Predigt vom 02.02.1986 - Pastor Schnabel - Hebr. 4, 12 - 13
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Schon Adam und Eva versuchten, sich nach dem Sündenfall vor Gott zu verstecken im Garten des Paradieses. Aber das geht natürlich nicht. Gott zog sie aus ihrem Versteck hervor; Gott zog sie zur Rechenschaft.
Darin steckt die alte Wahrheit: Vor Gott kann sich kein Mensch verstecken.
Und die Kirche darf nicht müde werden, die Menschen aus dieser Illusion zu befreien; davon zu reden - denn es geht um Leben und Tod.
Im heutigen Predigttext, im Hebräerbrief, seht:
"Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer, als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und der Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen."
Das Wort Gottes, das ist der absolute Geist, der die Welt erschaffen hat. Das, was absolut gültig ist.
Das Wort Gottes ergeht an uns in menschlicher Sprache. In einem Menschen kam es zu uns; in Jesus Christus.
Und in der deutschen Übersetzung der Bibel ist das Wort Gottes für uns enthalten. Aber - das Wort Gottes ist nicht, wenn man jetzt aus der Bibel ein Wort oder einen Satz herausnimmt und sagt: Hier, das ist das Wort Gottes! Sondern - der absolute Geist Gottes ist in den Worten und in den Gleichnissen der Bibel enthalten; durchzieht diese Geschichten wie ein roter Faden. Und aus diesem Grunde nennen wir auch die Bibel "Gottes Wort".
Wir Menschen brauchen ja immer Vergleiche, wenn wir vom Heiligen reden; von Gott. Hier im Hebräerbrief ist Gott als Richter vorgestellt. Sein Wort ist lebendig und wirksam. Es ist schärfer, als jedes zweischneidige Schwert .
Vielleicht habt ihr mal ein altes Bild gesehen; da ist Christus abgebildet - merkwürdig - da ragt aus seinem Mund ein zweischneidiges Schwert.
Und mit diesem Symbol ist das Wort Gottes gemeint. Das zweischneidige Schwert ist ein Richtschwert. Ich hatte eigentlich vor, aus dem Museum in Lüneburg ein Richtschwert zu leihen. Das Museum hat keins.
Die Hauptkonfirmanden, die heute hier sind, die wissen, dass wir im Schloss Bleckede ein Richtschwert gesehen haben; das liegt da in der Glasvitrine. Ich habe im Archiv angerufen in Lüneburg, aber da war man entsetzt, dass ich eines dieser
Richtschwerter leihen wollte. Obwohl ich meine, wenn wir diesen Text verstehen wollen, müssen wir einmal wissen, wie so ein Richtschwert aussieht.
Im Rathaus sind einige Richtschwerter. Aber - wie man mir sagte; sind die für die Nachwelt, die müssen erhalten werden.
Ich habe kurzerhand selbst ein Richtschwert gebaut nach einer Originalvorlage. Diese Richtschwerter sind tatsächlich so groß. Wenn ihr genau hinschaut; dieses Richtschwert ist kein Schwert, um Kriege zu führen, sondern es ist zum Richten da. Es hat einen extra großen Griff, wird mit zwei Händen angefasst.
Dieses Schwert tritt einmal auf als Symbol für das Wort Gottes; aus Jesu Mund kommend. In der Offenbarung des Johannes steht davon geschrieben.
Dieses Richtschwert tritt auch als Symbol auf, wenn die Justizia abgebildet ist; die Gerechtigkeit. Ihr wisst; sie hat so eine Binde vor den Augen. In der einen Hand hält sie eine Waage, und in der anderen Hand das Richtschwert. Das ist die irdische Gerechtigkeit. Die irdische Gerechtigkeit ist eine grobe Gerechtigkeit, die nur den äußeren, groben Schaden abwenden kann.
Dieses Richtschwert, damit wird Gottes Wort verglichen. Aber die Bibel sagt: Gottes Wort ist noch schärfer als ein zweischneidiges Schwert. Das heißt: Gottes Wort ist schärfer, als es die irdische Gerechtigkeit je sein kann.
Zweischneidig - heißt nicht, dass man mal so, mal so schlägt, sondern; eine Seite ist in jedem Falle scharf.
Allerdings kommt auch der Ausdruck her; es ist eine zweischneidige Sache, wenn man mit etwas umgeht, was so oder so ausgehen kann.
Dieses Richtschwert, dieses Schwert, steht also für das Wort Gottes.
Dieses Richtschwert Gottes trennt genauer; es dringt durch. Es schneidet durch Mark und Bein.
Ich will es mal hier hinstellen, aus einem bestimmten Grund. (P. stellt das Schwert an die Wand unter das Kreuz.)
Dieses Richtschwert, das Wort Gottes, dringt durch; nichts ist ihm verborgen. Das heißt: Gott richtet unsere Gedanken und herzen und die geheimsten Regungen unseres Herzens; alles liegt nackt und aufgedeckt vor den Augen Gottes.
Trotzdem versuchen wir Menschen immer wieder, uns zu verstecken, mit Gott zu handeln, zu mogeln, ihn zu betrügen. Und damit tun wir immer so, als ob es in der großen, weiten Welt, die Gott in seiner Hand hält, irgendwo einen Winkel gäbe, wo er nicht hinkommt; wo wir etwas verstecken können. Jesus sagt immer wieder: Lasst dieses Spielchen sein, es ist töricht und dumm, denn Gott sieht in eure Herzen. Ihr macht euch unglücklich und verwirkt euer Leben mit diesen hilflosen Versuchen, vor Gott etwas zu verbergen.
Und nun liebe Gemeinde, es gilt, diesem schrecklichen Bild, dass Gott alles sieht, es gilt, diesem Bild zunächst einmal standzuhalten. Genauso, wie wir vorhin in der Beichte gebetet haben: "Herr, du erforschst mich und kennst mich, ich liege oder stehe auf, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von fern."
Vor Gott sind wir durchsichtig wie Glas. Nur vor Gott; vor den Menschen sind wir nicht durchsichtig. Und ich persönlich möchte auf keinen Fall, dass ihr alle wisst, was in meinem Herzen vor sich geht. Und wenn ihr euch selbst fragt: Ihr wollt das eigentlich auch nicht. Denn wir haben Angst davor, dass Menschen über uns alles wissen.
Im Zuge der Datenverarbeitung protestieren wir gegen die totale Datenerfassung. In der Diskussion um diese Datenverarbeitung durch die Computer ist dieses Bild vom gläsernen Menschen entstanden. Mit Recht wehren wir uns dagegen, dass der Staat oder sonst eine Institution alles über uns weiß. Denn sonst werden wir durchsichtig für Menschen, und das ist gefährlich. Wir haben mit Recht Angst davor; vor Menschen, die über uns alles wissen. Was machen die mit ihrem Wissen? Sie können uns verletzen, sie können uns zerstören und über uns verfügen.
Ich bin als Jugendlicher in ein Internat gegangen, und da gab es einen fanatisch frommen Diakon. Der kam abends immer in die Schlafräume rein und sagte mit fürchterlicher Stimme: Gott sieht alles! Und als er das einmal wieder tat - da war ein Schüler, der lag ganz hinten im Bett, der hatte sich so hinter die Decke versteckt - und als der Diakon wieder sagte: "Gott sieht alles!" rief er von hinten zurück: "Ja, Gott sieht alles, aber du bist nicht Gott!" Da lachten natürlich alle und der Diakon war wütend. Aber was der Schüler gesagt hatte, das traf die Sache genau. Der Diakon fühlte sich nämlich ertappt, wie er eigentlich das Richtschwert, das Wort Gottes, ergreifen wollte und sich in Gottes Richterposition schwingen wollte und die Schüler schrecken wollte.
Das Wort Gottes als Richtschwert, das handhaben wir nicht. Ich hohe es bewusst da weggestellt; zu den Füßen des Kreuzes. Der Pastor hat das Wort zu bringen, so, wie ein Briefträger einen Brief, eine Nachricht bringt, mehr nicht.
Gott sieht alles! Aber eben nur Gott und nicht wir Menschen:
Und genau darum ist das Bild von dem Richtschwert so überwältigend wahr. Aber, das werden wir gleich entdecken, es ist auch tröstlich; das richtet uns auf.
Bedenkt einmal; wenn Menschen richten, dann richten sie meistens, um zu strafen. Die Bibel erzählt aber, dass, wenn Gott richtet, dass er richtet, um uns zu retten. Im Richten steckt die Furcht; das scharfe Richtschwert. Im Richten steckt aber auch das Aufrichten; das "Richtigmachen".
Beim Bauen braucht man eine Richtschnur, um die Steine ihrer Bestimmung gemäß in Reihe zu bringen. Man braucht ein Richtblei, um die Senkrechte zu erkennen.
Das ist ein Richtschwert, aber das ist ein Richtblei; da steckt auch das Richten drin. Seht ihr, diese Kante hier, die haben die Maurer gerade gezogen, weil sie ein Richtblei hatten; ein Lot. Das hat auch mit Richten zu tun. Das richtet nämlich die Steine, oder das Material, oder auch einen Menschen. Das zeigt, wo oben und unten ist. Auch solche Geräte haben mit dem Richten zu tun.
Wenn Gott uns richtet, dann richtet er uns, um uns zu retten.
Mit einem Richtblei stellt man die genaue Senkrechte fest. Richten heißt auch; gerade machen; mit dem Richtmaß oder mit dem Richtscheit.
Und bei unserem Bau, bei dem Bau unseres Lebens, ist das ein ähnlicher Vorgang. Richte unseren Sinn, bitten wir im Gebet. Richten kommt von Recht.
Nur die Gerechtigkeit Gottes, durch sie finden wir die richtige Bahn für unser Leben. Wir sollen uns nach Gott richten; wir haben die Richtung nicht aus uns selbst.
Wer Gott Richter sein lässt, und hier kommt der Trost ins Leben, der erfährt das Glück, dass er nicht mehr sein eigener Richter sein muss. Erst dann betest du richtig, wenn du dich vor Gott nicht mehr versteckst und davon ausgehst, dass er alles sieht und weiß. Und darum macht uns die Beichte nicht klein, sondern stark, weil sie uns frei macht von uns selbst. Das Wichtigste an der Beichte ist nämlich nicht, dass wir alle Verfehlungen lückenlos aufzählen. Ich habe neulich mit einem Konfirmanden gesprochen, der sagte: In diesen paar Sekunden, wo die Gemeinde still ist und in der Stille betet, da kann man doch gar nicht alles aufzählen. Da habe ich gesagt: Richtig, das kann auch keiner. Keiner kann seine Verfehlungen lückenlos aufzählen. Aber das Wichtigste an der Beichte ist ja auch, dass wir vor allem und zuerst bekennen: Allmächtiger Gott, du bist der feste Punkt in unserem Leben, du bist unser Richter, dein Wort ist lebendig und wirksam und gilt über meinem Leben; absolut.
Du hast Anspruch auf mein Leben und ich kann mich vor dir nicht verstecken. Dein Wort gilt, an deinem Wort wird alles gerichtet.
An Gottes Wort wird unser krummes Leben gerade. An Gottes Wort werden gefallene Menschen aufgerichtet. Und die Bekehrung eines Menschen durch Gott, die könnte man eigentlich getrost, wie in der Sprache aus dem Bau, ein "Richtfest" nennen.
Einen Blick möchte ich noch einmal auf das Richtschwert werfen. Das Wort Gottes ist schärfer als alles irdische Richten und absolut genau, so sagt es die Bibel. Das muss uns in einer gewissen Weise natürlich das Fürchten lehren. Und das soll es auch. Aber die Bibel erzählt diese furchtbare Geschichte, damit wir unsere Lage begreifen; damit wir gerettet werden. Damit wir unser Leben nach Gott richten, ehe es zu spät ist,
Zum Schluss ein Stück aus dem Märchen von Jona und dem Walfisch. In dem Märchen von Jona und dem Walfisch schickt Gott ja den Propheten in die verderbte Stadt Ninive, wo die zehn Gebote nicht mehr gelten und wo alles drunter und drüber geht.
Und da soll Jona im Grunde Gottes Wort wie ein zweischneidiges Richtschwert bringen und es dort hinlegen und sagen: Gott wird euch zerstören, weil ihr nicht umkehrt! Sein Wort wird euch richten, ihr seid verloren! Das Wort Gottes ist schärfer, denn ein zweischneidig Schwert!
Jona will ja erst nicht den Auftrag annehmen, aber der Walfisch spuckt ihn dann doch ans Land und er muss. Und eher maulend tut er Gottes Willen und predigt und sagt: Leute, ihr sollt untergehen, das ist beschlossene Sache, im Grunde könnt ihr gar nichts mehr dran ändern; ihr seid verrottet und es ist Hopfen und Malz verloren. Und nachdem Jona eher lustlos das Wort Gottes gebracht hat, den Menschen auf die Seele gelegt hat: "So, nun macht damit, was ihr wollt!" geht er schmollend weg, setzt sich auf einen Berg am Stadtrand von Ninive und schaut zu. Und er wartet nun darauf, dass Gott ein ordentliches Feuerwerk veranstaltet und diese Stadt ins Verderben bringt und sie ausrottet und zerstört.
Und da ist diese schöne Geschichte, wie Jona in typisch menschlicher Verbissenheit wartet. Und er wartet, und es passiert nichts. Und er wartet, dass Gott die Stadt zerstört; er hat es doch gesagt, das muss doch geschehen!
Ihm scheint: es passiert nichts. Es passiert da unten in der Stadt aber doch was, denn die Menschen bekehren sich. Sie richten sich plötzlich nach Gottes Wort und da hat Gott Erbarmen, und das Leben wird gut.
Nur da oben, der kleine Prophet Jona, der sitzt da und ärgert sich. Er ärgert sich deshalb, weil er recht behalten wollte. Und darin war Jona ein dummer Prophet. Ein richtiger Prophet, der weiß nämlich, dass Gott die Propheten vom Untergang reden lässt, damit sie sich rechtzeitig bekehren, damit der Untergang nicht eintritt.
Dass die Menschen umkehren und sich nach Gottes Wort richten.
Echte Propheten zeigen auf: So schlimm steht es um euch, um Himmels willen, kehrt um!
Das zweischneidige Schwert, das Zeichen für das Wort Gottes, für das Gericht, das darin enthalten ist, das steht da, damit wir rechtzeitig umkehren, damit es nicht soweit kommt.
Das Wort Gottes wird verglichen mit einer Schärfe, die größer ist, als jedes zweischneidige Richtschwert. Nicht, um es anzuwenden und zu strafen, sondern um uns zu retten. Um uns zu richten in dem Sinne, dass wir in die richtige Richtung kommen, die uns Jesus Christus weist- AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!