Predigt vom 27.11.1988 - Pastor Schnabel - Lukas 1, 67-79
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Liebe Gemeinde!
Das Lukasevangelium beginnt so: "Schon viele haben es unternommen, von den Ereignissen Bericht zu geben, die unter uns geschehen sind, wie es uns die überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind. Daher habe ich’s für gut gehalten, nachdem ich allem von Anfang an sorgfältig nachgeforscht habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben. So kannst du den sicheren Grund der Lehre, in der du unterrichtet worden bist, erkennen."
Das Lukasevangelium ist das erste ausdrücklich literarische Buch, das von den überlieferten Ereignissen mit Jesus berichtet. Lukas, Verfasser, ist von Beruf Arzt und zeitweise der Begleiter des Paulus.
Das Lukasevangelium wird symbolisch immer mit einem Stier dargestellt, weil es damit beginnt, wie der Priester Zacharias, als er gerade beim Brandopfer im Tempel an den Kohlebecken steht und Fleisch brät, dem Engel Gabriel begegnet.
Zacharias und seiner Frau Elisabeth wird ein Kind verheißen. Aber der alte Priester Zacharias glaubt es nicht, weil sie bis in’s hohe Alter kinderlos geblieben sind.
Da verschlägt es dem Zacharias die Sprache. Als er vom Brandopfer aus dem Tempel herauskommt, geschieht etwas, vor dem bis heute alle Pfarrer Angst haben: er ist plötzlich stumm. Mit Gesten muss Zacharias den Menschen bedeuten: Geht nach Hause, ich kann nicht mehr sprechen!
Neun Monate lang ist Vater Zacharias stumm. Ein Priester, der nicht reden kann, ist arbeitsunfähig. Aber so hat er Zeit zum Beten und Nachdenken.
Ich habe diese Geschichte von Zacharias als kleiner Junge im Kindergottesdienst gehört und war davon fasziniert. Nun wollte es der Zufall, dass es in Sachsen ein großes Unterhaltungsorchester gab, das wurde geleitet von einem Dirigenten namens Zacharias. Eines Tages sah ich diesen Herrn Zacharias das Orchester dirigieren; stumm natürlich. Ein Dirigent dirigiert ja und redet nicht. Und, wie Kinder die Dinge so ungeschichtlich zusammenbekommen, mir war völlig klar: das muss dieser Zacharias aus der Bibel sein, er kann nicht reden, und jetzt arbeitet er eben eine Weile als Dirigent, bis er die Sprache wieder findet.
Tatsächlich aber saß Zacharias zuhause. Er war dem Erzengel Gabriel begegnet. Dieser Gabriel erscheint inzwischen auch der Maria und kündigt ihr Jesu Geburt an. Maria aber, im Gegensatz zu Zacharias, glaubt dem Engel und wird nicht stumm, sondern sie betet mit einem Lobgesang.
Als Elisabeth im sechsten Monat schwanger ist, so erzählt das Lukasevangelium, kommt Maria zu ihr zu Besuch. Und kaum hat Maria die Elisabeth begrüßt, da hüpft das Kind in ihrem Leib, das später Johannes heißen wird; Johannes der Täufer, der Jesus den Weg bereitet und von dem sich Jesus taufen lässt.
Diese Geschichte kannte natürlich auch der Bildhauer, der den Aufsatz auf unser Taufbecken geschaffen hat. Er wusste aus der Bibel: die Knaben Johannes und Jesus waren nur sechs Monate auseinander. Und da auf dem Taufstein sehen wir rechts den kleinen Johannes, mit einem Fell bekleidet, so, wie es die Bibel erzählt. Und links steht Jesus. Wer hinter den Taufstein geht, der sieht, dass Jesus seine linke Hand auf die Weltkugel gelegt hat, auf der ein Kreuz steht. Johannes und Jesus - beide hat Gott auserwählt.
Johannes kündigt Jesus an, er verweist auf ihn, er sagt: Jesus wird euch mit dem Heiligen Geist taufen, wo ich nur mit Wasser taufe. Und Johannes sagt später von Jesus: Ich bin nicht würdig, seine Schuhriemen zu lösen! (Jh. 1, 27; Apg. 13, 25)
Der Priester Zacharias ist stumm für neun Monate. Als sein Sohn, der kleine Johannes, beschnitten wird, wird er gefragt, welchen Namen das Kind haben soll. Da schreibt der noch stumme Vater auf eine Schiefertafel den Namen "Johannes". Erst danach wird ihm der Mund aufgetan, er kann wieder reden.
Im Predigttext für diesen Sonntag, dem ersten im Advent, hören wir nun den Lobgesang des Zacharias:
"Sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David - wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten - , dass er uns errettete von unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unseren Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserem Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest, und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens"
Gott segne an uns dieses Wort!
Hier geschieht etwas zum Heil der ganzen Welt, aber es geschieht im Verborgenen. Nur die Menschen erkennen es überhaupt, die in Erwartung leben. Später, als der kleine Junge zur Beschneidung in den Tempel gebracht wird, gibt es einen alten, frommen Mann, den Simeon, der erkennt’s, der lebt in Erwartung. Und da ist noch eine alte, 84-jährige Prophetin, Hanna, die erkennt ihn, weil sie in Erwartung lebt.
Und hier der Zacharias, der in Erwartung lebt, der noch nicht fertig ist mit seinem Glauben, der hofft und Ausschau hält mit seinem Herzen und mit seiner Seele nach dem, der da kommen soll.
Schon die Namen der Personen in dieser Geschichte haben ja eine Bedeutung.
"Zacharias" kommt von "Sacharias" und heißt zu deutsch: "Der Herr gedenkt seines Volkes". Der Herr gedenkt seines Volkes und lässt es nicht allein.
Oder "Elisabeth", die alte, kinderlose Frau des Zacharias. Elisabeth heißt: "Gott hält den Eid". Gott steht zu seinem Wort.
Und Johannes heißt: "Der Herr ist gnädig".
Eltern, die in Erwartung lebten, gaben ihren Kindern immer Namen, aus denen Hoffnung und Erwartung sprach, Namen, die das Kind auch in einen Zusammenhang brachten.
Kinder, die geboren werden, lassen wir ja in Gottes Zusammenhang hinein taufen mit dem Namen, den sie bekommen und der dann zusammen mit dem Namen Gottes genannt wird in der Taufe. Damit bringen wir zum Ausdruck: ein privates Menschenleben, nur für sich allein, losgelöst von Gottes Zusammenhang, ist ein verlorenes, beliebiges Leben. Denn keiner lebt für sich selbst. Und wer es wirklich versucht, der wird damit scheitern.
Gesegnetes Leben ist nur möglich dem, der erkennt, dass er Gott nötig hat und dass er ein Geschöpf ist und dass er in einem Zusammenhang lebt.
Wer sein Leben im Zusammenhang mit Gott begreift, der muss nicht immer fest und unerschütterlich alles glauben. Das geht uns leider selten so.
Ein Beispiel dafür ist Zacharias. Er bezweifelt, was der Engel sagt - und muss verstummen. Aber auch Zacharias kann ja nur deshalb zweifeln, weil er im Zusammenhang mit Gott lebt. Viel schlimmer, als der Zweifel, der ja immer einhergeht mit dem Glauben, ist die Beliebigkeit, dieses "alles-egal", dieses "Alleinsein-mit-mir-selbst".
Aus der Bibel erfahren wir: Alle großen Männer und Frauen des Glaubens zweifeln auch, sind ungehorsam, aber sie erkennen das ja alles erst im Zusammenhang mit Gott, in dem sie leben; sie sind nicht vollkommen. Aber dass sie nicht vollkommen sind, erkennen sie erst im Lichte der Wahrheit. Die Finsternis und den Schatten des Todes, von dem Zacharias spricht, erkennen sie nur, weil sie Ausschau halten nach dem Licht, weil sie in Erwartung leben.
Wer nichts erwartet von Gott, der kann seine Ankunft nicht erkennen.
"Macht hoch die Tür, die Tor macht weit", "Komm, o mein Heiland Jesus Christ, meines Herzens Tür dir offen ist", das sind die Zeichen der Erwartung, vergleichbar mit einem Haus, wo jemand einen Gast erwartet und die Tür weit offen stehen lässt. So singen wir die Erwartung heraus aus unserer Armut zu Gott hin.
Freilich unterscheiden sich die Christen von den andren Menschen nicht darin, dass sie auch Glück und Heil für sich erwarten. Aber in welche Richtung hoffen und beten sie? Dass der materielle Reichtum zwar wichtig ist, aber dass es das Heil nicht bringt, das dämmert inzwischen auch jedem halbwegs Klugen Heiden. Damit rennt man offene Türen ein, das braucht man im Grunde auch von der Kanzel nicht mehr zu sagen. Und das ist in der Geschichte unseres Landes im Grunde eine gute Voraussetzung, dass die allermeisten die Erfahrung gemacht haben, dass es noch kein Glück ist, wenn von Essen, Trinken, Anzuziehen, reichlich vorhanden ist. Das weiß inzwischen jeder, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Aber was Jesus nach diesem Satz noch sagt: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, - sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes kommt", das weiß nicht jeder, das ist den meisten noch fremd. (Mt. 4, 4)
Und hier schleicht sich in unseren Tagen eine fromme Irrlehre ein, die uns das ewige Leben kosten kann.
Ich habe in letzter Zeit oft in den Medien gelesen von der "Spiritualität", so heißt das Modewort. Man macht nicht mehr auf platten Materialismus, sondern man macht auf Spiritualität. Auch von Gott ist manchmal am Rande die Rede, aber das ist sehr diffus. Und gefährlich an dieser Irrlehre ist: immer bleibt der Mensch allein mit sich. Er bekommt positives Denken gelehrt. In einem Buch, das immerhin 2,7 Millionen Exemplare in der Veröffentlichung hat, wird zum Beispiel den Menschen eingetrichtert, werden sie aufgefordert, täglich in den Spiegel zu schauen und zu sich zu sagen: Ich akzeptiere dich so, wie du bist - du bist klasse - du bist gut; täglich.... Männer können das beim Rasieren machen: Ich akzeptiere dich, ich bete dich an, du, der das Ich ist... Und das ist nicht nur in diesem einen Buch - ich kann euch Titel nachher sagen, es kostet 29.80 DM.)
Dann heißt es weiter: Ich lerne dann meine Beziehungen zu sortieren, meine Persönlichkeit zu pflegen. Und da musst du alles rausschmeißen, alles, was nicht deinem Wohlbefinden dient, alles, was dich nicht voranbringt. Alles Unangenehme schiebst du beiseite, wirfst du weg. Und dann musst du dir immer sagen - wieder in den Spiegel: Vor mir liegt das fröhliche, gesunde, erfolgreiche Leben, das mir zusteht. Ich bin der Maßstab der Dinge. Ich habe Anspruch auf ein angenehmes Leben.
Das ist für mich so, wie es in dem alten Schlager heißt: "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe …”. Aber die Menschen, die diese Irrlehre befolgen, singen etwas anderes, die singen: Ich tanze mit mir in den Himmel hinein - mit sich selbst. Und das ist gespenstisch, auch, wenn es in so einer harmlosen Verpackung einhergeht.
An diesen Dingen mag einzelnes richtig sein, aber zusammengenommen ist es eine böse Verführung. Denn es ist ja eine an sich richtige Erwartung und Sehnsucht nach erfülltem Leben, nur, sie ist irregeleitet. So, als könnte ein Mensch sich selbst erlösen, was ja doch nicht geht.
Es ist doch ein erschreckendes Zeichen, wenn Menschen aufgefordert werden, in den Spiegel zu schauen und sich selbst anzubeten. Das ist wie der Mensch, der im Sumpf steckt bis zum Kragen und versucht, sich selbst an den Haaren herauszuziehen.
Dagegen ist die Erwartung des Zacharias ganz anders. Er begreift sein Leben im Zusammenhang Gottes. Er selbst ist Teil einer großen Heilsgeschichte. Er ist auf einem Weg durch finstere Täler hinauf zum Berg, durch Ungehorsam und durch Zweifel hindurch und im Glauben. Er leidet, aber er begreift sein Leid als einen Durchgang, als ein Unterwegssein, und nicht als etwas, was man nur abschütteln muss und nur der Annehmlichkeit leben.
Er ist nicht allein mit sich selbst, dieser Zacharias, sondern er lebt in gläubiger Erwartung. Er hofft auf die "herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes", wie er es in diesem Hymnus sagt.
Das aufgehende Licht aus der Höhe, das kommt herab und scheint uns, die wir in der Finsternis und im Schatten des Todes sitzen.
Zacharias lebt in der gläubigen Erwartung, und das ist eben nicht dieses dumme "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein", sondern das ist eine zielgerichtete Erwartung, dass Gottes Kraft unser Herz bewegt, dass das aufgehende Licht aus der Höhe kommt, das ich nicht ein und ausschalten kann, das über meine Zeitlichkeit weit hinausgeht.
Diese gläubige Erwartung ist nicht untätig, denn sie ist die Zuversicht auf das, was sich noch nicht zu erkennen gibt, und was doch unter uns wirkt.
Diese Erwartung treibt uns dazu, dass wir uns der Zukunft hingeben und den Sinn unseres Tuns auf Künftiges richten. Diese Erwartung ist eine geistige Erwartung.
Zacharias hat seinen kleinen Sohn in den Armen und sagt: Du Kindlein wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Diese Erwartung ist auf die Bedürfnisse des Herzens gerichtet; Prophet des Höchsten. Auf die Erkenntnis des Heils und die Vergebung der Sünden.
Johannes zeigt später auf Jesus - Matthias Grünewald, in dem berühmten Bild, hat ihn mit dem ganz langen Zeigefinger abgebildet - er zeigt auf Jesus. "Sein Reich ist nicht von dieser Welt".
Dass sein Reich nicht von dieser Welt ist, das wollte man lange nicht hören, denn es sollte alles von dieser Welt sein, jetzt und hier.
Aber da lag der gleiche Irrtum: als könnte diese Welt sich selbst erlösen. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, aber es ist für diese Welt. Diese Welt hat ja genug selbstgemachtes Licht, und doch sitzen wir im Finstern. Das Heil dieser Welt kommt von dem aufgehenden Licht aus der Höhe.
Durch die Kraft Seines Wortes werden unsere Füße auf den Weg des Friedens gerichtet, wie es Zacharias in seinem Hymnus sagt.
Jesus sagt: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere zufallen. (Mt. 6, 33)
Das ist die genaue, richtige Reihenfolge: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, das andere ergibt sich daraus. Und Menschen, die diesem Wort getraut haben, die haben das auch wirklich erfahren.
Wir aber verdrehen das leicht, diese Worte unseres Herrn. Er sagt: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere zufallen"; wir aber leben leicht in der falschen Erwartung, wir drehen das herum und sagen: wir trachten zuerst nach allen irdischen Dingen und meinen, dass dann das Reich Gottes mit seiner Gerechtigkeit kommen würde, wenn wir alle Güter haben.
Aber so geht es eben nicht. So bleiben wir mit uns selbst allein.
Wer vor allem nach dem Reich Gottes trachtet, der lebt in Erwartung, trägt es in sich und blickt in Sehnsucht und Liebe auf das, was noch gewonnen werden muss. Und diese Erwartung ist schon Glaube, der sich auswirkt und der die Welt verwandelt.
Die gläubige Erwartung wirkt sich auf das Irdische aus und bereitet dem Herrn den Weg.
Allerdings: wer das alleine tun will, der wird müde dabei. Aber eine Gemeinde bleibt beieinander und wird nicht müde, solange sie das Wort ihres Herrn hört. Denn Christus ist nicht das Licht, das aus uns selbst kommt, sondern er ist das aufgehende Licht aus der Höhe, und davon leben wir, und daraus ist unsere Hoffnung gemacht.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!