Predigt 578 zum Ostersonntag

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Predigt vom 19.04.1987 - Pastor Schnabel - Ostersonntag - Mt. 28, 1-10

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Carola! Liebe Pamela! Liebe Eltern von Daniel, Richard und Birgit! Liebe Paten Gisela und Christian! Liebe Gemeinde!

Mich hat vor vier Tagen jemand gefragt, wie ich dazu käme, junge Erwachsene im Namen Jesu Christi zu taufen, die sich im Glauben noch nicht bewährt hätten, und die noch gar nicht so genau wüssten, worum es geht. Und wie ich dazu käme, einen kleinen Jungen zu taufen, der sich noch nicht entscheiden könnte, und ob denn die Eltern und Paten wüssten, was es heißt, ein Kind christlich zu erziehen.

Ich habe darauf geantwortet, was ich weiß. Ich weiß, dass die jungen Erwachsenen getauft werden wollen. Sie sagen nachher am Taufstein: "Ja, ich will!". Und die Eltern und Paten bringen dieses Kind zur Taufe und sagen: "Ja, mit Gottes Hilfe!". Und im übrigen stimmt es vermutlich, dass sie alle nicht so genau wissen, worum es geht. Aber die Taufe ist ja ein Anfang. Und Christus will, dass wir wachsen. Wenn ich mich betrachte, so habe ich in meinem Leben noch nie einen Zustand erreicht, wo ich sagen könnte: Jetzt, Herr, bin ich bereit zur Taufe, jetzt habe ich’s verdient!

Ich gehe davon aus, dass wir eine Gemeinde sind von unfertigen Menschen, die noch unterwegs sind, die noch im Wachstum begriffen sind.

Ich habe erfahren, dass unsere gewohnten Vorstellungen, unsere vertrauten Ansichten, dass unser gesichertes Leben gerade dann erschüttert wird, und in eine neue, ungeahnte Richtung umgelenkt wird, wenn der Geist Jesu Christi von uns Besitz ergreift. Wenn wir mit Jesus gehen, dann kommen wir in neues, unbekanntes Leben; dann wird es abenteuerlich.

Darum werden wir nie fertig; wir bleiben unterwegs.

Da tun sich Bereiche auf, die wir vorher in unserem Leben noch gar nicht erahnt haben. Und Glaube und Liebe und Hoffnung, das ist ja nichts, worüber man verfügen könnte, das kommt über dich wie ein Geschenk. Das ist eher so, wie wenn du verliebt bist und dich plötzlich selbst nicht mehr verstehst. Du hast plötzlich Kräfte, die nicht aus dir selbst kommen. Und du tust Dinge, die du früher nicht für möglich hieltest. Und wer das erfährt, der fängt an, in verrückten Bildern zu reden und zu sagen; ich bin verwandelt, ich bin ein anderer geworden, ich bin begeistert.

Aus der Ostergeschichte, die wir gehört haben, aus dem Evangelium, bricht dieser Geist der Auferstehung hervor auf einem alltäglichen Weg, den die beiden Frauen gehen. Es fängt für uns vertraut an. Frauen gehen auf den Friedhof. Sie haben Jesus geliebt. Er ist tot. Sie wollen zum Grab gehen und weinen und trauern.

Wer wälzt uns den Stein vom Grab? Das ist ihre Sorge. Sie wollen Jesu' Leiche einbalsamieren. Sie hatten ihn lieb, aber jetzt ist alles vorbei; so ist das. Wir wissen es, so war das schon immer. Als sie dann mit der gewohnten Erwartung an die Grabeshöhle kommen, da kommt es ganz anders; die Grabeshöhle ist leer, der Stein ist weggewälzt, die Erde bebt, Licht kommt vom Himmel wie ein Blitz, und ein Bote Gottes erscheint und sagt: "Ich weiß schon, wen ihr sucht, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Aber er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er geht vor euch her nach Galiläa!"

Diese drei Worte wollen wir uns heute zu Herzen nehmen. - Er ist nicht hier, im Grab, auf dem Friedhof. Er ist auferstanden. Er geht vor euch her nach Galiläa.

Jesus ist nicht auf dem Friedhof im Grab. Damit sagt uns die Bibel: Ihr sollt den Frauen nicht folgen auf ihrem Weg zum Friedhof. Ihr sollt auch aus der Kirche kein Jesusmuseum machen. Ihr sollt nicht den Lebendigen bei den Toten suchen. Jesus ist nicht an einem Ort der Vergangenheit zu finden. Jesus ist im Grunde auch nicht in der Bibel zu finden, sondern die Bibel weist lediglich den Weg; darum ist sie uns so kostbar. Sie weist uns auch den Weg mit dieser Ostergeschichte, die wir heute hören.

Der Auferstandene ist in unserer Welt zu finden. Unsere Welt ist da, wo wir leben. Zwischen Liebe und Hass, zwischen Krieg und Frieden, zwischen Vertrauen und Enttäuschung. Mit Streit und Versöhnung in der Familie. Mit Schuld untereinander. Mit großer Freude und mit Traurigkeit, in Armut und Reichtum. Unsere Welt ist ein Gemisch von Lust und Qual, von Glaube und Zweifel.

In dieses Leben hinein ist der gekreuzigte Christus auferstanden. Wer mir sagt, in seinem Leben sei alles gerade und ordentlich und klar, und er sei unerschütterlich im Glauben, und er wüsste, wo es langgeht, und bei ihm sei das Leben nicht so verworren, den lache ich aus.

Die Frauen gehen zum Grab und denken, das Grab ist das einzige Verlässliche, das traurig Verlässliche. Aber es ist nicht verlässlich. Der Gekreuzigte ist auferstanden, er ist nicht hier. Wo ist er dann? Die Bibel sagt, er ist in unserer Welt, er ist unter uns in seinem Geist in der Gestalt von Menschen; in deiner und in meiner Gestalt. Achtet einmal darauf. Die Bibel zeichnet kein Bild des Auferstandenen. Die Bibel schildert nicht das zukünftige Leben jenseits der Grenze des Todes. Und der Vorhang vor dem Jenseits wird auch nicht ein bisschen gelüftet.

Das Einzige, was Christus uns verheißt, ist dies; dass Gott am Ende auf uns wartet. So lang oder so kurz unser Leben sein mag; Er wartet auf uns. Und damit dürfen wir verlässlich leben.

Aber bis dahin, bis wir durch den Ausgang heimgehen, bis dahin sollen wir jetzt leben und lieben und etwas wagen, und wachsen in dieser Welt, und uns nicht dem Trugschluss hingeben, wir könnten in dieser Welt jemals fertig werden und uns zurücklehnen und sagen; ich bin jetzt ein fertiger Christ.

Wir sollen nicht konservieren, nicht sammeln, nicht absichern; diese Lebenshaltung gehört auf den Friedhof. Wer sein eigenes Leben klug genug beobachtet hat, der weiß ja, dass es gar nichts abzusichern gibt, dass uns das Leben immer voraus ist. Wir sollen nach vorn schauen und leben.

Der Engel sagt: "Er ist nicht hier!" zu den Frauen, die ihn auf dem Friedhof betrauern wollen. "Er wird vor euch hergehen nach Galiläa!"

Dieses Wort muss ich erklären, es ist das dritte wichtige Wort. Das hat nämlich eine zeichenhafte Bedeutung. Das ist mehr, als nur eine Ortsangabe. Galiläa liegt am Rande des heiligen Landes. Galiläa klang damals abfällig, das ist so die hinter letzte Provinz. Galiläa ist eben nicht Jerusalem. Galiläa steht für das alltägliche Leben. Jerusalem steht für Glanz und Macht. Und wenn die Frauen nach Galiläa gewiesen werden, dann hat das die Bedeutung, dass auch die Kirche nicht den Weg von Glanz und Macht gehen soll, sondern sie soll in das alltägliche Leben gehen. Galiläa, so könnte man übersetzen, ist das Leben in Deutsch Evern. Das Leben an einem Ort, den du auf einer größeren Landkarte gar nicht findest. Galiläa ist das Leben im Thomas-Mann-Weg, oder in der Schillerstraße, oder im Ginsterweg zum Beispiel. Gott erfährst du da, wo du lebst.

Seit der Auferstandene vor den Frauen her nach Galiläa gegangen ist, und nicht nach Jerusalem, seitdem gibt es keinen gottverlassenen Ort und keine gottverlassenen Menschen mehr, und auch‘keinen gottverlassenen Zustand. Unsere Kirche hat keinen anderen Grund, als dass Christus durch seinen Tod hindurch lebt; hier unter uns.

Merkt ihr, die Frauen Maria und Maria Magdalena und Salome, die kannten Jesus persönlich, aber sie waren nicht fertig mit dem Glauben. Sie gingen mit ihm und erlebten Überraschungen. Auf dem Weg zum Grab erfahren sie; er ist nicht hier. Darum, wenn ein Mensch getauft wird, kann er gar nicht fertig sein ein für allemal, sondern es ist der Anfang dieses Weges, auf Jesu Wort hin, aus seinem Sinn und Geist heraus. Ein Leben voll Wachstum und Überraschungen.

Die beiden Frauen werden in die Welt geschickt, und dort begegnet ihnen Jesus. Die Frauen wachsen und reifen, und sie lernen dazu, und sie finden Jesus dort, wo sie gar nicht mit ihm rechnen

Durch Leid und Angst führt der Weg Jesu in ein helles, liebevolles Leben der Kraft und der Bewährung. Jesus ist mit ihnen und führt sie, und sie wagen das Leben auf sein Wort hin.

Christus ist auferstanden heißt: Er ist dageblieben in der Welt. Und als er starb, wie die Bibel erzählt, als der Vorhang mitten durchgerissen ist, der Vorhang, der das Heilige von dem Weltlichen trennt, da kündigt sich das schon an, dass der Gekreuzigte in die Welt hinein aufersteht.. Dass er vor uns hergeht und uns Mut macht, Liebe und Vergebung untereinander zu wagen, uns herausholt aus den Mauern, hinter denen wir uns voreinander verschanzen. Er macht uns Mut, etwas zu wagen. Und er macht uns Mut, in den anderen Menschen Schwestern und Brüder zu entdecken, auf sein Wort hin.

Wenn ihr, Carola und Pamela, zur Taufe kommt, dann ist das der Anfang. Ihr seid nicht fertig, ihr habt es nicht verdient, ihr bekommt es geschenkt. Ihr nehmt es an; lasst euch führen und lasst euch überraschen. Ihr werdet darin wachsen und reifen. Und ihr, liebe Eltern und Paten, fangt neu an, folgt zusammen mit uns diesem Herrn, der uns voraus in die Welt gegangen ist. Ihm folgen ist nicht leicht, denn der Weg führt durch dein Leben hindurch über Höhen und Täler, und auch an Klippen und Abgründen entlang.

Dazu braucht man die Gemeinde, das kann man nicht alleine tun, so schön die Natur auch ist sonntagmorgens im Sonnenschein. Wir brauchen Gottes Wort, das Lied und das Gebet miteinander, um uns zu bestärken. Wir brauchen einander, damit wir im Geist Jesu Christi auch ungewöhnliche und verrückte Dinge tun können, denn sonst erstickt diese Welt an ihren Gesetzen und in ihrer Festgefahrenheit.

Und wenn du diesem Herrn nachgehst, dann kann es sein, dass du in der Welt wirkst wie ein Narr, und dass du Kopfschütteln erntest, und vielleicht auch ironische Bemerkungen unter Nachbarn und Kollegen. Aber sucht die Gemeinde! Ihr seid nicht allein. Wir brauchen euch, ihr ergänzt uns. Wir sollen zusammen ein Leib sein, und jeder einzelne ein Glied am Leibe Jesu Christi, wie der Apostel Paulus sagt.

Wir sind die Gemeinschaft, nicht der Fertigen, sondern wir sind die Gemeinschaft der Werdenden und Wachsenden.

Wer Christus nachfolgt kann nicht leben, wie alle anderen. Wenn ihr auf Christus hört, dann ergibt sich daraus ein Leben, in dem z.B. auch Daniel in diese Gemeinde hineinwachsen kann. Wie er sich später selbst entscheidet, darüber können wir nicht verfügen. Aber wir können darum beten, dass Christus uns in seinen Dienst nimmt und aus uns hervorleuchten will, dass dieser kleine Junge den Weg zum Heil findet, das uns bereitet ist.

Ihr müsst immer gewärtig sein, dass Er sich da finden lässt, wo wir Ihn nicht erwarten.

Und so bleibt uns das lebendige Leben an der Seite des Auferstandenen unterwegs durch die Welt. Da begegnet er uns, und da lässt er uns erfahren, was er meint mit dem Wort: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!" AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!