Predigt 624

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Predigt vom 19.06.1988 - Pastor Schnabel - 1. Joh. 1, 5ff

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Wir hören heute das Wort aus dem 1. Johannesbrief im ersten Kapitel. Da schreibt der Apostel:

"Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir’ und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.

Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. Und daran merken wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, dass wir in ihm sind. Wer sagt, dass er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

In Sachsen wird erzählt, es sei ein Konfirmand nach dem Gottesdienst nach Hause gekommen und die Mutter fragt ihn: "Na, wovon hat denn der Pastor gepredigt?" Er sagt: "Ach, von der Sünde!" "Na und, was hat er gesagt?" fragt die Mutter. Da sagt der Junge: "Nu, er war dagegen!"

Dass wir gegen die Sünde sind, das ist klar. Das Wort "Sünde" hat eine gewisse Verharmlosung erfahren: "Kann denn Liebe Sünde sein?“ singt eine Dame mit rauchiger Stimme. Und es ist merkwürdig, dass manchmal selbst die Christen mit dem Wort gar nicht mehr so viel anfangen können.

Dieses Bibelwort verweist uns darauf, zu hören was Sünde ist.

Ein Sünder ist ein Schuldner. Wir schulden Gott Gehorsam. Sein Reich komme - Sein Wille geschehe - Seine Gebote - Sein Geist…; darum geht es.

Wenn wir unserem Leben selbst einen Sinn geben wollen mit dem, was wir selbst zu sein meinen, dann bleiben wir Gott den Gehorsam schuldig. Dass wir uns damit die Hölle bereiten und an unserem Größenwahn zugrunde gehen, das sei hier nur am Rande bemerkt.

Sünde ist eine Grundhaltung.

Darum hat Martin Luther das Auflisten und unterscheiden vom lässlichen Sünden und Todsünden abgelehnt. Sondern er hat immer verwiesen auf das, was in der Bibel steht. Da steht nämlich, dass die Sünde eine Grundhaltung ist, aus der die schlimmen Taten folgen, aus der ein leeres, armseliges und unerfülltes Leben folgt.

Sünde ist unsere menschliche Tendenz. Die Tendenz, selbst das Maß der Dinge zu sein, selbst nur das für möglich zu halten und für richtig zu halten, was ich selbst machen und einsehen kann.

Ich will jetzt mal zum besseren Verständnis dieses Textes die Menschen in drei Gruppen aufteilen:

Da sind erstens die, die sagen: Wir sind keine Sünder, weil uns gar niemand zur rechenschaft zu ziehen hat! Wir sind Menschen und Gott gibt’s nicht, damit ist alles klar!

Zweitens sind da die Menschen, die bekennen, dass sie Sünder sind. Und die dritte Gruppe, das sind die begnadigten Sünder.

Erstens: die Menschen, die von sich sagen: Ich bin kein Sünder! Das mit der. Sünde, das will die Kirche den Menschen nur einreden, damit sie klein gemacht werden! Es gibt keinen Gott! Der Mensch gehört sich selbst! Er soll alleine sehen, dass er ein ordentliches Leben führt! Gewöhnlich folgen solchen Bekenntnissen noch Aufzählungen guter Taten, die übrigens gar nicht aus der Luft gegriffen sein müssen, sondern sehr beeindruckend sein können. Oder es sind Menschen etwas vornehmeren Gesinnung, die dann schweigen, aber sie bleiben dabei; ich muss mein Leben vor mir selbst verantworten, ich mache es gut, ich brauche mir nichts vorwerfen zu lassen!

Wer kein Sünder ist, der ist selbst gerecht - von daher kommt das Wort "selbstgerecht" Der hat keine andere Instanz, die ihm Recht oder Unrecht zuspricht, sondern er ist selbst gerecht. Dass ein Mensch, der Gottes Wahrheit noch nicht begegnet ist, sagt: ich bin kein Sünder! Das ist ganz folgerichtig.

Zweitens die andere Gruppe, das sind die Sünder. Das sind Menschen, die auf verschiedene Weise Gott begegnet sind. Die haben eine Ahnung davon, dass Gott, der absolute Geist, der alles geschaffen hat, uns Menschen eine Bestimmung gegeben hat. Sie begreifen ihr Leben sozusagen als Geschöpfe, die auf dem rechten Weg ans Ziel kommen sollen, und sie wissen; wenn ich das Ziel nicht erreiche, bleibe ich Gott etwas schuldig. Sünder kennen die Zehn Gebote auf der Tafel ihres Herzens. Sie haben das in ihr Gewissen aufgenommen, und darum erkennen sie im Lichte der Wahrheit Gottes ihre eigene Finsternis. Sie sind dem Licht begegnet und tragen schwer daran, dass sie in diesem Licht nicht gut dastehen. Sie genügen der Wahrheit nicht. Das erkennen sie aber erst im Licht. Sünder erkennen, dass sie dem Anspruch Gottes nicht genügen; dass sie es allein nicht schaffen. Sünder erkennen im Grunde im Lichte der Wahrheit an sich selbst die Grundhaltung der Nichtsünder. Sie erkennen diese Grundhaltung als Sünde, die der, der meint, kein Sünder zu sein, für ganz normal hält.

Ich will es nochmal in einem Beispiel sagen: Sünder, und welche, die sagen; ich bin kein Sünder, die sind im Grunde wie zwei Maulwürfe. Sie sind beide schwarz. Aber der eine Maulwurf, der ist einmal aus der Dunkelheit seines Tunnels ans Licht gekommen, und dort hat er im Lichte erkannt, dass er schwarz ist. Und er kommt zurück zu den anderen Maulwürfen und sagt: He, wir sind schwarz! Aber die anderen bestreiten das, weil sie nie am Licht gewesen sind; weil sie dem Licht noch nicht begegnet sind. Darum wissen die Sünder mehr als die Nichtsünder, die jede Sünde von sich weisen. Solange einer die Forderung nicht kennt, weiß er nichts von seiner Schuld.

Was Finsternis ist, erfährst du erst, wenn du im Licht warst. Und Gott ist wie das Licht. Und Sünder sind von Gott angestrahlte, ausgeleuchtete Menschen, deren Dunkelheit aufgedeckt wurde.

Und darum, ihr Lieben, können wir nicht mehr sagen: Wir haben keine Sünde!

Früher redete man Fürsten an mit einem Hoheitstitel: "Euer Durchlaucht". In diesem "Durchlaucht" steckt "durchleuchtet"; von Gottes Geist durchleuchtet.

Und mir kam so in den Sinn, dass eigentlich wir, die wir wissen, dass wir Sünder sind, uns anreden müssten gegenseitig mit "Euer Durchlaucht". Besonders nach der Beichte, wenn wir gebetet haben: "Herr, im Lichte deiner Wahrheit erkenne ich, dass ich versündigt habe in Gedanken, Worten und Werken". Da müssten wir einander mit "Euer Durchlaucht" anreden. Denn, durchlauchtigte Gemeinde, wir sind ja erleuchtet. Und wir wissen, dass wir Sünder sind, Und Sünder sein, ist zwar nicht rühmlich, aber es ist wahrhaftig. Und die Wahrheit über unseren Zustand zu kennen, ist ein großer Gewinn. Zu erkennen; ich bin ein Sünder, ist enttäuschend, aber danach bist du eben auch von deiner Täuschung befreit und erkennst, wie es wirklich um dich bestellt ist:

Dass du die Erlösung brauchst, dass du deinen eigenen Sinn deines Lebens nicht schaffen kannst. In dieser Erkenntnis steckt auch die Befreiung, dass du es sein lassen kannst, den Sinn deines Daseins durch deine Leistung zu schaffen.

Die dritte Gruppe, das sind die begnadigten Sünder. Die haben im Grunde die beiden ersten Stadien durchlaufen. Die waren erst Nichtsünder, dann erkannten sie im Lichte der Gebote Gottes, dass sie Sünder sind, und schließlich begegneten sie Jesus Christus, der Liebe Gottes, und wurden begnadigt, und seitdem sind sie begnadigte Sünder. Nun muss ich gleich dazusagen, dass kein Mensch es lange in dem Mittelzustand des "Sünderseins" aushält. Er muss entweder vorwärts zum Stadium des begnadigten Sünders, oder er fällt zurück und muss seine Sünde bestreiten. Denn es hält keiner im Lichte der Wahrheit Gottes lange aus, ohne die Gnade geschmeckt und gespürt zu haben. Da muss ein Mensch schnell zurück in die erste Stufe und vor Gott behaupten: Ich bin gar nicht so schlimm, ich bin gar kein Sünder! Solange er die Gnade nicht erfahren hat, muss er wieder in sein Erdloch kriechen um ohne Gottes Licht zu leben, sonst kann er es nicht aushalten.

Oder aber die Sünder hören auf Christus und sie lassen sich an die Hand nehmen von ihm und sie vertrauen seiner Führung. Dann kommen sie ja auf die höchste Stufe des begnadigten Sünders. Der begnadigte Sünder ist eben immer noch ein Sünder, das weiß er, seitdem er im Lichte Gottes steht. Aber er ist in Christus jetzt der Liebe Gottes begegnet, und er kann die Wahrheit eben auf Grund der Liebe aushalten.

Christus hat: uns Sünder begnadigt, weil er uns in ein neues Verhältnis zu Gott gebracht hat. Er hat dieses Verhältnis abgebildet und verglichen in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, im Verhältnis zwischen Vater und seinem Kind.

Christus ist wie ein großer Bruder, der uns vor dem Vater vertritt.

Waren wir vorher Sünder wie Waisenkinder, die nicht wussten, wo sie hingehören, denen nur das harte Gesetz galt, so hat Christus jetzt für uns die Familienbande zu Gott freigelegt. Der verlorene Sohn, die verlorene Tochter, die sind wie begnadigte Sünder. Die Sünde wird da nicht verharmlost. Aber der verlorene Sohn oder die verlorene Tochter sind umgekehrt, nach Hause gekommen. Sie wissen sehr wohl, dass die Gerechtigkeit, die Gebote des Vaters, gelten. Aber sie haben darüber hinaus erfahren, dass seine Liebe eben größer ist.

Christus, unser großer Bruder, bekennt sich zu uns, und wir haben eine köstliche Verwandtschaft mit dem Königssohn. Er ist so groß, unser Bruder, Christus, dass wir ihm nicht in Kumpanei auf die Schulter klopfen können. Aber Er hat sich zu uns herabgeneigt, Er hat sich zu uns bekannt und sich der Verwandtschaft nicht geschämt.

Die das Licht der Wahrheit nicht ertragen konnten, die haben ihn gekreuzigt. Aber Er ist auferständen, und das zeigt, dass das Licht nicht aus der Welt zu bringen ist. Es strahlt und scheint bis in unsere Herzen hinein.

Zu uns, zu den begnadigten Sündern sagt Er: "Ihr seid das Licht der Welt!"

Nun können wir begnadigten Sünder nicht mehr damit angeben und sagen: Schaut her, unsere vornehme geistliche Abstammung! Wir verkehren in den besten Kreisen Gottes! Sondern leben sollen wir wie Er, und da endet unser Predigttext.

Begnadigte Sünder unter Sündern und Nichtsündern, die sollen das Licht gleichsam reflektieren. "Ihr seid das Licht der Welt!" sagt Jesus. Aber es ist nicht ein Licht, das wir selbst gemacht haben, sondern das uns bestenfalls durchleuchtet und andere erhellen kann. Im Lichte dieser Wahrheit und dieser wärmenden Liebe kann ja keiner von uns mehr herrschen oder angeben wollen. Wir begnadigten Sünder werden eben dadurch eine Gemeinde, dass wir begnadigte Sünder sind; Freigelassene, die früher gefangen waren. Die sich nicht selbst erlöst haben, die sich nichts mehr einbilden auf sich selbst, sondern denen auch die Liebe höher ist, als alle Vernunft.

Wir sind von uns selbst erlöst und müssen nichts mehr beweisen und können die Liebe weitergeben, die wir empfangen haben.

Seine Liebe hat uns begnadigt und verwandelt. Und unter den Strahlen dieses Lichtes können wir reifen und sollen wachsen zu Christus hin, der unser Haupt ist, unser großer Bruder, in dem wir Gottes Licht erkannt haben - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!