Predigt 585

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Predigt vom 05.07.1987 - Pastor Schnabel - Tim. 1, 12-77

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde! Eigentlich wäre uns heute als Predigttext die Geschichte vom verlorenen Sohn aufgegeben. Aber die haben wir in der letzten Woche beim Ferienanfangsgottesdienst gehört und betrachtet. Darum heute die Epistel für diesen 3. Sonntag nach Trinitatis als Predigttext. Die Geschichte von einem Menschen, der verloren war, und der wiedergefunden wurde. Verloren heißt hier, dass ein Mensch lebt, und isst und trinkt und verdient und vor sich hin plappert, und am Ende sein Leben beschließt und ins Nichts hinausgeht und nicht geistlich wiedergeboren wird. Was das heißt, werden wir heute in dieser Epistel hören.

Paulus, der Apostel, schreibt an Timotheus im 1. Kapitel:

"Ich danke unserem Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat, und in das Amt eingesetzt - mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissentlich getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.

Das ist gewisslich wahr und ein Wort des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.

Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten, zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, dem sein Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen."

Gott segne an uns dieses Wort!

Ihr Lieben! Im Glauben leben heißt, dass das Leben eine neue Qualität hat. Eine Qualität, die du aus deiner eigenen Kraft, aus dir selbst nicht schaffen kannst.

Paulus erklärt sein neues, erfülltes Leben aus dem Gegensatz von früher und jetzt. Früher im Unglauben, und jetzt im Glauben. Dass er jetzt glaubt, heißt nicht, dass er jetzt etwas annimmt, wofür er keine Beweise hat. Sondern Glauben, im Glauben leben heißt, in einem neuen, bestimmten Gottesverhältnis leben. Man könnte auch sagen, in einem neuen Gottesbewusstsein. Glaube ist hier nicht eine Annahme 'ohne Beweis. Da ist unsere Sprache etwas doppeldeutig. Ich glaube, dass auch morgen schöne Wetter sein wird, heißt ja eigentlich nichts anderes als; ich halte es für wahrscheinlich, dass das Sommerwetter anhält. Wenn aber jemand betet: "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!", dann ist das etwas anderes. Dann heißt das nämlich: Herr, ich vertraue der Kraft deines Geistes. Ich vertraue der Kraft deines Geistes und deiner Liebe und kann darum, ohne mich auf mich selbst zu verlassen, vertrauensvoll in das dunkle Morgen treten, über das ich nicht verfügen kann.

Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben, heißt auch; ich kann noch schwer ertragen mich selbst loszulassen. Ich bin zwar schon mit einem Bein auf deiner Seite. Ich spüre zwar schon die neue Qualität, das neue Leben in deinem Geist. Aber ich stehe eben auch noch mit dem anderen Bein in meiner Selbstbehauptung, ich will eben noch alleine den Sinn meines Lebens schaffen, obwohl ich weiß, dass ich damit mein Leben einenge und abschnüre und in eine falsche Richtung bringe.

Paulus bezeugt: Christus ist in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen. Das heißt; nur Sünder können erlöst werden.

Er sagt: "Mir ist Barmherzigkeit widerfahren, ich bin durch Christus selig geworden.

Nun ist dieser Paulus kein Schlendrian. Er hat vorher ein moralisch sauberes Leben geführt. Er hat die Gebote genauer beachtet als wir. Paulus, der vorher im Unglaube moralisch und geistlich an sich aus eigener Kraft gearbeitet hat, der sagt plötzlich: Leute, es taugte vorher alles nichts. Jetzt, wo ich im Glauben lebe, erkenne ich alles neu!

Paulus zeigt hier diesen Qualitätssprung an, der sich in seinem Leben ereignet hat. Das neue, erfüllte Leben im Glauben ist nicht eine Verbesserung, die am Ende einer Art Trainingsprogramm steht, sondern hier ist etwas grundlegend Neues. Dem Paulus ist eine Liebe widerfahren, die nicht aus dem menschlich machbaren Bereich stammt. Die Bibel bezeichnet ja mit anderen, alten, ehrwürdigen Begriffen diesen Qualitätssprung, wenn sie von der Wiedergeburt und vom Neuwerden redet. Paulus bekennt an anderer Stelle; ich bin eine neue Kreatur durch Christus geworden. Ich bin aus Wasser und Geist neu geboren. Der Mensch bleibt ein Mensch, aber Gottes Geist ergießt sich in das naturhaft Vorhandene und macht es neu.

Die Bibel redet ja von den Menschen immer, von den Menschen nach dem Fleisch, und dem Menschen nach dem Geist. Nach dem Fleisch, damit ist das gemeint, was wir naturhaftes Leben nennen. Das steckt in uns, wenn wir Überlebenstraining betreiben. Wenn wir unseren eigenen Vorteil suchen. Wenn wir uns absichern. Wenn wir Macht haben wollen. Das ist das Leben nach dem Fleisch. Und das ist gar nicht abwertend: Zum Leben nach dem Fleisch gehört durchaus auch die Entwicklung, das Wachstum, das Training unserer geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Die Reifung, die Selbstverwirklichung. Das hat alles im Leben nach dem Fleisch einen natürlichen, wichtigen Grund und Sinn.

Aber das Leben nach dem Geist, das Leben im Glauben, hat eine neue Qualität, die darüber hinausgeht. Da bricht etwas von außen über einen Menschen herein, das ihn zum Kind Gottes macht; übernatürlich, sagt man. Übernatürlich könnte man das nennen, was über das von uns Trainierbare, Machbare, hinausgeht. Etwas, das nicht machbar und nicht bezahlbar ist, sondern eine Kraft ist, die dem Sünder geschenkt wird, der die Hand danach ausstreckt; die leere Hand, mit der er sich an nichts anderem festhält.

Das Leben im Glauben beginnt, wenn sich der Geist Gottes in den natürlichen Menschen ergießt. Wer im Glauben lebt, erfährt diesen Qualitätssprung. Die Kraft des Geistes macht ihn durchlässig für Gott. Und wer wirklich in diesem Geist lebt, der wird auch nie sagen können; ätsch, ich habe den Geist, und ihr habt ihn nicht! Sondern er wird sich immer bewusst sein, dass sich hier etwas abspielt jenseits von aller Angeberei und Eitelkeit; dass hier etwas ist, das alles übersteigt. Da ‘setzt die Freiheit der Kinder Gottes ein, die darin besteht, dass sie sich nicht mehr selber verwirklichen müssen, dass sie nichts mehr beweisen müssen, sondern dass sie von dem Geist Gottes her verwirklicht werden zu dem, wozu sie bestimmt sind.

Da setzt ein Mensch nicht mehr seinen eigenen Geist gegen den Geist Gottes. Und da erfährst du auch, und das bitte ich vor allem zu bedenken, dass der Geist Gottes nicht die Natur zerstört, nicht den natürlichen Menschen klein macht, sondern dass er die Natur des Menschen heilt und befreit. Dass der Geist Gottes dich befreit von dir selbst. Denn am meisten leiden wir unter uns selbst.

Dadurch wird der Sünder selig, dass er von sich selbst befreit wird.

Am Ende des Textes steht: dass Paulus nicht Christus dankt, sondern Gott. Das deckt sich mit dem, was wir aus den Evangelien wissen; dass nämlich immer, wenn Menschen zu Jesus kommen und ihm danken wollen, dass Jesus dann sagt: Dankt Gott, nicht mir! Er hat sie immer an Gott verwiesen. Betet zu Gott in meinem Namen, in meinem Sinn und Geist, aber betet nicht mich an!

Jesus hat selbst diese Verwandlung erfahren. Die Wandlung hat mit Wandeln zu tun, hat auch mit Wandern zu tun, mit Sichaufdenwegmachen. Jesus wandelt, Jesus geht den Weg vor uns her. An seinem Weg erkennen wir, wo es lang geht. Wie der Geist die Natur heilt und befreit, können wir an Ihm erkennen, an den Geschichten von und mit und über Ihn, die die Bibel erzählt. Und an den Lebensgeschichten hier in der Gemeinde lässt sich das auch ablesen.

Jesus besiegt die Zwänge, die von Natur aus einen jeden Menschen behindern auf seinem Lebensweg. An Jesus können wir erkennen, dass er sich nicht abhalten lässt aus dem Geist Gottes zu leben. Das sind für uns manchmal auch anstößige Geschichten. Der zwölfjährige Jesus im Tempel, der lässt sich nicht durch die gutgemeinte Erziehung der Eltern einschränken. Er bleibt im Tempel und sagt: "Muss ich nicht sein im Hause, das meines Vaters ist?" Er nimmt auch keine falsche Rücksicht auf Eltern und Geschwister. Jesus weist seinen Jünger Petrus - den er herzlich lieb hat - zurück, als er ihn überreden will, dem Tod am Kreuz doch auszuweichen.

Jesus grenzt sich auch ab von den Zwängen des Kollektivs, als sie ihn zum Kumpel machen wollen. Jesus weist auch die Sachzwänge zurück, die ihm aus der Natur einer begeisterten Volksmenge entstehen würden. Er zieht sich zurück. Als seine Fans ihn umringen und zum König machen wollen, geht er auf den Berg in die Einsamkeit, um zu beten. Als er von Pilatus verhört wird, steht dieser gebundene, geschundene Mann in der Würde Gottes vor Pilatus und macht ihn deutlich; ich unterstehe nicht deiner Macht, nicht der Macht der römischen Gesetzgebung. Ich nehme diesen Weg ans Kreuz in Freiheit auf mich.

Und Pilatus hat im Gespräch mit Jesus genau erkannt, dass er es in Jesus mit Gott, mit dem absoluten Geist zu tun hat. Nur Konsequenzen zieht er nicht daraus.

Im Glauben leben, heißt; durchlässig sein für die Kraft Gottes.

Aber gerade das kann ein Mensch nicht aus eigener Kraft. Und das konnte auch Paulus nicht aus eigener Kraft; das bezeugt er ganz klar. Es kommt über ihn, es ist nicht steuerbar, aber er wehrt sich nicht, er nimmt es an und lebt neu und erfüllt, und erfährt diesen Qualitätssprung, die Wiedergeburt.

Für Menschen, die im Unglauben, nur nach ihrer Natur leben, ist das unfassbar. Denn ihnen fehlt ja nichts. Sie erfahren sich nicht als Sünder. Wer sich umgekehrt als Sünder begreift, der hat schon eine Ahnung vom Heil.

Paulus sagt: Jesus ist gekommen, die Sünder selig zu machen. Das heißt: Nur wer sich festgefahren hat an seiner eigenen Kraft, wer nicht mehr weiter weiß, wer die Gedanken und die menschliche Klugheit und die eigene Kraft bis zu einem Punkt getrieben hat, wo er in die Sackgasse gerät, nur der ist empfänglich dafür, in den Sog des Geistes zu geraten, der von oben, von außen kommt.

Oder man kann es auch anders sagen, auch das ist ja ein Urelement in der Mythologie: Nur wer selbst geistlich tot war, kann neu geboren werden. Oder, wie Jesus in der Bergpredigt sagt: "Selig sind, die geistlich Armen; denn ihnen gehört das Himmelreich!"

Nur wer mit seinem Latein am Ende ist, mit dem kann Gottes Geist neu anfangen.

Im Grunde kennen wir das von den Lernprozessen. Jeder tiefe Lernprozeß, auch in kleinen Dingen, ist mit einer Krise unseres bisherigen Erkennens verbunden.

Der Weg führt immer durch den Zusammenbruch des alten Lebens hindurch.

Und darum sollen wir Zusammenbrüche in unserem Leben und Ratlosigkeiten nicht leicht abtun als etwas, was uns nur Unlust bereitet, sondern erkennen, dass es etwas ist, das auf unseren Weg gehört, das uns weiterbringt.

Gott will durch seinen Geist Gestalt in uns annehmen.

Unsere Natur soll einen Sprung machen; eine neue Qualität ist uns bereitet.

Mit den Worten des Paulus wollen wir schließen: "Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren sei Ehre und Preis in Ewigkeit!" - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN !