Predigt vom 02.11.1986 - Pastor Schnabel - Reformationsfest - Epistel: Röm. 3, 21-28
(Die Junge Gemeinde hat vorher die Christophoruslegende gespielt)
Die Gnade unseres Herrn, Jesu Christi und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde! Christophorus heißt: Der Christusträger.
Die Legende von Christophorus war schon 1000 Jahre alt, als Luther ein kleiner Junge war. Er kannte sie also von Klein auf. Martin Luther hat später einmal gesagt: "Jeder Christ soll ein Christophorus sein, einer, der Christus trägt"
Das heißt: Erstens soll jeder Christ ein Mensch sein, der Christus als seinen Herrn und Meister gefunden hat. Und zweitens soll er einer sein, der Christus hinüberträgt zu anderen Menschen.
Martin Luther - seine Freunde haben ihn "Bruder Martinus" genannt - war für uns ein Christophorus. Einer, der Christus zu uns herübergetragen hat. Und darum heißt diese Kapelle "Martinus-Kapelle".
Aber auch Martin Luther musste zuerst Christus als seinen Herrn und Meister finden. Martin Luther kam ja nicht als fertiger Christ zur Welt. Der Glaube ist nicht erblich, das merken wir selbst. Er musste erst suchen und finden; Christus als seinen Herrn und Meister, ehe er Christus zu uns tragen konnte.
In diesem Suchen und dann Finden und zu den Menschen tragen, da treffen sich Christophorus und Martin Luther und jeder Christenmensch.
Es fängt damit an, dass ein Mensch erst einmal begreift; ganz gleich, was ich tue, wenn ich lebe - das liegt in der Natur des Lebens - diene ich immer irgendwem oder irgend einer Sache. Ich diene immer! Und wenn ich das bestreite, bin ich ein Tor.
Leben, heißt nämlich immer; Lebenskraft einsetzen zu einem Ziel, zu einer bestimmten Richtung. Jeder Mensch dient solange er lebt irgendwas oder irgendwem. Und es ist sehr wichtig, herauszufinden zunächst; wem oder was diene ich.
Christophorus, mit seiner Kraft, ist klug, er weiß von vornherein mehr als viele Zeitgenossen, er weiß nämlich; meine Kraft hat nur Sinn, wenn sie dient, wenn sie sich auf ein Ziel richtet. Also sagt Christophorus, und das ist folgerichtig: ich will dem größten Herrn dienen, denn das heißt; meine Lebenskraft optimal einsetzen in ein Ziel, das groß ist, das bleibt, das unvergänglich ist. Ich will doch meine Lebenskraft nicht verplempern.
Das ist eine ernste Sache, da geht es um’s ganze Leben. Denn was ist, wenn ich nach zwanzig Jahren erkenne; es war das falsche Ziel, in das ich meine Lebenskraft investiert habe?
Christophorus schaut sich um und sieht zunächst, in der Gestalt der irdischen Macht, den König, das Ziel, das ihm allmächtig erscheint. Aber als er bei dem König bemerkt; da ist einer, der ist stärker und-größer, vor dem hat er Angst, da quittiert er sofort seinen Dienst. Er hat keine Zeit zu verlieren, er geht zu der Macht des Bösen - personifiziert durch den Teufel. Gut oder böse, sagt sich Christophorus, wenn er der Größte ist und die Welt beherrscht, dann will ich ihm dienen.
Aber als er merkt: auch der Teufel fängt an zu zittern, nämlich vor dem Kreuz, da quittiert er sofort seinen Dienst und sucht den, für den das Kreuz steht.
Den König hat er leicht gefunden. Den Teufel hat er leicht gefunden in dieser Welt. Aber diesen Herrn, für den das Kreuz steht, den findet er nicht so schnell.
Während Christophorus umherzieht, befindet er sich in einem merkwürdig herrenlosen Zustand. Christophorus sucht diesen Herrn. Und er trifft auf den Einsiedel. Der Einsiedel kann ihm Christus nicht zeigen. Aber er kann ihm von Christus erzählen. Er sagt ihm, was bei Christus gilt; du sollst Gott lieben, deinen Nächsten wie dich selbst, fasten, beten und tun. Das versteht Christophorus noch nicht gleich. Aber er hat immerhin so viel Vertrauen in das Wort des Einsiedels, dass er es tut und versucht. Noch ehe er es ganz begriffen hat, tut er’s. Und während er es tut, begegnet ihm Christus in der Gestalt eines Kindes. Und fortan dient er diesem Kind.
Am Anfang wäre Christophorus nie auf die Idee gekommen, seinen Herrn im Unscheinbaren und Geringen zu Suchen. Erst als er alle sichtbaren Herren der Welt durchprobiert hat, die im Glanz der Welt stehen, da sucht er im Niedrigen und Geringen. Und vor allem - das gilt’s zu lernen - Christophorus dient seinem Herrn, noch ehe er es weiß.
Christus lässt sich von ihm tragen, und an seiner Schwergewichtigkeit erkennt Christophorus; dieses Kind ist nicht von dieser Welt. Er hat es in diesem Kind mit Gott zu tun.
Endlich hat Christophorus seinen Herrn gefunden. Und nun ist seine Lebenskraft in das Unvergängliche investiert. Und was immer kommen mag; er dient Gott und seinem Nächsten und auch sich selbst. Und darin hat er das ewige Leben.
Nun sind wir normalerweise nicht so konsequent wie Christophorus oder Bruder Martinus.
Vorgestern beim Autofahren hörte ich im Radio wieder dieses merkwürdige Lied: "Das kann doch nicht alles gewesen sein, das bisschen Fußball und Führerschein." Fußball und Führerschein, das steht ja symbolisch für Häuslebauen und Vereinsleben und Karrieremachen und Anschaffung. Und das ist natürlich alles wichtig, das gehört zum Leben. Aber es fehlt etwas dabei, das ist nicht das Ziel, das spüren wir Menschen. Das kann doch nicht alles sein!
Und wer mehr darüber nachdenkt, der findet selbst heraus und sagt sich; wem haben wir nicht alles schon gedient mit unserer Lebenskraft. Menschen sind ja Gottes Kinder, die sich nach Heil und Erlösung sehnen. Sie tragen ja eine Utopie im Herzen; einen Ort, den es noch nicht gibt. Aber sie versuchen, diesen Hunger immer mit dem falschen Zeug zu stillen. Immer haben wir auf ein erfülltes Leben gehofft, bei allem, was wir taten, bei allen Herren, denen wir dienten. Aber kaum hatten wir das Selbstgemachte und Selbstmachbare erreicht, dann war der Traum zerrissen und es war vorbei. Und wir haben wieder gemerkt; es war eigentlich nicht das, was wir gesucht haben; das kann es nicht gewesen sein!
Wir sehen zunehmend, in welche Krise wir geraten sind bei dem Dienst an diesem und jenem Ziel, an dem Machbaren und Verdienbaren und Bezahlbaren. Ich bin überzeugt, dass es heute weltweit mehr Menschen als je zuvor ahnen, dass das Heil woanders liegen muss. Wir haben uns ja so festgefahren, dass wir es sehen, dass wir es hören, riechen und schmecken, dass es so nicht weitergehen kann. Wir bekommen zunehmend Zweifel an den Zielen, die wir uns selbst gesteckt haben. Wir befinden uns vielleicht in dem ähnlichen Zustand, wie Christophorus, der gerade beim Teufel gekündigt hat, weil er merkte, der zittert auch, der packt’s auch nicht. Wir befinden uns in dem Zustand von Christophorus, der sagt; das ist es nicht, aber was ist es dann?
Das ist das, was ich "den herrenlosen Zustand" nenne. Christophorus weiß: Die, denen ich bisher gedient habe, das waren alles schwache Fürsten. Aber wo ist der Herr und Heiland, für den das Kreuz steht?
Es muss so ähnlich gehen, wie mit dem Christophorus; wir müssen dem Wort Gottes trauen, das uns in der Bibel überliefert ist. Wer Christus dient, dem gibt er sich auch zu erkennen.
Ihr habt ja vorhin gesehen: Im herrenlosen Zustand trifft Christophorus den Einsiedel, einen Mann, der in keine geschäftlichen Interessen verwickelt ist. Der abseits lebt und betet. Der Einsiedler ist dem herrenlosen Christophorus glaubwürdig. Der Einsiedler kann ihm Christus nicht zeigen, er kann nicht sagen: "Hier ist er." Er kann ihm nicht vorrechnen, wie man zum Heil kommt. Aber er kann ihm erzählen von Christus, dem Herrn, was das für ein Herr ist, und was er von ihm will: Geh an den Fluss und diene den Menschen, und dann wirst du weitersehen.
Und nun geht mir beim Reformationsfest durch den Sinn: So, wie der Einsiedler für Christophorus war, so glaubwürdig müsste unsere Kirche sein für die Menschen, die in einem herrenlosen Zustand leben, die suchen, wo der Herr zu finden ist.
Wir sollen Christus zu den Menschen tragen. Wer Christus in seinem Leben begegnet, der wird frei von sich selbst, der dient im und nicht mehr sich selbst. Er hat das Ziel gefunden, in dem seine Lebenskraft nicht verloren geht.
Es ist nicht so leicht, sich zu diesem Herrn zu bekennen. Gerade die herrenlosen Menschen in der Welt werden dich nämlich genau an dem messen, was sie von Christus gehört haben. Und sie werden dich entweder für einen Versager oder für einen Heuchler halten. Aber das soll dich nicht beirren. Denn es ist etwas Großes daran, diesem Herrn zu dienen, etwas Freimachendes. Wenn sie dich für einen Heuchler halten, weil du dich zu Christus bekennst, dann verteidige dich gar nicht. Gib es auch zu, wenn die Vorwürfe stimmen. Die Anderen haben nämlich einen scharfen Blick und haben leider oft recht.
Vor allem aber sollst du auf Christus verweisen, deinen Herrn.
Wenn du Christus dienst, dann wird dich das nicht treffen, denn - und das soll dein Trost sein - er hat dich für wert gehalten, ihm zu dienen.
Das ist allein der Grund deiner Stärke> Er hat dich in den Dienst genommen, zusammen mit den Schwestern und Brüdern seiner Gemeinde und du gehörst nicht mehr dir selbst; darum bist du frei in der Welt.
Immer wenn wir in Deutsch Evern das Reformationsfest feiern, bisher seit drei Jahren, gibt es nach dem Gottesdienst Reformationsbrötchen. Diese Reformationsbrötchen, die stellen dar, eine fünfblättrige Rose mit einem roten Herzen in der Mitte und darauf das Kreuz Christi, das alte Herz-Jesu-Zeichen. Und das ist das Wappen Martin Luthers. Als Bruder Martinus zu Amt und Würden gekommen war, sollte er ein Wappen haben. Ihr wisst; Wappen verweisen symbolisch auf den Ruhm und auf die Eigenart der Familie. Luther wählte die Rose als das Zeichen des Lebens. Und die Mitte seines Lebens war nicht er selbst mit seinem Tun, mit seinem Doktortitel, mit seinem Professorentitel, mit der Schrift, um die er sich verdient gemacht hat. Sondern die Mitte war Christus, der Gekreuzigte, dem er diente und dessen Wort Luther zu uns getragen hat über die Jahrzehnte.
Wie Christophorus das Kind über den Fluss trug zu uns, so hat Luther uns die Botschaft Gottes in Jesus Christus über den Fluss herübergetragen, dass wir heil werden und frei von uns selbst in ihm. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!