Predigt vom 10.08.1986 - Eph. 2, 4-10
Liebe Gemeinde! Die Epistel ist der Predigttext, und da sind besonders wichtig die Worte, die bei Paulus immer wieder vorkommen.
"Rühmt euch nicht, ihr seid gerecht aus Gnade, nicht durch euer Werk". Da heißt es im Epheserbrief: "Denn aus Gnade seid ihr selig geworden, durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme, denn wir sind sein Werk, geschaffen in Jesus Christus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen."
Gott segne an uns dieses Wort!
Bedenkt bitte, dass Paulus diese Worte nicht an Menschen außerhalb der Gemeinde richtet, sondern er schreibt an die Gemeinde in Ephesus.
Und das bedeutet, dass er an Menschen schreibt, die durch Christus gerettet worden sind. Die eines Tages vor die kleine Gemeinde getreten sind, und Jesus Christus als ihren Herrn und Retter bekannt haben und sich taufen ließen.
Diese Menschen konnten in den meisten Fällen klar unterscheiden. Sie konnten sagen: Früher war ich arm dran, da lebte ich unter diesen und jenen Zwängen, unter dieser Not meiner Seele. Seitdem mir Christus begegnet ist, bin ich frei und erlöst. So hatte jeder Einzelne in der Gemeinde eine persönliche Geschichte seines Glaubens. Jeder in der Gemeinde konnte sagen: "Vorher ging es mir so und so, dann begegnete mir Christus, in der Gestalt von einzelnen Christen, in der Widerfahrnis meines Lebens, in der Gemeinde, die ich mal besuchte. In Worten und Geschichten von Jesus, da wurde ich frei und erlöst, und seitdem geht es mir gut. Seitdem kämpfe ich zwar, seitdem habe ich auch Zweifel, werde hin und her gerissen, aber mein Leben hat einen Anker und einen Halt.
Das sind persönliche Geschichten. Wirklich erlebt! Vorher war es so, dann begegnete mir das und das, seitdem bin ich gerettet. Und es folgen dann genaue Beschreibungen, welche Auswirkungen das im Leben dieses Menschen hatte.
Für den Außenstehenden sind solche Geschichten manchmal erstaunlich nüchtern. Unter uns ist es leider unüblich geworden, dass ein Mensch davon redet. Vielleicht auch deshalb, weil es schrecklich missbraucht worden ist. Weil Menschen sich gerühmt haben: "Schaut her, so begnadet bin ich von Gott, so hat sich Gottes Liebe über mich ergossen. Schaut her, was für einen starken Glauben ich habe."
Und so haben dann manchmal die vermeintlichen Kinder des Lichtes nur die Anderen in den Schatten stellen wollen. Und jeder, der dieses großartig dargestellte Glaubensleben nicht hatte, der musste sich so klein vorkommen. Diesen Missbrauch gibt es auch in anderen Kirchen bis heute. Aber der Missbrauch sollte den guten Gebrauch nicht ausschließen. Es gibt verschiedene andere christliche Kirchen, wo das bis heute getan wird. Da werden Geschichten erzählt. Da erzählt ein Mensch: "Das habe; ich erlebt. Da wird nicht gesagt: So ist es allgemein gültig und richtig. Wer so redet, der würde in einem Lehrsatz sprechen. Und über Lehrsätze und Dogmen kann man sich streiten. Da kann man immer einwenden: "Das kann man sagen! Ja, wenn aber nun…, gesetzt der Fall dass… dann müsste aber…" So streitet man Sich über Lehrsätze.
Aber sobald ein Mensch nur für sich spricht und sagt: Ich habe erlebt, dass ich durch Christus gerettet wurde, dass ein Mensch mir Gottes Botschaft brachte und dass sich wirklich in meinem Leben etwas geändert hat, und das hat sich so und so ausgewirkt, dann kann man nicht darüber streiten. Und es könnte sein, dass du davon ergriffen wirst, wenn dir ein Anderer erzählt, wie er gerettet wurde. Es könnte sein, dass du plötzlich ähnliches in deinem Leben erkennst, dass dein selbst erlebtes Leben in einem neuen Zusammenhang erscheint. Es könnte sein, dass du plötzlich angerührt wirst und erkennst, dass Gottes Geist auch schon lange an deinem Leben wirkt, ohne dass du das klar begriffen hast. Es könnte sein, dass dein Leben, das bis dahin aussah, wie ein zusammen gewürfelter Berg von Ereignissen, plötzlich einen Zusammenhang, einen Sinn, eine Zuordnung bekommt. Dass du plötzlich erkennst: Ich habe immer gedacht, ich führe mein Leben, ich mache alles, aber nun erkenne ich: Gott hat mich geführt. Gott will mich retten. Die Ereignisse meines Lebens haben eine Bedeutung, die drängen auf ein Ziel zu. Gott hat etwas vor mit mir, Gott will etwas mir mir. Gott rührt mich an mit dem, was dieser andere Mensch aus seinem Leben erzählt. Es könnte sein, dass du erkennst: Gott hat mich eigentlich behütet und geführt, auch durch das Leid, das jetzt plötzlich eine Bedeutung bekommt, die ich vorher gar nicht begriffen habe. Er will mich retten, aber ich habe mich dagegen gewehrt. Gottes Geist war um mich und ich habe es bestritten. Ich wollte alles alleine machen, wie ein garstiges Kind, das sich nicht führen lassen will. Er wollte, dass ich umkehre zu ihm, aber ich wollte meinen Weg selbst gehen. Dieses trotzige: "Ich kann alleine, ich brauche keinen, ich weiß selbst, was für mich gut ist", das ist Menschen gegenüber manchmal angebracht, aber Gott gegenüber ist diese Haltung Sünde.
Ihr merkt, jetzt in der Predigt fange ich auch schon wieder an, in theologischen Lehrsätzen zu reden.
Vorhin, als wir das Glaubensbekenntnis sprachen, da ging mir wieder durch den Sinn: Auch unser Glaubensbekenntnis besteht ja aus Lehrsätzen. Die sind manchmal wichtig. Wenn nämlich die Gemeinde oder die Kirche in Worte fassen soll, was Christen glauben, dann müssen solche Sätze formuliert werden, um die gemeinsame Basis zu bekennen und auszusprechen. Aber ich habe auch erlebt, dass von Lehrsätzen ein Mensch selten ergriffen wird, auch wenn der Lehrsatz richtig und stimmig ist. Ein Lehrsatz fasst Glaubenserfahrungen zusammen, aber er löst keinen Glauben aus.
Auch wenn es unüblich ist, will ich darum jetzt nicht die Lehrsätze predigen, sondern ich will einmal reden von dem, was ich erfahren habe, von meiner Gotteserfahrung. Das ist natürlich sehr persönlich.
Zufällig - oder nicht zufällig - jährt sich in der nächsten Woche ein wichtiges Datum in meinem Leben. Nächste Woche ist nämlich der 13. August, und da wurde vor 25 Jahren die Mauer um Berlin gebaut.
Beachtet bitte, dass es jetzt nicht um Politik geht, sondern es ist ein historisches Datum, das in mein Leben hineingewirkt hat.
Bis zu dieser Zeit war ich in Leipzig aufgewachsen- wie viele Kinder auch. Ich war getauft und ging zum Kindergottesdienst. Später zur Christenlehre, weil ja der Religionsunterricht in der Schule verboten war. Ich war Konfirmand. Ich wurde konfirmiert. Ich habe biblische Geschichten gehört. Ich gehörte dann auch zur jungen Gemeinde. Ich kannte etwas von der christlichen Tradition. Aber ich muss sagen, dass ich die Kraft des Glaubens bis dahin noch nicht kannte. Das heißt, die Kraft hatte sich erst wenig erwiesen in meinem Leben, denn es war wenig Gelegenheit dazu. Es ging mir gut, es gab keine Störungen.
Ich habe dann das Merkwürdige erlebt, dass die Störungen und die Hindernisse und die Brüche im Leben wichtig sind.
Plötzlich waren da Tage vor Weihnachten 1960, da wurde mein Stiefvater verhaftet und in ein stalinistisches Gefängnis gebracht. Dann hatten wir Haussuchungen. Weihnachten ging darüber hin, und dann kam der Januar. Die Schule fing wieder an. Und ich wurde während der Schulzeit die Woche über öfters aus dem Unterricht gerufen, und dann musste ich in das Zimmer des Direktors und dort wurde ich verhört. Ich war damals 16 Jahre alt. Diese Augenblicke waren sehr wichtig für mein Leben. Ich habe nämlich in diesen Stunden erfahren, dass Gebete erhört werden. Und dass Gebete nicht dadurch erhört werden, dass die Bedrängnis dir einfach aus dem Weg geräumt wird, sondern dass Gebete dadurch erhört werden, dass du ruhig wirst, dass ich ruhig wurde.
Da saß ich zu Zeiten alleine zwei Männern in Ledermänteln gegenüber, aber ich habe da auch erfahren, dass ich nicht allein war. Ich erlebte, dass ich zwar schwach und zitterig war nach eigener Kraft, dass da aber eine Kraft mich erfüllte, die nicht aus mir selbst kam.
Heute lässt sich gut darüber reden, aber in der Situation weißt du ja nicht, was noch alles kommen würde. Ich habe erlebt, dass mir diese Kraft gegeben wurde für das Nächstliegende.
Im Sommer 1961 - also nun vor 25 Jahren - war dann Kirchentag in Westberlin und ich fuhr da hin. Das konnte man damals. Ich besorgte mir danach eine Flugkarte von Westberlin nach Hannover, um mich hier im Westen auch umzuschauen. Per Anhalter bin ich dann hier herumgereist. Auch der Rückflug war gebucht - nach Westberlin. Und in Westberlin konnte man ja gleichsam über die Straße-1961 noch-nach Ostberlin gehen und dann nach Leipzig zurückkehren.
Aber zunächst war ich im Westen. Ich war bis nach München gekommen und hatte mir unterwegs in einem Sägewerk in der Nähe von Hermannsburg Geld verdient. Es kam der 13. August 1961 - also nächste Woche, Mittwoch vor 25 Jahren.
An diesem Sonntag kam ich aus der Kirche, und da wurden Extrablätter verteilt, in denen stand: "Seit heute früh wird eine Mauer um Westberlin gebaut".
Ich muss diesen Rahmen beschreiben, damit ich erzählen kann, was ich in einer bestimmten Situation mit Gott erlebt habe.
Also, Berlin war dicht, und ich ging etwas außerhalb vom Zentrum an die Isar in München und setzte mich ins Gras und machte mir klar, dass die Mauer mich abgeschnitten hatte. Ich war abgeschnitten von zu Hause.
Und mir kam die Geschichte von Josef und seinen Brüdern in den Sinn. Die hatte ich als Kind gehört, diese wunderbare Errettung, aber auch diese finsteren Täler, durch die der Josef geführt wird.
Ich konnte den Josef so gut verstehen - wie er da im Brunnen sitzt - von seinen Brüdern verkauft und nicht weiter weiß.
Diese Geschichte hatte ich zunächst als Kind wie ein Märchen gehört. Aber plötzlich hatte diese Geschichte eine Kraft. Ich hatte im Kindergottesdienst wohl auswendig gelernt den Satz: "Die Menschen wollten es böse machen, Gott aber gedachte es gut zu machen".
Und ich wusste - nach meiner eigenen Kraft - absolut nicht, wie es weitergehen würde. Aber ich hatte dieses Vertrauen, dass Gott es gut machen würde. Ich hatte das Gefühl: Ich bin getauft, über mir steht genau so eine Verheißung wie über dem Josef. Wie alles werden wird, das ist Seine Sache, aber Er ist bei mir und wir werden sehen.
Und ich weiß noch, wie ich mich selbst gewundert habe, wie leicht und ruhig ich aufstand aus dem Gras an der Isar. Und dann fing ein wechselvoller Weg an.
Ich habe da erfahren, dass wir gerettet sind, wenn wir auf Gott vertrauen, und dass wir verloren sind, wenn wir allein sind mit uns selbst.
Ich habe damals Gott erfahren und bin gerettet worden, bin verschiedene Wege geführt worden bis zu diesem Augenblick. Habe auch erlebt, dass immer, wenn ich kleingläubig war und mir Sorgen machte, über Sachen, die ich gar nicht steuern kann, dass ich dann beschämt wurde von Gott, und dass ich manchmal auch auf die Nase fallen gelassen wurde. Zu erfahren, dass du gerettet bist, heißt nicht, dass dein Leben dann so geht, wie du es willst.
Ich fange auch zwischendurch an, mich zu sorgen. Ich lebe in dieser Versuchung, selbst sein zu wollen. Und daraus kommen dann immer zwei Dinge, entweder Angeberei oder Verzweiflung. Und am Ende steht immer diese schmerzhafte, heilsame Umkehr zu Gott.
Das, was mir bleibt, das ist diese Erfahrung, dass ich gerettet bin - dass ich aus Gnade gerettet bin vor mir selbst.
Ein Kern des Heils, das uns das Evangelium schenkt, ist dies, dass wir frei sind von uns selbst.
Keiner kann sich selbst retten, deswegen kann sich auch keiner selbst rühmen.
Das Menschenherz ist stolz und will alleine regieren, und der Prometheus schlummert in uns, der Gott in die Schranken fordert.
Aber das führt immer in große Not.
Ich will es nochmal in einem Gleichnis sagen: Vor vier Wochen sind wir mit Freunden durch den Hafen von Gedser gegangen. Und da liegt ein stark motorisiertes rotes Küstenboot, das ist das Lotsenboot.; Das liegt da rund um die Uhr Im Bereitschaft. Es Sind immer zwei Lotsen, die sich abwechseln. Und wenn große Schiffe oder Tanker vorbeikommen, dann können sie die Lotsen anfordern. Die Lotsen gehen dann an Bord und bugsieren das Schiff durch die Gefahrenzonen hindurch. Mein Freund erzählte mir, dass im letzten Jahr ein großer Tanker einen sehr stolzen Kapitän hatte, der es darauf ankommen lassen wollte und der sagte: "Ich schaffe das alleine!" Und der ist dann prompt mit seinem Tanker festgelaufen, und es war ein Beinaheunfall, denn wenn ein Öltanker bricht, dann ist diese Gegend der Ostsee verseucht. Dieser Tanker hat um Hilfe gerufen als er schon fest saß. Er wollte den Lotsen nicht an Bord nehmen.
Und das kam mir dann wie so ein Gleichnis in den Sinn. Dass wir Menschen oft sind wie die stolzen Kapitäne, die das Lebensschiffchen alleine lenken wollen. Dass sie zu stolz sind, Jesus als Lotsen an Bord unseres Lebensschiffes zu nehmen.
Das stimmt natürlich, wenn der Kapitän ankommt mit dem Lotsen an Bord, dann kann er nicht sagen: "Schaut her, ich habe das Schiff sicher 3 den Hafen gebracht!" Er muss sagen: "Der Lotse war’s!"
Es gibt also kein Rühmen für ihn. Aber er ist ans Ziel gekommen.
Gottes Gnade ist’s, aus Gottes Gnade seid ihr gerettet durch den Glauben, und das nicht aus euch selbst; Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich niemand rühmen kann.
Es ist besser, Gott zu rühmen und heim zu kommen, als stolz unterzugehen
Die Kraft, die Christus von den Toten auferweckte, hat uns gerettet. Und unser Leben ist Gnade und Geschenk.
Im Grunde weiß keiner von uns, wer er eigentlich selbst ist. Wir begreifen uns selbst erst dann, wenn wir uns begreifen als Gottes Geschöpfe und Kinder.
Es gibt nichts, dessen wir uns rühmen können, denn wir gehören uns nicht.
Bedenke dein eigenes Leben. Sich Rühmen ist töricht. Ich höre das manchmal bei Jubiläen und großen Geburtstagsfeiern: Dass ich mein Leben So klug und tüchtig gemeistert habe, das ist meine Fähigkeit. Dass ich so alt geworden bin, das habe ich auch nur mir selbst zu verdanken.
Das ist ein törichtes Rühmen.
Und verzweifelt sein, weil du in deinem Leben so viel falsch gemacht und so viel Schiffbruch erlitten hast, und davon klein und mickerig zu werden, weil es alles nicht so geworden ist, das ist auch töricht. Beides, das Rühmen und das Verzweifeltsein, das sind die zwei Seiten der gleichen Sache, die die Bibel Sünde nennt. Zumindest kommt das aus dieser Grundhaltung.
Sich Rühmen und Verzweifeltsein ist beides unsinnig. Und es löst sich auf in dem Augenblick, wo du dich von Gott befreien lässt von dir selbst.
Es kommt dann gar nicht mehr darauf an. Lass Gott dich führen, gib dich hin.
Gott allein gehört die Ehre. Das steht hinter diesem Satz: "soli deo gloria". "Aus Gnade sind wir gerettet, allein Gott in der Höh' sei Ehr."
Nicht uns steht es an, sich zu rühmen.
Aus Gnade sind wir gerettet, und daraus folgt alles Andere - auch alles Gute, zu dem uns Gott in die Lage versetzt. AMEN!