Predigt 598 zum Heilige Nacht 23 Uhr

Zurück

Predigt vom 24.12.1987 - Pastor Schnabel - Heilige Nacht 23 Uhr - 1.Joh. 3, 1-7

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Der Predigttext für diesen Gottesdienst am Geburtstag unseres Herrn steht im 1. Johannesbrief im 3. Kapitel, in den Versen 1 - 7:

"Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; aber es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar ist, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünde wegnehme. Und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn gesehen und nicht erkannt."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Wir feiern in dieser Nacht vor allem den Sohn Gottes, seitdem er erschienen ist; wir feiern nicht so sehr die Geburt damals, denn davon trennt uns der Graben der Geschichte. Der Christus, der damals geboren wurde, ist heute geistig gegenwärtig. Und alles was wir überliefert haben, sind Glaubenszeugnisse, denen wir nicht gerecht werden, wenn wir sie untersuchen wie Journalisten, die eine Recherche anstellen.

Die Weihnachtsgeschichte erinnert uns an den Tag der Geburt Christi, mit aller innewohnenden Bedeutung. Schon darin, wie Christus zur Welt kam, ist Gottes Botschaft an uns enthalten. Über dem armseligen Stall von Bethlehem steht ein Stern. Das heißt; mit der Geburt Christi handelt Gott in die Weltgeschichte hinein. Da geschieht etwas Kosmisches. Der Sohn Gottes, heilig von Anfang an, erhaben, und doch teilhaftig an unserer armen, menschlichen Natur, kommt zu uns Menschen, wird niedrig und gering, und ist doch der Sohn Gottes. Das heißt: Diese Welt ist Gottes Welt. Gott liebt sie und verwirft sie nicht. Gott hat Hoffnung für uns. Gott hat Wohlgefallen an seiner Schöpfung. Alles, was wir tun, bekommt darin seinen Sinn und seine Richtung und seine Ermutigung. Wir sind nicht allein, sondern leben in einem Verhältnis zu Gott. Ein Verhältnis, so wie es Jesus selbst abgebildet hat im Verhältnis zwischen einem Kind und seinem lieben Vater.

Diese Welt ist kein sinnloses Chaos, sondern Gottes Welt. Mit Christus macht Gott offenbar, dass wir mit Gott verwandt sind, dass wir geistige Geschöpfe sind; Gottes Kinder sind wir.

Und Christus ist zwar ganz anders als wir; ganz rein und ganz heilig, aber er ist eben auch unser großer Bruder. Und etwas von seiner Glut glimmt in uns und wird durch seinen Geist in uns entfacht.

Herabgekommen ist er aus seiner Herrlichkeit in unsere Niedrigkeit. Und in seinem Licht verblasst das, was wir selbst als Glanz hervorbringen. Was wir gering achten, wird erhöht und das, wovor wir erzittern, das wird entmachtet durch ihn.

Das Kind im Stall ist umstrahlt von der Liebe Gottes. Unser Bruder ist von Gott her in die Krippe gekommen, weil sonst kein Platz war.

Und in diesem leeren Stall versammeln sich Hirten und die drei Weisen aus dem Morgenland. Die Einfältigen, Verachteten, die, die in ihrem Beruf vielleicht wie Don Quijotes arbeiten und gegen die Windmühlenflügel immer angehen und doch auf Gerechtigkeit und Liebe bestehen. Die Verachteten, die ganz offensichtlich nichts haben, um ihr Dasein zu rechtfertigen und die auch zu stolz sind, sich am Sinn ihres Lebens vorbei zu mogeln, die hören zuerst davon und gehen zur Krippe und beten ihn an. Unmittelbar, ohne, dass sie sagen könnten, was ihnen geschehen ist, erfahren sie, dass ihr Heil in der Krippe liegt, dass ihr Blick umgebrochen wird in die Nähe und die Niedrigkeit. Dass ihr Leben durch dieses Kind im Stall seine unauslöschliche Würde bekommt; einen Wert, den ihnen keiner mehr nehmen kann. Eine ferne Melodie, die sie einmal gehört haben und nie vergessen und die sie allem entgegensetzen werden, was man ihnen sonst in die Ohren dröhnt. Und das ist nicht verdient, sondern es ist geschenkt! Gottes Kind sein, ist eine Würde, die ist nicht verdienbar, die wird einem Menschen schon: in der Taufe über gebreitet, ohne Verdienst und Würdigkeit.

Ich stelle mir vor, dass die Hirten aus dem niedrigen, engen Stall aufrecht herauskommen und aufrecht zurückgehen zu ihren Schafen. Sie haben im Antlitz des Gottessöhnchens etwas von dem unvergänglichen Glanz ihres eigenen Lebens gesehen.

Die Bibel sagt uns heute Abend: Gottes Kinder seid ihr! Und dieses Sein soll euer Handeln bestimmen; lebt dazu hinauf!

Und dann die Weisen aus dem Morgenland; es sind suchende, gelehrte Menschen. Sie fragen nach dem Sinn. In der Wissenschaft, in der Dichtung, in Bildern und in der Musik bringen sie zutage, was Herzen und Sinne von Menschen bewegt. Sie ahnen, was in einem Menschenherzen webt und wirkt. Sie haben Himmel und Erde und menschliches Verhalten durchforscht und beobachtet. Und diese drei Weisen, auf der Suche nach Gott, nach dem Absoluten, die finden den Weg zum Stall und knien nieder vor der Krippe; vor dem Kind. Ein schwarzer, ein gelber und ein weißer Mensch. Das heißt; im Stall von Bethlehem ist die Menschheit vertreten. Die Welt ist vertreten, weil ihr das Heil geschenkt wird.

Die Suchenden und Fragenden, das sind ja nicht Menschen, die behäbig morgens nach dem Frühstück ein bisschen über den Sinn des Daseins philosophieren, sondern sie suchen mit ganzem Herzen, denn ihr Leben hängt ab davon, ob sie finden den Sinn des Lebens in Gott, dem absoluten Geist.

Gott, ein Wort unserer Sprache. Absoluter Geist, auch ein Wort unserer Sprache. Worte dafür gibt es in jeder Sprache der Menschheit. Schon aus dieser Tatsache entnehmen wir, dass im Menschenherzen etwas ist, was durchaus erregbar ist durch dieses Kind in der Krippe. Den Weisen ist dieses Wort wie ein errechneter Wert, den sie noch nicht in der Wirklichkeit erfahrbar gefunden haben. Und ausgerechnet im Stall, in der Krippe, finden sie Gottes Sohn, den Menschen, in dem sich der absolute Geist manifestiert. Sie knien nieder und beten an; das ist ihre Antwort.

Das Meiste, was wir bis heute von Christus erkannt haben, ist noch immer nur ein kleiner Teil von dem, was wirklich in die Welt gekommen ist. Es dämmert herauf, dass in Christus tatsächlich die verschiedenen Kulturen sich treffen und beflügelt werden. Auch unsere Vorfahren waren an dieser Krippe in Bethlehem vertreten.

Christus, der Sohn Gottes, macht uns nicht alle gleich, sondern er stimmt die Vielfalt menschlichen Geistes ein. An der Krippe, wo die einfältigen Hirten und die drei Weisen knien, da beginnt eine neue Harmonie. Christus stimmt die Völker und Kulturen ein. Er ist Einer, der verschiedene Instrumente und Stimmen zu einer Symphonie zusammenbringt. Das ist noch nicht lange her und die Melodie klemmt noch. Und viele gehen wieder weg und versuchen ihre eigene Melodie; und kommen doch wieder zurück. Es ist noch in Gang, dieses Einstimmen; bis heute.

Tochter Zion, freue dich! Das ist die alte Verheißung, dass die Völker dort am Berge Zion Frieden finden. Dass sie sich dort am Berge Gottes treffen wie Schwestern und Brüder; Kinder Gottes eben, die sich nicht gegenseitig das Dasein streitig machen und die Krieg und Hass überwinden.

Wir sind schon Gottes Kinder, sagt die Bibel, aber es ist noch nicht offenbar geworden. Es gibt Dinge, die klein im Verborgenen anfangen. Es gibt noch Kräfte, die dem entgegenstehen; auch in uns. Da ist die Resignation. Dieser Abgrund, an dem wir manchmal stehen und meinen: Das Leben ist doch ein Chaos und es hat doch keinen Sinn! Und es ist doch nur alles ein sinnloser Zufall! Das Gute zu tun, lohnt nicht! Ich muss selbst sehen, wo ich bleibe. Und so ende ich in der privaten Vereinsamung und umgebe mein Herz mit Zement .und ersticke darin. Nur, weil ich zu sehr fürchte, von außen getroffen zu werden. Und da ist die Verachtung. Ich bin etwas wert! Wir sind vornehmer, besser, größer, stärker, klüger, schöner als die anderen. Mit dieser Haltung geht jede Gemeinschaft kaputt, denn wir definieren unseren Wert durch den Unwert der anderen. Ein böses Spiel, das uns zertrennt! Oder da ist die Arbeitswut. Diese Besessenheit, die mit Fleiß nichts mehr zu tun hat, weil dahinter der Antrieb:steht:Ich muss meinem Dasein einen Sinn schaffen. Und zu diesen furchtbaren Lebensversuchen gibt es Gegenstücke. Zur Resignation gehört als Gegenstück ein alberner, dummer Optimismus, der hopplahopp sagt, das Leben ist OK und ich bin immer obenauf. Zur Verachtung gehört der Größenwahn. Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühl, das sind Stilarten der gleichen Dimension. Eines kann ins Andere überkippen. Arbeitswut kann zur Lethargie werden, wo sie Sinn schaffen wollte. Alle diese schrecklichen Spiele haben eins gemeinsam; Menschen wollen sich darstellen, sie wollen ihren Sinn und Wert selbst schaffen. Und diese Grundhaltung nennt die Bibel Sünde. Und dazu ist Christus in die Welt gekommen, um uns daraus zu befreien.

Wir suchen Antwort auf die Frage: Wer bin ich und worauf läuft es hinaus, mein Leben? Die Zeit, die mir zwischen den Fingern zerrinnt, die Jahre, die einem Karussell gleich sich immer schneller drehen mit zunehmendem Alter. Die Frage ist: Wer sind wir, was ist unsere Bestimmung? Aber meistens fragen wir nicht: Wer sind wir und was ist unsere Bestimmung? Sondern wir bleiben beim Ich und sperren das Ich damit ein. Mit der Frage: Wer bin ich? Finde ich keinen Zusammenhang. Aber wenn wir die Bestimmung für uns gemeinsam suchen, dann finden wir sie bei dem Kind in der Krippe. Die Antwort lautet, wie wir sie heute aus der Bibel hören: Ihr seid Gottes Kinder, geadelt mit seinem Geist und mit seinem Wesen. Das ist noch nicht für jeden erkennbar und klar; aber wir leben in dieser Zukunftsfreude. Gott hat uns in Christus eine neues Sein gegeben. Er hat immer zu uns gesprochen: Selig seid ihr!

Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid! Einer komme dem anderen mit Ehrfurcht zuvor! Christus wirkt in uns durch das, was er ist und er ist das, was unter uns eine Gemeinschaft stiftet. Das verstehen wir nur schwer, dass einer wirken kann, einfach durch sein Dasein; durch das, was er ist. Das versteht eine Christengemeinde noch schwer, dass jeder einzelne, der hier sitzt, durch sein Dasein mitwirkt.

Jesus liegt in der Krippe und hat noch nichts getan und doch beginnt sein Wirken, weil er Gottes Sohn ist. Ein Kind ohne Taten wird gefeiert. Darum taufen wir auch Kinder, ohne Verdienst und ohne Taten, die sie vorzuweisen hätten vor Gott.

Und später? Was haben wir denn in der Heiligen Schrift überliefert? Jesus hat vereinzelt und unzusammenhängend gehandelt. Und er hat doch das Heil gewirkt; eben durch das, was er ist. In ihm ist Gottes Gnade und Wahrheit erschienen. Er hat sich nicht abgearbeitet und abgerackert; mit heiterer Gelassenheit war er da.

Er bringt uns in das Bewusstsein, Gottes Kinder zu sein. Und unser Leben ist seitdem bestimmt durch das, was wir sind. Das wirkt nach außen und durch unsere Taten hindurch. Und darum kommt alles Gute aus dem Glauben. Denn Glauben, heißt; dem neuen Sein, dem Kindsein zu vertrauen. Daraus ergibt sich ein neues Gesamtleben, das dieser Würde entspricht. Und so wird menschliche Gemeinschaft möglich.

Wer bin ich? Jugendliche stellen zu einer bestimmten Zeit in ihrem Leben diese Frage besonders dringlich. Sie stellen sie in einem sehr irdischen Sinn. Wo komme ich her? Sind das meine richtigen Eltern? Bin ich vielleicht ein Findelkind? Bin ich vielleicht von vornehmer Abstammung? Der junge Goethe hat oft spekuliert, ob.er nicht der Sohn eines Grafen sei. Aber was ändert sich daran, wenn du es weißt? Es ändert sich das Sein und das bestimmt dein ganzes Leben.

In meiner Internatsschule 1961, das war erst 16 Jahre nach dem Krieg, da hatte ich einen Mitschüler, der auf der Flucht als zweijähriges Kind aus Polen von alten ostpreußischen Eheleuten auf einem verlassenen Bahnhof gefunden wurde, und die haben ihn mitgenommen. Und sie nannten ihn Stephan. Stephan war ein wankelmütiger Junge. Entweder spielte er sich größenwahnsinnig auf, oder er verkroch sich. Sein Leben hatte keinen Grund; er wusste nicht, wer er war. Bis 1962 zu Pfingsten plötzlich ein Mann anreiste, in sein Zimmer trat und ihn unter Tränen umarmte und sagte: Ich bin dein Vater und du bist mein Kind! Es folgte eine lange Geschichte von Krieg und Vertreibung. Er war gefunden. Von da an blühte Stephan auf; sein Leben fand Ruhe und Kraft.

Und so ähnlich, wie dieser Vorgang ist es, wenn Gott Christus in die Welt schickt; wenn er den verlorenen Zusammenhang mit Gott herstellt. Dieses alte, kluge, heilige Märchen von der Vertreibung aus dem Paradies zeigt genau das an, dass wir Vertriebene sind, dass wir in uns ahnen; wir sind eigentlich von einem hohen Adel, den die Welt gar nicht geben kann. Wir gehören anderswo hin. Darum unterscheidet auch die Bibel ausdrücklich zwischen dem Sein nach dem Fleisch und dem Sein nach dem Geist. Und als Israel sich darauf beruft: Wir sind nach dem Fleisch Kinder des auserwählten Volkes, sagt Jesus: Bildet euch darauf mal nichts ein. Wenn Gott will, kann er sich aus diesen Steinen Nachkommen erwecken.

Wir sind Gottes Kinder nach unserer geistlichen Herkunft und das überstrahlt alles.

Christi Dasein wirkt auf uns verlorene, vereinzelte Menschen und führt uns zueinander.

Sein Dasein wirkt im Glauben in uns, und sein Glaube wiederum bestimmt unser Sein. Und durch dieses neue Sein werden wir nach außen hin verändert.

Die Sünde ist darum unter unserer Würde, da wir doch Gottes Kinder sind. Wir haben jetzt eine Würde, an die wir auch untereinander appellieren sollen. Statt dass wir uns damit aufhalten, die Schlechtigkeit untereinander aufzurechnen und zu beschreiben, versammeln wir uns zu den Gottesdiensten, um uns das Bild Christi immer wieder vor Augen zu halten, damit wir uns aufrichten lassen an ihm, und damit wir einander erinnern an die gemeinsame, vornehme Herkunft.

Der verlorene Sohn im Gleichnis, das Jesus erzählt, bekommt einen Siegelring an den Finger gesteckt zum Zeichen: Du bist wieder mein Kind. Wir sind Gottes Kinder, aber es ist noch nicht offenbar. Die Welt kann noch nicht umgehen mit solchem Adel.

Wir sind auch auf diesen Unterschied nicht stolz gegenüber der Welt, sondern wir hoffen und wünschen und beten herbei den Zustand, da wir vereint werden und dass das Band des göttlichen Geistes uns umfängt zu einer großen Gemeinde, in der es gar keine Kirche mehr zu geben braucht.

Und der Frieden Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!