Predigt 625

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Predigt vom 26.06.1988 - Pastor Schnabel - 1. Petr. 3, 8-15

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Lasst mich zunächst den Predigttext für diesen 4. Sonntag nach Trinitatis in den Zusammenhang bringen.

Stellt euch vor, es fährt ein König über Land. Er will sehen, wie es um seine Untertanen steht. Und in der Vorstadt sieht er im Straßendreck einen kleinen Jungen spielen der ist verwahrlost, sein Hemd ist verdreckt, sein Gesicht ist schmutzig, man sieht nur das Weiße seiner Augen leuchten. Der König lässt den Wagen anhalten und ruft den Jungen ans Fenster. Und er sagt zu dem Jungen: Komm mal her! Geh jetzt nach Hause und wasch dich und kämme dich und halte dich sauber! Und wenn du das ein Jahr lang schaffst, dann komme ich wieder und nehme dich mit auf mein Schloss, und dann sollst du mein Sohn sein, das Königskind!

Was meint ihr, ob der Junge nach einem Jahr wirklich ein Königssohn sein wird?

Nach einem Jahr kommt der König wieder und findet den Jungen natürlich wieder in seiner vertrauten Umgebung. Er hat sich nicht geändert. Er hat sich nicht gut gehalten, der Junge kann so kein Königskind werden. So wird das nichts. So kann die Geschichte nicht weitergehen; so wird das nichts mit dem Königssohn.

Da gibt es nur einen anderen Weg und der geht so:

Wieder der gleiche Anfang; der König fährt durch' s Land, er kommt in die Vorstadt, er sieht den Jungen da im Dreck und ruft ihn ans Fenster und sagt: Ich hab dich lieb! Steig ein, ich nehme dich mit so, wie du jetzt bist! Und er nimmt den armen Jungen mit auf’s Schloss, und dort wird er gewaschen - gewaschen ist wahrscheinlich zu wenig, er wird geschrubbt - und er wird gekämmt und bekommt Prinzenkleider anzuziehen; und jetzt ist er ein Königssohn. Natürlich wird auch das nicht so schnell gehen. Ich stelle mir vor, dass er immer noch die Marmortreppen runterrutscht und durch den Spiegelsaal saust und kostbare Vasen umreißt, und bei Tisch isst er noch manchmal wie ein Ferkel. Aber da ist ein Hofmeister des Königs, und der ermahnt ihn und erzieht ihn und sagt ihm geduldig immer wieder: Für einen Königssohn gehört sich das nicht! Und in all den Ermahnungen bleibt dieser Junge natürlich das, was er ist; nämlich ein Königssohn. Und an seiner Adoption wird nicht gerüttelt. Und so lebt der Junge langsam hinauf zu dem, was er nun ist nach seinem neuen Stand.

So ähnlich sind wir Christen selber dran: Gott ist wie der König im Gleichnis und wir sind wie die adoptierten Königskinder; Kinder Gottes, die reingewaschen sind, die Gott adoptiert hat. Daran ist nicht zu rütteln.

Aber es besteht eben bei uns auch leicht die Gefahr, dass wir uns mit dem neuen Status zufrieden geben, uns vielleicht damit dekorieren, aber unser altes Leben weiterführen.

Darum möchte ich die Bibel vergleichen mit dem Hofmeister in dem Gleichnis: Es ist Gottes Wort, das uns immer wieder daran erinnert; ihr seid Gottes Kinder, lebt hinauf zu diesem neuen Status, diesem neuen Sein!

Weil Christus unser Herz angerührt hat, findet Gottes Wort in uns überhaupt einen Grund, an den es appellieren kann; wo es verfangen kann in unseren Herzen.

Das ist nicht unser Verdienst. Wir sind nicht selbst in der Lage, das neue Leben zu verdienen. Es ist uns geschenkt durch Gottes Gnade. Und es gilt, in unserem Leben dieses neue Sein auszufüllen.

Es ist also das Wichtigste am Evangelium, was Luther immer wieder betont hat: Nicht erst die Leistung und dann der Lohn, wie es sonst im leben zugeht, sondern: Erst die Liebe Gottes, erst die Würde, erst der neue Stand, und dann das neue Leben, das daraus folgt.

Wir habe doch in Christus erfahren, dass wir es ihm offensichtlich wert sind, gehoben und geborgen zu werden von ihm, in diesen neuen Stand der Gotteskindschaft hinein.

Wir haben vor Gott alle keine Karriere gemacht auf Grund unserer Leistung. Sondern wir gleichen dem Jungen, der von der Straße aufgelesen wird und dessen Leben in einen neuen, strahlenden Zusammenhang gebracht wird, der zum Gottessohn wird. Wir sind adoptiert worden, und Christus hat uns gleichsam mit auf das Schloss genommen; in das Reich Gottes, um das wir in jedem Vaterunser beten.

Wenn uns Gott nun erzieht, dann mag es mit uns auch Rückfälle geben und Schuld und Versagen, aber wir bleiben seine Kinder.

Und als Gottes adoptierte Kinder wollen wir jetzt hören, was die Bibel uns heute sagt wie ein Hofmeister. Da steht im 1. Petrusbrief des Neuen Testaments im 3. Kapitel:

"Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr Segen erbt. Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun« (Psalm 34, 13-17). Und wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nach eifert? Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen."

Gott segne an uns dieses Wort!

Vor allem sollen wir gleichgesinnt sein, ihr Lieben. "Gleichgesinnt" ist das, was wir heute mit "Konsens" bezeichnen. Wir sind verschiedene Menschen, mit verschiedenen Begabungen. Wir sind auf verschiedenem Weg zu Christus gekommen. Wir sind in verschiedenem Alter, in verschiedenen Lebenslagen. Und doch ist Christus der eine Bezugspunkt. Das haben wir alle hier in diesem Raum gemeinsam; das ist unser Konsens, das, worauf wir uns gemeinsam in unserer Verschiedenheit verstehen.

Das Nächste ist eine Moralpredigt in diesem Bibelwort. Wenn wir die Ermahnungen in die negativen Gegenbegriffe umkehren, dann wird es uns ganz deutlich, dass wir ja im Grunde wissen, dass wir uns mit einem zwieträchtigen, hartherzigen, feindseligen, habgierigen, hochmütigen Leben die Hölle selbst.bereiten. Das kann bis dahin führen, dass wir unseren Leib schädigen.

Wer das Leben liebt und gute Tage sehen will, sagt die Bibel, der sei gleichgesinnt, brüderlich, barmherzig, demütig zu anderen. Denn damit leben wir hinauf zu dem, wozu uns Gott bestimmt hat. Nur über dem Guten steht Gottes Verheißung eines seligen Lebens. Diesen Zusammenhang gilt es zu erkennen: Dass wir durch das Gute, das wir tun, uns selbst Gutes tun, und dass das Böse, das wir tun, uns selbst befleckt, weil es unter unserer Würde ist.

Wir haben heute im Evangelium die Anweisungen Christi gehört: Seid barmherzig! Und dann wird immer der Zusammenhang aufgewiesen: Seid barmherzig; dann ist Gott mit euch barmherzig! Verdammt nicht, dann werdet auch ihr nicht verdammt! Richtet nicht, damit auch ihr nicht gerichtet werdet! Das gilt. In diesen Zusammenhang müssen wir hineinleben. Der alte Adam und die alte Eva in uns, die wehrt sich natürlich zuerst. Wir denken immer gleich an Einschränkung und Verzicht, als ob uns da etwas abgeschnitten würde. So, als müssten wir zu den vielen Pflichten, die wir im Alltag haben, nun auch noch Gott dienen und da auch noch Gutes gequält tun. Das ist der alte Adam und die alte Eva in uns, die kriegt es mit der Angst zu tun, weil die sich festgekrallt hat in die eigenen Werke. Dabei gibt uns Christus ja gerade die Freiheit, loszulassen.Es ist vielmehr verlockend, in:Gottes Reich zu leben. Wer das Leben liebt und gute Tage sehen will, sagt unser Text, der lebt nach Gottes Geboten, und ein überfließendes Maß an Segen ist uns verheißen. Ihr sollt gute Tage sehen. Wenn ihr dem Guten nacheifert, dann kann euch keiner schaden. Natürlich gibt es Widerstände. Um der Gerechtigkeit willen müssen wir auch leiden. Aber das Leiden um der Gerechtigkeit willen ist nichts gegen die Seligkeit, die wir dabei erfahren.

Vergelte nichts Böses mit Bösem! Das leuchtet ein. Auch wer Gottes Wort nicht hören will und kein Christ sein will, der kann sehr wohl verstehen, dass es eine Kettenreaktion des Bösen gibt, die man nur unterbrechen kann, wenn man keine Rache übt.

Aber da bleibt Christus nicht stehen; Christus geht weiter. Er sagt - und das ist gleichsam der Höhepunkt dieses Wortes heute: segnen sollen wir auch die Widerwärtigen. Und dieses Wort soll uns nun einleuchten. Denn dieses Wort "segnen" im Neuen Testament in der griechischen Bibel, das steht da für "Eulogeo". Eu - im "Euangelion" - da ist das "Evangelium" draus geworden. Eu - das kann man sich gut merken - Eu auf Griechisch "Freude" - die frohe Botschaft - Eu. Und Euangelion, da ist der Angelus drin, der Bote. Also "die frohe Botschaft", das Evangelium; Euangelion. Und hier haben wir Eulogeo - loge heißt; erwägend, klug reden, sagen. Das ist logisch, sagen wir, das Wort "Logik" kommt da her.

Also; Eulogeo steht da und das heißt: "Gutes in das Leben hinein sagen". Das hat Luther übersetzt mit "Segen". Es bedeutet: "Gutes in das Leben hinein sagen". Bei Segen denken wir immer an das Liturgische, Wenn der Pastor das Zeichen des Kreuzes macht, das ist auch ein Segen. Aber das ist jetzt das liturgische Segnen. Es gibt im Leben noch ein anderes Segnen; wenn du Gutes in das Leben des anderen hinein sagst.

Da heiraten zwei junge Leute und die Mutter sagt: Meinen Segen habt ihr! Ja? Und das tut weh, wenn sie den Segen nicht haben. Der Segen wirkt.Meine guten Wünsche begleite dich! Ich will Gutes in dein Leben hinein sagen; ich segne dich! Das heißt auch, Gott: gnadenreiche Kraft herbeiwünschen; das heißt segnen.

Und nun sagt die Bibel: Segnen sollst du die Menschen, die dir Steine in den Weg legen, die dir nachstellen, die dich verleumden, die dir nichts Gutes gönnen. Auch denen sollst du Gutes ins Leben hinein sagen, von dem Guten, das du selbst erfahren hast.1

Segnen ist eine große Tat und ihr merkt schon; segnen ist mehr, als auf Vergeltung zu verzichten. Man kann ja sagen: Gut, ich verzichte auf Rache, aber ich laure im Grunde drauf, dass der andere mal mächtig auf die Nase fällt. Hier wird mehr verlangt. Hier wird Segen verlangt. Hier wird von dir das verlangt, was Christus an dir selbst getan hat, das sollst du weitergeben. Du sollst nämlich appellieren an das, was in dem anderen Gutes steckt, du sollst an das Gotteskind appellieren, das auch in dem Bösewicht verborgen ist. Da sollst du ihm Gutes in sein Leben hinein sagen und ihn damit wachrütteln.

Du sollst in der Nachfolge Christi - und das steckt in diesem Wort "segnen" auch drin du sollst in der Nachfolge Christi durchaus aktiv dem anderen Gutes zusprechen. Und das heißt nicht, dass du das dumme Schaf sein sollst, das sich alles gefallen lässt. Ein Christ ist nicht der Watschenmann für andere, der alles schlucken soll. Das ist eine schlimme Karikatur, die durch die Köpfe geistert.

Wir haben doch Christus selbst vor Augen. Der war nicht der Watschenmann für andere. Und er hat sich auch nicht wie das dumme Schaf hinrichten lassen, sondern er hat um der Gerechtigkeit willen gelitten. Er ist unbeirrbar in der Kraft der Liebe und des Geistes Gottes geblieben und hat der Versuchung widerstanden, zu der äußeren, brutale Macht zu greifen, die er ja auch gehabt hätte. Wie er dem Petrus noch vor seiner Verhaftung sagt: Petrus, meinst du nicht, ich könnte eine Legion Soldaten anfordern? Darum geht es nicht! Er wollte ein neues Leben für uns stiften. Und er hat es getan. Und dieses neu gestiftete Leben hat sich in der Auferstehung als mächtig erwiesen. Nicht, weil er zu schwach war, um sich zu wehren, sondern weil er diesen neuen Weg aufleuchten ließ durch Kreuz und Auferstehung.

Sein Segen hat mehr Macht als jeder Fluch, den es auf der Welt gibt. Segnet und besiegt damit den Fluch, unter dem böse Menschen leben, damit sie befreit werden.

Aber um das zu tun - und da ist der Zusammenhang eben größer - da kann man nicht einfach sagen; ihr sollt segnen, segnen, segnen, sondern um diese Kraft dazu zu haben, müssen wir diese Kraft erst selbst empfangen um sie weitergeben zu können. Dazu müssen wir selbst immer den Segen Christi empfangen, denn sonst haben wir nichts weiterzugeben.

Christus segnet. Sein Geist sagt Gutes in dein Leben hinein. Er deutet unser Leben neu. Er bringt die Dinge in einen neuen Zusammenhang, damit wir frei werden.

Christus segnet. Er wünscht uns Gottes Gnadenreich und Kraft herbei. Er lässt uns nichts Böses durchgehen, eben weil er uns liebt.

Weil er uns in Gottes Reich gebracht hat, gibt sein Geist keine Ruhe, damit wir nicht rückfällig werden. Damit wir nicht zurückfallen in das Elend des selbstgemachten Lebens.

Keiner von uns soll sagen, es lohnt nicht zu segnen, die uns verfluchen. Denn Christus hat uns Straßenkinder ja selbst an den Königshof gebracht. Und darum gibt es Hoffnung für alle Menschen, auch wenn wir’s selbst persönlich manchmal nicht für möglich halten.

Segnet, dazu seid ihr berufen! Lasst euch selbst das Gute zusprechen und lasst es in das Leben der anderen hinein.

Denn Er hat uns gesegnet - und wir sollen ein Segen sein - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!

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