Predigt 631

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Predigt vom 28.08.1988 - Pastor Schnabel - 1. Mose 4, 1-16a

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Der Predigttext für diesen Sonntag steht im Alten Testament im 1. Buch des Mose im 4. Kapitel:

"Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: »Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN«. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: "Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht so? Wenn du fromm bis, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie." Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: »Lass uns aufs Feld gehen!« Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

Da sprach der HERR zu Kain: »Wo ist dein Bruder Abel?« Er sprach: »Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?« Er aber sprach: »Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.« Kain aber sprach zu dem HERRN: »Meine Strafe ist zu Schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.« Aber der HERR sprach zu ihm: »Nein, sondern wer Kain totschlägt, der soll siebenfältig gerächt werden«.

Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN."

Gott segne auch diese schreckliche Geschichte - sein Wort - an uns!

Daher kommt das Kainszeichen, das ein Mensch hat und nie mehr loswird.

Dies ist keine Reportage, wo einer dabei war, der es hätte fotografieren können, sondern dies ist eine alte, heilige Geschichte, die wir uns zu Herzen nehmen müssen.

Kain und Abel sind Brüder. Der eine ist Ackermann, der andere ist Schäfer. Abel ist gesegnet von Gott, er ist fromm, er lebt in Harmonie mit Gott, sein Leben ist ausgeglichen und voll Frieden. Kain lebt nicht in Frieden mit Gott, er ist neidisch. Sein Inneres ist zerrissen von Hass. Sein Leben hat keinen Frieden.

Gott hat den Kain nicht verstoßen, Gott warnt ihn. "Warum ergrimmst du? Warum senkst du den Blick? Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du den Blick frei erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie." Aber Kain will die Sünde nicht beherrschen, er lockt den Bruder aufs Feld und ermordet ihn. Kain will nicht umkehren. Abel ist ihm ein Ärgernis, denn Abel ist gut und gesegnet und voll Frieden. Und Kain kann das nicht ertragen. Und immer, wenn er den Abel sieht, dann kommt ihm die Galle hoch. Kain spürt; so wie der Abel müsste ich sein. Aber Kain will sich nicht ändern und er denkt: Wenn der Abel nicht mehr lebt, dann habe ich Ruhe, dann habe ich nicht dauernd das Bild des Besseren vor Augen. Dann werde ich nicht dauernd erinnert daran, dass ich böse bin und keinen Frieden mit Gott habe. Und so lockt er den Bruder aufs Feld und ermordet ihn.

Aber die erhoffte Ruhe bleibt aus. Gott sieht alles und Gott fragt den Kain: "Wo ist dein Bruder Abel?" Und Kain sagt den bösen, klassisch gewordenen Satz: "Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?"

Und dann wird Kain von Gott zur Verantwortung gezogen und so schwer bestraft, wie irgend ein Mensch betraft werden kann. Er muss mit seiner Schuld leben, und keiner darf ihn totschlagen. Noch nicht einmal den Tod hat er als Ausweg aus seiner Schuld.

Kain wollte seinen Neid auf Abel erledigen mit einem Mord. Er wollte Ruhe finden mit seinem Neid und mit seiner Bosheit. Aber mit dem Mord fängt die Verdammnis erst an und es wird schlimmer als vorher, weil er vor Gott nicht fliehen kann. Und sich selbst muss er überall mit hinnehmen.

Der Neid ist eine böse Sache. Das Gegenteil vom Neid ist die Liebe. Der Neid ist in der Haltung der Sünde verwurzelt. Der Neid entsteht nämlich aus der bösen Selbstgerechtigkeit. Der Neid hat Christus ans Kreuz gebracht. Und wie das zusammenhängt, wollen wir heute betrachten.

Am besten fange ich bei mir selbst an.

Ich kann mich erinnern, dass während meiner Schulzeit im Internat Spätaussiedler kamen, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschten. Da war einer aus Polen, dem gab ich Nachhilfe, und der wurde auch immer besser. Und plötzlich war der besser als ich. Er schrieb bessere Aufsätze als ich. Das hat mich geärgert, ich war neidisch, ich habe aufgehört, ihm zu helfen. Obwohl mir später klar war, dass ich vielleicht ein Katalysator für sein Talent hätte sein können, und dass er noch besser hätte werden können.

Aber ich war neidisch und ich habe aufgehört, ihm zu helfen. Ich konnte mich nicht lieber voll daran freuen, dass der Menschenbruder Erfolg hatte und vorankommt. So war ich eigentlich neidisch wie der Kain.

Da wohnt eine Frau in einem Mietshaus, ihr geht der Haushalt leicht von der Hand, ihre Kinder geraten wohl, sie ist freundlich und hilft gern. Sie strahlt Wärme und Vertrauen aus. Und nebenan wohnt eine andere Frau, die böse Gerüchte über sie verbreitet. Und der Grund dafür ist, dass sie selbst eigentlich auch so sein möchte, aber sie kann es nicht. Sie ist neidisch. Sie kann es nicht ertragen, dass die Frau besser ist; der Neid frisst sie auf. Und da sie sie nicht lieben kann, muss sie neidisch sein und ihr am Zeug flicken. Statt sich zu freuen, dass diese Frau so gut zurechtkommt und glücklich lebt, ist sie neidisch wie der Kain.

Da erinnert man sich an’s Examen und an Zensuren und Punkte und Rivalitäten in Klassenund Studiengruppen. Viele konnten sich nicht freuen an dem, was sie erreicht hatten. Sie sahen den Vergleich zu dem Rivalen, der nun 2 Punkte mehr oder weniger hatte. Ich erinnere mich an einen erwachsenen jungen Mann, der den Tränen nahe war, weil ihm 0,2 Punkte fehlten, um an den anderen heranzureichen. Weil er es nicht ertragen konnte, dass er nicht der Beste war; wie Kain.

In einer Straße wohnen zwei Familien. Es sind zwei Kinder in der Schule, und der eine ist besser als der andere. Das kann die Mutter des Schlechteren nicht ertragen. Wie blass der ist! Sagt sie über den Gescheiteren. Und so wertet sie den Jungen ab; dafür kann er keinen Sport.

Da ist jemand nicht nur reich, sondern auch noch schön und intelligent; das gibt es. Und das kann man eigentlich als normaler Mensch gar nicht ertragen. Das ist so unerträglich, daran kann man sich nur freuen, wenn man den anderen liebhaben kann. Alles andere geht nicht. Es gibt kein anderes Mittel um damit zu leben. Und da Menschen das nicht ertragen können, müssen sie solange ein Haar in der Suppe suchen, bis sie herausfinden; der ist zwar reich, aber dafür ist er blöd; er ist zwar schön, aber dafür ist er arm; oder dafür ist er nicht sportlich. Also - es wird immer versucht, irgend einen Ausgleich zu finden, damit man diesen Menschen auf ein kleines Maß runter schrauben kann, sonst ist er nicht erträglich.

Es ist schwer zu ertragen, wenn ein Mensch besser ist, als wir. Es ist aber auch ein großer Gewinn, wenn man so einen Menschen lieben kann, dann merkt man nämlich, dass es eine Bereicherung für alle ist.

Das hängt mit unserer Sünde zusammen, diese Grundhaltung, die sich nicht mit den anderen freuen kann über deren Erfolge und über deren Glanz.

Viele Geschichten fallen da sicher jedem Menschen aus seinem Leben ein.

Da sind zwei Brüder. Der eine wohnt im Westen, der andere wohnt im Osten. Und das Gefälle ist klar; der im Westen ist reich, der im Osten ist arm. Jetzt kommt der aus dem Osten in den Westen rüber. Er baut ein kleineres Haus als der Bruder. Das mag noch angehen, an diesem kleinen Erfolg kann man sich freuen. Zehn Jahre später baut er ein größeres Haus, ist erfolgreicher als der Bruder, der schon lange im Westen war. Da gibt es einen Streit um eine Nebensache und dann ist es aus mit der Freude; da war der Auslöser für den Neid da. Du sollst schon wachsen und gedeihen, aber unter mir bleiben, damit ich allezeit der Größte bin.

Ach, das ist so jämmerlich! An dem Neid in unseren Herzen erkennen wir, dass wir Sünder sind. Dass wir eben nicht in der Rechtfertigung unseres Lebens ganz auf Gott vertrauen, sondern dass wir immer unsere Leistung und unsere Rechtschaffenheit ins Verhältnis zu den anderen setzen und aus der Abstufung gegenüber dem Wert der anderen unsere Daseinsberechtigung ziehen wollen. Und wenn jemand besser ist als wir, dann ist unsere Rechtfertigung futsch, dann werden wir pampig und böse und gemein.

In so eine Welt ist Christus gekommen. Er war der erste Mensch, der in vollkommener Harmonie mit Gott war. Er war eins mit dem Vater nach Macht und nach Willen. Jesus macht da nicht mit. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Jesus bekämpfen, sind ja nicht dumm, die haben schon ein Gespür für Qualität. Die nehmen ihn ganz intuitiv und sicher wahr als den, der vollkommen lieben kann, als den, der Menschen frei machen kann, in dessen Nähe man auftauen kann, Sie nehmen sehr genau wahr, dass er nicht neidisch ist, und dass er Macht hat, sie aber nur zum Guten anwendet um andere wachsen zu lassen, und nicht, um sich selbst auf ein Podest zu stellen.

Die Menschen, die überwältigt sind von ihm, die lieben ihn und die erkennen in seinem Licht, dass sie Sünder sind.

Vor dir kann ich mich nicht rechtfertigen, sagen sie, du allein kannst mir helfen, ich stehe mit leeren Händen vor Gott.

Das sind die Überwältigten, die Jünger, die Nachfolger, alle die, die den Herrn lieben können.

Die Neider, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die können diesen Jesus nicht ertragen, so, wie der Kain den Abel nicht ertragen kann. Der muss weg! Sagen sie, der verdirbt uns die Preise! Neben ihm können wir nicht bestehen. In seinem Licht erscheint alles als Plunder, womit wir Gott gegenüber handeln wollen. Diese Güte ist unerträglich! Und weil wir ihn nicht lieben können, müssen wir ihn kreuzigen.

Gegen die Vorzüge eines anderen Menschen gibt es nur die Liebe. Und gegen Jesus Christus kommt man nur an, wenn man ihn liebt und ihm nachfolgt und sich freut über seine Auferstehung.

Die Gemeinde Jesu Christi kommt nur zustande, wenn wir uns übereinander liebevoll freuen können. Oder wenn wir wirklich traurig sein können über die Irrwege des anderen; wirklich traurig! Dann auch im Mitleid hat die Sünde ein Schlupfloch gefunden, wo wir sagen: Ach du Armer, was bist du gefallen! Und wir finden uns dabei selbst bestätigt und gefallen uns in der Rolle dessen, der steht und nicht gefallen ist.

"Wer nicht für mich ist, ist gegen mich", sagt Jesus. Das kann man auch so sagen: Wer IHN nicht liebt und SEINE Wege nicht geht, der muss neidisch sein und IHN ablehnen und IHN hassen. Der Neid aber verführt uns zu bösen Taten. Wer neidisch ist wie Kain, auf den lauert die Sünde vor der Tür. Ein gutes Bild: Da hockt jemand in seinem Gehäuse und außen schleicht die Sünde herum und guckt durch’s Fenster. Sie belagert ihn, sie lauert auf ihn und sagt: "Ich weiß genau, dass du rauskommen wirst, ich werde dich packen mit allen zerstörenden Folgen."

Der Neid ist der Ausdruck der Selbstbehauptung eines einzelnen Menschen vor Gott und vor dem Nächsten. Da erhebt sich ein Mensch zu einer Bastion und versucht, sich abzusichern gegenüber den anderen. Wer sich aber selbst versteht als ein Instrument in der Sinfonie des Reiches Gottes, der ist ja wie ein Instrument in einem großen Orchester. Und er freut sich über jedes andere Instrument in diesem Orchester, das reiner klingt als er selbst, das den Ton genauer trifft, denn es ist ja eine Bereicherung des Ganzen. Daran sehen wir: Der Neid kommt immer aus dem vereinzelten Leben, wo ein Mensch sein Dasein rechtfertigen und behaupten will. Liebe aber kommt aus diesem neuen, gemeinsamen Leben, das Christus mit uns begonnen hat.

Im Zusammenhang, den Christus unter uns gestiftet hat, sind die Vorzüge eines anderen ein Glück für alle.

Lasst uns IHN lieben, denn ER hat uns zuerst geliebt. Wir erkennen immer mehr, dass aus der Kraft Seiner Liebe auch die Kraft zum gesegneten Leben kommt. Und Paul Gerhardt hat es ganz direkt verdichtet, indem er uns singen lässt:

"Lass mich mit Freuden ohn’ alles Neiden sehen den Segen, den du wirst legen in meines Bruders und Nähesten Haus. Geiziges Brennen, unchristliches Rennen nach Gut mit Sünde, das tilge geschwinde von meinem Herzen und wirf es hinaus."

Lasst uns dies Lied singen und Gott bitten, dass er unsere Herzen frei und rein macht - AMEN!