Predigt vom 07.06.1987 - Pastor Schnabel - Pfingsten - Joh. 16, 5-15
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Der Predigttext für diesen Pfingsttag steht bei Johannes im 16. Kapitel:
"Jesus sprach zu seinen Jüngern: Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich euch das geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht. Über die Sünde: dass ihr nicht an mich glaubt; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich euch gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen".
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde! Als Jesus geboren wurde, war er wie ein Licht, das in diese finstere Welt hineingesetzt wurde. Hier in Palästina, da ist er geboren, unscheinbar in einem Stall.
Das Licht der Welt!
Gott wollte die Welt erleuchten. Und als Jesus zu Gott zurückkehrte, heimging zu Gott in den Ursprung, von dem er herkam, da hätte er nun eigentlich das Licht wieder mitnehmen müssen und sagen: So, ihr habt es mal gesehen, ich habe es euch gezeigt, wie gut das Leben ist aus dem Geist Gottes, in der Wärme seiner Liebe, im Lichte seiner Wahrheit, nun nehme ich es wieder mit. Aber Jesus ließ das Licht bei uns, das Licht seiner Wahrheit und die Wärme seiner Liebe; bis auf den heutigen Tag. Es blieb bei den Menschen. Und es verteilte sich von dem einen Christus auf die ganze Gemeinde. Darum sehen wir auf den alten Bildern das Pfingstfest dargestellt: eine versammelte Gemeinde, und auf jedem Haupte der Versammelten brennt ein Licht.
Jesus hat ja auch gesagt: "Ihr seid das Licht der Welt!" Das heißt: Ihr seid nicht Selbstzweck, ihr sollt nicht kokett herumlaufen und sagen: Ach, was bin ich erleuchtet! Sondern ihr sollt Licht in diese Welt bringen, dazu seid ihr da!
Jesus wollte, dass die Menschen erwachsen werden. Dass wir nicht unwürdige Untertanen bleiben, sondern Schwestern und Brüder sollen wir sein; das ist unsere Bestimmung. Jesus, der das Licht, die Wahrheit und das Leben ist, der sagt uns: Ihr seid meine Geschwister! Jesus ist nicht ein neuer Guru oder Sektengründer, der sagt: Ich habe das Licht, und ihr habt nichts, und so wird es bleiben auf alle Zeiten, sondern er gibt das Licht uns, damit wir wachsen. Er will, dass wir ihm immer ähnlicher werden.
Wir sollen Gottes Kinder sein. Das ist ein ungeheurer Anspruch.
Und die erste Christengemeinde, die am Anfang ja auch immer auf dem Fußbänkchen zu Füßen des Meisters saß, und gar nicht auf die Idee kam, dass sie ähnlich werden sollen, wie er, die haben das erst in einem gewaltigen Lernprozeß erfahren, der von weltgeschichtlicher Bedeutung ist und der fortwirkt. Wir haben es heute im Evangelium gehört, es ist da soetwas Gewaltiges passiert, dass die Umstehenden zu den nächstliegenden Deutungsmustern greifen und erst mal denken; die waren betrunken! Aber es ist anders: In diesem Lernprozeß werden die Menschen verwandelt. Aus Sklaven werden Menschen nach Gottes Bild.
Unser Text heute aus der Bibel lehrt uns das eindeutig: Jesus sagt zu seinen Jüngern, ehe er von ihnen geht: "Es ist gut, dass ich von euch weggehe, denn sonst kommt der Geist nicht zu euch"; sonst würdet ihr klein bleiben. Ihr aber sollt wachsen. Und so hat es angefangen; Menschen in Palästina, zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Kultur, in einer bestimmten Epoche der Menschheitsgeschichte, da wird Jesus geboren, und in diesem Mann von Nazaret offenbart sich Gott.
Da hat es angefangen. Diese Menschen, die um ihn herum sind, die ahnen; er ist es, der uns helfen kann. Er hat die Wahrheit und das Licht, er lebt aus dem Geist Gottes. Er macht uns heil. Er wärmt uns. Er hat das, was uns fehlt.
Und sie gehen mit ihm, sie gehen ihm nach, hinter ihm her. Sie leben mit ihm. Sie erfahren in seiner Nähe immer wieder das Licht der Wahrheit und die Wärme seiner Liebe. Und solange Jesus leiblich bei ihnen ist, kehren sie immer wieder zu ihm zurück. Aber sie sind auch abhängig. Sie müssen sich immer wieder von ihm erleuchten lassen, sie können das Licht noch nicht mitnehmen. Sie sind abhängig von ihm wie Süchtige.
Und man liest in den Evangelien, dass zeitweise so viele Menschen zu ihm kommen, als dem Licht, dass sie ihn umringen, dass er auf die Berge sich zurückziehen muss, um Ruhe zu haben und Zeit zu haben zu beten.
Ihr werdet traurig sein, sagt er zum Abschied. Aber trotzdem; es ist gut, dass ich gehe, denn ihr werdet wachsen in meinem Geist und in der Wahrheit, ich muss gehen, damit ihr selbständig und erwachsen werdet.
So ähnlich ist das, wie im Verhältnis zwischen Eltern und erwachsen werdenden Kindern. Ich muss mich zurückziehen, damit ihr endlich auf eigenen Füßen stehen könnt.
So ist es gekommen. Die Jünger waren traurig, als er gekreuzigt wurde. Die Männer und Frauen fühlten sich leer und ausgebrannt, als sie ihn ins Grab legten.
Und dann, innerhalb von 50 Tagen, von seiner Auferstehung bis Pfingsten, lernten sie ungeheuer Neues in kurzer Zeit. Sie wuchsen über sich selbst hinaus, denn das große Erwachen und das Erleuchten war über sie gekommen. Wie unmündige Kinder, die immer alles gesagt kriegen, werden sie plötzlich erwachsen und wachen auf.
Insofern ist dies Pfingsten nicht nur ein Ereignis für eine kleine Gruppe von Menschen, sondern es ist das "Ahaerlebnis" der ganzen Menschheit. Sie begreifen nämlich, dass sie weiterführen sollen, was Jesus begonnen hat. Sie sind noch klein, aber sie wissen; wir werden erwachsen. Wir sind nicht Untertanen, sondern wir sind die kleinen Brüder und Schwestern von Jesus.
Als Jesus ihnen sagte: "Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt", da sagte er voraus, was zu Pfingsten tatsächlich eintrat. Da sind plötzlich die ersten Menschen da, die nicht mehr vor einer düsteren Schicksalsmacht im Staub liegen. Da sind plötzlich die ersten Menschen da, die nicht mehr Brandopfer bringen und nicht mehr Blitz und Donner ängstlich verehren und fürchten.
Diese Menschen sind neu. Sie leben aus dem Licht der Wahrheit und der Wärme der Liebe. Sie wenden sich einander zu und sie preisen Gott, den sie erfahren haben als Ziel und Grund ihres Lebens. Sie wachsen jetzt und bleiben nicht klein wie sie sind.
Das hat über nahezu 2000 Jahre Folgen gehabt, die wir uns oft gar nicht klar machen, weil wir immer nur auf die Kirchengeschichte schauen. Gottes Geist in Christus weht aber überall und hat den Geist der Menschen in allen Bereichen beflügelt. Auch die Wissenschaft, auch die Technik ist nicht denkbar ohne die gewaltigen Impulse seines Geistes.
Denn ihr Lieben, wer Angst hat vor Wasser und vor Erdgeistern, der traut sich ja nicht, Bergwerke zu bauen, oder Wasserräder anzulegen.
Es ist sozusagen auch eine Folge von Pfingsten, dass die Menschen den Blitz plötzlich als physikalische Erscheinung begreifen und einen Blitzableiter bauen.
Es ist jedenfalls eine Folge von Pfingsten, dass heute weltweit die Sklaverei geächtet ist, dass Menschenrechte gelten, die auch der böseste Diktator öffentlich zu verhöhnen sich nicht mehr getraut. Und ich weiß, dass jetzt viele von euch nun das Düstere und die Not und die Verfahrenheit und die Bosheit der Welt bedenken und fragen: wie steht es denn damit?
Recht habt ihr, aber bedenkt; wir sind im Wachsen seit Pfingsten. Und das ist noch nicht so lange her.
Das Wachsen und Lernen ist im Gange mit jedem von euch und mit der ganzen Menschheit. Die Menschwerdung ist ja gerade durch Jesu Geist in eine neue Richtung gebracht worden.
Schaut nach vorn und vertraut der absoluten Gültigkeit seines Geistes. Dazu ist unser Leben da, und darum sollen wir uns bewähren in Liebe und Wahrheit. Darin sollen wir erwachsen werden wie Geschwister, die Jesus zum großen Bruder haben, wie er es selbst gesagt hat.
Sein Geist breitet sich aus in den Kirchen und auch außerhalb der Kirchen. Und zu Pfingsten wird uns gesagt, und wir werden daran erinnert, dass jeder Mensch ein Geistträger ist, der die Flamme Seines Geistes weitertragen soll.
Und immerhin ist es ja nun so geschehen, hier in Palästina ist Christus geboren, da ist das Licht aufgegangen (an der Weltkarte). Man kann nun fragen; warum gerade da?
Er ist da geboren! Und sein Licht hat sich von diesem kleinen Fleckchen Erde, das ja nicht viel größer ist, als Schleswig-Holstein, dieses Israel, sein Licht hat sich ausgebreitet. Es hat sich ausgebreitet von Menschen, die von dem Feuer des Geistes entzündet waren. Einer hat den anderen angesteckt und Sein Geist ist wie ein Feuer gelaufen durch die ganze Welt; in alle Erdteile. Verteilt auf viele Geistträger. Einer entzündet den anderen.
Ich habe wieder mal was gebastelt. Ich habe hier ein Holzstück genommen und lauter Löcher rein gebohrt, da stecken lauter Streichhölzer drin. Diese Streichhölzer - können wir uns jetzt vorstellen - sind wie Menschen. Da wird einer vom Geist Jesu entzündet, seht ihr, und so geht das weiter, einer entzündet den anderen. Sein Geist verbreitet sich; von dem Ursprung immer weiter. Menschen stehen zusammen.
Das Feuer Seines Geistes brennt! (Streichholzreihe brennt)
Und so hat es sich über die ganze Welt verbreitet. Und so gibt es bis heute Christen auf der ganzen Welt. Erst hat sich das Feuer Seines Geistes verbreitet - manchmal dauert es ein bisschen länger - dann denkt man, es gibt gar keine Übertragung mehr, und plötzlich stehen wieder welche eng zusammen. Und so hat sich das Feuer Seines Geistes über die ganze Welt ausgebreitet. Seht ihr? Dann ist das Feuer Seines Geistes nach Europa gekommen, nach Asien - wo die Heiligen drei Könige herkamen - nach Australien ist es später gekommen und nach Amerika.
Tja, und wie ist denn das, wenn in einem Erdteil mal das Licht wirklich ausgehen sollte? Dann müssen andere rüber gehen, und das Licht wieder holen. Seht ihr, in Asien und in Russland haben viele versucht, das Licht auszulöschen. Aber trotzdem brennt es bis auf den heutigen Tag (Lichter an der Weltkarte brennen).
Das ist die Reihe der Zeugen. Menschen, die das Feuer weitergegeben haben (abgebrannte Streichholzleiste).
Nun könnte man noch eine Predigt halten über die verhängnisvolle Rolle der Institutionen. Die Institutionen - ich hatte hier, damit nichts passiert, auch noch den Feuerlöscher hingestellt (Feuerlöscher auf der Kanzel). Das Problem ist nun, dass der Heilige Geist etwas ist, was man nicht verwalten kann. Der kann über einen Menschen kommen und kann sein Leben so verändern, dass es ihm selbst Angst und Bange wird. Institutionen können es schwer haben damit. Das ist der Nachteil der Kirchengeschichte. Wir brauchen die Kirche; die Institution. Aber der Institution ist es immer unheimlich, wenn der Geist aufleuchtet und deswegen löscht sie ganz schnell, wenn der Feuerbrand des Geistes zu groß wird.
Damit müssen wir auch umgehen lernen. Wenn uns das Feuer unheimlich wird, versuchen wir’s zu löschen. Aber wir können es nicht. Das Licht leuchtet überall in der ganzen Welt. Es hat sich ausgebreitet. Es hat von einem zum anderen weiter gezündet.
Und wenn nun Jesus in unserem heutigen Predigttext sagt: "der Fürst dieser Welt ist gerichtet", dann ermutigt er uns und sagt: Habt keine Angst, dieses Licht geht nicht aus!
Ihr habt an mir gesehen, dass die Menschen den Geist Gottes nicht töten können!
Sie haben mich gekreuzigt und Gott hat mich auferweckt; ich bin auferstanden. Und ihr sollt auch geistig auferstehen! Ihr sollt das Feuer des Geistes weitertragen!
Jesus hat sich unter uns verteilt. Zum Zeichen dafür hat er uns das Heilige Abendmahl gegeben.
Er will, dass wir aus seinem Geist leben und arbeiten und tätig sind, da, wo wir stehen.
Es gibt keinen heiligen Beruf. Sondern jeder Beruf ist heilig, weil der Geist der Wahrheit durch jede Lebensäußerung des Menschen wirken kann.
Das ist Pfingsten; der Geburtstag der weltweiten Kirche, die größer ist als unsere lutherische Kirche oder die römisch katholische, oder sonst eine. Der Geburtstag der weltweiten Kirche.
Es ist der Geburtstag einer neuen Menschheit.
Das Geschehen des Erwachsenwerdens ist seitdem mit der Menschheit im Gang. Das Licht der Wahrheit verteilt sich, breitet sich aus. Und wer davon entzündet wird, wie eines dieser Streichhölzer, der entzündet die, die ihm nahestehen.
Und in diesem Wachsen und Ausbreiten der Wahrheit und Seiner Liebe - darin beteiligt zu sein - das heißt; Leben und Reifen und Wachsen. Und das ist das höchste Glück eines Menschenlebens solange wir auf Erden sind - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!