Predigt 562 zum Martinstag

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Predigt vom 09.11.1986 - Pastor Schnabel - Martinstag - Math. 25, 31-46

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Ihr Lieben, am letzten Sonntag haben wir das Reformationsfest gefeiert, da war von Martin Luther die Rede, der wie ein Christophorus, ein Christusträger, Gottes Botschaft in Jesus Christus zu uns gebracht hat durch das Wort. Und heute, am Ende des Kirchenjahres soll in der Martinuskapelle von dem anderen Martin die Rede sein. Martin von Tours, der vor 1600 Jahren gelebt hat. Die Kinder haben am letzten Sonntag Martinslaternen gebastelt. Hier ist.eine, die haben wir auf dem Altar stehen. Auf der einen Seite ist ein Mann abgebildet, hoch zu Ross, das ist der Martin. Und auf der anderen Seite ein Bettler, der auf dem Boden liegt und die Hände ausstreckt.

Diese beiden Männer auf der Vorder- und auf der Rückseite, die kommen in einem wichtigen Augenblick ihres Lebens zusammen, und das hat Folgen für ihr ganzes Leben; dieser eine Augenblick.

Aber bis es soweit war, kam der Martin erst mal als Kind zur Welt. Sein Vater war Offizier in der Armee des Römischen Kaisers Konstantin. Er war ein Heide, wie viele Menschen im 4. Jahrhundert. Seine Mutter war eine freundliche Frau, die ihren Sohn lieb hatte. Aber auch sie war keine Christin. Nur manchmal ging sie zu den Gottesdiensten der Christen, weil sie das so schön fand. Und der kleine Martin, ihr Sohn, der auch nicht getauft war, der durfte da mit zum Kindergottesdienst gehen. Und dort hörte der Martin die Geschichten, z.B. vom verlorenen Sohn, und vom barmherzigen Samariter. Geschichten, die Jesus zu Lebzeiten erzählt hat. Und das gefiel ihm gut. Der Vater sah das nicht gern, aber er dachte; vielleicht kann es nicht schaden, Und als Martin 14 Jahre alt war, sprach er ein Machtwort. Er sagte: "Schluss jetzt mit dem Kinderkram und mit dem religiösen Gehabe, du wirst jetzt Soldat, wie ich!" Und Martin musste Soldat werden. Vermutlich war der Martin intelligent und sportlich, denn es wird überliefert, dass er schon mit 18 Jahren Offizier war, der eine Reitertruppe anführte. Er wurde dann in das heutige Frankreich versetzt - das war damals eine Römische Kolonie. Und er wäre vielleicht sogar General geworden, wenn nicht dieser Augenblick in seinem Leben geschehen wäre, von dem ich vorhin erzählte. In diesem Augenblick ist ihm nämlich Christus begegnet, auch wenn er das gar nicht gleich erkannt hat.

334, an einem Winterabend, es war bitterkalt, die Soldaten wollten ins Quartier nach Amiens. Martin ritt auf seinem Pferd auf die Stadt zu. Da sah er plötzlich vor sich auf dem Weg so ein dunkles Bündel liegen. Das war ein Bettler, mit kranken Füßen. Er war mit einem zerrissenen, dünnen Hemd bekleidet. Er klapperte und fror erbärmlich. Und seine Augen glänzten fiebrig. Und mit einer heiseren Stimme krächzte er: "Habt Erbarmen! Bitte helft mir! Ich erfriere sonst." Martin zog die Zügel an, sein Pferd blieb stehen. Er war im Dienst. Wie sollte er dem Mann helfen? Geistesgegenwärtig nahm Martin sein Schwert. Und diesmal nicht, um jemanden zu töten, sondern er zog seinen Mantel so hoch - dieser Mantel war wie eine große, warme, wollene Decke, die den Soldaten auch nachts als Zudecke diente - so ähnlich wie ein Schlafsack - Martin schnitt die Hälfte von seinem Mantel mit dem Schwert ab und gab sie dem Bettler, und legte sie ihm über die Schulter.

Der Bettler dankte ihm. Er wickelte sich in dieses dicke, wollene Stück Stoff ein, und Martin ritt weiter. Er musste weiter, seine

Soldaten, die hinter ihm ritten, machten dumme Sprüche über ihren Hauptmann, der da mit einem halben Mantel lang ritt. Aber wenn sich Martin herum drehte und böse guckte, dann waren sie doch still. In Amiens kamen sie ins Quartier. Martin legte sich schlafen, wie die anderen Soldaten und deckte sich zu mit seinem halben Mantel.

In dieser Nacht hatte er einen Traum. Er sah Christus im Traum, und Christus hielt etwas in der Hand. Er sagte: "Martin, siehst du, was ich hier habe?" Und Martin sah, dass Christus die andere Hälfte seines Mantels in der Hand hielt. "Christus", sprach Martin im Traum: "warst du der arme Bettler?" "Ja, Martin", sagte Christus. "Was ihr einem dieser, meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!"

Morgens erwachte Martin und hatte den Traum klar in Erinnerung. Er war Christus begegnet in der Gestalt des armen Bettlers, und das veränderte sein Leben. Er ließ sich taufen, ging zum Kaiser und gab sein Schwert zurück und sagte ihm: "Ich diene künftig einem Herrn, der größer ist als du!"

Von da an war Martin ein neuer Mensch. Der Geist Christi wirkte durch ihn. Martin wurde ein Segen für viele Menschen.

Und nun; könnt ihr euch noch erinnern an das Evangelium, das wir eben gehört haben? Das ist die Geschichte bei Matthäus, wo Jesus vom Weltgericht redet.

Das ist dieses Bild; am Ende der Zeit wird Christus die Menschen richten wie ein König. Mich wird er richten, und jeden von euch wird er richten. Jeder muss vor den Richter treten, und Er wird sagen; du kommst auf die rechte Seite, und du kommst auf die linke Seite. Die Verfluchten kommen auf die linke Seite, sie haben ihr Leben verfehlt. Die Gesegneten kommen auf die rechte Seite.

Aber die Geschichte, die Jesus da erzählt, die erzählt er ja nicht, damit möglichst viele auf die linke Seite kommen, sondern er erzählt sie uns zur Warnung.

"Um Himmels Willen, Menschen, kehrt um! Passt auf, dass ihr euer Leben nicht verfehlt, sonst war es umsonst!"

Es ist eine Geschichte zur Warnung. Aber das Gericht, von dem Jesus erzählt, ist ein ganz anderes, als wir sonst irdische Gerichte kennen. Die Bibel erzählt nämlich, dass die Gerechten auf der rechten Seite, gar nicht wissen, wieso sie auf die rechte Seite zu stehen kommen.

Christus sagt ihnen: "Ihr habt mir Gutes getan." Und sie sagen: "Herr, wann haben wir dir denn Gutes getan?" Und Christus erzählt ihnen, er zählt auf: "Ich bin nackt gewesen, ihr habt mich gekleidet; ich bin krank gewesen; ihr habt mich besucht; ich war hungrig, ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war gefangen, ihr habt mich besucht." Und die Gerechten entdecken in dem Augenblick erst; es war ja Christus, dem wir in diesem Augenblick dienten. Ohne darüber nachzudenken, geistesgegenwärtig, einfach, weil da ein Mensch da war, der mich brauchte, habe ich geholfen. Und der Geist, der meine Hand führte in diesem Augenblick, oder der Geist, der mich führte und mir die richtigen Worte gab zum Trost und zum Aufrichten, das war Christi Geist, der da gegenwärtig war.

Dieses schöne, deutsche Wort; geistesgegenwärtig, trifft es genau.

Merkt ihr; und die gleichen Worte, die Jesus im Weltgericht sagt, die spricht er auch zu Martin im Traum; was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Und wir lernen daraus; dass es beim "Guten Tun" auf das geistesgegenwärtige Handeln ankommt.

Ihr wisst ja, jeder von sich selbst, dass wir viel Gutes wollen und planen, und dass wir dann doch wenig davon vollbringen. Das liegt daran, dass uns die Geistesgegenwart fehlt. Dass wir manchmal zu viel arbeiten und zu wenig beten.

Der barmherzige Samariter, der war geistesgegenwärtig. Er erkannte die Situation und tat das Richtige im richtigen Augenblick.

Martin von Tours war geistesgegenwärtig. Er erkannte die Situation und tat das Richtige im richtigen Augenblick, auch wenn es den anderen komisch und lächerlich erschien.

Geistesgegenwärtig, heißt; frei sein für den Augenblick, und die Lage erfassen und das Richtige tun im richtigen Augenblick. Und geistesgegenwärtig im guten Sinne kannst du nur Sein, wenn der Geist Christi gegenwärtig ist in dir. Aus seinem Geist heraus tust du das Richtige. Ohne lange daran zu konstruieren.

Ihr Lieben, wir haben die Zukunft nicht in der Hand. Wir rechnen immer mit mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeiten.

Wir wissen nie, welche Situation in der nächsten Stunde auf uns zukommt. So wie wir nicht wissen, ob wir heute Abend noch leben werden. Und darum können wir uns gar nicht auf einzelne Situationen einzeln einstellen im Leben. Wir können nicht sagen; aha, wenn mir das zustößt - dann mache ich das. Wenn es kommt - das haben wir doch im Leben alle erfahren - kommt es immer anders, als wir vorhersehen konnten. Und was dann zählt in der Situation, was dann richtig ist, zu tun und zu sagen Ist, das kann keiner in der Einzelheit vorbereiten, sondern das kann man nur dadurch vorbereiten, dass man darum betet und darum bittet, dass der Geist gegenwärtig ist. Und wenn du Christus dienst, dann ist sein Geist gegenwärtig, und dann bist du für alle Fälle gerüstet und eingestimmt. Dann können wir geistesgegenwärtig handeln und das Richtige tun aus seinem Geist heraus.

Jesus lebte ganz geistesgegenwärtig. Gottes Geist war in ihm, und wenn er merkte, dass ihn alles zu sehr ablenkte, ging er auf die Berge, in die Einsamkeit, und betete. Jesus bereitete sich nie genau vor auf das, was er in der nächsten Situation tun und sagen wollte, sonst hätte er gar nicht so schlagfertig mit den Pharisäern umgehen können. Er betete und machte sich ganz durchlässig für Gottes Geist. Und darum waren seine Worte und Taten auch so stark und so mächtig, weil sie geistesgegenwärtig waren. Jesus hat zu uns, seiner Gemeinde, gesagt; das, was da geschehen ist, das könnt ihr auch. Betet ohne Unterlass, dann habt ihr Vollmacht aus der Gegenwart des Geistes heraus vollmächtig zu handeln und das Richtige zu tun im rechten Augenblick.

Julia bekommt heute zur Taufe ein Wort des Apostels Paulus, das die Eltern für sie gefunden haben. Und da heißt es im zweiten Timotheusbrief: "Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit." Aus diesem Geist zu leben, das heißt; geistesgegenwärtig zu leben. Darin liegt unser Heil und unsere Erlösung. Das gibt uns die Freiheit und die Kraft, sozusagen aus dem Stand heraus unmittelbar zu handeln, die Lage vorurteilsfrei zu erfassen und das Richtige zu tun. Alles, was wir dafür brauchen ist Gottes Gnade, und alles, was wir daran tun können ist, dass wir dem Geist keinen Widerstand entgegensetzen, sondern dass wir uns leer machen, dass wir durchlässig werden und empfänglich für den Geist Christi, dass wir eine geistesgegenwärtige Gemeinde werden, mit der unser Herr Jesus Christus etwas anfangen kann. AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu. AMEN!