Predigt 567 zum Christnacht 23Uhr

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Predigt vom 24.12.1986 - Pastor Schnabel - Christnacht 23Uhr - Micha 5, 1 - 4

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Im Buch des Propheten Micha steht der Predigttext für diese Christnacht, im 5. Kapitel:

"Du Betlehem Efrata, die ä klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Auszug von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und.weiden in der Kraft des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Die Geschichte von der Geburt Christi kennt ihr von Klein auf; Gott wird Mensch, Gott wird ein Kind.

Es liegt in der Krippe eines Stalles, weil Maria und Josef keinen Platz in der Herberge finden können. Dann treten die Engel auf. Das Wunder umstrahlt Jesus schon bei seiner Geburt. Es ist ein Wunder im Verborgenen.

Die Hirten auf dem Felde erfahren es zuerst. Später kommen die Weisen aus dem Morgenland. Und dann tritt der König Herodes auf, dieser böse Machtmensch.

Jede Einzelheit bei dieser Geschichte von der Geburt Jesu, und jede Verheißung aus dem Alten Testament, die ins Neue hinüberreicht, jedes einzelne Wort hat seine Bedeutung. Und die erkennt man, wenn man immer wieder genau hinhört: Da ist kein Wort zu viel.

Das Kind liegt in der Krippe. Heute Nacht lesen wir im Alten Testament die Betonung; das Kind liegt in der Krippe in einem Stall in Betlehem. In einem Stall in Betlehem, betont die Bibel. Und das hat seinen Grund. Aus Betlehem hatte Gott schon einmal einen kleinen Hirtenjungen zum König erwählt. Die Krippe steht im Stall von Betlehem. Das heißt: Unser Gott ist Einer, der im Kleinen Großes bewirkt. Die Hilfe kommt aus der Provinz, sagt Micha, der Prophet. Jerusalem, die Metropole, wird belagert und kann sich selbst nicht helfen. Die Stadt steht am Abgrund. Und der Prophet kündigt an: Die Liebe kommt aus einer Richtung, die ihr nicht vermutet; die Hilfe kommt aus der Provinz. Betlehem liegt etwa 7 km von Jerusalem entfernt; das ist so weit, wie von Deutsch Evern nach Lüneburg.

Das ist der Geburtsort unseres Herrn. Nicht zufällig hat Gott dieses Zeichen für uns gesetzt.

Das große, glänzende Leben von Politik und Wissenschaft und Kunst spielt sich in der Metropole ab. Betlehem aber liegt abseits im Dunkeln. Von daher wird Hilfe verheißen.

Das Kind ist in Betlehem geboren, betont die Bibel; im Unscheinbaren kommt das Heil zur Welt.

Das geschieht nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit dem zarten Stimmchen eines Menschenkindes.

Das Heil wächst heran. Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Jesus, der Mann in der Wüste, der die Versuchungen besteht. Gott spricht als Mensch zu Menschen, die sich nach dem guten Hirten sehnen, der sie heraus führt aus dem finsteren Tal.

Es ist bei Micha die Rede von Menschen, die so sehr gern sicher wohnen möchten, die sich sehnen nach Geborgenheit und Frieden. Die nicht immer mit dem Rücken zur Wand ihr Dasein vor den Anderen behaupten müssen.

Es ist von uns die Rede. Von denen zumindest, die den Mangel er - kennen, denn wir sehnen uns ja alle nach dem, was wir nicht haben.

Nun spricht die Verheißung des Micha von der Zukunft. Er sagt: Es wird so kommen. Wir aber lesen diesen Text als welche, die sagen: Es ist da! Es ist erst im Anklingen; es hat begonnen. Unsere Geschichte ist noch nach vorn offen. Es wird etwas verheißen, was nicht in unserer Macht steht, was uns geschenkt wird.

Es kommt, aber es kommt so, wie etwas wächst. Wir sollen etwas werden, was nicht in unserer Macht steht. Es ist angebrochen mit dem Kind in der Krippe; wir sollen wachsen.

Noch ist es Nacht, noch gibt es Plage, sagt die Schrift. Aber die Nacht ist vorgedrungen. Noch ist es dunkel, aber der Morgenstern in Christus ist aufgegangen. Es dämmert schon in der Ferne für alle, die es sehen wollen.

Aber zugleich steckt in uns Menschen auch eine finstere Macht, die zunächst harmlos scheint. Wir werden nämlich leicht ungeduldig. Alles, was wir nicht sofort machen können, kränkt uns in unserer Selbstherrlichkeit. Jetzt oder nie, sagen wir. Wir suchen den Schalter, mit dem wir uns selbst das Licht einschalten können. Wir haben es schwer, zu warten, bis der Morgen heraufdämmert. Wir suchen das System, mit dem wir selbst das Himmelreich auf Erden machen können. Sofort soll es sein!

Wir sehen wohl die bösen Machtsysteme dieser Welt, aber wir haben noch nicht begriffen, dass Christus nicht das Gegensystem bringt, sondern dass Christus die Liebe bringt. Und das ist etwas, was alle Systeme und Machtmechanismen sprengt. Wir können - und das nennt die Bibel Sünde - von uns aus immer nur in Systemen, in Verfügbarkeiten, denken und fühlen. Gott soll uns ein Gegensystem geben, das wir handhaben können. Wir wollen es auf einen Schlag haben, und es soll endgültig sein. Wir sind anwendungssüchtig, und perfektionssüchtig. Wir wollen erst die Erfolgsgarantie, ehe wir etwas wagen. Darum haben wir es manchmal so schwer mit unseren Kindern, die ja auch wie Pflanzen sind, die wachsen. Die wir wohl erziehen sollen, so wie man einen Stab daneben stellt, an dem man sie anbinden kann, dass sie gerade wachsen. Aber sie verhalten sich nicht perfekt, und sie entwickeln sich nicht nach Fahrplan. Die Zukunft soll endgültig gesichert sein. Und wenn uns keiner daherkommt, der uns einen genauen Fahrplan der Zukunft gibt, dann wollen wir ihm nicht folgen.

Das ist die Schwierigkeit, die wir mit dem Glauben, mit dem Vertrauen und mit dem Beten haben. Es soll eigentlich endgültig Schluss sein mit dem Unfrieden. Wir wollen schon Frieden, aber wir wollen ihn machen und schaffen. Wir wollen diese Risikofaktoren nicht ertragen. Wir wollen das totale Glück jetzt in die Wege leiten

Und daher kommt auch unsere Sehnsucht, dass Heiligabend einmal die Welt heil sein soll. Und wir sind ja alle rührend in unseren Bemühungen, und wir strengen uns wirklich an. Wäre doch noch schöner, wenn wir das nicht schaffen!

Wir - wie man so sagt - wir powern und wir klotzen. Wir bereiten alles vor, wir haben den guten Willen zur Freundlichkeit, wir wünschen uns ein frohes Fest.

Und dann merken wir; die Kinder streiten sich doch. Und was sonst zwischen uns kriselt, das lässt sich auch an den Feiertagen nicht ganz ausblenden.

Die Bibel sagt uns, woran das liegt: Schaut in den Stall und in die Krippe von Betlehem; da liegt das Kind. Und schaut genau hin! In der Krippe liegt eben keine Methode, und kein Antisystem, und kein religiöser Lehrsatz und kein Programm, und kein Erfolgssystem, sondern ein Kind. Gott wird nicht eine Philosophie, und nicht ein Lehrsatz, sondern ein Menschenkind. Gott wird klein, wie wir, damit wir mit Ihm zusammen heranwachsen können.

Das ist für uns immer noch schwer zu begreifen. Und die 2000 Jahre, die zwischen uns und der Geburt im Stall liegen, das ist noch wenig Zeit. Wir haben es so bitter nötig, dass wir es immer wieder vergegenwärtigen. Denn in der Welt sind wir anderes gewohnt. Der alte Adam und die alte Eva, die hocken uns immer noch im Stammhirn und sind voller Aggression. Das Alte, das uns quält, ist ein böses System, in dem immer Größe und Macht gebraucht wird, um andere klein zu machen. Beim Kulturmenschen geht das natürlich subtiler vor sich, als beim Menschen in der Steinzeit, der gleich mit der Keule zuschlägt. Sachzwänge und Machtstrukturen sind wir gewohnt. Und weil das funktioniert, denken wir immer dass nur das, was funktioniert, auch wahr sei.

Aber da liegt das Kind in der Krippe; etwas ganz Merkwürdiges, Unfassbares, was eben nicht funktioniert. Dieses Kind tritt uns entgegen, uns, die wir wissen; wenn du Macht haben willst, musst du Angst verbreiten. Du bist nur groß, wenn du besser bist, als die Anderen. Und darum wirst du immer allein sein müssen in diesem System. Und darum kannst du in dem Anderen nicht Bruder und Schwester erkennen, sondern immer nur den Rivalen, der dir an die Karre fahren will. Die Götzen und die Mächte dieser Welt arbeiten alle nach diesem gleichen Grundprinzip: Zittere, du kleines Menschlein und diene mir mit deiner Lebenskraft, sonst bist du nichts, sonst hast du keinen Sinn! Das schreien dir die Systeme und Programme in die Ohren, und das hat Folgen bis in jedes Menschenleben hinein.

Unser Gott aber kommt zu uns in einem Kind. Und das ist so neu, dass wir es erst langsam begreifen. Das Kind im Stall nennt uns seine Brüder. Es sagt zu uns: Ihr sollt wachsen, ich stehe euch bei! Frei und heil sollt ihr werden! Miteinander und nicht gegeneinander! Die Liebe gilt! Nur in der Liebe habt ihr eine Zukunft! Erkennt, dass ihr Menschen Gottes Kinder seid, und nicht Rivalen, die gegeneinander kämpfen!

Das missverstehen wir Menschen immer als Schwäche. Und so haben’s die vor uns getan, und haben sicherheitshalber erst mal zugeschlagen. Und nur wenige bis heute haben begriffen, dass auch das Kreuz diese Liebe nicht kaputtkriegt. Dass es da eine Auferstehung gibt.

In diesem Jahr haben wir: fünf Feiertage. Und dies ist der erste von fünf Feiertagen, die dazu da sind, dass wir einander wohltun an Leib und Seele.

Aber die Bibel ist dabei viel realistischer als wir. Die Bibel erinnert uns nämlich und sagt: Um Himmels Willen, überfordert euch nicht! Christus weiß, dass wir alle die Wunden der alten Welt an uns tragen.

Und wenn ich nun sage: Lasst uns einander wohltun an Leib und Seele, dann müssen wir eben das berücksichtigen. Dann müssen wir wissen, was den Anderen quält und drückt.

Es ist noch keine heile Welt. Aber die Heilung hat begonnen mit dem Kind in der Krippe. Wir dienen alle noch den bösen Mächten, noch viel zu oft. Aber wir haben immerhin in Christus erkannt, dass das ein Ende haben wird, dass es so nicht bleiben wird.

Die Macht des Bösen ist gebrochen. Gott hat es uns in Christus einmal vorgespielt, und das war da; das war eine Wirklichkeit, von der wir leben. Und die kann auch die böseste Macht aus der Welt nicht herausnehmen; die bleibt.

Die Heilung hat begonnen, wo wir miteinander als Schwestern und Brüder leben und uns als Schwestern und Brüder erkennen.

Lasst uns Christi Geburt so feiern, dass wir einander wohltun an Leib und Seele.

Liebe können nämlich die finsteren Mächte der Welt am allerwenigsten ertragen. Liebe, das ist Gift für die Systeme und Programme und die Selbstherrlichkeit dieser Welt. Mit allem werden sie fertig. Alles wickeln sie ein und vermarkten es. Und werden dir einreden, dass sie schon immer dafür waren. Aber die Liebe, die können sie nicht einwickeln, damit wird kein System dieser Welt fertig.

Liebe ist darum zugleich die einzige Macht, die diese Welt noch retten kann.

Lasst mich noch einmal den grausamen König Herodes erwähnen. Er steht nämlich zeichenhaft für die Mächtigen dieser Welt. Dieser König Herodes war äußerst intelligent. Er hat nämlich viel früher, als alle anderen erkannt, was vor sich ging, als das Kind in der Krippe geboren wurde. Nicht vor den Waffen anderer Könige hatte er Angst, damit konnte er sich arrangieren. Und nicht vor den Systemen oder vor moralischem Protest hatte er Angst, sondern vor der Liebe des Kindes zitterte Herodes und schickte seine Schergen aus, alle Kinder in diesem Alter zu töten, um den Einen zu treffen.

Aber so, wie die Kreuzigung nichts genützt hat, so hat auch das nichts genützt.

Wir bekämpfen die finsteren Mächte dieser Welt am besten, indem wir der guten Macht Gottes vertrauen und seine Liebe leben.

Geschunden sind wir alle. Aber wir sollen heil werden. Darum überfordert euch nicht. Verlangt nicht die heile Welt und das totale Glück, sondern lasst uns lieber einander begegnen wie Kranke, die erfahren haben, dass die Genesung begonnen hat.

Einander wohltun an Leib und Seele, die Wunden verbinden, und einander durchhelfen, und Geduld haben.

Der Heiland ist da, und seine Liebe gilt, und darum tun wir einander wohl, weil wir wissen; das allein hat Zukunft. AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!