Predigt vom 16.02.1986 - Pastor Schnabel - Hebr. 4, 14 - 16
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Für die Alten wie für die Jungen, für die Großen wie für die Kleinen geht es darum, dass wir erkennen; Jesus Christus IST Gottes Botschaft an uns:
Und es geht nicht darum, dass wir darauf herumreiten, dass hier ein Mensch bestimmte Formeln annehmen muss, um dann auch das Prädikat zugesprochen zu bekommen, dass er Christ ist.
Wer erkennt, dass Jesus Christus Gottes Botschaft an uns ist, ganz gleich, wie er das dann ausdrückt in seiner Sprache, der ist ein Christ. Mit welchen Worten und Gleichnissen diese Botschaft empfangen wird und weitergegeben wird, ist gleichgültig; wir müssen sie nur verstehen.
Das geht uns ja in anderen Dingen des Lebens auch so; wer etwas ganz Neues, Überwältigendes erlebt, und anderen davon sagen will, der muss immer eine schon vorhandene Sprache benützen.
In den Epistelworten, die wir heute gehört haben - es ist zugleich der Predigttext - da schreibt ein Apostel vor 1900 Jahren an Judenchristen einen Brief. Er vergleicht Jesus mit einem Hohepriester. Die Empfänger damals wussten natürlich sofort, was ein Hohepriester ist. Ein Hohepriester, das war für sie so geläufig, wie wenn wir heute von einem Papst reden z.B. Ein Hohepriester, das war der Vermittler zwischen Gott und Mensch. Er war der höchste Priester in Jerusalem am Zentralheiligtum. Dieser Hohepriester war kein gewöhnlicher Mensch, er lebte in einem entlegenen Tempelbezirk. Er war in einer bestimmten Familie geboren. Er durfte nie einen Toten berühren. Er hatte mit dem täglichen Leben der Bürger dieses Landes eigentlich nichts zu schaffen, die Sorgen seiner Mitbürger kannte er aus der eigenen Anschauung nicht. Er lebte hinter Tempelmauern, und die Tempelmauern waren dick und sie hielten alles menschliche Elend und alle Mühsal von dem Hohepriester fern. Er trat nur zu den großen Gottesdiensten im Tempel auf.
Nun sagt der Apostel; Christus ist so ähnlich wie ein Hohepriester. Das trifft zu insofern, als er eine Vermittlung, eine neue Verbindung angeknüpft hat zwischen uns und Gott. Ein Verhältnis - was Jesus auch mal verglichen hat - ein Verhältnis, wie zwischen einem Kind und seinem lieben Vater. Aber der Vergleich mit dem Hohepriester Stimmt nur zu einer Hälfte, zur anderen Hälfte stimmt er nicht. Denn Jesus hat eben nicht abgeschieden von der Welt gelebt, er hat nicht geschützt hinter Tempelmauern hoch über der Stadt gethront, sondern Christus ist durch’s Land gewandert, auf seinen Sandalen, die zu dem Wenigen gehörten, was er am Ende überhaupt zurückließ. Er hat durchaus Tote berührt und hat sie zu neuem Leben erweckt. Das mag physisch gemeint sein. Das wird sicherlich auch im übertragenem Sinne stattgefunden haben, dass Menschen innerlich tot und erstarrt waren, und plötzlich aufblühten wie eine Blume im Frühling. Christus hat Kranke geheilt, er hat Traurige getröstet. Er hat resignierte Menschen aufgerichtet, er hat verirrten Menschen den Weg gewiesen
In ihm, so sagen die Christen seitdem, ist Gott Mensch geworden.
Jesus hat sich allerdings auch zum Beten in die Einsamkeit zurückgezogen. Aber er hat dann immer wieder gelebt und gewirkt unter Menschen. Er war ein Mensch unter Menschen.
Die Bibel erzählt, wie er Hunger und Durst hatte, wie er gelacht hat, wie er geweint hat. Wie er traurig und zornig war, dass einer seiner besten Freunde ihn verraten hat. Wie er sich gefreut hat über die Kinder im Tempel, die von den Hohepriestern raus gejagt werden sollten.
Jesus ist kein makelloses Vorbild. Und die Bibel beton das immer wieder. Es werden in der Bibel ja viele Geschichten von und mit und über Jesus erzählt. Manche Geschichten sind klar verständlich, manche sind auch unverständlich. Aber alle diese verschiedenen Geschichten - so verworren manche auch sein mögen - sie weisen alle in die gleiche Richtung. Sie haben alle eins übereinstimmend gemeinsam, sie sagen aus: Christus hat sich ganz auf Gott verlassen, bis zuletzt am Kreuz, wo er zu Gott gebetet hat - da kommen wieder Gottes Hände vor: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände".
Christus war sicherlich der Erste und der Einzige, der ganz das erste Gebot erfüllt hat: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!"
Christus hat so konsequent wie kein anderer Mensch sich nur auf Gott verlassen. Und er brauchte keine andere Macht. Und die, die das erfahren haben an ihm, die haben ihm dann einen Titel gegeben; eine Würde. Die haben gesagt: Er ist der Sohn Gottes.
Und nachdem Christus gekreuzigt, gestorben, begraben und auferstanden ist, und nachdem die Jünger zu Pfingsten das große "Aha-Erlebnis" hatten und merkten; aha, wir sollen eine Gemeinde sein, wir sollen das fortführen, was Christus begonnen hat, da hat es dann bald auch - wie es unter irdischen Menschen so üblich ist - einen langen Streit gegeben über Christus. Zwischen den einen, die sagten: Christus, das war gar nicht so ein normaler Mensch wie wir, das war ganz Gott. Und die anderen haben gesagt: nein, Christus war nicht Gott, der war ganz Mensch wie wir. Und - ich will über diesen Streit jetzt nicht lange reden, er hat gute und auch schlechte Folgen gehabt - auf einem Konzil hat man sich dann geeinigt. Wie wird man sich geeinigt haben? Mit einem Kompromiss. Man hat nämlich gesagt: Er ist beides, er ist Gott und Mensch. Aber damit ist komischerweise die Frage nie zur Ruhe gekommen, bis auf den heutigen Tag. Und dass die Frage nicht zur Ruhe kommt, war nun Christus Gott, oder war er Mensch? Das hat seinen Grund in uns selbst. Wer nämlich wirklich einmal hinhört, was von Jesus in der Bibel erzählt wird und was das für uns bedeutet, und wenn uns unser Leben erleuchtet wird im Lichte der göttlichen Wahrheit, dann müssen wir erkennen, dass wir geändert werden müssen, weil wir nicht so sind wie Gott uns haben will.
Und das hat natürlich kein Mensch gern; das stört uns. Und darum - vorhin in der Taufe war vom alten Adam und von der alten Eva die Rede, das sind die Urgestalten von den Seelen, die in unserer Brust wohnen - der alte Adam oder die alte Eva in uns, die haben häufiger mit Hilfe des Teufels sich einen Trick ausgedacht, wie man sich an diesem Christus vorbei mogeln kann; wie man ihn entschärfen kann.
Wohl bemerkt; ich rede hier zu euch als Christen, die getauft sind und die immerhin mehr begriffen haben als die Heiden. Ihr wisst nämlich, dass man sich eigentlich an Jesus nicht vorbei mogeln kann. Der alte Adam oder die alte Eva in dir, die hat erkannt; an Christus komme ich nicht vorbei. Ich möchte mich aber eigentlich lieber gerne so weiter durch’s Leben mogeln. Also was mache ich? Und da gibt es nun einen Trick mit zwei Spielarten, Jesus zu entschärfen. Der eine Trick ist der, dass du behauptest; Christus war Gott. Und ihr werdet gleich sehen, wie wirksam dieser Trick ist. Damit setzt du nämlich Jesus auf eine ganz hohe Säule, dann setzt du ihn ganz fern und unerreichbar vor dir auf einen Thron. Und da kannst du ihn über die Ferne schön verehren, und in Ruhe für dich selbst kannst du weiter mogeln; denn Christus ist ja fern. Und wenn dich jemand beim Mogeln ertappt, dann streitest du’s natürlich erst mal ab, so wie es Adam im Paradies ja auch getan hat. Und wenn du’s nicht bestreiten kannst, weil die Last deiner Schuld zu groß ist und zu offenbar für die anderen, dann sagt du einfach: "Tja, Sünder sind wir allzumal!" Und wenn dich jemand damit nicht durchkommen lässt und sagt; aber Jesus ist doch dein Herr und Heiland, und du sollst ihm doch nachfolgen; Er ist doch der Weg, die Wahrheit und das Leben. Dann sagst du einfach: Ja Christus, der war ja auch Gott, mit dem kann sich ja keiner messen. Und wenn du das geschickt anstellst, dann kannst du den, der so redet, mit einem frommen Spruch von Demut noch hintenrum in die Pfanne hauen, da stehst du am Ende da vor den Menschen als lupenreiner Christusverehrer. Nur täusche dich nicht, denn Gott sieht das Herz an, und darum nützt dir dieses Spielchen nichts.
Also, Wer Christus gar zu fern auf einen hohen Thron setzt, der wer sucht, sich an ihm vorbei zu mogeln, weil er dann sagen kann: Christus, der war so weit weg, da können wir sowieso nicht ran reichen.
Der andere Trick geht nun umgekehrt. Du behauptest, Jesus war ein besonders guter Mensch. Vielleicht einer, der diese Abziehbilder erfunden hat "Ein Herz für Kinder". Der hat ein Herz für Kinder, ein Herz für die Armen. Und das war ein Menschenfreund, der hat gesagt: Wir müssen das Böse bekämpfen und das Gute tun, und dann wird die Welt heil. Und das ist ja auch alles so richtig, da wird dir ja jeder zustimmen. Und dann fängst du an. Vielleicht gehörst du zu den Wenigen, die sagen: gut, Jesus war ein guter Mensch, er war ein Vorbild, ich will ihm nacheifern. Vielleicht fängst du wirklich an, aber dann wirst du merken; es funktioniert nicht, gut zu sein, so einfach aus eigener Kraft. Du schaffst es nicht, ohne bitter zu werden. Und selbst, wenn du dich mit einer Gemeinschaft zusammenschließt, die wirklich das Gute mit Macht schaffen will, dann wirst du merken; sie zerfällt. Und dann kannst du in deiner Verzweiflung Terrorist werden und zur Waffe greifen. Oder aber du wirst kein Terrorist und du merkst in deiner Niederlage, dass der gute Mensch Jesus Christus offensichtlich doch noch eine andere Quelle hatte, wo er die Kraft des Lebens hernahm; die Kraft seiner Liebe, die ihn so stark machte, dass er bis ans Kreuz auf Gott vertrauen konnte, und allen Versuchungen von Glanz und von Gewalt zu widerstehen.
Hier im Hebräerbrief, unserem Predigttext heute, wird uns Christus jedenfalls nahegebracht als der Mensch, der alle Versuchungen kennt, die uns umgeben. Der mitten im Leben steht. Der Schmerz erfahren hat wie wir, der unsere Schwächen kennt.
Christus, der selbst bejubelt und gefeiert wurde, und im Handumdrehen verraten, verlassen, gekreuzigt. In diesem Menschen geschieht zugleich das Wunder, dass ein Mensch ganz und gar aus Gottes Geist lebt und sich nur ganz auf Gott verlässt. Und dass er so ein inniges Gottesverhältnis hat, dass wir sagen: Er und Gott, das ist eins.
Darum erkennen wir in ihm Gottes Botschaft an uns.
Gott hat uns Jesus Christus geschickt, nicht wie einen großen Heiligen, zu dem wir immer aufschauen sollen. So ein großer Heiliger, der kann nämlich die Wirkung haben, dass du dir ganz klein vorkommst. Es gibt eine Größe, die wirkt erdrückend, die macht dem anderen erst so recht bewusst, wie klein und mies er ist. Und wenn man Christus bösartig darstellt, dann wird er so groß, da werden wir so klein; da werden wir in unserer Kleinheit zementiert.
Das ist aber nicht die frohe Botschaft der Bibel. Sondern da ist der Christus eher wie ein großer Bruder, der zu seinen kleinen Geschwistern gesandt wird, damit die kleinen Geschwister erkennen, wohin sie wachsen sollen.
Christus ist für uns gestorben, damit wir erfahren, wie viel Hoffnung er für uns hat und wie groß seine Liebe ist.
Gott hat ihn auferweckt, damit wir erkennen, dass er wirklich der Weg und die Wahrheit und das Leben ist und dass diese Wahrheit auch durch Iden Tod nicht getötet werden kann.
Darum ist Jesus Christus - wir bleiben doch bei der Formel des Konzils - unser Herr und Bruder; wahrer Mensch und wahrer Gott! AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!