Predigt 615 zum Konfirmation in St. Johannis

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Predigt vom 17.04.1988 - Pastor Schnabel - Konfirmation in St. Johannis - 1. Kor. 3, 22-23

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sein mit euch allen - AMEN!

Der Predigttext für diesen Konfirmationstag in diesem Jahr steht im 1.Korintherbrief im 3. Kapitel:

"Alles ist euer: es sei Paulus oder Apollos oder Kephas, es sei Welt oder Leben oder Tod, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Durch Christus sind wir mit Gott verbunden. Christus ist der Grund, den Gott für unser Leben gelegt hat.

Sind wir in Christus fest gegründet, dann sind wir in allem anderen frei.

Keiner von uns weiß ja, was ihm einmal auf seinem Lebensweg noch begegnet. Die Zukunft ist immer offen. Auf die Fülle des Lebens können wir uns nur einlassen in Freude und Leid, weil wir einen festen Grund haben, weil wir in Christus verankert sind; weil wir wissen, wo wir hingehören im Leben wie im Tod. Das gibt uns das Stehvermögen, von dem aus wir frei leben und handeln können.

Ich will das einmal in einem Gleichnis sagen:

Nachdem ich konfirmiert wurde, ging ich zur Tanzstunde. Bei der Tanzstunde wurde auch Anstand gelehrt. Da lernte man, wie man sich zu benehmen hat, wenn man in ein fremdes Haus kommt; wie man eine Dame zum Tanzen auffordert; wen man zuerst grüßt. Da gab es Regeln, die konnte man auch in Anstandsbüchern nachlesen. Aber ich merkte bald, dass man sich diese Regeln gar nicht alle merken kann. Und selbst wenn du hundert Regeln lernst, dann kommst du sicher morgen in die hundertzweite Situation und dafür hast du dann keine Regel, und du musst dann eben doch handeln und sprechen, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Das Leben ist zu vielfältig, als dass du dich selbst mit tausend Verhaltensregeln darauf genau einstellen könntest. Und vor allem fiel mir auf; fängst du erst an, alles nach auswendig gelernten Regeln im Leben machen zu wollen, dann wird dein Leben starr und hohl und lieblos. Dann kannst du keinem Menschen mehr spontan einen Kuß geben, sondern da schaust du dir selbst ständig über die Schulter und fragst: Darf ich das jetzt? Darf ich das nicht? Das ist So ähnlich, wie wenn du tanzen lernst. Am Anfang denkst du immer an die Schritte, die deine Füße tun und zählst vielleicht im Stillen den Takt ab. Aber du weißt: Das ist noch kein Tanzen. Du fängst erst dann wirklich zu tanzen an, wenn du dich der Melodie hingibst. Dann tanzt du nämlich von innen heraus und dann geht es wie von selbst. Tanzen nach Vorschrift, das ist so, wie Dienst nach Vorschrift; es klappt nicht.

Und ebenso geht Leben nach Vorschrift daneben.

Es kommt darauf an, dass wir eingestimmt werden auf die Melodie des Lebens, dass die von innen heraus klingt; dass wir da unsere feste Führung haben, dass wir erkennen, dass Gott in Christus diese Grundmelodie unseres Lebens angestimmt hat.

Er ist die Melodie, das Thema, an dem unser Leben entlang klingen soll.

Bei Christus kam die Kraft und die Unmittelbarkeit seiner Liebe ganz aus Gott. Und an diese Kraft will er uns anschließen; dafür ist er in die Welt gekommen.

Menschen, die für alles eine Regel und ein Gesetz haben, die beginnen sehr schnell, sich selbst und andere zu bewerten. Sie denken lieber viermal über eine Regel nach, ehe sie etwas aus Liebe tun. Sie schauen sich’ ständig über die Schulter und fragen sich: Mache ich’s jetzt richtig? Welche Zensuren bekomme ich von den anderen dafür? Bin ich auch gut? Vor allem wollen solche Menschen immer besser sein als die anderen. Pharisäer nennt man sprichwörtlich solche Menschen. Sie sind an ihre Regeln gekettet. Wir alle sind selbst geborene Pharisäer. Aber Christus ist in die Welt gekommen, um uns von diesem Zwang zu erlösen. Ein erlöster Pharisäer ist von sich selbst erlöst; er hat in Christus seinen Grund und ist darum für alles andere frei.

Wenn Christus in dir geistig gegenwärtig ist, dann kannst du geistesgegenwärtig leben. Das ist dann ein seliges Leben aus Gottes Melodie heraus. Geistesgegenwärtig bist du, wenn du eine Situation von innen heraus erfasst und dann wie von selbst das Richtige tust; handelst, wie Gott es will.

Der heilige Martin, nach dem unsere Kapelle in Deutsch Evern benannt ist, ist ein Beispiel für die Geistesgegenwärtigkeit. Der hat nämlich geistesgegenwärtig seinen Mantel genommen und ihn geteilt, und hat in dem Bettler seinen Bruder erkannt. Was der heilige Martin da getan hat, das hat er nicht im religiösen Anstandsbuch gelernt. Im Gegenteil; nach den Anstandsregeln hat er sich gehörig danebenbenommen. Aber er hat geistesgegenwärtig das Richtige getan. Und dass er sich damit vor seinen untergebenen Soldaten damals blamiert hat, das hat ihm nichts ausgemacht.

Der Apostel Paulus, von dem unser Predigttext stammt, war erst ein Pharisaer; eifrig und blitzgescheit. Bis ihn der Blitz aus heiterem Himmel traf. Da fiel er vom hohen Ross herunter und wurde von Jesus Christus erlöst von dem Gesetz und von sich selbst. Und er gehörte von da an zu Christus und brachte die frohe Botschaft von der Liebe Gottes in die ersten Gemeinden rund um das Mittelmeer. Dort wuchs in Korinth eine Gemeinde, Menschen ließen sich taufen, wurden auch erlöst und ergriffen vom Heiligen Geist. Aber bald schimmerten aus diesen getauften, wiedergeborenen Menschen, die alten Pharisäer wieder durch. Gruppen und Parteien entstehen.in der Gemeinde von Korinth. Wir würden heute sagen; so eine Art "Fanclub". Der eine schwört auf den Lehrer Kephas; der andere auf Apollos; die dritte Gruppe auf Paulus. Paulus hört davon und schreibt einen Brief, und die drei Sätze, die wir heute gehört haben, stammen aus diesem Brief.

"Alles ist euer: es sei Paulus oder Apollos oder Kephas, es sei Welt oder Leben oder Tod, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes."

So hört: Paulus sagt eben nicht, meine Partei ist wahrscheinlich am nächsten an der Wahrheit dran und sie hat die besten Regeln. Sondern er sagt: "Alles ist euer, ihr aber seid Christi." Das ist der Genitiv, das heißt: Ihr gehört der Herkunft nach zu Christus. "Christus aber ist Gottes". Wieder der Genitiv; Christus gehört der Herkunft nach zu Gott. Allein auf seine Geistesgegenwart kommt es an. Durch Christus seid ihr mit Gott verbunden. Nun macht nicht wieder Einzelgebote und Gesetze, mit denen ihr euch dann wieder rühmen könnt, mit denen ihr euch selbst groß machen könnt und die anderen klein. Im Vergleich; wir sind besser als die; wir sind fester im Glauben als andere. Nein! Es geht vor allem darum, dass ihr Christi seid, darauf kommt es an. Aus dieser Bindung, aus diesem Einssein mit Gott, kommt die Freiheit und die Sicherheit und die Kraft der Liebe allem anderen im Leben gegenüber.

Damals in Korinth ging es um das Essen von Götzenopferfleisch und um andere Dinge, die uns heute fremd sind. Fremd ist uns heute aber nicht die pharisäische Gesinnung. Gegen die müssen wir immer wieder ankämpfen. Diese Gesinnung zielt nämlich immer darauf ab, besser und reicher und größer zu sein als die anderen.

Christi sollt ihr sein, sagt Paulus, denn Christus ist Gottes. Ihm gehören, seiner Melodie folgen, darauf kommt es an, daraus ergibt sich alles andere.

Nun gibt es mehr Kirchen auf der Welt, als unsere lutherische Kirche. Es gibt Kirchen, da machen die Pastoren ihren Kragen hinten zu; und Kirchen, da machen die Pastoren ihren Kragen vorne zu; manche tragen eine Stola und schwenken ein Weihrauchfass; und andere tragen einen Straßenanzug im Gottesdienst. Es gibt Christen, die rauchen und trinken; es gibt Christen, die leben vegetarisch; es gibt Christen, die schweren Herzens Soldat sind; und es gibt Christen, die den Wehrdienst verweigern. Es gibt Christen, die Arbeitgeber sind und Christen, die Arbeitnehmer sind. Es gibt Christen in den verschiedenen politischen Parteien unseres Landes.

Wenn nun einer ankäme und zu Paulus sagen würde: Lieber Paulus, wir vegetarischen Christen, wir sind die besseren! Oder: Paulus, wir, von dieser Partei, wir sind die besseren! So würde Paulus sich nicht darauf einlassen, sondern sagen: Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes; darauf kommt es an!

Paulus verbietet den Korinthern nicht, sich zu dieser oder jener Gruppe zu halten, sondern er sagt: Das ist zweitrangig! Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes. Das ist erstrangig, von daher ergibt sich alles andere und ordnet sich alles zu.

Wer an Christus, an den Einen, gebunden ist, der handelt und lebt in seinem Sinn und Geist. Und der hat sozusagen die Hände frei, der kann geistesgegenwärtig in allem das Richtige tun.

Dazu sind wir auf der Welt. Diese Welt könnte man vergleichen mit einer großen Werkstatt; einer Werkstatt des Heils. Und jeder von euch hat einen Platz in dieser Werkstatt des Heils so lange er lebt.

Und selig ist, wer in dieser Werkstatt den Plänen der Melodie Christi folgt,

Selig ist, wer Christi ist, wer in dieser Werkstatt der Welt mit seinem Leben baut, Leid trägt und sanftmütig ist; wer hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, wer barmherzig und friedfertig ist; denen gehört alles, der Himmel und die Erde.

Denn wir haben einen Herrn, das ist Jesus Christus, und der ist von Gott, und der ist bei uns alle Tage, bis an das Ende der Welt - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!