Predigt 611

Zurück

Predigt vom 13.03.1988 - Pastor Schnabel - Phil. 1, 12-18

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext für diesen Sonntag steht im Brief an die Philipper. Sie wohnten in Philippi. Die Gemeinde dort war die erste Christengemeinde in Europa. Das Evangelium war gleich einem Funken von Asien nach Europa übergesprungen. Lydia, die Purpurhändlerin, hatte sich mit ihrer Familie taufen lassen. So begann es mit dieser Gemeinde, die Paulus besonders liebhatte.

Philippi war damals eine Kreisstadt mit Sitz der Bezirksregierung von Mazedonien - so ähnlich wie Lüneburg also - bekannt auch durch die Schlacht bei Philippi, wo

42 vor Christus Mark Anton die Cäsarmörder besiegte. Aber der Brief, von dem wir jetzt hören, der traf gut 100 Jahre später ein. Es ist das Jahr 57 nach Christus.

Diesen Brief hat Paulus in Rom im Kasernengefängnis der Prätorianer geschrieben. Und - er ahnte es und wir wissen es heute - wenige Wochen später wird er hingerichtet. So schreibt er an die Gemeinde in Philippi:

"Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder, dass die Lage, in der ich bin, eher zur Förderung des Evangeliums geführt hat. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist dem ganzen Prätorium hier und bei allen übrigen offenbar geworden, und viele Brüder haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht im Herrn gewonnen und sind um so kühner geworden, Gottes Wort ohne Scheu zu verkündigen. Einige predigen Christus zwar aus Neid und Streitsucht, andere aber aus guter Gesinnung: die einen tun es aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums berufen bin; die anderen aber verkündigen Christus aus Ehrgeiz und nicht lauter, denn sie möchten mir in meiner Gefangenschaft Kummer bereiten. Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber und will mich auch fernerhin freuen."

Gott segne an uns dieses Wort! Liebe Gemeinde!

Man erwartet eher, dass nun, da der Apostel weggeschlossen ist, nichts mehr geht. Aber das Gegenteil tritt ein. Paulus bemerkt: es sind viele Brüder kühn geworden, Gottes Wort ohne Scheu zu verkündigen. Und was die Brüder ermutigt hat, das ist nicht die Tatsache, dass er im Gefängnis sitzt, sondern es ist die Haltung, mit der Paulus im Gefängnis Sitzt; seine Haltung macht den anderen Mut.

Paulus macht der Gemeinde draußen Mut, anderen zu sagen, wer Christus ist und in welchem Verhältnis sie zu ihm stehen. Sie bezeugen plötzlich Christus, die Fülle der Wahrheit und die Quelle des Licht’s. Und das bezeugen sie in einer Welt, wo Christus noch unbekannt ist und wo man sich damit eher verdächtig macht.

Sie bezeugen ihre Rettung, leben überzeugend und ertragen dabei Spott und Verachtung. Und eben bei diesem Ertragen erfahren sie, dass der Geist der Wahrheit ihnen Kraft und Eindeutigkeit gibt.

Ihr wisst ja, es ist kaum etwas armseliger, als ein feiger Christ, der nicht bekennt, oder nur halbherzig redet oder schweigt, oder gar den Herrn verleugnet und sagt: Ich kenne ihn nicht!

Umgekehrt ist aber auch nichts ermutigender als ein Mensch, der, ohne auf sein irdisches Wohl Rücksicht zu nehmen, Christus bezeugt; der standhält an der Stelle, wo ihn Gott hingesetzt hat und im Notfall auch sagt in der Bedrängnis und Bedrohung: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!"

Dietrich Bonhoeffer wurde in den letzten Kriegstagen 1945 um seines Glaubens willen hingerichtet. Zuvor hatte er im Gefängnis das Lied gedichtet: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag …" das wir am Jahresende meistens Singen.

Wenn wir es singen, dann muss ich immer wieder daran denken, dass Dietrich Bonhoeffer, als er zur Hinrichtung geführt wurde, in seiner unerschrockenen Haltung so überzeugend war, dass von den Anwesenden bei der Hinrichtung einige bekehrt wurden.

Die Geschichten der Heiligen aus der alten Kirche, die bezeugen das Gleiche, dass nämlich jeder getötete Märtyrer - griech. 'martyros', heißt "Zeuge" - dass jeder getötete Christ, der als Zeuge Christi gestorben ist, dass der Hunderte von neuen Christen hervorbrachte, weil an ihrem Beispiel Gottes Geist aufleuchtete. Das leuchtet anderen ein und wir werden nachher, nach der Predigt, "Großer Gott, wir loben dich" singen, wo von diesen Blutzeugen die Rede ist.

Menschen bilden sich immer eher nach Beispielen, als nach Lehre und Ermahnungen. Das kennen wir Eltern auch. Wir reden viel auf unsere Kinder ein und das geht in ein Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Das, was sie wirklich überzeugt, ist die Art, wie wir wirklich leben, wie wir miteinander umgehen.

Es kann durchaus sein, dass eine erwachsene Frau sich an den Glauben, an das bewährte Leben ihrer Großmutter erinnert, und dass die Großmutter durch ihr bewährtes Leben den Glauben so bezeugt, dass es Jahrzehnte später, auch noch nach ihrem Tod fortwirken kann bis zu ihrer Enkelin.

Das gute Beispiel ermutigt zum tapferen Streiten und auch zum geduldigen Weitergeben; notfalls durch finstere Täler des Leidens.

Auch der ärgste Spötter fühlt doch in seinem Herzen, wie groß das ist, wenn ein Mensch ohne Furcht und Grauen die irdischen Güter des Lebens vergisst über der leuchtenden Wahrheit Gottes.

So, wie das gute Beispiel Menschen ermutigt und aufbaut zur Tapferkeit, so kann allerdings das schlechte Beispiel schwankenden Menschen die Entschuldigung liefern für ein zögerndes, hinfälliges Leben.

Keiner von uns ist immer ein tapferer, hehrer Zeuge für Christus, oder ein leuchtendes Beispiel. Aber es ist eben, Gott sei Dank, auch keiner von uns gleichgültig, denn sonst wäre er nicht hier, um Gottes Wort zu hören und miteinander Gottesdienst zu feiern. Keiner von uns weiß vorher selbst, ob er in bestimmten Situationen tapfer sein wird, bestehen kann, oder ob er kümmerlich versagt. Aber uns ist dieses Leben nicht gleichgültig und wir berufen uns auf Christus und halten an ihm fest; in der Stärke und auch in der Schwäche. Und eine Gemeinde ist eben dazu da, dass die Schwankenden ermutigt werden durch den gemeinsamen Sinn, durch das Beispiel derer, die gerade Kraft haben, zu bekennen. Und es kann wohl sein, dass wir heute für andere ein gutes Beispiel sein dürfen, und dass wir morgen das ermutigende Beispiel der anderen selbst brauchen.

Paulus ermutigt die Gemeinde durch seine tapfere Haltung im Gefängnis. An ihm wird die Kraft des Geistes sichtbar; Paulus ermutigt durch sein Beispiel.

Nun schreibt Paulus in dem Brief noch von einem Zweiten, das wir uns zu Herzen nehmen wollen. Er schreibt nämlich davon, dass sein Beispiel zweierlei Gruppen von Menschen ermutigt in der Gemeinde. Die einen, die Christus verkündigen als eine liebevolle Botschaft Gottes an uns. Und die anderen, die Christus auch verkündigen, aber die tun es aus Streit, Neid, Ehrgeiz und Rechthaberei. Die einen verkündigen Christus den Erlöser, der uns frei macht von den selbstgemachten Ketten und Sachzwängen; Christus, der kommt, um Verlorenes zu suchen, um Menschen zu sammeln, die gemerkt haben, dass sie auf Abwegen sind; Christus, der alle Mühseligen und Beladenen zu sich ruft, dass sie neue Menschen werden in ’seinem Reich; wo verlorene Söhne heimkommen und Gottes Kinder werden; wo verirrte Menschen ihren Sinn und ihre Bestimmung endlich finden. So predigen sie und setzen fort, was Christus begonnen hat.

Und die anderen, die predigen Christus auch, die sind auch durch Paulus Beispiel angestoßen. Aber sie bringen viel durcheinander mit der Predigt. Sie verhetzen die Gemeinde, obwohl sie den Anspruch erheben, auch Christus zu verkündigen.

Bei ihnen greift die Rechthaberei um sich; Splittergruppen entstehen. Da fangen einige an, den Glauben der anderen Leute nachzumessen und nachzuwiegen und Zensuren zu verteilen. Da wollen welche bei anderen Menschen die Würdigkeit oder die Unwürdigkeit genau unterscheiden und darüber befinden, und sie berufen sich dabei noch auf Christus.

Dadurch ausgelöst schauen andere von draußen herein und zeigen auf die Christen und sagen: Was glauben denn die Christen überhaupt? Und dabei beschäftigen sie sich mit Christus. Und wenn nun - dadurch ausgelöst - Menschen sich mit Christus auseinandersetzen, so sagt Paulus, sei es zunächst auch zweifelnd, oder sei es spottend, oder sei es wissenschaftlich, historisch oder sonstwie, dann ist es gut. Denn Paulus ist ganz sicher darin, dass keiner sich dem Geist Christi entziehen kann, sobald er damit in Berührung kommt.

Und wenn Christus auch aus Neid und Streitsucht und Ehrgeiz gepredigt wird, so wird er doch gepredigt und gehört, und allein darauf kommt es dem Apostel an.

Es bringt uns voran, wenn viele angeregt werden; wenn Gedanken auf Christus gelenkt werden. Wir wissen ja: Wo eine gute Sache aus der Dunkelheit ans Licht gezogen wird, da wird sie natürlich auch Gegenstand des Streites und der Auseinandersetzung. Und das, sagt Paulus, soll uns nicht stören, das sollen wir auch nicht beklagen, denn wer spottet, ist ja auch innerlich irgendwie berührt. Auch die Gegner verkündigen Begriffe und Gedanken in der Auseinandersetzung mit Christus. Und wenn sich Menschen darüber ereifern, dass sich Christen nicht mit der Erfüllung bürgerlicher Gesetze zufriedengeben und auf der Liebe Christi bestehen, dann ist das ja auch eine Wirkung des Geistes, die Wellen schlagen kann.

Im Kampf um das Evangelium finden wir den Weg zur Quelle. Auch in ungünstigen Zeiten breitet sich die Wahrheit aus, und gerade in Leid und Widerwärtigkeit kann Gottes Geist uns umso klarer aufleuchten.

Nur die Gleichgültigkeit ist schlimm. Die Gleichgültigkeit ist das Schlimmste von allem; sie ist der innere Tod. Die Gleichgültigen, das sind die Lauen, von denen die Bibel sagt, dass der Herr sie ausspeien wird. Aber Streit? Streit macht dem Evangelium nichts aus, das stärkt eher und schlägt Wellen.

Von den Worten des Apostel schließen wir auf unsere Gemeinde: Vor allem muss Christus verkündigt werden! Auf welche Weise, das soll gar nicht unsere Sorge Sein.

Wir in unserer Gemeinde, wir könnten darum viel beherzter mit Christus umgehen; wir sind noch viel zu schüchtern und zu zaghaft. Christus ist voll Kraft und voll Liebe Gottes und wir müssen ihn nicht verteidigen, sondern wir müssen seine Geschichten vor allem erst einmal selbst hören. Und dann können wir zustimmen oder ablehnen, oder wir können glaubend sein, oder erst mal zweifelnd. Und wir müssen uns voreinander nicht vormachen, dass wir immer gleich alles glauben. Wichtig ist nur erst mal, dass Christus geistig gegenwärtig ist und dass wir uns mit ihm auseinandersetzen können. Er wirkt dann schon von selbst. Wir brauchen also gar nicht so zu tun, als sei uns hier in der Kirche alles klar. Wir sind doch alle noch nicht fertig. Wir wissen gar nicht genau, was das Sakrament in Brot und Wein eigentlich ist. Wir wissen gar nicht genau, wie die Taufe eigentlich wirkt. Wir spüren eine Bewegung, die uns in Unvorhersehbares führt; ins Neuland des Reiches Gottes. Aber wir wissen es nicht genau, und darüber verfügen tun wir schon gar nicht.

Wem bestimmte Worte des Glaubensbekenntnisses nicht einleuchten, dessen Zweifel soll hier durchaus zur Sprache kommen können. Es ist in unserer Gemeinde Platz für einen Menschen, der vielleicht ausdrücklich sagt: Ich kann mit diesem Christus erst einmal gar nichts anfangen. Denn ich meine, dass ein Mensch, der so redet, dass mit dem Christus schon angefangen hat, und mit dem wollen wir unterwegs bleiben.

Nur die Gleichgültigkeit ist unerträglich. Alles andere, damit können wir leben. Ich kann viel beherzter mit einem erklärten Atheisten reden, als mit einem, dem’s alles wurscht ist. Und ein Atheist hat mir das auch umgekehrt bestätigt.

Wo Christus verkündigt wird, weicht die Gleichgültigkeit. Schon wo der Zweifel an Christus zur Sprache kommt, da ist Christus im Gespräch. Und darum soll unsere Kirche eben ein Platz in der Welt sein, wo sich alles um Christus dreht. Aber nicht so, dass wir so tun müssten, als seinen wir fertig und als sei uns Christus klar. Christus ist uns voraus. Wir haben noch nicht 10% verstanden von dem, was Christus uns bringt.

Wo sich alles um Christus dreht, da ist Kirche. Wenn sich’s um Christus dreht, dann kann das im Streit geschehen, oder in Harmonie, in Glauben oder in Zweifel. Denn in all dem ist Gott mit uns am Werk und mit uns unterwegs, und darum sind wir nicht verloren - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!