Predigt 601

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Predigt vom 03.01.1988 - Pastor Schnabel - Joh. 1, 43-51

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Jesus steht am Anfang seiner Öffentlichen Wirksamkeit. Der Erste, der ihn in seiner Bedeutung erkennt, ist Johannes der Täufer. Er zeigt auf ihn und sagt: "Siehe, das ist Gottes Lamm!" Dann begegnet er Petrus und Andreas, den beiden Fischern, die dann ihre Netze hinwerfen und ihm nachfolgen und bekennen: Wir haben den Messias gefunden!

Später ist Jesus unterwegs nach Galiläa. Er trifft Philippus; das ist schon der dritte Jünger. Jesus sagt ihm: Folge mir nach! Philippus geht mit. Dieser Philippus wiederum kennt einen Mann namens Nathanael, und dem sagt er es weiter.

Hier beginnt unser Predigttext für diesen zweiten Sonntag nach dem Christfest. Bei Johannes im 1. Kapitel steht die Geschichte geschrieben:

"Jesus wollte nach Galiläa gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!

Philippus aber war aus Bethsaida, der Stadt des Andreas und Petrus. Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josephs Sohn aus Nazareth. Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann denn aus Nazareth Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es! Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, ohne Falsch und Tadel. Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. Nathanael antwortet= ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! Jesus antwortete und sprach zu ihm:

Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres sehen als das. Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werden den Himmel offen sehen und die Engel Gottes herauf und herabfahren über den Menschensohn."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Nathanael ist ein ehrbarer, frommer Jude, voll Sehnsucht nach einem erlösten Leben und nach einer erlösten Welt. Er kennt die Weissagungen aus den Mosebüchern, bei den Propheten: Der Messias wird kommen und diese verquere, sündige Welt heil und neu machen. Die Menschen werden aufatmen, sie werden Sich nicht mehr fürchten. Frieden wird sein unter den Menschen, weil die abgerissene Verbindung zwischen Gott und Mensch wieder hergestellt sein wird.

Zu diesem Nathanael, der Ausschau hält, der sich mit dem Leben nicht abfindet wie es ist, zu diesem kommt Phillipus und sagt: Wir haben den Messias gefunden, den Heiland, Jesus von Nazareth!

Aus Nazareth? Das war ein geflügeltes Wort: Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Fragt Nathanael. Nazareth hatte so die Bedeutung, wie wenn wir heute abfällig sagen; dieser oder jener kommt aus Hintertupfingen.

Wichtig ist nun an dieser Stelle, dass Philippus nicht anfängt, Jesus zu verteidigen, ihn zu beschreiben und Jesus wie eine Ware anzupreisen, sondern - er sagt einfach: Komm und sieh es! Das musst du sehen und erleben, wer dieser Jesus ist; das kann ich dir gar nicht erklären!

Nathanael geht immerhin zögernd mit, er schaut es sich an. Er will Jesus sehen, auch wenn er noch nicht weiß, was er davon halten soll.

Als Jesus Nathanael mit Philippus kommen sieht, redet Jesus den Nathanael an als einen, den er schon kennt und sagt: Siehe, ein rechter Israelit, an dem keine Falschheit ist.

Und Nathanael schaut ihn an und sagt: Woher kennst du mich? Und Jesus sagt: Bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen! Daraufhin bekennt Nathanael: Du bist Gottes Sohn! Und Jesus sagt: Weil ich das gesagt habe, glaubst du; du wirst aber noch Größeres erleben!

Ich habe die Geschichte noch einmal nacherzählt, weil hier ganz wichtig ist, dass wir erkennen, woraufhin der Nathanael den Messias erkennt. Es scheint, als wäre es auf den ersten Blick so: Nathanael glaubt, weil Jesus hellseherische Fähigkeiten hat. Aber dazu ist Nathanael viel zu klug, als dass er den Messias daran erkannt hätte, dass er hellsehen kann. Hellseher gab es damals genug. Es gibt auch heute Menschen, die telepathisch begabt sind und über viele Kilometer hinweg erkennen und sagen können: Gegenwärtig sitzt Herr Nathanael gerade unter einem Feigenbaum! Und wenn man’s überprüft nach der Gleichzeitigkeit mit den Uhren, dann könnte man feststellen; ja es stimmte, er saß zu der Zeit dort.

Aber darum geht es hier nicht. Darauf gründet sich das Bekenntnis des Nathanael nicht. Denn ich muss das mit dem Feigenbaum nochmal erklären:

Das ist ein besonderer Ausdruck in der Bibel: "Unter dem Feigenbaum sitzen" , ist nämlich im Alten Testament eine sprichwörtliche Rede. Jemand, der unter dem Feigenbaum sitzt, ist Einer, der in Gottes Friedensreich zu Haus ist. Im Alten Testament, wo die Propheten weissagen von dem Friedensreich, da heißt es bei Micha:

Ein jeder wird unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum wohnen (4, 4). Damit ist symbolisch die Fülle des Lebens gemeint; jemand, der einen Weinstock hat und einen Feigenbaum, dem geht es gut.

Es wird einer den anderen einladen, heißt es beim Propheten Sacharja, (3, 10) es wird einer den anderen einladen unter den Weinstock und unter den Feigenbaum.

Also - der Weinstock und der Feigenbaum, der zeigt an: Da lebt jemand aus der Fülle der Gnade und des Friedens.

Das ist so ein Ausdruck, so ähnlich, wie wenn wir sagen: Dieser Mensch ist auf Rosen gebettet. Oder wie wenn wir sagen: Dieser Mensch lebt wie die Made im Speck.

Nathanael hat das Wort mit dem Feigenbaum natürlich sofort erkannt. Jesus spricht ihn an als einen, der im Friedensreich Gottes zu Haus sein wird. Etwa so: Lieber Nathanael, noch ehe ich dich sah, wusste ich schon, dass du einmal in das Friedensreich gehören wirst. Noch ehe du mich sahst, sah ich dich als einen, der geborgen und gerettet und gesichert ist.

Jesus sieht die Bestimmung Gottes über Nathanael und spricht sie ihm zu: Ich sah dich unter dem Feigenbaum!

Etwa so, wie wenn Jesus zu dem Schächer am Kreuz sagt: "Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein!"

Und Jesus verheißt dem Nathanael noch mehr, er sagt: "Den Himmel werdet ihr offen sehen...", ihr werdet noch mehr erleben als das, was ihr jetzt seht.

Die Verbindung zwischen Mensch und Gott wird hergestellt.

Wir sollen daraus lernen, dass wir Großes von uns denken. Gerade, wenn wir das Gefühl haben, von Gott verlassen zu sein und keine Zukunft zu haben.

So wie der Nathanael sagt: Was kann schon Gutes aus Nazareth kommen? Was kann schon Gutes aus Deutsch Evern kommen? Was kann schon Gutes von uns Menschen kommen? Gott sei Dank können wir sagen; dieser Jesus kam von einem Ort, der so ähnlich war, wie unserer. Jesus kam aus einer Menschenfamilie, in Verhältnissen, so ähnlich wie unsere.

Deshalb erwartet Großes bei euch!

Wir können das zunächst nicht glauben, wie Nathanael. Auch Nathanael schaut mehr in die Richtung des Glanzes und kann Sich nicht vor - stellen, dass aus Nazareth Gutes kommen kann. Wo ist denn hier etwas neu oder strahlend oder gut oder göttlich?

Wichtig ist daran allerdings, zu sehen, dass Philippus einfach zu Nathanael sagt: Komm und sieh! Begib dich auf den Weg! Auf dem Weg des Glaubens wird dir das Unverständliche entschlüsselt.

Im Kommen und Nachfolgen erlebst du den Christus, wie er zu dir spricht: Auch ich sah dich unter dem Feigenbaum; noch ehe du dich auf den Weg des Glaubens gemacht hast, sah ich dich schon geborgen und gerettet und gesichert.

Das ist so, wie wenn Lehrer vor der Versetzung sagen: Diesen Schüler, den sehe ich in der nächsten Klasse, der wird seinen Weg machen! Oder, wie wenn ein Meister zu seinem Gesellen sagt: Den sehe ich schon in der Meisterprüfung! Das heißt: Für den habe ich Hoffnung, der wird seinen Weg gehen!

Komm und sieh! Nathanael kommt und sieht.

Für ihn spricht zunächst alles dagegen, und doch geht er hin, sieht sich den Mann an, von dem gesagt ist: Der ist der Messias, der Heiland. Und er erkennt: Es ist der, den ich suche.

Für Philippus und Nathanael ist die Welt verändert, die Heilszeit hat begonnen, sie haben den gefunden, der helfen kann. Und sie führen daraufhin ein verändertes Leben, gegen alle Welt, die natürlich immer so bleiben will, wie sie ist und die selbst die Geburt Christi- doch lieber als Weihnachtsmärchen verdauen will.

Christus sieht uns an als welche, die ins Friedensreich gehören. Und darum ist es wichtig, dass wir auch füreinander Hoffnung haben, dass wir den anderen ansehen als einen, der unter den Feigenbaum zu sitzen kommt.

Christus hat Hoffnung für uns und darum sollen wir Hoffnung füreinander haben.

Komm und sieh!

Sein Wort hören und sich auf den Weg machen und an Seinem Wort entlanggehen und dieser Verheißung trauen.

Während wir auf diesem Weg entlanggehen, wird uns das Geheimnis entschlüsselt. Und dabei geschieht es, dass der Herr auch zu uns spricht: Ich sah dich unter dem Feigenbaum! Ich sehe dich an als einen, dem das Heil zuteil wird; der unter den Feigenbaum zu sitzen kommt - AMEN!

Und die Liebe Gottes, die höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesus AMEN!