Predigt 525 zum 22.S.n.Trin.

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Predigt vom 03.11.1985 - Pastor Schnabel - 22.S.n.Trin. - Mt. 18, 21-35

Predigttext:

"Petrus trat zu Jesus und fragte: "Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?" Jesus sprach zu ihm: "Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.

Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir: ich will dir‘s bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder."

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! AMEN!

Liebe Gemeinde!

In jedem Vaterunser beten wir: "…und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, …"

In jedem Glaubensbekenntnis bekennen wir: "Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige, christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben."

An der Vergebung Gottes hängt unser Heil. Aber Gott macht die Vergebung abhängig von unserer Vergebung untereinander. Die Vergebung, die zuerst von Gott her auf uns zukommt, kann widerrufen werden, wenn wir sie nicht weitergeben.

Vergebung unter uns tut Not, immer wieder, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal, sagt Jesus, und erzählt das Gleichnis vom Schalksknecht. Eine einprägsame Geschichte. Der Knecht hat sein Heil verspielt. Die Größe der Schuld wird festgestellt. Und erst nach dieser Feststellung ist der Herr gnädig und vergibt die Schuld. Aber der Knecht ist dumm. Gerade ist er gerettet worden durch die Vergebung, da verspielt er sein Heil ein zweites Mal. Nur - diesmal rettet ihn nichts. Der Knecht gibt die große Vergebung, die er selbst erfahren hat, nicht weiter an seinen Nächsten. Die große Vergebung hat diesen Knecht nicht liebevoll und barmherzig gemacht. Eben hat er noch seine große Schuld vor Augen gehabt und um Gnade gefleht und hat Vergebung erfahren und konnte neu anfangen. Neues Leben war ihm geschenkt worden, da dreht er sich herum und packt seinen Nächsten an der Gurgel wegen einer kleinen Schuld. Der Herr erfährt’s, und der Knecht hat sein Heil verspielt.

Jesus erzählt uns das so einprägsam, weil er möchte, dass es so nicht unter uns gehen soll. Gott hat uns vergeben, wir sind reich durch seine Gnade. Nur wehe, wenn wir das nicht weitergeben. Die Vergebung, die wir erfahren haben, ist zum Weitergeben da. Tun wir das nicht, dann wird sie uns wieder genommen. Das Wort "vergeben" kommt ja in unserer Sprache seltener vor. Und wenn das Wort "vergeben" gebraucht wird, dann hat es oft einen leichten, galanten Sinn: Bitte sehr um Vergebung, wenn ich eingetreten bin, ohne anzuklopfen. Oder dann gibt es dieses Lied: Du Schwarze, du Blonde, du Braune, vergib und vergiss und verzeih, ja verzeih.

Also: Das ist mit Vergebung im biblischen Sinn nicht gemeint. Vergebung in der Bibel geht anders, ist tiefer und nachhaltiger. Da wird nämlich die Schuld genau beschrieben und festgemacht. Und erst dann wird sie vergeben.

Es ist also keine Vergebung - und lügt euch das nicht in die Tasche - wenn man noch sagen kann: Ach, ist nicht so schlimm, oder: das macht doch nichts. Das ist keine Vergebung. Vergebung ist da, wo es auch schwer fällt. Vergebung setzt da ein, wo die Schuld benannt wird: Du bist ein Schlitzohr! Du hast mich betrogen, verleumdet und hintergangen! Das macht was, das ist schlimm. Und wo der Schuldige daraufhin sagt: Verzeih mir, es tut mir leid! Vergib mir! Da sollst du vergeben und dich nicht zieren, dich nicht abwenden. Von Herzen sollst du vergeben. Und wenn es dir schwerfällt, dann kannst du daran erkennen, dass du offensichtlich selbst nicht aus Gottes Vergebung lebst. Dann musst du einfach vor Gott deine eigene Schuld bedenken.

Luther schreibt das mal in einer tagebuchartigen Aufzeichnung, dass, wenn er gerade nichts Besonderes zu tun hat, oder er unterwegs in einer Kutsche sitzt auf einer Reise, er dann die Zehn Gebote vor sich hin spricht. Und er sagt da auch, dass er meistens gar nicht weit kommt, weil er schon beim ersten und zweiten Gebot stolpert.

Ich weiß, es ist verbreitet, dass wir das Gefühl haben: Was ist eigentlich mir an Schuld zu vergeben? Wenn du das nicht weißt, dann sage die Zehn Gebote vor dich hin und sieh, wie weit du kommst ohne demütig zu werden. Du wirst nicht weit kommen. Schon beim ersten Gebot komme auch ich in’s Stocken.

Nur als einer, der selbst Vergebung von Gott erfahren hat, als ein begnadigter Sünder, wird dir das Herz dankbar und weit. Und erst dann wird es dir leicht, von dieser Vergebung etwas weiterzugeben und deinem Mitmenschen zu vergeben. Wenn du erkennst, wie du selbst täglich die Vergebung nötig hast, dann wirst du milde und geduldig, dann wirst du die Vergebung deinem Nächsten gegenüber gar nicht zurückhalten können. Halte die Vergebung nicht für Schwäche. Es ist vielmehr Stärke. Und es wird ein neues Leben gestiftet. Die Gemeinschaft der Christen lebt von der Vergebung. Wo unter uns die Schuld das Leben wie Beton erstarren lässt, da kann uns nur Vergebung retten. Schuld kann man auch nicht aufrechnen. Davon geht sie nicht weg. Darum gibt es so viel Krieg und Streit in der Welt bis in unsere Familien hinein, weil wir letztlich doch versuchen, Schuld aufzurechnen. Aber davon geht die Schuld nicht weg. Man schiebt die Schuld von einem Konto auf das andere, aber sie bleibt.

Schuld kann man nur vergeben. Wo Schuld nicht vergeben wird, da erzeugt sie Rache. Und die Rache bringt neue Schuld hervor. Und so geht das weiter, so fahren wir uns immer fester.

Jesus aber sagt zu uns: In dieser Welt, wo die Schuld unter uns Menschen von einem Konto zum anderen verschoben und immer größer wird, da sollen wir anfangen, diese Kruste, dieses Festgefahrene, aufzulösen. Und das meint Jesus, wenn er sagt: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn er sagt: Ihr seid das Licht der Welt. (Mt. 5, 13ff) In einer dunklen, faden Welt, die von Vergebung nichts weiß, sollt ihr Würze und Licht sein dadurch, dass ihr einander vergebt, weil Gott euch vergeben hat. Vergebung kann aus Feinden Brüder machen.

Es ist oft schwer, zu einem Menschen zu gehen und ihn um Vergebung zu bitten. Da klingelt man an der Tür und wartet mit klopfendem Herzen. Und während du wartest, flüstert dir der Teufel ein: Mensch, was machst du da? Soll der doch zu dir kommen und den ersten Schritt tun. Du machst dich ja lächerlich, hast du keinen Stolz? Man wird das für Schwäche halten, wenn du da kommst und um Vergebung bittest. So spricht der Teufel in eines Menschen Herzen. Und da muss der Mensch tapfer sein und widerstehen und warten, was daraus wird. Und wenn dann der andere die Tür aufmacht und dir vergibt, dann habt ihr beide gewonnen.

Ich habe einmal einen zornigen, harten Menschen, der bei der kleinsten Kleinigkeit immer gleich mit dem Rechtsanwalt drohte, um Vergebung gebeten, und ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber ich habe da etwas Wunderbares erlebt, es kam nämlich ganz anders: Der Mann vergab mir mit Tränen in den Augen, und was er sagte, habe ich in Erinnerung behalten. Er sagte: Es hat mich noch nie jemand um Verzeihung gebeten.

Durch Vergebung geschehen Wunder. Und wir müssen auch mit Menschen Geduld haben, die selbst nie die Vergebung Gottes erlebt haben. Bei denen ist es verständlich, wenn sie sagen: Mir vergibt auch keiner was, also vergebe ich auch den anderen nicht! Wir müssen Geduld haben mit den Menschen, die diese große Vergebung, diese Gnade, nicht erfahren haben, die den Menschen frei macht.

Wer diese Gnade nicht empfangen hat, den müssen wir verstehen, denn er hat ja nichts empfangen an Vergebung, was er weitergeben könnte, Sein Herz ist noch nicht weit genug.

Vielleicht rührt es einen Menschen - wie diesen harten Mann - wenn ein anderer Mensch ihn um Vergebung bittet.

Durch Vergebung geschehen Wunder. Es ist ungewöhnlich geworden, dass einer zu seines Feindes Tür geht und den Anfang macht. Damit solche Wunder sich ereignen können, musst du den ersten Schritt tun. Und wenn du jemand bist, der Gottes Gnade erfahren hat und seine Vergebung wirklich lebst, dann kannst du gar nicht anders, als den ersten Schritt zu tun.

Ihr Lieben!

Das war einer der großen Lichtstrahlen der Reformation, dass Luther entdeckt hat: Keine Kircheninstitution kann Sünden vergeben, schon gar nicht für Geld oder Ablasszettel. Sondern Gott vergibt und beschenkt. Und nur die, die das empfangen haben, können untereinander vergeben und etwas von der Gnade weitergeben. Die reformatorischen Väter haben die Kirche so definiert, sie haben nicht gesagt: Eine Kirche verdient ihren Sinn dadurch, dass sie Gutes tut, das ergibt sich von ganz alleine. Denn wer so reich beschenkt ist, der wird gar nicht anders können, als weiterzugeben; nicht nur Vergebung, sondern auch von dem anderen Segen, der über uns ausgegossen ist. Eine Kirche, haben die reformatorischen Väter gesagt, ist die Gemeinschaft der begnadigten Sünder. Wir leben von der Vergebung Gottes, das verbindet uns. Und diese Vergebung geben wir weiter. Die Vergebung macht’s möglich, dass wir nicht verzweifeln an uns selbst und an dieser klapprigen Kirche.

Die Vergebung macht’s möglich, dass wir immer wieder zusammenfinden bei Christus, unserem Herrn. AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - Amen!