottes Geist von Christus ein treffendes Zeugnis gegeben. Er hat damit der Gemeinde klar gemacht: Seine Lehre ist von Gott, schaut auf ihn, er ist die Wahrheit, rein und unteilbar, es gilt!

Und die Gemeinde bezeugt das in Wort und Tat. In Christus tritt Gottes Geist zu Tage für uns Menschen. Gott hat ihn auferweckt in uns, und der Friede in uns, und die Liebe aus Gott, auch die klärende Trauer, die wir im Herzen haben, und die große Freude des Gemüt’s, das ist alles im Bilde Christi vereint.

Der Heilige Geist bezeugt Christus in uns. Er ist unser Friede, er ist unser Konsens, der uns zur Gemeinde verbindet.

Merkt ihr, wir müssen uns in der Gemeinde gar nicht alle sympathisch finden. Wir können auch gar nicht alle untereinander die besten Freunde sein. Aber Gemeinde ist eben auch gerade darin neu, sie geht weit über menschliche Sympathie und Freundschaft hinaus. Hier wirkt Gottes Geist in seinen Geschöpfen, der uns zu Schwestern und Brüdern macht. Das ist etwas, das unabhängig von unserer Sympathie läuft. Es ist ein geschwisterlicher Geist, der von Gott, dem Vater, kommt und den wir nicht selbst produziert haben. Das ist der Geist, der von Anbeginn der Schöpfung in allem Seienden wirkt. Das ist der Konsens des Heiligen Geistes, den wir in Christus erkennen.

In der Pfingstgeschichte wird der Heilige Geist erfahrbar in der Kraft, die in die Herzen und Sinne dringt.

Unter den Menschen damals - in der Pfingstgeschichte - gab es zweierlei: Solche, in denen der Geist Gottes schon wirkte, und solche, die noch hineingeführt werden sollten. Und auch darin gleicht unsere Gemeinde der Pfingstgemeinde damals, denn jeder Gottesdienst hat auch den Zweck, die Herzen der Menschen zu Gott zu führen.

Gottes Geist lässt uns Menschen nämlich auch erkennen, dass wir des Friedens nicht voll sind und dass in uns Kräfte am Wirken sind, die uns in eine Richtung treiben, die wir eigentlich nicht wollen.

Genau wie damals fühlen wir uns vom Geist bewegt. Und auch wenn der Geist uns bewegt, dann fühlen wir in uns die Frage, die in der Pfingstgeschichte herausragt: Was sollen wir tun? Was sollen wir tun, das ist die Ratlosigkeit, aus der auch die Sehnsucht spricht nach dem Einssein mit Gott.

Was sollen wir tun? So fragen Menschen, die der Geist bewegt hat, die das Gefühl haben, es müsste noch mehr kommen und noch mehr da sein.

Die Antwort, die die Bibel uns gibt, heißt: "Ihr sollt eine Gemeinde werden". Und das heißt für den Gottesdienst eben, über kirchliche Vortragsreihen hinauskommen, in denen die Zuhörer einen Vortrag erwarten, der sie selbst erbaut und mit dem sie, gleich einem Schatz für sich allein, nach Hause gehen können. Das ist die Sache des Gottesdienstes nicht, sondern Sache des Gottesdienstes ist die Teilnahme aller. Erbauung geschieht durch das Zusammenwirken der Gaben.

Aus diesem Zusammenwirken geschieht Gemeinde und darin weht der Heilige Geist.

Ich selbst bin auch aufgewachsen in einer sehr individualistischen Tradition. Ich hoffe bis auf den heutigen Tag, dass wir zusammen etwas lernen können, im Blick darauf, dass wir Gemeinde werden. Dass wir eine neue Form finden, in der wir uns nicht zu sehr auf der Pelle hocken und einengen, wo wir aber eingestimmt sind auf die Melodie des Heiligen Geistes, und zusammenwirken können. Eins müssen wir lernen: Auf die Mühlen einzelner Menschen, die das Heil für sich allein haben wollen, lässt sich die Kraft des Geistes nicht leiten.

Der Heilige Geist ist die vereinigende Kraft, die keiner für sich allein haben kann. Wer die Bibel liest, der weiß, dass alle Worte und Verheißungen Christi sich an die Gemeinde richten.

Die acht Seligpreisungen heißen:

Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.

Selig sind, die Frieden stiften. Oder es heißt, ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Oder: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.

Merkt ihr, sein Geist verweist uns immer in den Zusammenhang, in dem wir mit anderen Menschen leben.

Was sollen wir tun? Ich weiß auch noch nicht, wie die neue Gemeinde aussehen wird.

Wir befinden uns in einer Zeit der Orientierung. Manches hat hier in Deutsch Evern schon stattgefunden unter uns. Es gibt manches, das wächst. Aber ich bin ganz zuversichtlich und vertraue ganz und gar, dass der Geist uns schon eine Form finden lässt, die wir für unsere Gemeinde brauchen.

Wenn wir uns nur einmütig immer wieder im Namen Christi hier versammeln und sein Wort hören und den Gottesdienst als gemeinsame Sache erkennen.

Denn Jesus sagt, wo wir in seinem Namen versammelt sind, da will er unter uns geistig gegenwärtig sein. AMEN!