Predigt 634

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Predigt vom 02.10.1988 - Pastor Schnabel - 1. Tim. 4, 4-5

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!

Der Predigttext für diesen Erntedanktag steht im ersten Timotheusbrief im vierten Kapitel. Da schreibt der Apostel:

"Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet."

"Alles, was Gott geschaffen hat ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wurde, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet."

Vor etwa acht Jahren, als unsere Kinder noch klein waren, gingen wir an einem Sonntag, wie diesem, nach dem Gottesdienst essen.

In der Schrebergartenkolonie am Ziegelberg in Helmstedt gab es eine Kantine, dort hauste eine tüchtige Wirtin aus Schwaben, die gut kochte. Da kamen die Schüsseln auf den Tisch. Und als alles aufgetragen war und wir die Hände falteten, um zu beten, sagte mein Sohn Philipp, der damals noch sehr klein war, in die Stille hinein: Papa, wieso beten wir denn heute, du bezahlst das Essen doch?

Wir haben ihm dann den Zusammenhang erklärt zwischen dem bezahlten Essen und unserem Dankgebet zu Gott. Und ich versuche oft, den Kindern zu erklären, dass es ein Glück ist, genug zu essen, zu trinken, anzuziehen zu haben und ein Dach über dem Kopf, weil ich selbst erfahren habe, dass der Mangel daran sehr schmerzhaft sein kann, und dass alles, was wir sind und haben gar nicht immer mit unserer Tüchtigkeit zusammenhängt.

Aber genauso naiv, wie es damals mein kleiner Sohn sagte, habe ich es von einem erwachsenen Mann gehört. Der zeigte mir sein großes Haus, und um anzudeuten, wie weit er es gebracht hatte, sagte er dann: "Ich brauche nicht mehr bitte und danke zu sagen; ich kann alles bezahlen!"

Er sagte das so, als sei es ein Zeichen von Armseligkeit und Schwäche, wenn ein Mensch bitte und danke sagt.

Der Mann ist tüchtig, aber wo ist seine Tüchtigkeit hergekommen? Danksagung drückt immer ein Verhältnis zu Gott aus. Und jener Mann, der so redete, der hatte ein gestörtes Verhältnis zu Gott und er lebte in dem Irrtum, in dem großen Wahn, als würde er allen Segen sich selbst verdanken.

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, wenn es mit Danksagen empfangen wird. Wo es nicht mit Danksagen empfangen wird, da kann es leicht umkippen; da kann der Segen zum Fluch werden.

Alles, was Gott geschaffen hat, wird geheiligt durch das Wort Gottes und durch das Gebet, und ohne dem ist es nicht heilig.

Alles, was da ist, alles, was wir in verschiedener Form ernten von der Erde, oder von dem Boden unserer Intelligenz und unseres Fleißes, gehört zu Gottes Schöpfung. Aber es ist eben erst gut, wenn wir es in diesem Zusammenhang begreifen. Ohne Gebet, ohne Dank, und ohne Gottes Wort, zerfällt unser Dasein in Einzelstücke, in Zufälle, in Objekte von beliebigem Wert.

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, aber wir erkennen das erst im Beten und Danken. Alles Sein, alle Dinge, alle Menschen werden geheiligt durch Gottes Wort.

Heiligen, heißt, dass es seine Bestimmung und seinen Wert bekommt durch das Wort. Was geheiligt wird, bekommt seine Bestimmung. Durch das Heiligen bekommt alles Sein erst seinen Sinn.

Du sollst den Feiertag heiligen, heißt das 3. Gebot. Das heißt, dem Feiertag seine Bedeutung zugestehen und entsprechend leben, indem du die Arbeit unterbrichst und feierst.

Gott hat die Ehe geheiligt, den Menschen als Mann und als Frau geschaffen; sie sollen ein Fleisch sein, so heißt es in der Bibel. Damit ist ihre Sinnlichkeit und ihre Zärtlichkeit geheiligt. Wer das aber aus dem Zusammenhang herausreißt, dem zerfällt menschliches Wesen in Sexualität und Erotik und andere Teile, und daraus kommt dann nichts Gutes mehr, weil der Zusammenhang fehlt.

Gott hat auch die Arbeit geheiligt. Wer aber arbeitet, ohne zu beten, der pervertiert die Arbeit und richtet sich, und vielleicht auch andere zugrunde.

Menschen werden in der Taufe geheiligt. Sie werden in Gottes Zusammenhang im Namen Christi getauft. Das gibt einem Menschen zeitlebens unantastbare Würde und seinen Wert, den er sich nicht verdienen kann.

Bei der Trauung werden Eheleute geheiligt. Da heißt es ja: "Willst du …‚ den dir Gott anvertraut, als deinen Ehemann lieben und ehren - den dir Gott anvertraut hat …" Auch Menschen sind eine Gabe Gottes. Und es ist sehr wohl ein Unterschied, ob ich sage: das ist mein Ehepartner, der gehört mir, oder ob ich ihn anschaue als eine Gabe Gottes; den Gott mir anvertraut hat, oder die mir Gott anvertraut hat. Hier ist etwas, das geht über unsern privaten Entschluss hinaus. Und das spüren auch Menschen, die das nicht in Worte fassen können. Die kirchliche Trauung ist eben mehr, als ein juristischer Vertrag. Und die Taufe, die breitet eben einen Sinn über die Kinder, den wir Eltern ihnen nicht selbst geben können. Und wir erfahren daran, dass Gottes Wort uns heilig macht. Wir sind ja die Gemeinschaft der Heiligen, wie wir es im Glaubensbekenntnis bekennen. Nicht, weil wir so großartig und so sauber, so fromm und so tüchtig und so fein sind, sondern weil Gott uns heiligt. Weil Gott uns einer Bestimmung geweiht hat, darum sind wir heilig, und darauf sollen wir hinauf leben.

Paulus verteidigt im 1. Timotheusbrief die Ehe und die Lebensmittel als Gottes Schöpfung. Es ist gut, sagt er, gegen einige Irrlehrer in Tessaloniki, die bestimmte Dinge verteufeln wollen. Das gibt es zu allen Zeiten: Gruppen, die die Sexualität verteufeln, Gruppen, die sagen, Fleischessen ist Sünde, die das Weintrinken als böse ansehen. Dabei entsteht leicht eine selbstgemachte Heilslehre, so als wäre ich Gott näher, wenn ich keinen Alkohol trinke. Das alles gibt es dann auch in der genauen Umkehrung. Wieder andere Gruppen, die machen eine Heilslehre aus dem Gegenteil, die sagen: Sex und Drogen, das ist die eigentliche Heilslehre. Und sie schließen alle aus, die daran nicht teilhaben wollen. Aber das auszuschliessen ist Unsinn. Sie bringen Menschen um ihr Leben, weil sie die Dinge verdrehen, sie reißen sie aus Gottes Zusammenhang.

Darum brauchen wir Gottes Wort, weil es alle Dinge des Lebens und der Schöpfung in einen neuen Zusammenhang bringt. Ohne diesen Zusammenhang sind wir verloren.

Christus hat selbst immer darauf bestanden, dass alles, was Gott geschaffen hat, gut ist. Christus hat alles mit Danksagen empfangen. Wo immer er mit den Seinen am Tisch saß, hat er Gott zuerst gedankt.

Wo Christus heilt und Menschen rettet, spricht er Gottes Wort hinein in die verworrenen, gestörten, unheilvollen Beziehungen und Verhältnisse, Dinge und Menschen, und bringt sie wieder in den gesegneten Zusammenhang.

Christus fügt in Gottes Geist das wieder zusammen, was Menschen auseinandergerissen, verdreht haben, und eigenmächtig verändert haben. Christus macht es heil durch sein Wort. Darum nennen wir ihn auch den "Heiland", denn Gott heiligt uns durch IHN. In Christus sind wir geheiligt. Zerstreute, zerrissene Menschen fügt er zusammen zur Gemeinschaft der Heiligen. Sein Wort gibt allem seinen Platz und sein Ziel, seine Richtung und seinen Sinn. Ohne Gottes Wort wird allen beliebig und gleichgültig, und damit auch gleich ungültig. Ohne Gottes Wort verkehrt sich selbst das Gute, das wir wollen, in’s Gegenteil.

Ein Mensch soll in allem, was er tut und lebt, in Beziehung zu Gott leben. Dazu ist das Gebet da und das Wort Gottes.

Jeden Abend bete ich mit Luthers Worten: "… denn ich befehle mich, meinen Leib und meine Seele und alles in diene Hände!" Das habe ich nötig, sonst drehe ich durch, sonst verselbständigen sich die Dinge, werden zu Götzen und fressen mich auf.

Gottes Wort bringt die Welt zum Klingen, weil wir durch Gottes Wort die Welt als Schöpfung erst erkennen. Der Dichter Josef von Eichendorff hat das in vier wunderbaren Zeilen gesagt: "Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an, zu singen, triffst du nur das Zauberwort."

Was uns als Zauberwort erscheint, ist Gottes Wort. In jedem Menschen, in allen Dingen, schläft das Lied Gottes wie eine Schöpfungsmelodie. Wir hören das Lied dann, wenn Gottes Wort die Dinge heiligt und in den heilen Zusammenhang bringt.

Gottes Wort heiligt alles, was wir sind und haben.

Wenn wir nachher das Heilige Abendmahl feiern, dann erinnert euch, dass das Abendmahl von Anbeginn "Eucharisti" genannt wird: "Danksagung"!

Und wir werden nachher singen: "Lasset uns Dank sagen dem Herren, unserem Gotte". Mit dieser Danksagung kommen wir dem Zusammenhang nahe, den Gott uns in Christus bereitet hat. Und wenn wir dann singen: "Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth …", dann sind das Worte der Engel, wie sie im Jesajabuch überliefert sind, die ihr Verhältnis zu Gott zum Ausdruck bringen.

Jetzt zum Schluss wollen wir gleich dieses alte, schöne Lied singen - das protestantische Tedeum: "Nun danket alle Gott …" Und über das Lied möchte ich noch eins sagen: Wenn ihr an der letzten Strophe unten schaut, da seht ihr, das Lied ist von Martin Rinkert gedichtet. Dieser Martin Rinkert lebte mit seiner Familie in der kleinen Stadt Eilenburg bei Leipzig. Er war dort Pfarrer an der Stadtkirche.

Der 30jährige Krieg hatte in Eilenburg so schreckliche Folgen gehabt, dass damals - so wird überliefert - oft zwanzig Leute einer Katze nachjagten, um sie zu fangen, zu schlachten und zu essen. In dieser Not betete Martin Rinkert mit seiner Familie jeden Tag die Worte aus dem Sirachbuch in der Bibel, da heißt es: "Nun danket alle Gott, der große Dinge tut, an allen Enden. Der uns von Mutterleib an lebendig erhält und uns alles Gute tut. Er gebe uns ein fröhliches Herz und verleihe immerdar Frieden zu unserer Zeit in Israel. Und dass seine Gnade stets bei uns bleibe und uns erlöse so lange wir leben."

Und weil sie täglich diese Worte lasen, verdichtete sich das bei Martin Rinkert zu dem Lied. Er setzte die Worte zu einem Gedicht zusammen.

Und so entstand das bekannte Danklied unserer Kirche in einer schweren Zeit.

Lasst uns dieses Lied jetzt miteinander singen wie ein Gebet, mit dem wir Gott danken für alles, was er geschaffen hat, vor allem aber für sein Wort in Jesus Christus, sein Wort, das uns heilt und gut macht. AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!