Predigt vom 15.09.1985 - Pastor Schnabel - Trinitatis - Joh. 11
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Liebe Gemeinde!
Jesus sagt zu Marta: Dein Bruder wird auferstehen. Und Marta antwortet: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird am Jüngsten Tage.
Marta ist eine fromme Frau, und wie sie das so sagt, weiß man: sie hat ihren Katechismus auswendig gelernt. Sie kennt die Worte der Hoffnung auswendig, aber die greifen in diesem Augenblick nicht. Ich weiß, sagt Marta, er wird auferstehen, aber jetzt bin ich traurig; ich lebe wohl in der Erwartung auf die Auferstehung später, aber jetzt bin ich traurig.
Die Auferstehung am Jüngsten Tag hat noch nicht stattgefunden, die ist fern. Darum sagt Jesus etwas für jetzt und hier: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben." Vereinfacht gesagt heißt das: Wie es auch kommt, wer an Jesus glaubt, der wird bleiben im Leben wie im Sterben.
Wer glaubt, der bleibt, ob er lebt oder stirbt. Mit diesen Worten wird bezeichnet, dass es um’s Ganze geht. Hier ist die Rede von etwas, das größer ist als Leben und Tod.
Aus unserer Sicht ist ja hier das Leben, und dann kommt das Sterben, der Tod. Was Jesus hier aufzeigt, ist eine Wirklichkeit, die größer ist als Leben und Tod, die das Leben und den Tod umgreift. Und das verstehen wir nicht gleich, denn wir leben in unseren Sinnen immer in diesem Gegensatz zwischen Leben und Tod.
Als Jesus am Kreuz starb, da waren die Jünger verzweifelt. Es war so überwältigend gut, mit ihm zu leben. Aber nun ist er tot, und das ist das Ende, das ist alles. Für sie war auch Leben und Tod im Gegensatz begriffen. Und als drei Tage später damals nach Jesu Kreuzigung das Grab leer ist und der Auferstandene ihnen begegnet und mit ihnen redet, da begreifen sie das erst langsam, dann immer mehr, bis es in ihnen zu einer großen Kraft wird, die sie den Heiligen Geist nennen. Sie begreifen diese große Kraft, die Leben und Sterben umgreift. Und die ist für uns erfahrbar und erkennbar geworden in Jesus Christus. Diese unaussprechliche Kraft, die größer ist, als Leben und Tod, die hat sich in Jesus Christus als mächtig erwiesen.
Wir können die Geschichten von, mit, und über Jesus aus der Bibel auch so verstehen: Gott wollte uns in Jesus Christus etwas vorspielen. SEIN Leben aus der innigsten Verbindung mit Gott war so stark in dieser Bindung, dass der Tod ihn nicht aus dieser Verbindung herauslösen konnte. Die Kraft, die der Gewalt des Todes überlegen ist, kommt aus dieser innigen Verbindung mit Gott, die Jesus Christus für uns angeknüpft hat. Und wer in der Verbindung mit Gott in Jesus Christus lebt, für den sind Leben und Sterben zwei Spielarten des letztlich Einen. Für den Glaubenden ist Leben und Sterben im Grunde kein Gegensatz mehr, sondern es sind Teile eines Ganzen.
In der Bibel heißt es an anderer Stelle: "Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir nun leben oder sterben, wir sind des Herrn."
Das hat Paulus an die Römer geschrieben. Und damit trifft er ganz genau das, was Jesus zu Marta sagt. Ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn.
Leben und Sterben sind für uns auf Erden auseinander gelegte Dinge. Aber wenn wir den Anschluss an die große göttliche Kraft haben, dann erkennen wir, dass es etwas gibt, das über Leben und Sterben steht. Paulus hat erkannt, worauf Jesus hinaus will. Marta pocht darauf, dass es später, nach dem Tod, mal besser wird - in der Auferstehung am Jüngsten Tag. Ja, Herr, ich weiß es - später mal. Und Jesus sagt nun nicht: Marta, das ist falsch! Er bestätigt diese Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tode, aber zugleich sagt er: Marta, das ist zu wenig, wenn du dich jetzt auf Erden darauf einrichtest, dass es nach dem Tode einmal Heil und Segen für dich gibt. Lege Leben und Sterben nicht auseinander. Gottes Kraft wirkt nicht erst nach dem Sterben, sondern sie wirkt im Leben wie im Sterben und ist etwas, das über Leben und Sterben steht. Gottes Kraft ist das eine, große, Ganze, das Leben und Sterben umgreift. Und wenn Jesus sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt, dann meint er damit: Marta, ich stehe jetzt neben dir, jetzt. Glaube nur und verlass dich ganz und gar auf Gott, dann kannst du teilhaben an der Kraft der Auferstehung, die du jetzt an Bruder Lazarus erlebst.
Und Jesus erweckt den Lazarus und erweist damit die Kraft Gottes zum Leben, die ihm selbst aus dem unmittelbaren Verhältnis zu Gott gegeben ist.
Diese Geschichte wird überliefert - übrigens nur für kurze Zeit - ehe Jesus selbst gekreuzigt, gestorben und begraben wird. Und die gleiche Kraft erweist sich an ihm selbst am Ostermorgen.
Eine Legende, die nicht im Neuen Testament steht, erzählt, dass Lazarus später, nachdem der auferweckt wurde und die Auferstehung des Herrn erlebt hat und am Pfingstfest vom Heiligen Geist ergriffen wurde, mit seinen Schwestern Maria und Marta per Schiff durch das Mittelmeer bis nach Südafrika gereist sei, um dort die frohe Botschaft von der Kraft Gottes in Jesus Christus zu verkündigen. Er konnte sie sicher besonders glaubhaft verbreiten, weil er selbst, am eigenen Leibe, diese Kraft erfahren hat. Die Legende erzählt, er sei dann noch Bischof von Marseilles geworden. Aber eines Tages ist auch er gestorben.
Einmal hat also auch Lazarus am Ende diese Erde verlassen. Und einmal hat auch der auferstandene Jesus dieses irdische Leben verlassen und ist, wie es im Glaubensbekenntnis heißt: aufgefahren gen Himmel. Das heißt, er ist eingegangen in Gott, in diese Kraft, von der wir heute in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus ein Beispiel finden.
Merkt ihr? Es geht in dieser Geschichte nicht um eine Lebensverlängerung. Und es geht auch nicht um eine Sterbensvorbereitung. Sondern es geht hier um das Ganze, um die Kraft, in der wir leben und sterben, die Kraft, in der wir bleiben. Ob wir nun leben oder sterben, wir sind des Herr. Daraus folgt ein starkes, seliges Leben.
Jesus verbindet uns mit Gottes Kraft. Und er ist unter uns mit dieser Kraft, er verbindet uns mit seinem Namen. Und uns bleibt nichts anderes zu tun, als IHM zu glauben. Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt ER. Es wäre arrogant, wenn ich, oder wenn du es sagen würden. Aber der, der es gesagt hat, der hat diese Macht Gottes in sich gehabt und hat sie uns gezeigt. Und sie hat sich als wahr erwiesen in seiner Auferstehung.
Es bleibt uns nichts zu tun, als IHM zu glauben und wie ER aus dieser Kraft zu leben, aus der Kraft Gottes, die alles in allem ist, die Tote auferweckt, und die uns selbst ins Leben zurückführt. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!