Predigt 600

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Predigt vom 31.12.1987 - Pastor Schnabel - 2. Mose 13, 20-22

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext zum Jahresende steht im Alten Testament. Ich will kurz den Zusammenhang erzählen, in dem der Text steht.

Da sind Abraham, Isaak und Jakob, die Erzväter. Die Geschichten dieser Erzväter sind große Geschichten von Menschen, die auf ihrem Lebensweg Gott erfahren haben. Sie haben Gottes Führung beispielhaft erlebt. Es sind Lebensgeschichten voller Brüche, an Abgründen vorbei, mit Segen, mit Scheitern und Sieg; mit Wegen durch’s finstere Tal. Es sind Geschichten von Schuld und von Vergebung. Die Erzväter sind Menschen, die etwas mit Gott erfahren haben. Nichts Menschliches ist ihnen fremd. In ihrem Leben handelt Gott.

Jakob hat zwölf Söhne. Einer davon ist Joseph, den können die anderen nicht leiden; eine Geschichte vom Neid hören wir da. Erst wollen sie ihn ermorden, aber dann verkaufen die sauberen Brüder ihn als Sklaven nach Ägypten und vergessen ihn.

Dieser Joseph steigt später auf, vom Sklaven durch’s Gefängnis hindurch zum Wirtschaftsminister in Ägypten. Er rettet später seine Brüder, die ihm Böses wollten, vor dem Hungertod und vergibt ihnen. So kommen die Kinder Israel nach Ägypten.

Es vergehen etwa hundert Jahre. Es kommt ein Pharao an die Macht, der nichts weiß von den guten Taten Josephs. Er versklavt die Kinder Israels. Aber Gott lässt ein Kind zur Welt kommen; den Mose. Der führt im Auftrag Gottes dieses armselige Sklavenvolk aus der Sklaverei in das gelobte Land. Der Pharao will ihn nicht gehen lassen; Gott schickt eine Plage nach der anderen. Als zehn furchtbare Plagen voll sind, lässt der Pharao endlich das Volk ziehen.

Das Volk Israel ist zu dieser Zeit ein wilder Haufen, ohne Moral, armselige Sklaven, die nur Druck und Peitsche gewohnt sind, die nur unter Druck und Sachzwang parieren. Sie wollen eigentlich die Freiheit nicht. Und Mose, der das Volk ins gelobte Land führen soll, verzweifelt mehrfach an diesem Volk und brüllt im Gebet Gott an.

Israel ist aber nun aufgebrochen, ist ausgezogen, hat vor sich die Wüste und hinter sich die Sklaverei. Es ist ein Zwischenzustand und hier setzt unser Predigttext ein; im zweiten Mosebuch:

"Die Israeliten zogen aus von Sukkoth und lagerten sich in Etham, am Rande der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht."

Gott segne an uns dieses Wort!

Der Weg in das gelobte Land führt durch die Wüste. Plötzlich sind die früheren Sklaven frei und auf sich gestellt. Sie scheitern, werden rückfällig, ungehorsam. Jammernd sehnen sie sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurück. Die Freiheit scheint ihnen wertlos und ganz unbequem. In der Wüste bekommen sie dann später - das ist nach unserem Text - die zehn Gebote. In der Wüste müssen sie 40 Jahre umherziehen, das liest sich, wie ein pädagogischer Roman. Gott mutet ihnen immer soviel zu, wie sie gerade bewältigen können.

In der Wüste lernt das Volk das Wichtigste, dass nämlich Gott auch in der Niederlage und im Scheitern handelt. Das erste Mal nun sind sie in der Wüste. Woran sollen sich Menschen plötzlich orientieren, die vorher nie frei waren? Gefangene werden entlassen und finden sich plötzlich am Rande der Wüste wieder; wohin sollen sie gehen? Ein neues Land hat Gott ihnen verheißen, das sie noch nie gesehen haben, das sie sich auch noch gar nicht vorstellen können. Der Weg dahin führt durch die Wüste. Die Zukunft liegt dunkel vor ihnen.

Das ist ein Zustand, den im Grunde jeder aufgeweckte Mensch an sich selbst kennt. Du bist aufgebrochen, du hast einmal gespürt, dass du so nicht weiterleben kannst. Du ahnst, dass das Heil vor dir liegt, aber du hast eben nur diese Ahnung; dieses verschwommene Bild vom Heil und merkst, dass du in der Wüste lebst. Der Weg dahin ist schwer und voller Risiko. Wenig Vertrautes kannst du mit auf den Weg nehmen. Wer aufbricht zu neuen Ufern, der kann seinen Status und seinen Besitz nicht mitnehmen. Sein vertrautes, bürgerliches Leben hilft ihm wenig. Da gibt es wenig Halt; da ist Vertrauen und Glauben gefordert. Der Aufbruch zu Neuem ist immer ein Schritt ins Ungewisse.

Das Volk hat bei Tag die Wolke und bei Nacht die Feuersäule. Und mit diesen Zeichen markiert Gott den Weg. Er ist dem Volk immer voraus; deutlich vor Augen. Wir wissen, dass diese Zeichen das Volk dann später zum Berg Sinai leiten, wo Gott den Menschen die zehn Gebote gibt. Mose geht auf den Berg, meißelt dort die zehn Gebote in Steintafeln und versucht, sie auch auf die Tafeln der Menschenherzen zu prägen. Von da an sind Wolke und Feuersäule nur noch immer über der Stiftshütte, in der die Israeliten eine Bundeslade haben, und in dieser tragbaren Holzlade liegen die Gesetzestafeln; da werden sie aufbewahrt. Fortan leuchtet die Feuersäule über den Gesetzestafeln. Das ist nun der Wegweiser des Volkes. Wolke und Feuersäule stehen für den Geist der Gebote von diesem Augenblick an. Es ist nicht zufällig, dass später, an Pfingsten, der Heilige Geist ausgegossen wird, gleichsam wie eine Feuersäule, die sich allerdings im neuen Bund durch Jesus Christus auf alle Menschen der Gemeinde ergießt. Künstler stellen das immer in kleinen Flämmchen dar, die auf den Häuptern flackern, sodass über jedem Menschen Gottes Geist zu sehen ist.

Ihr merkt hier schon die Parallelen zwischen altem und neuem Bund. Es geht voran. Gott handelt in der Geschichte. Er hat im Alten Testament etwas angebahnt, was er nun weiterführt. Mose führt das Volk von der äußeren Sklaverei in die äußere Freiheit. Mose brachte das Gesetz. Jesus führt die Menschheit weiter; aus der Sklaverei des Geistes in die Freiheit des Geistes. Christus ist die Liebe, die das Gesetz dann überwindet. Was für Mose das gelobte Land war, ist seit Christus das Reich Gottes, zu dem wir bestimmt sind. Und das ist nun kein geographischer Begriff mehr, sondern das ist Gottes Friedensreich, das in unseren Herzen beginnt.

Unsere Lage ist ähnlich wie die des Volkes Israel. Ähnlich wie sie sind wir unterwegs durch die Wüste. Wir brauchen uns gar nicht zu wundern, wenn wir manchmal nicht wissen, wo es lang geht, denn wir sind ja noch unterwegs. Und die Geschichten des alten Volkes sind sehr hilfreich und nützlich zu lesen. Immer, wenn das Volk in der Wüste eigenwillig weiterzieht, ohne auf die Flamme des göttlichen Geistes zu achten, da verläuft es sich und geht irre; im Kreis umher. Muss erst ratlos werden bis sie endlich stehen bleiben, bis sie die Zeichen Gottes wieder erkennen. Das ist ähnlich zu unserer Situation.

Ich brauche euch nicht zu wiederholen, was in den Leitartikeln der großen und der kleinen Zeitungen zum Jahreswechsel steht.

Aber diese Artikel spiegeln jedenfalls den Zeitgeist wider. Sie zeigen auf, dass viele wache Menschen in dieser Zeit stehengeblieben sind auf der Wanderung durch die Wüste und dass durchaus eine Besinnung einsetzt. Wie in keinem Jahr zuvor wird in diesen Leitartikeln nach Gott gefragt, Ausschau gehalten nach einem Ziel, dass das Leben lohnt.

Lange genug sind wir im Kreis gelaufen und haben an die Machbarkeit des eigenen Glückes geglaubt, an das Funktionieren, an die Organisierbarbeit des psychosozialen Wohlbefindens. Jetzt bleiben wir stehen wie Wanderer, die sich verlaufen haben und wir suchen. Wir suchen den Horizont unserer Wüste ab nach Zeichen und Wegweisern Gottes, die uns Sinn geben und das Ziel weisen.

Unsere Gemeinde hier am Ort soll sein eine kleine Gemeinschaft vertrauenswürdiger Weggefährten durch die Wüste.

Von Christus her ist die Feuersäule über uns zerteilt. Über jeden von uns ist der Heilige Geist ausgegossen. Das müssen wir ernst nehmen!

Und wir hoffen, dass wir im neuen Jahr, vielleicht einmal im Monat bei den Abendgottesdiensten, dazu kommen, im Gottesdienst auch miteinander zu reden, dass wir einander unsere Glaubenserfahrungen mitteilen, denn wir sind miteinander unterwegs durch die Wüste; wir haben das gleiche Ziel.

Martin Luther-King, der sein Leben - gleichsam auf dem Weg durch die Wüste - gelassen hat, weil er sich für Gerechtigkeit und Frieden auf Erden einsetzte, der hat kurz vor seinem Tod ein wichtiges Wort geprägt. Er sagte:

"Ich möchte euch drängen, der Suche nach Gott den Vorrang zu geben. Erlaubt Seinem Geist, euren Sinn zu ändern. Ihr braucht Ihn, wenn ihr den Schwierigkeiten und Nöten des Lebens gewachsen sein wollt. Ehe wir bei Gott mit unserem Leben ankommen, wird es einen schweren Weg durch die Wüste geben, der unsere Herzen erschaudern lassen wird. Wenn ihr nicht tief und geduldig an Gott glaubt, werdet ihr machtlos sein vor den Hindernissen, Enttäuschungen und Schicksalsschlägen, die kommen werden."

Ohne Gott zerbricht unsere Mühe. Ohne Ihn ist unser Leben ein sinnloses Schauspiel, dem die entscheidenden Szenen fehlen.

Aber mit Ihm können wir uns aus den Abgründen der inneren Spannungen erleben und die Höhen des inneren Friedens erreichen - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!