Predigt vom 16.11.1988 - Pastor Schnabel - Offb. 3, 14-22
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Liebe Gemeinde!
Darin liegt unser Glück und unsere Stärke, dass wir Gott nötig haben. Das macht unsere Würde und unsere Freiheit aus: Gott nötig haben, auf sein Wort hören. Das macht unser Leben warm, gibt ihm ein Ziel und lässt uns den Grund erkennen.
Wer aber auf Gott verzichtet, der verzichtet auf den Grund, der dreht sich am Ende nur noch um sich selbst.
Wir kennen das manchmal bei Jugendlichen, dass sie sich wehren und sagen: Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!
Es wäre aber eine schlimme Strafe, wenn Eltern dann zu ihren Kindern sagten: okay, okay, ich sage dir nichts mehr, ich lasse dich ganz in Ruhe; ich sag dir gar nichts mehr, kannst machen, was du willst!
Ich habe selbst auch den Aufstand gegen die Eltern erprobt und habe in Erinnerung, dass das die schlimmste Strafe war, wenn mir gar nichts mehr gesagt wurde. Damit war der Kontakt abgerissen, da war ich alleine mit mir selbst.
Die wesentliche Erkenntnis des Glaubens ist, zu erkennen, dass ich Gott nötig habe. Ja, ich will auf sein Wort hören, auch, wenn’s mir nicht in den Kram passt.
Wir hören heute wieder ein Wort aus der Offenbarung des Johannes. Die Offenbarung des Johannes am Ende der Bibel ist das einzige prophetische Buch des Neuen Testamentes.
Der auferstandene Christus diktiert Johannes von Patmos die sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden in Kleinasien. Und je nachdem, wie er die Lage der Gemeinde beurteilt, schreibt er ihnen Tröstliches oder Mahnendes. In jedem Fall aber schreibt er ihnen, dass der auferstandene Herr geistig gegenwärtig ist bei ihnen. Daran können sie erkennen, dass er sie lieb hat, auch, wenn er hart mit den Gemeinden in’s Gericht geht.
Am letzten Sonntag hörten wir die Worte an die schwache und angefochtene Gemeinde in Smyrna (Offb. 2, 8), tröstend, ermutigend: "Fürchte dich nicht!" Die Gemeinde hat da so klein dagesessen und hat gesagt: Um Himmels willen! Sie sahen die Wogen auf sich zurollen und hatten Angst, dass sie verschluckt würden. Aber der auferstandene Herr sagte zu ihnen: "Fürchte dich nicht! Ich kenne deine Armut, aber du bist reich!"
Heute hören wir das Wort aus dem Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea. Die Gemeinde in Laodizea ist ganz obenauf, da geht es ganz anders zu, als in Smyrna.
Hört das Wort für diesen Buß- und Bettag aus der Offenbarung des Johannes im 3. Kapitel:
"Dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! Und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloss. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!"
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde!
Die Gemeinde in Smyrna hat Gottes Wort und sie fleht den Herrn an. Aber nach außen hat sie keine Sicherheit. Sie sind arm. Sie werden mit kaiserlichen Steuern bedrückt. Sie haben die Feindschaft der jüdischen Synagoge und die Feindschaft der irdischen Macht auf sich gezogen. Die Gemeinde in Smyrna hat nur Gottes Wort und fühlt sich arm. Zu denen sagt Christus: Ihr seid ja reich. Und er ermutigt sie: Bleibt dran! Erkennt das, was ihr habt, das macht euch stark.
Mit der Gemeinde in Laodizea ist es umgekehrt. Die haben Geld, sie haben feine Kleider, sie haben Augensalbe, weiße Wolle und Gold. Darum muss es ihnen ja geradezu komisch erscheinen, dass Christus ihnen Gold und Wolle und Augensalbe anbietet. Sie haben alles Äußere und sagen: Wir reichen Kornbauern, was soll uns passieren!? Sie sind auch fromm, sie haben auch eine Kirchengemeinde. Aber sie verlassen sich drauf, dass der äußere Rahmen stimmt.
Zu denen sagt Christus nun das Gegenteil. Ihr seid ärmer als ihr denkt, denn ihr verlasst euch auf das Falsche. Jesus sagt nicht: "Ihr müsst jetzt- in Armut leben." Sondern er sagt: Euer Reichtum wird euch zum Verhängnis! Ihr seid lau geworden! Ihr seid bequem geworden. Ihr verlasst euch auf diese Sicherheit, die buchstäblich fadenscheinig ist.
Diese Gemeinde steht selbstzufrieden da. Aber Jesus nimmt die Fassade weg. Es ist eine trügerische Fehleinschätzung, sagt er. Ihr seid anständige Leute, ihr habt aber das Christentum des goldenen Mittelweges gewählt. Ihr habt eine intakte Gemeinde. Jesus sagt ja: Ihr sollt von mir Gold kaufen und weiße Kleider und Augensalbe.
Dazu müssen wir wissen: Laodizea ist damals eine reiche Handelsstadt gewesen. Zur Gemeinde gehörten reiche Leute. Sie waren stolz auf ihren Wohlstand. Sie hatten Gold, Wolle, Augensalbe. Sie handelten mit Textilien. Sie hatten Gold. Sie hatten auch Medikamente zu verkaufen. In Laodizea gab es eine Pharmaindustrie. Und sehr treffsicher nennt der Herr die Symbole ihrer vermeintlichen Sicherheit.
Für uns Menschen ist das immer eine Gefahr. Denn wenn wir arriviert sind, das heißt, da angekommen, wo wir hinwollen, dann sagen wir: Wir haben’s geschafft! Ein bisschen Religion - jawohl - muss sein! Aber sonst? Was kann uns passieren?
Und noch etwas müssen wir wissen: Laodizea liegt unten in einem Tal, und oberhalb in den Bergen entspringt eine warme Heilquelle. Wer da hinauf steigt, kann sich da oben Linderung und Heilung verschaffen. Wenn man dieses Wasser da oben trinkt, oder darin badet, wird man gesund. Aber das Wasser ist nur da oben heiß. Es wurde da oben in einem Becken aufgefangen und rieselte dann langsam herab. Wenn es unten in der Stadt angekommen war, dann war es lau, da hatte es keine Heilkraft mehr.
Beide Gegebenheiten greift Christus auf und hält ihnen das vor Augen.
Christus kommt in diese Gemeinde nach Laodizea so, wie ein Visitator. Wir haben hier in Deutsch Evern, in dieser jungen Gemeinde, eigenständig noch keine Visitation erlebt. Visitation - (früher sagte man auch: die Tante kommt zur Visite, oder zur Stippvisite) - ist also ein kurzer Besuch. Visitation in der Kirche heißt: der Vorgesetzte, die Aufsichtsbehörde, kommt in die Gemeinde und forscht nun nach, was in dieser Gemeinde vorgeht. Es wird geprüft, ob das Evangelium lauter und rein gepredigt wird, ob die Kasse stimmt, ob die Gebäude in ordentlichem Zustand sind, ob die Kinder unterwiesen werden.
Die Visitation kann Missstände aufdecken und auch abstellen.
Visitationen verunsichert Leute, die etwas zu verbergen haben. Wir werden etwa in fünf Jahren Visitation haben.
Da gibt es z.B. dann die Gelegenheit - da wird der Superintendent dann hier sitzen und Einzelne empfangen - unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu sagen, was den einzelnen Gemeindemgliedern in der Gemeinde nicht gefällt, und derartige Dinge.
Eine Visitation verunsichert alle, die was zu verbergen haben. In einer Kleinstadt haben vor Jahren einmal böse Witzbolde einen Streich gespielt. Sie haben an drei prominente Bürger des Ortes anonyme Briefe geschrieben. Und in diesen Briefen stand nur: "Es ist alles herausgekommen!"
Daraufhin fuhr einer sofort in die Schweiz und wartete erst einmal ab. Einer begann plötzlich hektisch Papiere in seinem Kamin zu verbrennen. Und ein Dritter nahm sich das Leben, aus Angst vor einem öffentlichen Skandal.
Stellt euch vor: Christus kommt als Vivitator in unsere Gemeinde und stellt fest: Ihr seid in’s Mittelmaß abgerutscht, es kommt alles heraus. Er sieht alles, er durchleuchtet alles, sagt uns die Wahrheit ungeschminkt in’s Gesicht: Ihr lebt angepasst! Ja ja, fromm seid ihr, aber eure Frömmigkeit steckt niemanden an! Lau seid ihr! Nicht warm und nicht kalt. Es ist alles herausgekommen! Das stellt der Visitator fest. Aber dann bleibt er ja dabei nicht stehen, sondern er versucht dann zu helfen. So, wie seine Visitation eine Hilfe sein soll. Ein Visitator ist im Grunde wie ein guter Arzt, der auf Herz und Nieren prüft und sagt: das ist der Zustand, das ist die Krankheit! Und er nennt unsere Krankheit beim Namen: Wohltemperierter Glaube im goldenen Mittelweg - also: lau!
Das ist, wie wenn man das Heilwasser unten in der Stadt trinkt, wo es lau ankommt. Das heilt euch nicht, das hilft euch nicht weiter. Ein guter Arzt spielt die Augenwischerei mit der Krankheit nicht mit. Ein guter Visitator benennt die Missstände einer Gemeinde.
Jesus ist gerecht, aber nicht grausam. Er will ja, dass die Gemeinde lebt. Aber sie kann nur in der Wahrheit leben und nur dann heil werden.
Ich habe das in der Geschichte meines Glaubens auch erlebt. Man hat komischerweise auch als Kind solche Anwandlungen, dass man denkt, man könnte mit den Himmelsmächten irgendwie handeln, wenn man fromm tut.
Das färbt natürlich auch ab auf das Verhältnis zu anderen Menschen, dass man sich netter und freundlicher gibt, als man ist. Bis du eines Tages erkennst: das ist alles unecht, das ist alles Lüge, damit komme ich nicht weiter. Und dann beginnt das Leben, das entweder warm oder kalt ist, und nicht lau.
Und das kennt ihr doch auch: Leute, die immer harmlos nett sind zu dir. Ja, damit kann man doch aber nicht viel anfangen. Dann ist doch besser, du kannst dich auseinandersetzen mit einem, der dir auf den Kopf zusagt, wie er dich einschätzt und woran er sich stört und ärgert, oder einer, der dich ergriffen umarmt.
Das Laue! Das Laue haben wir auch im Gottesverhältnis, dass wir Gott nicht ernst nehmen. Ein Mensch, der sich klar gegen Gott entscheidet, der ist kalt. Aber der hat eine große Chance, von Gott gefunden zu werden. Und ich kann mit einem richtig kalten Atheisten in der Gemeinde viel, viel besser reden und streiten. Da kommen wir besser voran, als in dieser üblichen blasierten Lauheit, die nichts Halbes und nichts Ganzes ist, nicht warm, nicht kalt, eben lau.
Der Kalte hat eine größere Chance, zu Gott zu finden, als der Laue, der wohltemperiert ein bisschen Christ, ein bisschen Weltmann, oder Weltfrau ist, der ein bisschen aus der Esoterik nimmt, und ein bisschen aus anderen Heilslehren, die zur Zeit so herum schwirren. Gott - jawohl! Jesus - sehr interessant! Aber das geht nicht zu Herzen und hat keine Folgen.
Das Sendschreiben an Laodizea ist kein endgültiges Urteil über die Gemeinde. Das Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea ist eher - wenn man’s vergleichen wollte mit der Schule - wie ein blauer Brief. Ein blauer Brief kommt ja, ehe die Versetzung gelaufen ist. Der blaue Brief warnt: halt, jetzt noch mal ordentlich in’s Zeug legen, damit das mit der Versetzung geht! Es ist wie ein Schuß vor den Bug: “ ändere deinen Kurs! Ein blauer Brief zeigt an: die Versetzung ist gefährdet, aber es ist noch alles möglich.
Und so spricht der Herr zu der Gemeinde in Laodizea: Ich rate dir, bei mir geläutertes Gold zu kaufen, unvergängliches. Nachfolge auch in Krisenzeiten, treu dabeizubleiben, nicht dem Irrtum zu verfallen, dass man ohne Gottes Wort leben könnte, nicht dem Irrtum zu verfallen, dass die selbstgemachte Sicherheit Sicherheit wäre.
Und weiter: ich rate dir, weiße Kleider bei mir zu kaufen. In einer Textilstadt, wo man Kleider im Überfluss hat, muss das wie ein Hohn vorkommen. Aber Jesus meint ja etwas mit den weißen Kleidern. Ich rate dir, weiße Kleider bei mir zu kaufen, nämlich: die Vergebung der Schuld, die Christus für uns erworben hat. Das weiße Kleid der Vergebung, das sollt ihr bei mir kaufen.
Und die Augensalbe sollt ihr bei mir kaufen. Damit ist der Heilige Geist gemeint, der die Augen öffnet, der uns erkennen lässt, dass wir Sünder aus uns selbst sind, und dass wir frei und gerecht werden aus Gott, unserem Herrn.
Christus will nicht unseren Tod, sondern dass der Sünder sich bekehrt und lebt. Der Visitator, der in seiner Wahrheit so klar und hart erscheint, der klopft bei uns an. Er könnte uns verurteilen, uns verdammen, uns zwingen, uns Angst machen. Aber er klopft an und bitte dass wir ihn einlassen.
ER, der die Wahrheit über uns genau kennt, bittet, dass wir ihn einlassen. Dass wir ihm im Glauben von Herzen recht geben in seinem Urteil. Und das ist nichts, was man erzwingen kann.
Sklaven, bei denen klopft man nicht an, die kriegen eins drüber gezogen. Aber wir sind ja freie Kinder Gottes. Und der Herr, der die Wahrheit hat, und die Wahrheit über uns kennt, der klopft an und macht es davon abhängig, ob wir aufmachen.
Das ist unsere Freiheit und unsere Würde, die uns zum Guten und zum Bösen gereichen kann. Er hat uns lieb, darum geht er in’s Gericht mit uns, dass wir umkehren. Er gibt uns nicht verloren. Er hat Hoffnung für uns. Er klopft mit seiner Wahrheit an die Tür unseres Herzens, und es kommt darauf an, ob wir ihn einlassen. Er kommt und feiert Abendmahl mit uns, wenn wir die Tür aufmachen. Er hält uns die Treue, trotz unseres Versagens.
Darum verstockt eure Herzen nicht, wenn ihr heute SEINE Stimme hört. Es gibt wirklich keinen anderen Grund, als SEINE Liebe, dass ER sich auf uns eingelassen hat. AMEN!