Predigt 612

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Predigt vom 27.03.1988 - Pastor Schnabel - Jesaja 50, 4-9

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Lieb. Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext für diesen Sonntag Palmarum steht im Alten Testament im Jesajabuch. Da ist vom Gottesknecht die Rede, der ganz anders ist, als alle bisher” Dagewesenen. Wir beziehen diese prophetischen Worte auf Jesus Christus, unseren Herrn und Heiland, der noch nicht geboren war, als diese Verheißung gesprochen wurde.

Hört das Wort beim Propheten Jesaja im 50. Kapitel:

"Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse mit den Müden zu rechter zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht ‘ zuschanden. Darum habe ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Wir sind jetzt in der Passionszeit. Die Passionszeit dauert 40 Tage. Diese "40" spielt eine wichtige Rolle.

40 Jahre lang war Israel unterwegs durch die Wüste auf der Wanderung bis ins gelobte Land.

40 Tage war Jesus in der Wüste und fastete und betete und widerstand den Versuchungen. Und am Ende, so heißt es, traten die Engel zu ihm und dienten ihm. Und nach den 40 Tagen in der Wüste, in denen Jesus dessen gewiss wird, wozu er seine Kraft einsetzen soll nach Gottes Willen, nach diesen 40 Tagen in der Wüste tritt Jesus an die Öffentlichkeit, sammelt Jünger und handelt in der Vollmacht Gottes.

Etwa 40 Tage dauert in jedem Jahr die Passionszeit, von Aschermittwoch bis zum Ostermorgen. Und in der Passionszeit - Passio heißt Leiden - gedenken wir des Leidens Jesu Christi. Die Passionszeit soll eine Zeit sein, wo wir des Leidens gedenken; soll eine Fastenzeit sein, wobei das Fasten nicht unbedingt eingeschränktes Essen und Trinken allein bedeuten muss. Es soll eine Zeit vor allem sein, in der wir zur Besinnung kommen. Das heißt: Die Ablenkung soll eingeschränkt werden. Alles was uns ablenkt von dem Weg, von der Besinnung, soll eingeschränkt werden. So, wie wir Menschen ja nach einem Tag mit vielen Ereignissen, mit Besorgungen, Erledigungen, uns still in ein Zimmer setzen und alles andere zurückweisen und sagen: "Ich muss erst mal zur Besinnung kommen; mich sammeln!" Meine Sinne und Gedanken und Gefühle, die sonstwo sind, zurückholen und ordnen. Das heißt; zur Besinnung kommen und sich zu sammeln. Und dann, in dieser Sammlung und Konzentration, können wir hören, was Gott von uns will und was unsere Bestimmung ist.

Unser Leben besteht nicht ständig aus solchen Sammlungszeiten, aber zuzeiten brauchen wir das, um danach wieder nach außen zu wirken.

Heute beginnt die Karwoche, die ihren Höhepunkt im Karfreitag hat, dem Tag, an dem Christus gekreuzigt, gestorben und begraben ist. Kara ist althochdeutsch und heißt: Die Klage - eigentlich die Klagewoche oder der Klagefreitag.

Wir beklagen den Tod unseres Herrn, weil wir im Kreuz erkennen, wie es um unsere Welt bestellt ist und weil im Kreuz uns vor Augen geführt wird, wie es um uns selbst steht.

Nun müssen wir uns aber davor hüten, dass das Mitleid unsere Andacht leitet. Ich habe als Jugendlicher immer gemeint, ich müsste nun auf Anhieb Mitleid haben mit dem Gekreuzigten, und das ist mir gar nicht immer so gelungen. Ich habe dann erfahren, dass wir viel besser anbeten und vor dem Kreuz unseres Herrn in die Knie gehen, denn unser Mitleid taugt nicht viel. Und außerdem; wenn wir mitleidig werden, dann haben wir meistens Mitleid mit einem Schwächeren. Und das ist gewiss, dass unser Herr Jesus Christus kein Schwächling war, der sich nicht hätte wehren können. Ihr wisst ja, als Petrus bei der Verhaftung Jesu das Schwert zieht, da weist ihn Jesus zurück und sagt: Lass das Schwert stecken! Und er sagt ihm: Wenn es darum ginge, dann könnten wir eine Armee aufbauen und dann könnten wir losschlagen. Aber darum geht es eben nicht!

Unser Herr Jesus Christus war der stärkste Mann, aber er hat seine Stärke in eine bestimmte Richtung eingesetzt. Dieses Wort "Stärke" kann viel bedeuten. In unserem weltlichen Sinn ist einer stark, der sich zum Anführer der Massen machen kann. Stark gilt einer, der die anderen aussticht, sie übertrifft im Wettbewerb der Kräfte. Als stark gilt einer, der drohen kann; einer der Macht hat über andere Menschen; einer, der intrigieren kann; der Beziehungen hat, die er für sich spielen lassen kann; einer, der die Fähigkeit hat, andere Leute vor seinen Karren zu spannen; der gilt als stark. Als stark gilt einer, vor dem die anderen kuschen und zittern. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, wenn ihr einem Menschen begegnet, der Macht über dich hat; da stockt deine Rede und da wird dir der Mund trocken. Der gilt als stark, der weiß, wie man an’s große Geld kommt und wie man andere einschüchtert

Und nun stellt euch vor: Unser Herr Jesus Christus hatte die Möglichkeit zu dieser Stärke. Er hätte jederzeit einer von den ganz Großen, Starken, werden können. Und eben darum ging es bei seiner Versuchung in der Wüste. Aber er hat darauf verzichtet. Er hätte Paläste und Armeen haben können, wie die Herrscher dieser Welt. Aber er hat darauf verzichtet. Und als er starb, hinterließ er seinen Umhang und ein Paar Sandalen. Nichts anderes blieb von seinem irdischen Besitz übrig als das, was er gerade trug. Er hätte die Menschen beherrschen können; in den Staub wären sie gefallen.

Was wir nun heute im Evangelium gehört haben, wo Jesus da in Jerusalem einzieht, das ist im Grunde auch eine Versuchungsgeschichte. Wo sie Jesus so eine Art Konfettiparade mit Palmzweigen bescheren und ihm "hosianna!" zurufen und möchten, dass er doch nun endlich die Macht ergreift wie sie es wollen. Sie wollen ihn zum Herrscher machen, zum Brotkönig, aber er geht diesen Weg nicht. Die Massen hätten ihm gern alles zu Füßen gelegt, er hätte ein mächtiger Diktator werden können. Er hätte alle Schriftgelehrten und Pharisäer hinrichten lassen können.

Stattdessen ließ er sich selbst kreuzigen.

Wir müssen immer daran denken, dass Jesus sich nicht kreuzigen lassen musste, weil er sich nicht hätte wehren können, sondern Jesus wollte, dass die Gesetze der Gewalt und des Terrors und die Gesetze der Angst und der Erpressung aufhören.

Jesus hat diese bösen Gesetze durchbrochen und zerbrochen, indem er selbst mit seinem Leben die andere Möglichkeit der Liebe zeigte. Er setzte die Liebe gegen die brutale Gewalt. In Christus hat sich die

Liebe als die stärkere Macht erwiesen.

Damit hat nun durch Christus das Wort "Stärke" einen neuen Sinn. Stark ist plötzlich einer, der liebt und der barmherzig ist. Und die Brutalität und das "Machthabenwollen" über andere Menschen ist eigentlich Schwäche. Christus ist ja auch wie ein großer Erzieher für uns, der mit dem Kreuz, mit dem Zeichen seines Lebens, Sterbens und Auferstehens, uns ein Urbild des neuen Lebens vor Augen stellt.

Wie geht der Weg dahin?

Zur Gewalttätigkeit kann man Menschen leicht erziehen, indem man ihnen Gewalt antut, die sie später weitergeben. Zur Liebe kann man Menschen nicht mit Gewalt erziehen, sondern nur durch Liebe. Der Weg zum Guten muss selbst gut sein. Das war eine große Versuchung, wo der Teufel in der Wüste an Jesus herantritt und sagt: Setz doch die Gewalt für’s Gute ein! Reiß die Gewalt an dich und verordne, dass die Menschen gut und liebevoll sein sollen! Aber Jesus erkannte, dass das nicht geht.

Der Weg zum Reich Seines Friedens und Seiner Liebe, der geht nur über den Weg der Liebe. Und der Weg selbst muss schon gut und liebevoll sein, sonst führt er zu nichts; sonst führt er wieder in diesen alten Teufelskreis der Gewalt und der Macht und dem Geschäft mit der Angst. Dieser Teufelskreis, wo einer immer den Druck weitergibt an den anderen. Dieser Teufelskreis ist nicht anders zu durchbrechen, als durch die Liebe. Man kann Kinder nicht zur Liebe zwingen, sondern im Leben mit ihnen müssen sie so viel Liebe erfahren, dass sie erkennen, dass dies der gute Weg ist, zu dem wir bestimmt sind. Es muss ein Starker auf seine Macht verzichten und seine Stärke in Liebe umwandeln.

Wir werden das Reich Gottes auch immer nur dann ausbreiten, wenn wir auf Macht und Gewalt und Intrigen und Erpressung verzichten.

Wer liebt, ist allerdings wehrlos und verwundbar. Wer in einer Welt der Gewalt auf Gewalt verzichtet, und die Vorstellungen von oben und unten, von groß und gering, von arm und reich nicht akzeptiert, sondern durchbricht, der muss mit Widerstand rechnen. Und Christus ist darum für uns das unübertreffbare Vorbild der Liebe Gottes.

Christus ist der erste, der ganz konsequent diese Wahrheit gelebt hat und der uns erfahren ließ, was eigentlich die Kraft und die Macht der Liebe ist. Er hat selbst ganz auf Gewalt verzichtet und hat ganz aus Liebe, ganz in Übereinstimmung mit Gott gelebt.

Und wenn Jesus zögerte, und wenn er versucht war, doch die Macht anzunehmen, dann war das die Versuchung, doch auf Gewalt zurückzugreifen. Er hat diese Versuchung besiegt. Er hat dieser Versuchung widerstanden. Und wir müssen uns immer daran messen lassen und selbst auch dieser Versuchung widerstehen.

Man kann Gewalt nicht als Mittel für den guten Zweck einsetzen!

Seit Christus haben wir das Kreuz in unserer Kirche. Es steht Über unserem Leben. Wir kommen nicht daran vorbei! Keiner in der Weltgeschichte kann sich vorbei mogeln! Er muss sich entscheiden, ihm auszuweichen oder es anzunehmen. Das Kreuz ist das Zeichen dafür, dass der Stärkste auf alle Gewalt verzichtet hat und dass einer den Weg der Liebe ganz und gar und ohne Einschränkung gegangen ist.

Die Auferstehung ist dann das Zeichen, das Gott von oben gesetzt hat und gesagt hat: Dieser ist es, dieser Weg ist der Weg zum Heil und zum Reiche Gottes.

Einer von uns, ein Mensch, ist bei Gott angekommen auf dem Weg der Liebe. Und darum folgen wir Christus nach. Und sein Wort und Sakrament, das haben wir gleichsam unterwegs auf dem Weg zu ihm.

Auf Ihn sind wir getauft. Und darum lasst uns auf Seine Liebe hin leben, Sein Kreuz und seine Auferstehung vor Augen.

Habt also kein Mitleid mit Jesus. Er war nicht schwach, sondern er war der Stärkste, der auf Gewalt verzichtet hat und ganz setzte auf die Macht der Liebe. Wir können kein Mitleid haben mit Christus, sondern nur grenzenlose Bewunderung und Liebe, weil er uns hinein genommen hat in die Kraft seines innigen Verhältnisses zu Gott und In die Kraft seiner Liebe, die über uns ausgegossen ist.

Lasst sie ein in eure Herzen, dass wir zu einer Gemeinde werden, die aus dieser Kraft allein lebt - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!