Predigt vom 29.09.1985 - Pastor Schnabel - 17.S.n.Trin. - Mt. 15, 21 - 28
Predigttext:
"Jesus ging weg von Genezareth und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: "Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt." Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: "Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach." Er antwortete aber und sprach: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: "Herr, hilf mir!" Aber er antwortete und sprach: "Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde." Sie sprach: "Ja, Herr; aber doch fressen die Runde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen." Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: "Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!" Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde."
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Liebe Gemeinde!
Nirgend ist Christus in der Bibel so hart dargestellt wie in der Geschichte von der kanaanäischen Frau. Bis auf den heutigen Tag kann uns Christus so hart erscheinen. Wir wissen ja, dass Dinge sich uns darstellen können auf eine Weise, die auch vom Betrachter abhängt. Für manche Menschen bleibt Christus so hart, weil sie nach dem ersten nicht erhörten Gebet aufgegeben haben. Im Grunde hat jeder Mensch es schon einmal mit dem Glauben versucht.
Du bist einmal in die Kirche gegangen, und da war es erstens langweilig, und dann hat die Predigt dich nicht betroffen. Und nun sagst du: Ich hab’s versucht, aber es war nichts für mich. Da hast du aufgegeben und gesagt: Dann eben nicht!
Oder vielleicht bist du auch mal mit Christen zusammengekommen, die etwas ausstrahlten von der Liebe ihres Herrn. Und da hast du gedacht: So möchte ich auch sein, die sind eine Gemeinde, aber ich bin alleine und komme nicht aus mir heraus. Die mögen heiter sein und Glauben haben, aber davon bleibe ich ausgeschlossen. Und so wird es bleiben: Dann eben nicht!
Und du hast dich wieder verkrochen.
Vielleicht hast du auch mal Schreckliches erlebt in der Nähe oder in der Ferne und hast dir gesagt: Wie kann Gott das zulassen? Und du hast das als Grund genommen, zu sagen: Dann eben nicht, lieber Gott!
Oder du erzählst vielleicht noch heute davon, dass die Kirche oder ein Pastor dich mal enttäuscht haben, und seitdem ist das Thema Kirche und Glaube für dich erledigt. Du hast es versucht, aber es war nicht so, wie du es erwartet hast. Dann eben nicht! Und du schließt dich trotzig aus.
Oder vielleicht wolltest du auch ganz ernsthaft glauben, hast die Bibel gelesen, die Predigt gehört, hast dein Gebet gesprochen, hattest dir vorgestellt, dass dein Leben dann glatt verlaufen müsste. Und dann ging doch vieles durcheinander. Du hast vielleicht einen Menschen verloren, den du lieb hattest. Du hast gehadert mit Gott, denn du wolltest ja mit ihm handeln. Aber ER schwieg. Und da hast du ihm deinen Glauben hingeschmissen und hast gesagt: Dann eben nicht! Vielleicht bist du dabei hart geworden und bitter und wolltest lieber unter gehen, als Gott noch einmal zu bitten. Dein Stolz ließ es nicht zu.
Merkt ihr? Da ist die Heidenfrau aus Kanaan aus ganz anderem Holz geschnitzt. Von ihr können wir viel über den Glauben lernen. Von ihr lernen wir zunächst, dass Christus gar nicht so zimperlich ist, dass wir durchaus direkt und ungeschminkt mit ihm reden können. Jesus ist gar nicht so zimperlich, wie manche Jesusbilder uns glauben machen wollen. Mit Christus kann man sich streiten. Christus kannst du beim Wirt nehmen. Christus will, dass wir ihn hartnäckig bitten. Er will, dass wir ihm auf die Nerven gehen - immer wieder.
Wir lernen aus dieser Geschichte, dass das Bitten und Beten auch da nicht vergebens war, wo es aussah, als würde Christus gar nicht dergleichen tun, als sei alles Beten und Bitten und Schreien sinnlos - ER hört ja doch nicht.
Dreimal hätte die kanaanäische Frau Gelegenheit gehabt, zu sagen: Dann eben nicht! Aber diese Heidenfrau lässt sich nicht abschmettern, sie schreit: Erbarme dich meiner! Und er geht weiter, ohne etwas zu sagen. Die Jünger werden unruhig, ihnen wird diese Szene peinlich. Und ER sagt: Ich bin nicht zuständig! ER geht weiter. Sie wirft sich ihm vor die Füße - er beleidigt sie: Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und den Hunden zu geben.
Und spätestens an dieser Stelle hätten die meisten von uns den Glauben aufgegeben und gesagt: Dann eben nicht! Ich habe auch meinen Stolz! Und wir wären lieber aufrecht untergegangen in Bitterkeit und Verzweiflung, als es noch einmal zu versuchen.
Viel abfälliges Gerede über Kirche und Glauben unter uns kommt aus dieser Bitterkeit: Ich habe auch meinen Stolz! Dann gehe ich lieber aufrecht zugrunde!
Unsere Heidenfrau ist da viel lebendiger und viel stärker.
Ich muss hier etwas sagen, was so nicht in der Bibel steht, was ich aber beobachte: Dass vermutlich Frauen dadurch, dass ihnen dieser sture, dumme Stolz nicht so angeboren ist und in den Knochen steckt wie uns Männern, oft stärker sind an diesem Punkt.
Es ist sicherlich nicht umsonst eine Heidenfrau in dieser Geschichte, und nicht ein Heidenmann.
Die Frau aus Kanaan ist in Not. Und sie glaubt ganz fest: ER kann helfen. Sie liebt ihr Kind, sie hängt an ihm und sagt: Es gibt jetzt gar keine Diskussion um meine Ehre. Sie streitet sich auch nicht mit Jesus darum: bin ich ein Hund, oder bin ich keiner. Sie sagt nicht aus irgendeinem Stolz heraus: Jesus, ich bin kein Hund, sondern ich bin eine anständige Frau! Das ist für die Frau kein Thema - stolz oder nicht stolz, würdig oder unwürdig. Das spielt jetzt gar keine Rolle. Fromm oder nicht fromm, das ist egal. Herr, erbarme dich! Du kannst mir helfen, darum geht es mir.
Und als Jesus dieses harte Wort mit den Hunden sagt, da nimmt sie ihn beim Wort. Das Wort hat kaum Jesu Mund verlassen, da packt sie’s und sagt: Gut, Jesus, das soll gelten, was du sagst, aber dann halte mich auch wie einen Hund. Gib deinen Kindern das Brot, ich will warten, bis etwas für mich abfällt. Mir genügen schon die Brocken, die vom Tisch fallen. Was sonst umkommen würde, das genügt mir. Erbarme dich, hilf mir!
Ihr habt in dieser Geschichte gehört, dass sich in diesem Augenblick die Situation wendet. Jesus bleibt stehen, er wendet sich ihr zu, er strahlt und sagt: Dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst. Und von nun an ist diese Frau Gottes Kind. Sie ist dichter dran als die, die von der äußeren Form her doch nahe an IHM sein sollten.
Das ist der Glaube in dieser Geschichte, von dem die Bibel bildhaft sagt, er könne Berge versetzen. Das ist der Glaube, dem alles möglich ist. Aus diesem Glauben kommt die Kraft, Unmögliches zu tun. Und diese Kraft umgibt uns alle, jeden Einzelnen und diese ganze Gemeinde. Und wenn wir nur Glauben haben, dann gelingt es uns, Anschluss an diese Kraft zu finden, diese Kraft sozusagen anzuzapfen.
Aber wir lernen auch aus dieser Geschichte: Wer schon beim ersten Scheitern aufgibt, der hat nicht mit ganzem Herzen gebetet, der hat nicht alles auf eine Karte gesetzt. Der hat im Grunde gar nicht vertraut, hat nicht gesagt: Entweder ER hilft mir, oder nichts kann mir helfen. Sondern der hat gesagt: Na ja, wir können”s ja mal versuchen. Und wenn nicht, dann ist’s eben nicht - dann eben nicht!
Wer aber glaubt, und wem es ernst ist - und vielleicht gehört auch die Situation der kanaanäischen Frau dazu, dass sie mit ihrem Latein am Ende ist - wer glaubt und wem es ernst ist, der spricht: Lieber Herr, stell dich wie du willst, ich nehme dich beim Wort, und ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Und wenn du heute schweigst, dann komm ich morgen wieder. Und wenn du jetzt nicht antwortest, dann bete ich nachher wieder. Und wenn du mich zur Tür hinausschmeißt, dann komm ich durch’s Küchenfenster wieder rein; du wirst mich nicht los!
So hat’s die heidnische Frau getan. Sie war sich nicht zu stolz, Jesus nachzulaufen. Sie hat sich nicht geniert, vor den anderen Aufsehen zu erregen und IHN laut anzurufen. Sie war nicht ungeduldig, sie hat nicht gemurrt. Sie war verzweifelt und hat es immer wieder versucht. Sie hat IHN immer wieder angerufen. Und dieser Glaube hat sie stark gemacht. Und da sagt Jesus: Dir geschehe, wie du willst. Dein Glaube ist groß.
Ihr Lieben, wir können unseren Glauben auch nicht verfügen. Manchmal wünsche ich mir, dass man die neuen Konfirmanden nehmen könnte und sie mit einem Kunstgriff in 100 prozentige Christen verwandeln. Aber das geht ja nicht. Und es ist sicher gut so, denn das wäre eine ungeheuerliche Macht, die uns dann gegeben wäre. Wenn wir wenigstens lernen, nicht zu stolz zu sein. Dann können wir IHM nämlich immer wieder nachlaufen. Und dazu muss man Jesu Wort kennen, damit man IHN immer wieder beim Wort nehmen kann. Dazu ist Konfirmandenunterricht da. Dazu ist auch die Predigt da, SEIN Wort immer wieder zu hören.
Lasst uns nicht zu stolz sein. Die Kraft Christi, die von Gott kommt, ist am Wirken bis auf den heutigen Tag. Und selig sind wir, wenn wir diesen Anschluss an diese Kraft haben. Und verloren sind wir, wenn wir diesen Anschluss nicht haben. Es fällt auch für uns etwas vom Tisch des Herrn. Wir müssen nur dran bleiben und uns ein Beispiel nehmen an dem starken Glauben dieser Heidenfrau aus Kanaan. AMEN!