Predigt vom 18.11.1987 - Pastor Schnabel - Mt. 12, 33 - 37
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Der Predigttext für diesen Buß- und Bettag steht bei Matthäus im 12. Kapitel:
"Jesus sprach zu den Pharisäern: Nehmt an: Ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an: ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz. Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden."
Gott segne an uns dieses Wort! Liebe Gemeinde!
Jesus Christus ist ein Mann des Wortes. Durch sein Wort schafft: und beginnt er Gottes Reich unter uns. Sein Wort schafft den Sinn unseres Lebens.
"Am Anfang war das Wort", heißt es im Johannesevangelium. Gott sprach: "Es werde Licht...". Die Schöpfung ist durch Gottes Wort in’s Dasein gekommen. Gott hat sich in dem Menschen Jesus Christus offenbart. Jesus ist ein Mensch, der Gottes Geist in Worte fasst, die wir verstehen können. Und als Jesus durch Galiläa zieht, geschehen Dinge auf sein Wort hin.
Steh auf, sagt Jesus zu den Kranken. Selig bis du, sagt Jesus zu Petrus, der ihn bezeugt. Er sagt zu uns: "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid...". Und dann sagt er: "Siehe, ich sende euch die Schafe mitten unter die Wölfe". Jesus erzählt Gleichnisse und Parabeln und wirkt durch sein Wort.
Sein Wort leuchtet aufs; es ist das göttliche Licht, das quälendes, schuldbeladenes Dasein in neues Leben verwandelt. Jesus rückt die verkommene Schöpfung in das Licht seines Wortes. Den Tod überwindet er durch sein Wort. Und wegen seiner Worte wird Jesus gekreuzigt.
Die Jesus gekreuzigt haben, die haben treffsicher erkannt, wie mächtig seine
Worte sind. Sonst hätten sie ihn nicht gekreuzigt. Sie haben das treffsicherer erkannt, als viele Menschen, die dumpf dahinleben und die Sprache missachten. Treffsicher haben die Pharisäer und Schriftgelehrten die Macht des Wortes Jesu erkannt. Und geradezu leiblich erfahren wir Gottes Wort durch Jesus Christus.
Mit Johannes bezeugen wir: Jesus Christus ist Gottes gute Botschaft an uns. Er ist das Licht in der Finsternis.
Wenn die Missionare in die Welt gehen und Gottes Wort bezeugen wollen, dann lernen sie zuerst die Sprache eines Heidenvolkes, um das Evangelium zu verkünden. Und es ist gar kein Zufall, dass unsere deutsche Sprache durch die Übersetzung der Bibel ihre Form und Prägung erfuhr.
Jesus sagt das ganz deutlich: "Wer sieh am Wort versündigt, der ist verloren!"
Noch gar nicht so alt ist die Irrlehre und die törichte Ansicht, als gäbe es einerseits eine materielle Wirklichkeit, wie eine Welt für sich. Eine Welt der Fakten und Tatsachen, und daneben das Reich des Geistes und der Sprache. So als sei Sprache und Geist ein Luxus, den man sich in seinem Privatleben leisten oder nicht leisten kann.
Aber das ist ein gefährlicher Irrtum. Schon da fängt die Verführung zum Bösen an. Denn im Wort tritt Macht zutage zum Guten wie zum Bösen. Am Wort eines Menschen tritt sein Innerstes zutage. Für Jesus sind die Worte, die aus einem Menschen herauskommen - so haben wir es im Predigttext gehört - so wie die Früchte, die ein Baum hervorbringt.
Das wirkt auch unbewusst. Was man die Freud’schen Versprecher nennt, das ist eigentlich gar keine Neuentdeckung, sondern das steht hier schon in der Bibel. Umgekehrt wirken die Worte nicht nur von innen nach außen, sondern sie wirken auch von außen nach innen auf uns zurück. Und darum müssen wir soetwas wie eine Seelenhygiene betreiben; aufpassen, dass nicht zu viel unsinnige Worte täglich in uns hinein rieseln. Deshalb sollte man nicht immer das Radio und den Fernseher anhaben. Deshalb sollte man sich hüten, sich unbewusst einem Geplätscher von Worten auszusetzen.
Ich habe einmal in der Brigade einer Bonbonfabrik gearbeitet. Da wurden den ganzen Tag Zoten gerissen. Und da wurde die Sprache den ganzen Tag zu dummem Geschwätz benutzt. Bis Einer mal etwas dagegen sagte und nicht mehr mitmachte. Da fühlten sich viele erlöst, denn es war vielen auf die Nerven gegangen bis dahin, dass durch das böse Geschwätz einigen körperlich schlecht geworden war; durch die bösen Worte. Ihr wisst doch, dass Worte uns kaputtmachen können. Dass Kinder in einer Klasse kaputtgehen können durch böses Reden von anderen, wenn andere immer auf dem Einen herumhacken. Sie brauchen ihn gar nicht körperlich zu berühren. Die bösen Worte sind wie Nadelstiche und wie Pfeile. Worte können uns kaputt machen, sie können Magengeschwüre hervorrufen. Und wenn ein Mensch verzweifelt ist und sagt: Es ist zum kotzen dann trifft er genau diese böse Wirkung von Worten.
Was meint ihr denn, warum wir immer wieder beten und Gottes Wort hören sollen und in der Bibel lesen sollen? Und diese Worte auch auswendig lernen sollen? Das Wort "auswendig lernen" heißt im Englischen "to know it by heart"; es im Herzen wissen, sich angeeignet haben. Warum wir diese Worte auch singen und uns selbst sagen hören? Deshalb, weil sie zurückwirken auf unser Herz und auf unsere Seele. Und das muss gar nicht immer so bewusst vor sich gehen, dass man nach dem Gottesdienst noch wieder ganz genau weiß, was gelesen, was gesagt wurde, sondern das wirkt auch unbewusst, das gute Wort, in uns selbst.
Wer regelmäßig Gottes Wort hört, der weiß, dass bestimmte Geschichten ihm vertraut sind, dass er sie ins Herz aufgenommen hat, ohne dass er sagen könnte; dann und dann habe ich das und das auswendig gelernt. Es fließt ein und macht unser Inneres hell. Nichtsnutzige Worte dagegen, die sind wie vergeudete Lebenskraft. Ob du sie sprichst zählst, oder ständig hörst, das ist einerlei. Es gibt viele Sprichworte, die uns warnen, mit der Sprache kein Schindluder zu treiben:
"Halte deine Zunge in Zaum!" Merkt ihr, in diesem Sprichwort, da ist die Sprache wie ein wildes Pferd, was leicht durchgehen kann, wenn man ihm nicht die Zügel anlegt. Was meint ihr denn, warum die Machtgruppen dieser Welt so viel Geld für die Werbung ausgeben? Für Presse und Rundfunk und Fernsehen? Weil da Worte an den Mann und an die Frau und an das Kind gebracht werden, die die Menschen prägen, verändern, beeinflussen, Wirklichkeit schaffen, und geneigt machen, dies und das zu denken oder zu kaufen. Die meisten Menschen unterschätzen die Macht des Wortes. Sie können die Worte nicht unterscheiden: Sind sie gut und aufbauend? Oder sind sie böse und zerstörend? Um die Worte zu unterscheiden, muss du in dir einen Grund, ein gutes Wort haben, von dem aus du wie von einer Grundlage, von einem Standbein her, erkennen kannst, was gut und böse ist.
In der Beichte beten wir: "Herr, im Lichte deiner Wahrheit erkennen wir, dass wir gesündigt haben…", erkennen wir, dass wir vom Weg abgekommen sind.
"Im Lichte deiner Wahrheit, im Lichte deines Wortes." Von Gottes Wort her können wir die Worte der Welt unterscheiden.
Wir strecken uns danach aus, nach Gottes Wort, dass es von uns Besitz ergreift und uns von innen her gut macht.
Ihr habt doch alle die Erfahrung gemacht, dass es Augenblicke gibt, wo du sagst, was du so gar nicht meinst. Du merkst dann, dass deine Sprache stockend und gestelzt und krampfhaft ist. Oder du meinst, du müsstest etwas sagen, obwohl du gar nichts zu sagen hast, und du redest irgend etwas daher und plapperst. Oder du sagst, was nicht stimmt. Und dein Körper wehrt sich, du bekommst dabei Herzklopfen oder wirst rot dabei. In den Augenblicken bist du uneins mit dir selbst, da sprechen deine Worte gegen dich.
Menschen sind verschieden begabt. Ich habe nie besonders gut lügen können, weil ich immer rot geworden bin beim Lügen. Und ich habe bei Klassenarbeiten nie betrügen können, weil ich zu umständlich und zu ungeschickt war. Das kann auch ein Glück sein; manchmal hab ich’s auch bedauert. Aber ihr wisst, dass der Körper darauf reagiert; auf die Wahrheit oder die Unwahrheit unserer Worte. Und dass gute Worte auch heilen, das ist ein Tatbestand, den kann man nicht bestreiten.
Berufsredner trainieren es, auf Anhieb zu reden, was man von ihnen verlangt Da gibt es glatte, hervorragende Redner, die frei und flüssig sprechen. Und doch haben die zuhörenden Menschen ein Sensorium dafür. Sie spüren; bei dem kommt’s nicht von innen. Der könnte genauso glatt das Gegenteil daherreden.
Andererseits erfährst du auch Augenblicke, wo du hinterher selbst über dich staunst, wie klar du das sagen konntest. Wo dir das rechte Wort im rechten Augenblick gelingt; wo du eins bist mit deinen Worten. Wo es von innen heraus kommt. Wo du nicht lange nach einzelnen Wörtern suchst, die du zu einem Satz zusammenbaust, sondern du hast sie, sie kommen treffsicher aus deinem Mund heraus und werden zu einem guten Wort. Und der Andere versteht, was du meinst.
Das ist das, was Jesus meint, wie er sagt: "Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über", das kommt von alleine.
Unsere Sprache verrät uns auch. "Deine Sprache verrät dich!" sagt die Magd zu Petrus als sie ihn fragt, ob er auch einer von den Jüngern Jesu ist und Petrus sagt: "Ich kenne ihn nicht!" Das ist die Geschichte, wo der Hahn kräht, und Petrus dann bitterlich weint.
Früher galt es bei manchen Menschen als geheimer Test, z.B. in Familien, wo ein möglicher Schwiegersohn auftauchte, dass man ihn mit Alkohol abfüllte, um zu sehen, was von seinem wahren Wesen bleibt, wenn die schöne Fassade der gestelzten Worte und die höflichen Reden von im abfallen. Manche Leute, die sich betrinken, sagen dann vorher auch; wir wollen mal wieder die Sau rauslassen. Heißt das, dass die Sau sonst eingesperrt ist hinter dem Gitter falscher Worte?
Der verheißene, selige Zustand, das Einssein von Wesen und Herz und Wort, dazu sehnen wir Gottes Wort in unsere Herzen herbei. In den zehn Geboten kommt der Missbrauch von Worten gleich zweimal vor. Einmal im zweiten Gebot: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht." Und im achten Gebot: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!"
Unsere Worte zu bedenken und die unnützen Worte zu bereuen; gleichsam unsere Sprache einer Reinigung unterziehen, dazu ist der Buß- und Bettag auch da. Gottes Namen nicht unnütz führen heißt; ihn zum Beten, Loben und Danken zu benützen. Wir sollen seinen Namen nicht gebrauchen, wenn wir es nicht meinen. Denn dann, wenn wir seinen Namen missbrauchen, steht er uns nicht zur Verfügung, wenn wir ihn wirklich gebrauchen wollen.
Das Gleiche gilt für andere Worte. Wenn ein Mensch von heiligen Dingen nichts hält, dann soll er schweigen, aber er soll um Himmels willen Worte, die das Heilige bezeichnen, nicht missbrauchen.
Das Wort: "Ich liebe dich!" ist auch ein heiliges Wort. Du sollst es sagen, wenn du’s meinst, aber du sollst es nicht benützen, um damit zu lügen oder um damit etwas zu erschleichen.
Jesus hat in der Bergpredigt sehr genau gesagt, dass böse Worte und böse Nachrede zu den schlimmsten Dingen gehören, die Menschen sich antun können.
Kriege, Progrome, Morde, haben immer mit Worten angefangen. Erst nimmt man Menschen durch Worte die Würde. Und wenn diese Menschen dann durch eine böse Sprachregelung nicht mehr Menschen genannt werden, sondern Untermenschen, Schweine, Gesocks, Dreck, dann kann man sie leichter töten, dann hat man ihnen die Würde genommen.
Wir dürfen’s auch um Himmels willen nicht leicht nehmen, wenn Erwachsene, oder unsere Konfirmanden und Kinder böse Worte zueinander sagen.
Ich erschrecke mehr, als ihr denkt, wenn einer zum anderen sagt: Du Arschloch. Und das ist so schlimm, nicht, weil das keine feine Sprache ist, sondern das ist deshalb so schlimm, weil es einen bösen Sinn hat; weil es Menschen entwürdigt. Deshalb dürfen weder Erwachsene noch Kinder solche Wörter gebrauchen. Es mag gedankenlos gesagt sein, aber auch so ein Wort kommt von innen heraus und verrät uns selbst, da, wo wir es sagen.
Martin Luther sagt zum achten Gebot; "wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern wir sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren".
Gottes Wort hören und singen und beten, das prägt unsere Sprache, und damit sollen unsere Herzen und Sinne umgehen. Gottes Wort klingt dann in uns nach und schafft Sinn und Wahrheit und bringt aus uns gute Worte hervor, die auch anderen gut tun können.
Gottes Wort macht uns heil, wenn wir es lesen und hören und nachsprechen.
Lasst uns schließen mit dem, was der Hauptmann zu Jesus sagt: "Herr, sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund" - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und unsere Sinne und unsere Sprache in Christu Jesu - AMEN!