Predigt 626

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Predigt: vom 03.07.1988 - Pastor Schnabel - 1. Mose 12, 1-4a

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Wir haben heute, am fünften Sonntag nach Trinitatis, im Evangelium das Wort von der Nachfolge gehört. Eine Geschichte, wo ein Mensch etwas mit Gott erfahren hat.

Petrus begegnet Gott als er auf Jesus trifft. Es überkommt ihn ein heiliger Schauer und er sagt: "Geh aus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!" Und dann sagt Jesus zu ihm: "Komm und folge mir nach!" Und Petrus, der in dieser Geschichte noch Simon heißt, und später erst vom Herrn "Petros, der Fels" genannt wird, verlässt seine Netze und folgt ihm nach.

Jede Gotteserfahrung verändert das Leben eines Menschen; Dinge, Umstände, Schicksale, erscheinen plötzlich in ihrem wirklichen Zusammenhang. Meistens wird das Leben eines Menschen, von außen gesehen, nicht ruhiger und auch nicht wohlhabender oder leichter, nach dieser Erfahrung mit Gott. Aber was nun geschieht, lässt sich in den alten Begriffen nicht mehr fassen. Es wird von Grund auf neu, weil ein Mensch, der vorher umherirrte, plötzlich im Lichte der Wahrheit. Gottes sein Ziel erkannt hat.

Er hat Gott erfahren, und sei es nur in einem Augenblick. Dieser zündende Augenblick verändert das ganze nachfolgende Leben und bestimmt es.

Wer von den Gotteserfahrungen - und im Grunde ist unsere Bibel ja eine Sammlung von Gotteserfahrungsgeschichten - wer davon liest und die Geschichten vergleicht, der wird Ähnlichkeiten feststellen. Da können zwischen zwei Menschen, die damals gelebt haben und heute leben, tausend Jahre liegen, und doch ist die Gotteserfahrung ähnlich und im Letzten darin gleich, dass Menschen den Zusammenhang begreifen; das Eine, das Einssein mit Gott, die Tiefe, und dass sich daraus der Sinn und das Ziel ihres Lebens ergibt. Und wenn du dran bleibst, dann kann ein Funke überspringen von der Bibel auf deinen Geist und du erlebst eine Erleuchtung. Eine Erleuchtung ist nichts anderes, als dass das, was vorher in deinem _eben im Dunkeln unzusammenhängend lag und sich ereignete, das sich das zusammenfügt und darin ein Zusammenhang erkennbar wird. Das kann in allen Lebenslagen geschehen. Und auch das lernt man aus der Bibel; dass kein Mensch vor Gotteserfahrungen sicher ist..

Hört den !Predigttext für diesen Sonntag aus dem Alten Testament im 1. Buch Mose im 12. Kapitel. Es ist die Stelle, wo Abraham aus seinem Gewohnten herausgeholt wird und Neuland betritt. Das ist ein äußerer Vorgang, wenn man neues Land entdeckt. Das ist auch ein innerer , geistiger Vorgang, wenn man geistige Wege betritt, die man vorher noch nicht kennt.

Der Petrus - Simon heißt er im Evangelium - der ist losgegangen und hat gesagt: "Auf dein Wort hin, HERR."

Und auch Abraham geht los in ein Land, das Gott ihm zeigen will, auf das Wort Gottes hin; mehr Garantien hat er nicht.

So schreibt die Bibel:

"Der HERR sprach zu Abraham: »Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.« Da zog Abraham aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte."

Das ist der Drehpunkt in der Abraham-Geschichte: Gott ruft Abraham und Abraham gehorcht.

Bis zu diesem Punkt ist Abraham geführt worden. Abraham ist nicht als ein solcher Glaubensriese gleich auf die Welt gekommen, sondern er ist durch finstere Täler geführt worden und er hat wichtige Erfahrungen machen müssen, die zunächst zusammenhangslos in seinem Leben standen und die sich erst zum Ende hin Zusammenfügten.

Abraham ist nicht von Anfang an der große, unerschütterliche Erzvater des Glaubens. Abraham läuft in seinem Leben mal hierhin und mal dorthin. Er versucht es mit diesem oder jenem, um seinem Leben einen Sinn zu geben; um das zu finden, was man "ein erfülltes Leben" nennt. Aber er erreicht es nicht, er irrt umher.

In der Bibel, gleich nach der Geschichte vom Turmbau zu Babel, kommt die Geschichte von Abraham. Da wird erst von Abrahams Vater erzählt, der Tarah heißt. Tarah hat drei Söhne, den Abraham, den Nahor und den Haran. Abraham heiratet die Sarah. Nahor heiratet die Milka. Und Haran heiratet, zeugt einen Sohn, den Lot, und stirbt. Nahor wird ein Heide, er wildert gleichsam aus und taucht in der Bibel nicht mehr auf. Abraham heiratet Sarah und nimmt dann Lot auf, seinen Neffen, den Sohn seines Bruders Haran.

So fängt Abraham an: Keine strahlende Bilderbuchgeschichte. Abrahams Bruder stirbt; Abrahams Vater Tarah hat große Pläne im Kopf; er will in das gelobte Land nach Kanaan. Er hat gehört: Da ist es fruchtbar und schön. Aber er kommt nur bis Haran und stirbt da. Und Abrahams Ehe mit Sarah bleibt kinderlos.

Abraham will sich einen großen Namen machen, aber es gelingt nicht. Mit einem "großen-Namen-machen" ist gemeint: er will seinem Leben Sinn schaffen. Aber es wird nichts draus.

Abraham erfährt Gottes Segen erst im Nullpunkt seines Lebens. So macht Abraham eine Gotteserfahrung, die über Israel weit hinausreicht in unser Leben hinein. Und darum ist Abraham so eine zentrale Gestalt des Glaubens.

Abraham wird auch vorher ein landläufig religiöser Mensch gewesen sein, der Opfer gebracht hat, um die Schicksalsmächte zu beschwichtigen, und der gebetet hat. Aber er wollte zunächst Gottes Segen gleichsam wie Wasser, wie Energie, auf seine Mühle lenken; auf seine eigenen Wege wollte er Gottes Segen haben. Und er wollte nicht ohne jede andere Sicherheit Gottes Wege gehen.

Diese Nullpunkterfahrung machen Menschen Jahrtausende später genauso. Zum Beispiel: Ein paar tausend Jahre später macht Paulus mit Christus die gleiche Erfahrung; Paulus eifert, selbstgerecht, hoch zu Ross zieht er aus, um Gottes Sache zu verteidigen wie seine eigene. Und da trifft ihn Christi Wort wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und es haut ihn vom Pferd. Blind wird er nach Damaskus rein geführt. Und am Nullpunkt beginnt Gott mit seinem Segen. Und später hat Paulus - deshalb erzähle ich die Vorgeschichte von Paulus - später hat er das mit einem merkwürdigen Bild beschrieben. Paulus sagt nämlich an einer Stelle - wir lesen diese Stelle aus dem zweiten Korintherbrief meistens nur bei der Beerdigung vor - da sagt er: Wir Menschen wollen lieber überkleidet werden und nicht entkleidet. Wir Menschen wollen Lieber überkleidet werden und nicht entkleidet, das heißt: Wir wollen nicht vor Gott nackend dastehen, wir möchten unsere alten Ansichten und unsere alten Glaubenssachen anbehalten und Gottes Segenskleid einfach darüber ziehen. Wir wollen drunter die Alten bleiben, wir wollen lieber überkleidet werden; aber das geht nicht.

Der Nullpunkt, an dem Gott neu anfängt mit Paulus - oder mit Abraham ist das gleiche - der Nullpunkt, an dem Gott seinen Segen über einen Menschen breitet, der ist vergleichbar mit dem Augenblick, wo du das Alte ablegst und das Neue noch nicht anhast und ohne eigenen Schutz und Sicherheit dastehst. Da beginnt das Neue, da breitet Gott das neue Kleid seines Segens über dich aus.

Und da wir Menschen uns diesen Zustand nie herbeisehnen und auch nicht künstlich herbeiführen, ist es eine alte Erfahrung unter den Frommen, dass alle, wenn sie von ihrem Glauben erzählen, von ohnmächtigen Zuständen erzählen, von Hilflosigkeit, wo sie mit ihrem. Latein am Ende waren und wo sie plötzlich Gottes Führung und Gnade erfahren haben.

Wir können jetzt die Gotteserfahrungsgeschichten von Mose anschauen, von Elia, von der heiligen Elisabeth von Thüringen, von Martin Luther, von Franziskus, von Dietrich Bonhoeffer. Oder auch von Menschen in diesem Raum. Wir finden bei allen Gotteserfahrungen diesen Nullpunkt, an dem Gott Neues beginnt.

Geh heraus! Sagt Gott zu Abraham. Geh heraus aus deinem gewohnten Trott des Denkens und Lebens und Fühlens; geh heraus aus Vaterland, Verwandtschaft, Vaterhaus, in ein neues Land, das ich dir zeigen will, das du noch nicht gesehen hast! Geh heraus! Würden wir übersetzt vielleicht sagen; aus deiner sozialen Absicherung.

Wähne dich da gar nicht so sicher! Geh heraus, aus der menschlichen Wärme alter Freundschaften, die oft von der stillen Übereinkunft leben, dass man sich gegenseitig auf die Schulter klopft und sich klasse findet und einander nicht ins Gewissen redet. Geh heraus, aus deinem vertrauten Status und Ansehen und gründe dich nicht da drauf.

"Geh in ein neues Land, das ich dir zeigen will!"

Abraham muss alles ablegen; keine Bequemlichkeit, keine Sicherheit. Auf Sein Wort hin zieht er los.

Abraham wird entkleidet und bekommt ein neues Kleid an. Gott segnet ihn, damit er ein Segen für andere wird.

Geh Heraus! Sagt Gott, und wir Menschen sagen natürlich: Ich will aber nicht! Wir möchten natürlich, dass Gott uns hilft. Lieber Gott hilf mir, aber lass mich so wie ich bin! Und bei dem, was ich vorhabe, da sollst du mir etwas helfen!

Das wird oft von mir erwartet, dass ich irgend eine Art Segen über einen Lebensweg sprechen soll, und ich kann doch nur weitersagen, was ich selbst erfahren habe, und dazu gehört eben immer im Grunde die Beichte; dieses "Geh-heraus!"

Geh heraus, aus deinem selbstgemachten Sinngefüge und vertraue auf Gottes Wort. Und dort beginnt das abenteuerliche, neue Leben, das, was eigentlich überhaupt Leben ist; das andere ist der Tod. Und der Segen besteht eben darin, dass du zum Segen für andere wirst. Wenn du bleibst, wo du bist, dann erstickst du; dann erstickst du an dir selbst.

Geh heraus in ein neues Land, das Gott dir zeigen will! Gott hilft dir nicht dabei, ein eigenes Terrain zu gewinnen, auf dem du recht hast und der Größte bist, sondern Gott segnet dich mit seiner Bestimmung und der Aufgabe:

Mit deinem Leben sollst du an Seinem Reich mitbauen, das ist deine Bestimmung.

Es ist sehr interessant, in der Bibel mal die Geschichten weiterzulesen, es sind nur noch ein paar Kapitel im 1. Mosebuch. Wie rührend der Abraham immer versucht, Gottes Verheißung aus eigener Kraft nachzuhelfen. Er wartet ja so sehnlichst auf ein Kind und es kommt keins. Und dann denkt er; Gott hat’s ja gesagt, aber vielleicht helfe ich hier noch mal ein bisschen nach. Und dann schläft er mit der Magd, und dann wird das Kind auf dem Schoß seiner Frau Sarah geboren, um da irgendwie sowas hinzu mogeln. Und dann merkt er; es gelingt alles nicht. Und dann lernt er immer wieder: Du sollst vertrauen, du sollst einen Fuß vor den anderen setzen und dich führen lassen! Und es geschieht ja dann auch am Ende. Aber Abraham lernt es ganz langsam.

Und doch: Was wäre aus Abraham geworden, wenn er zuhause geblieben wäre? Er wäre angesehen und wohlhabend gewesen und irgendwann wäre er gestorben.

Und was hat er nicht alles - auch durch Schmerzen hindurch - auf seinem Weg erlebt?! Wie erfüllt und lebenssatt ist er am Ende gestorben.

Segen ist niemals ein Guthaben, das man sich nehmen kann und in einen Tresor stecken kann, und von dem man sich ab und zu mal ein Scheibchen holen kann. Sondern Segen ist immer Gottes Kraft für unterwegs. Es ist die Kraft, das Vertrauen darauf, dass die Liebe lohnt, und dass Gott das Ziel ist, und dass wir geführt werden, und dass alles Sein einen Sinn hat, und dass wir ankommen sollen.

Ein Letztes noch: Merkwürdigerweise hört der Abschnitt der Bibel mit diesem Predigttext auf, dass der Abraham losgeht. Aber eigentlich steht da noch ein Satz in der Bibel gleich hintendran. Da heißt es einmal: "Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte". Dann geht’s aber weiter, da heißt es: "… und Lot zog mit ihm." Lot hatte nicht die besondere Gabe wie Abraham. Lot zog mit ihm. Er hat aber das Gespür: Der Abraham hat etwas mit Gott erfahren, das habe ich so deutlich nicht erfahren, aber ich gehe mit.

"Geh heraus in ein Land, das ich dir zeigen will!" "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!"

Nicht jeder kann so glauben wie der Abraham. Es ist wichtig, dass der Paulus im Neuen Testament sagt: Der Glaube ist genauso eine Gabe, wie die Gabe des Heilens und die Gabe des Tröstens.

Abraham hat die Gabe des Glaubens. Er bricht auf und geht und Lot hängt sich dran; er geht mit. Er hat immerhin das Gespür für diese Qualität, auch wenn er sie selbst nicht so erfahren kann.

Mit Abraham hat Gott einen Anfang gemacht, und mit Christus will uns Gott vollenden.

Lot konnte nicht so eins sein mit dem Willen Gottes wie Abraham.

Und so eins sein mit Gott wie Christus, können wir nicht. Aber wir folgen nach.

Wir folgen nach, so, wie Lot dem Abraham nachgeht, so folgen wir; so gehen wir Christus hinterher, der ja die Vollendung ist und der uns herausführt in das Reich, wo ER regiert und wo wir Heimat haben - AMEN!

Und der Friede Gottes, der größer ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!