Predigt vom 19.11.1986 - Pastor Schnabel - Buß- und Bettag - Röm. 2, 1-11
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Im Brief des Apostel Paulus an die Römer, im 2. Kapitel, steht der Predigttext, den wir schon in der Epistel gehört haben:
"Du kannst dich nicht entschuldigen, o Mensch, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben dasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil richtet über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du richtest, die solches tun, und tust doch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber, mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinem Werk: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergängliches Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die böse sind."
Und zum Schluss kommen dann die beiden Sätze: "Zuerst den Juden, und dann den Griechen." Und das heißt: zuerst denen, die es zuerst erfahren haben, und dann denen, die es noch nicht wissen konnten. Die Juden, als die ersten, die der Offenbarung teilhaftig wurden, und dann den Griechen, die stellvertretend für die Heiden stehen.
Liebe Gemeinde, unser Herr, Jesus Christus, hat keinen Menschen gerichtet oder verdammt. Das können wir den Geschichten abhören, die uns in den Evangelien überliefert sind. Die gehen so: Menschen kommen zu Jesus, bitten ihn, flehen ihn an. Und indem sie ihn anflehen, bringen sie zum Ausdruck; hilf mir, du kannst es - wenn du willst. Und Jesus sieht darin ihren Glauben, dass sie zu ihm kommen und ihn anflehen. Und er hilft und heilt und rettet indem er sagt: deine Sünden sind dir vergeben, oder; dein Glaube hat dir geholfen, oder; gehe hin in Frieden. Es kommen auch andere zu ihm, die es nicht ehrlich meinen, Pharisäer und Schriftgelehrte, diese ewigen Rechthaber, die alles besser wissen als Gott. Die kommen zu Jesus, und sie fragen scheinheilig, und wollen ihm eine Falle stellen.
Aber auch sie werden von Jesus nicht verurteilt oder gerichtet, sondern Jesus sagt ihnen die Wahrheit in einem Gleichnis, einer Beispielgeschichte oder einem Wort. Und dann geschieht das Gericht wie von selbst.
Diejenigen, denen er die Wahrheit sagt, die richten sich selbst, indem sie sich von Jesus abwenden.
Wir Menschen sind frei zum Guten und zum Bösen. Wir begegnen Jesus. In unserer Entscheidung für oder gegen seine Liebe richten wir uns selbst. Er richtet uns nicht, sondern wir tun das selbst. An meinem Verhältnis zu ihm entscheidet sich das Gericht, entscheidet sich, ob ich gerichtet werde oder ob ich das Heil geschenkt bekomme; dazwischen gibt es nichts!
Da geht einer den falschen Lebensweg entlang und begegnet Jesus, und Jesus sagt zu ihm: "Folge mir nach, ich bin der Weg, der zu Gott führt, komm mit!" Und dann entscheidet es sich, dann richtet er sich selbst. Geht er den alten Weg weiter in die Leere, in den Tod, oder kehrt er um und geht mit Jesus, und beginnt in seinem Sinn und Geist zu leben. Darin, ob er den alten Weg weitergeht, oder ob er umkehrt zu Gott, darin entscheidet es sich, ob er gerichtet wird oder nicht
Da gibt es Beispielgeschichten, z.B. von dem reichen Jüngling. Der reiche Jüngling hat Jesus gefragt: "Herr, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben erlange?" Und Jesus hat zu ihm gesagt: "Kehr um, komm mit! Verlass das, woran du dich jetzt fest hältst, und komm mit!" Der reiche Jüngling überschlägt es, aber er will das nicht loslassen, worauf er sein Leben bisher gegründet hat.
Und er entscheidet sich dann gegen Jesus, er geht lieber seinen gewohnten selbstgemachten Weg weiter. Damit hat der reiche Jüngling sich selbst gerichtet. Jesus, so heißt es in der Bibel, hatte den reichen Jüngling lieb, und er war traurig, dass er nicht nachfolgen wollte. Aber er war zu reich, und sein Reichtum war der Grund seines Lebens, und den wollte er nicht lassen.
Jesus steht in diesen Geschichten nie kühl dabei und sagt nie giftig: rennt ihr nur in den Abgrund! Wenn ihr nicht hört, dann müsst ihr eben fühlen! Sondern Jesus hofft immer auf Umkehr und auf Nachfolge, weil er uns liebt. Er zwingt keinen, er will die Menschen frei. Er ist traurig, dass der reiche Jüngling geht, und nicht nachfolgt, aber er zwingt ihn nicht. Und er erpresst ihn auch nicht, indem er sagt: Wenn du nicht nachfolgst, dann wird’s dir schlimm gehen. Sondern Christus ist der, der uns frei haben will, der uns die Freiheit zumutet.
In Gehorsam und Liebe sollen wir umkehren und ihm folgen, sonst hat es keinen Zweck, sonst ist es nichts wert. Sonst würde er nur einen Sack voll Sklaven sammeln und daraus eine Gruppe schmieden. Das wäre nicht die würdige Gemeinde, zu der uns Gott bestimmt hat.
Er zwingt auch uns nicht, und er will keine künstlich zerknirschten Gesichter, sondern er lädt uns ein; kehrt um! Eure Traurigkeit kommt daher, dass ihr euch auf das Falsche verlasst, dass ihr alles für machbar haltet.
Jesus lässt sich diese Einladung an uns sein Leben kosten.
Und wir müssen uns entscheiden; Ihm folgen, oder eigene Wege gehen. Wir richten uns durch unsere eigene Entscheidung für oder gegen Ihn.
Wir sind in diesem Gottesdienst versammelt, wir haben gemeinsam den Glauben bekannt, und ich unterstelle euch, und ich unterstelle mir selbst, dass ihr Christus folgen wollt. Und ihm folgen, bedeutet; wir müssen umkehren von unseren eigenen Wegen, und seinen Weg gehen. Und das heißt, und davon handelt unser Predigttext; wir sollen keinen Menschen richten und keinen Menschen verdammen. Das heißt; wir vertrauen auf Gott allein und sagen; Er wird richten und nicht wir.
Indem wir anfangen zu richten, werden wir schreckliche Moralisten. Das kann uns den Schlaf rauben, wenn wir die Gemeinheiten der anderen Menschen sammelten und uns sagten: wo ist denn die Instanz, wo wir hier klagen können? Das macht uns hart und bitter, das macht es uns am Ende unmöglich, zu vergeben.
Wir vertrauen Gott, dass Er richtet, dass Er am Ende die Rechnung aufmacht, und nicht wir. Und darum können wir Menschen auch gar nicht viel sagen über das Gericht.
Wir wollen vielmehr darauf vertrauen, dass Seine Güte uns tragen wird. Dass Seine Liebe uns führen wird. Dass Er über andere Menschen entscheidet, so wie Er auch über uns entscheidet.
Es ist schlimm, wie wenig Vertrauen wir manchmal untereinander haben. Wie wenig Chancen wir einander geben. Wie wenig wir darauf vertrauen, dass Gott am Ende Gerechtigkeit schaffen wird. Denn weil wir das nicht glauben, haben wir das Gefühl, wir müssten dem Allmächtigen immer ein bisschen nachhelfen und schon auf Erden mal draufhauen, falls es Gott nicht tun würde oder sollte.
Wir reden nur selten von Einem zum Anderen, sondern wir reden hinten herum, und dann sortieren wir und rechten wir und richten. Und es ist oft verletzte Eitelkeit und Neid, die die Atmosphäre vergiften. Gegenseitig sprechen wir Christen uns den Glauben ab zwischen den Kirchen und zwischen den Einzelnen und trauen dem Anderen nicht so ganz zu, dass er es ernst meint mit seinem Glauben, oder mit seinem Zweifel, wenn er nicht genauso ist, wie wir selbst. Nach unserer Nase soll es gehen. Und der Einzelne will entscheiden, wer gut ist und wer böse. Kircheninstitutionen maßen sich an, herauszufinden, wer in den Himmel kommt und wer nicht. Und bei diesem Spiel ist immer eine teuflische Sache im Gange; wir sind gut und die Anderen sind böse.
Das ist das Selbstverständnis, das dem Richten zugrunde liegt.
Zumindest - soviel haben wir ja inzwischen gelernt, dass das nicht mehr gesellschaftsfähig ist, zu sagen; wir sind gut und die Anderen sind böse - aber zumindest sind wir besser als die Anderen.
Merkt ihr; wir beziehen dann die Rechtfertigung unseres eigenen Lebens aus dem Unwert der Anderen, und da fängt die Sünde und die Bosheit an.
Natürlich sagt das keiner so deutlich. Aber es ist die Gefühlslage, aus der die Bemerkungen mit beleidigtem Unterton kommen.
Wenn mir selbst solche Worte durch den Sinn gehen, dann ist es immer Zeit zum Beten. Dann ist es Zeit, dass ich anfange zu beten und Gottes Wort zu hören und mich erinnern lasse, wie viel Geduld Gott mit mir täglich hat.
Und dann entdecke ich neu den Reichtum der Güte Gottes. Und dass es eine Gnade ist, wenn ich das Richten sein lassen darf, wenn ich’s Gott überlassen kann.
Denn wenn ich anfange, andere zu richten - sagt die Bibel hier - dann werde ich von Gott gerichtet. Und das wird schrecklich! Da hilft mir nichts heraus aus der Klemme.
Die Bibel sagt ja immer; das Richten und das Gerichtetwerden, hängt untrennbar zusammen. Das Lieben und das Geliebtwerden, hängt untrennbar zusammen. Das Vergeben und das Vergebenwerden, hängt untrennbar zusammen.
Täglich beten wir mit Jesu Worten: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern."
Das hängt zusammen; wer nicht vergibt, der richtet sich selbst. Wer richtet, der wird selbst auch gerichtet. Umgekehrt; wer liebt, dem wird auch in Liebe vergeben.
Alles wird an unserem Verhältnis zu Christus und zu unseren Mitmenschen entschieden.
Glauben wir Ihm, trauen wir Seiner Liebe, folgen wir Ihm nach, dann kommen wir nicht ins Gericht. Dann sind wir gerettet, und dann werden wir aus dem Gerettetsein, aus diesem guten Geist, zum Segen für andere Menschen, sonst sind wir leicht eine Plage und eine Qual.
Dann geht es uns so gut, wie der Sünderin, die zu Jesus kommt und ihm die Füße wäscht - Mirjam oder auch Maria-Magdalena genannt - die war eine Sünderin, das wusste jeder. Das wird in der Bibel mit keinem Wort verharmlost. Aber sie hatte eines, das kostbar war, sie hatte Liebe, und darum richtete sie nicht.
Sie liebte den Herrn, ohne Berechnung, ganz aus Liebe ist sie ihm gefolgt. Sie hat sich nicht verteidigt, als ihr die Sünde vorgeworfen wurde. Sie hat ihre Sünde selbst nicht verharmlost. Sie hat Ihn geliebt, und Ihm vertraut. Und sie wurde gesegnet und erlöst zu einem seligen Leben. Und die Pharisäer, die dabeistehen und sehen, wie Maria-Magdalena Jesus die Füße wäscht und ihm das Haupt salbt, kurz vor seiner Kreuzigung, die entrüstet sind, dass Er sich das gefallen lässt von so einer Sünderin, zu denen sagt Er:
"Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel Liebe erwiesen."
"Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel Liebe erwiesen."
Das hängt untrennbar zusammen, wie eine Waage. Und zu Maria-Magdalena sagt Er: "Dein Glaube hat dir geholfen, gehe hin in Frieden!"
Ihr Lieben, nicht das Richten und das Verdammen, und nicht die kalte Gerechtigkeit darf unter uns herrschen. Sondern die Liebe und Gottes Wort in Jesus Christus soll unter uns gelten, dahin müssen wir umkehren. Buße tun, heißt; umkehren.
Dahin müssen wir umkehren von unseren selbstgemachten Wegen. Dort liegt unser Heil. Und dort gibt uns Gott in Christus eine Chance zum neuen Leben. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!