Predigt vom 08.05.1988 - Pastor Schnabel - Rogate - Kol 4, 2-4
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Ihr Lieben!
Dieser Sonntag heißt "Rogate". Wir haben an den letzten drei Sonntagen Jubilate, Kantate, Rogate, die wichtigen Dinge gehört, die wir unterwegs brauchen.
Jubilate; jubiliert Gott, Kantate; lobsingt ihm und heute Rogate; betet! "Jesu geh voran, auf der Lebensbahn", das ist ein Bild vom Leben wie auf einer Wanderung. Auf dieser Wanderung brauchen wir eine Orientierung, und das geht nicht ohne Gebet.
Dies ist zugleich auch der dritte Sonntag, an dem wir von Paulus hören. Paulus, der Stehaufmann; die Kinder haben an den letzten Sonntagen eine Paulusfigur gemacht, mit einem runden Bleifuß, die immer wieder aufsteht. Paulus, der Christus dient und aus Seiner Kraft lebt. Paulus, der im Gefängnis sitzt, mit blutig geschlagenem Rücken, und dabei Gott anbetet und singt und lobt. Paulus, der sogar seinen Gefängniswärter für Christus gewinnen kann. Paulus, der hat das Gegengewicht in sich aus Gott und darum fällt er nicht hin. Paulus ist in Rom an der Via Appia gekreuzigt worden, wie sein Herr Jesus Christus. Und ich bin sicher, dass auch Paulus auferweckt wurde, denn Jesus hat gesagt: "Wie ihr glaubt, so geschehe euch!"
Hört nun heute, was Paulus an die Gemeinde in Kolossea schreibt im Kolosserbrief im 4. Kapitel:
"Seid beharrlich im Gebet, und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, dass Gott eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muss."
Gott segne an uns dieses Wort!
Hier gibt ein erfahrener Mann seine Erfahrung weiter. Und die Erfahrung heißt: Beharrlich beten und Gott danken, das bringst’s! Paulus schließt noch an, dass die Gemeinde in Kolossea für ihn beten möge, denn er predigt Gottes Wort, und er will Menschen retten. Aber Paulus weiß auch: Gott muss die Herzenstüren öffnen, sonst dringt kein Wort von Gott in ein Menschenherz ein; sonst kann kein Mensch gerettet werden. Sonst kann kein Mensch ein neues Leben in Christus anfangen.
Hier beschreibt Paulus das Gebet so wie einen Schlüssel, um die Tür eines Menschenherzens zu öffnen. Ich hoffe, die Konfirmanden haben alle einen Schlüssel mitgebracht, ja? Dieser Schlüssel ist ein altes Symbol. Der Schlüssel öffnet Türen, der kann den Himmel öffnen, der öffnet unbekannte Räume.
Paulus sagt: Haltet beharrlich an dem Gebet! Das heißt; betet täglich! Gott danken, Gott bitten, auch mit Gott streiten. Das Beten hält uns in Bewegung, wir bleiben in Erwartung und wir bleiben unterwegs und wir bleiben mit Christus verbunden.
Während ich das sage, weiß ich nicht, welche Erfahrung ihr mit dem Gebet habt. Beten ist etwas sehr Intimes; man kann es schwer beschreiben. Ich bin sicher, dass alle in diesem Raum eine Ahnung vom Beten haben. Aber ich weiß nicht, ob alle regelmäßig beten. Mancher Mensch ist enttäuscht. Enttäuscht meistens durch ein altes Vorurteil; dass nämlich das Gebet die Tat ersetzen soll. Und nur, wenn nichts mehr aus eigener Kraft geht, dann sagen wir: Na ja, wenn gar nichts anderes hilft, dann hilft nur noch beten, dann kann man’s zumindest damit versuchen. Und dann gehen auch die härtesten Menschen auf die Knie zum Beten. Das ist gut so. Und es stimmt, was das Sprichwort sagt: "Not lehrt beten". Das ist eine Erfahrung, die gilt und die wahr ist. Aber es ist schwer, mit einem Menschen in Not zu beten, der zuvor nur selten gebetet hat. Beharrlich und ständig und täglich beten, das bringt dich weiter. Das kann keiner dir vorrechnen, da kann man nur ein Rezept geben und sagen: Bete einmal zehn Wochen lang täglich, dann erfährst du die Kraft des Gebetes. Täglich das Vaterunser beten. Aus vollem Herzen sagen; Gott sei Dank! Das Vaterunser beten so, wie wir es nach dem Konfirmandenunterricht immer tun. Darin kommt alles vor, was wir brauchen zum Leben. Das ist das geistliche Überlebensgepäck für unterwegs. Beharrliches Beten hält uns auf dem Weg, auf dem Lebensweg; zu dem Ziel hin, das Gott uns in Christus gesetzt hat.
Wenn du unzufrieden bist, sollst du im Gebet aufzählen die vielen Segnungen, die dir täglich zuteil werden; fang mit den einfachen Dingen an und lass nichts aus, dann erinnerst du dich, dass du ein Geschöpf Gottes bist, dass du behütet wurdest und dass du dein Leben gar nicht selbst verdient hast. Und vor allen Dingen ist da die große Gnade, dass du es auch gar nicht selbst verdienen musst. Das macht dich frei.
Ein Mensch müsste schon aus Stein sein, wenn er bei den Aufzählungen seiner Segnungen nicht dankbar werden würde und froh.
Ein großer Irrtum bei Menschen ist, dass sie das Gebet einsetzen wollen wie ein Werkzeug, wie eine Methode, wie einen Hebel. Dahinter steckt nämlich die Torheit, hier bin ich und dort ist die Aufgabe, und jetzt setze ich das Gebet ein wie einen Hebel. So, wie man Strom einschaltet, oder einen Motor in Bewegung setzt.
Das geht so nicht mit dem Beten! Beten ist eine Einstimmung auf das Tun und eine Einstimmung auf Gott. Das wirkt zurück. Das, was wir tun, wirkt zurück auf den, der betet. Im Gebet erfährst du eine Kraft, die dir geschenkt wird. Beten gehört in einen Zusammenhang: Wer glaubt, betet und wer betet, glaubt; das wirkt in beide Richtungen.
In der letzten Woche bin ich einmal auf dem Hauptpostamt in Lüneburg gewesen. Da steht ein BBX-Gerät zur Werbung. Damit habe ich gespielt. Da kann man auf dem Bildschirm Seiten vor und zurück blättern. Man bekommt ein Inhaltsverzeichnis. Da ist auch eine Taste für christliches Leben. Tut das mal, es kostet nichts. Da gibt es auch Gebete. Auf dem Bildschirm habe ich dieses Luthergebet wieder gelesen, das ich vor Jahren schon einmal hörte. Luther sagt, du musst arbeiten, als ob alles Beten nichts nützt, und du musst beten, als würde alles Arbeiten nichts nützen.
Damit ist gut gesagt, wie Gebet und Tat einander durchdringen. Wir haben heute den Gottesdienst mit einem Gebet begonnen, mit einem Lied; Lieder sind auch gesungene Gebete. Auch das wirkt zurück auf uns. Kein Mensch kommt aus diesem Gottesdienst wieder so heraus, wie er hineingegangen ist. Wir haben gesungen "Kyrie eleison" - "Herr, erbarme dich!" Das heißt: Christus, sei jetzt geistig gegenwärtig! Und das meinen wir: Erbarme dich unserer Armut! Es ist eine große Hilfe, wenn du vor Gott im Gebet sagen kannst: Ich bin neidisch, ich bin bösartig und geizig gewesen und jähzornig. Es ist eine Hilfe, wenn ich das vor Christus bekennen kann. Es ist zwar bitter, das zuzugeben, aber es ist wahr. Und wenn sich etwas ändern soll, müssen wir in die Wahrheit hineinkriechen. Und es ist eine glückliche Erfahrung, das bekennen zu können, ohne dass mein Herr mich fallen lässt.
Beten gehört in den Zusammenhang eines Lebens. Ich will das zum Schluss noch einmal in einem Gleichnis sagen. Wir können über die Tiefe unseres Seins, über Heiliges, nur in Bildern und Gleichnissen reden.
Ich sagte zu Anfang: Jeder Mensch ist unterwegs auf seinem Lebensweg. Auf diesem Lebensweg, meine ich, kann man auf zwei Weisen unterwegs sein. Die einen gehen als Wanderer über diesen Lebensweg nach Hause, und die anderen wie Jogger. Ein Jogger ist auf einem Weg von Asphalt unterwegs. Da gibt es kein Innehalten, keine Umkehr, keine Überraschungen. Ein Jogger, der hat seine Stoppuhr und der bringt sein Pensum. Der ist enorm leistungsfähig und rennt schwitzend durch den Wald. Der Jogger könnte aber eigentlich auch einen Heimtrainer benutzen oder im Kreis laufen. Er sieht nicht, was an seinem Weg liegt, es kommt ihm auf die Herzfrequenz und auf den Stoffwechsel an. Viele Menschen sind in ihrem Leben unterwegs wie Jogger. Wenn ich durch den Tiergarten komme, grüße ich die einsamen Jogger. Aber sie grüßen nicht zurück, sie sehen verschwitzt und gequält aus; obwohl viele vorher im Solarium waren. Für Jogger ist das Laufen ein Selbstzweck.
Das ist die eine Möglichkeit. Bedenkt dies Gleichnis.
Die andere Möglichkeit, im Leben unterwegs zu sein ist, wie ein Wanderer zu gehen. Ein Wanderer hat ein Ziel. Ein Wanderer nimmt das Ganze der Wirklichkeit wahr. Er hört die Vögel singen. Er grüßt zurück, wenn man ihn grüßt. Er bleibt auch einmal stehen. Er sieht auch die Himmelschlüssel am Wegesrand. Der Wanderer geht querfeldein in eine bestimmte Richtung. Er geht auf Mutterboden und nicht auf Asphalt. Er geht über Hügel und durch finstere Täler; an Klippen vorbei. Ein Wanderer geht auch oben auf dem schmalen Grat eines Berges lang; da muss er aufpassen, dass er nicht abstürzt. Ein Wanderer singt, er bleibt stehen und schaut auch auf der Karte nach, wo er ist und wo sein Ziel zu finden ist. Der Wanderer sieht den Sonnenuntergang auf dem Berggipfel. Der Wanderer geht durch’s Jammertal; er erlebt innere Zusammenbrüche und Kriesen. Er betet, er stärkt sich im Glauben, dass er ankommen wird. Er wird auch überrascht von Herausforderungen, von den Ereignissen, die sich auf seinem Weg ergeben. Auf einem Hügel, beim Sonnenaufgang betet er: Mein Gott, wie ist das schön! Und dann im Jammertal, da klagt und weint er und fragt sich: Warum gehe ich diesen Weg? Sein Weg hat Kriesen und Brüche und besteht aus unvorhersehbaren Ereignissen. Ein Wanderer erlebt auf seinem Lebensweg Weltschmerz und Liebeswonne, und er muss an seinem Weg auch Totenwache halten. So ist der Wanderer im Gleichnis, der Christi Weg nachfolgt.
Dagegen, der von Gott nichts gespürt hat, der ist wie der Jogger, der sich selbst programmiert hat und der nicht stehen bleibt und der seinen Weg nicht verlässt. Sein Leben hat keine Fastenzeiten und keine überschäumenden Feste, keine Wunder, keine Gottesdienste, keine Lieder, die er selber singt, und auch keine Gebete und oft auch keine Gebote. Jeder Tag läuft programmiert ab. Der Jogger weiß genau, dass er am Abend an der gleichen Stelle sein wird, wie am Morgen. Und spätestens im Alter fragt er sich: Das kann doch nicht alles gewesen sein?!
Nun kann es ein Glück sein, dass in ein Menschenleben, in so ein programmiertes Leben, das Schicksal hineinfährt; dass es durcheinandergebracht wird. Es kann ein Glück sein, obwohl sich’s keiner raus sucht. Ein Jogger kann dann ein Wanderer werden, der unterwegs ist in seinem Leben zu Gott.
Beten ist wie der Gesang oder das Sprechen des Wanderers unterwegs. Der Wanderer vergewissert sich immer wieder, wo das Ziel seiner Lebenswanderung ist. Der Wanderer geht gern zu zweit oder zu dritt mit Menschen, die das gleiche Ziel haben.
Wir Christen sind wie Wanderer; wir wissen, wir bleiben nicht ewig hier, wir sind unterwegs auf einem Durchgang. Diese Erde ist ein Ort der Bewährung unterwegs. Wir machen mal Rast und wir gehen weiter, miteinander, bis wir zu Gott heim kommen.
Wenn wir so unser Leben begreifen, dann können wir gar nicht anders, als beten; in diesem Zusammenhang im Namen Jesu beten.
So bleiben wir unterwegs und bleiben wie Wanderer, die anderen Menschen liebevoll begegnen. Die einen Blick haben für das, was am Wege liegt und die mit geschärften Sinnen weitergehen, hinter Christus her, der uns der Weg und die Wahrheit und das Leben ist und der uns das Beten gelehrt hat, der unsere Sinne auf das Ziel gerichtet hat, bei dem wir ankommen sollen - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!