Predigt vom 25.05.1986 - Jes.Sir. 1; 1-10
Wir haben heute einen Text aus Jes.Sirach gehört. Dieses Buch steht in den Apokryphen. Martin Luther hat gelegentlich über Abschnitte aus den Apokryphen gepredigt. Apokryphen heißen verborgene Schriften, die nach Luther der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen sind. Für den heutigen Sonntag der Dreifaltigkeit steht ein Predigttext im Buche des Jesus Sirach. Wir haben den Text vorhin gehört, da heißt es am Anfang: "Alle Weisheit kommt von Gott dem Herrn und ist bei ihm in Ewigkeit." Und am Ende heißt es: "Er hat die Weisheit geschaffen durch seinen Heiligen Geist; er hat sie gesehen, gezählt und gemessen und hat sie ausgeschüttet über alle seine Werke und über alle Menschen nach seinem Gefallen und gibt sie denen, die ihn lieben."
Jesus Sirach war ein gottesfürchtiger Mann, der lange vor Christus in Israel lebte. Seine Schriften wurden später von seinem Enkelsohn veröffentlicht. Und was wir heute gehört haben, sind "Worte vom göttlichen Ursprung der Weisheit".
Ihr habt schon gemerkt, dass dieses Lied: "Weißt du wieviel Stern!ein stehen..." sinngemäß nach diesem Text gedichtet ist. Das Staunen und tiefgehende Fragen führt Menschen zu Gott. Das Wort Gottes nennt Jesus Sirach "die Quelle der Weisheit".
Weisheit hat es immer mit Wissen zu tun. Weisheit - eigentlich Wissheit - heißt, dass einer etwas weiß. Weise ist ein Mensch, der Einsichten hat über die Hintergründe der Welt, der Einsichten hat über sich selbst, Einsichten auch durch Erfahrungen mit Gott. Wissen gehört zur Weisheit, aber es ist nicht dasselbe. Das wisst ihr auch, es kann ein Mensch viel Wissen gespeichert haben und trotzdem töricht sein, also nicht weise. Weisheit zeigt sich nämlich erst, wenn Wissen angewendet wird. Wissen ist eine Macht, die man weise oder töricht einsetzen kann. Das ist eine Kraft, ein Potential, so wie man auch weise oder töricht mit Geld umgehen kann.
Ich will es in einem Gleichnis sagen: Wenn zwei Menschen plötzlich eine Million erben, kann der eine weise, der andere töricht damit umgehen. Der Eine lässt die Puppen tanzen und vergeudet die Kraft des Geldes, fährt mit dem Taxi nach Paris, kauft sich immer mehr, immer größer, immer besser, macht auf fein und auf reich, oder was er sich darunter vorstellt. Der Andere geht bedächtig damit um, behält sein Leben bei, etwas bequemer vielleicht, aber er setzt das Geld gezielt ein. Der Eine ist töricht, er endet einsam und verstört, denn die Freunde werden schnell vergehen wie sein Geld, das am Ende alle ist. Der Andere ist weise, er geht bedächtig mit seinem Vermögen und mit seinen Talenten um. Er weiß, dass man nur eine Jacke tragen kann, dass das Leben mehr ist, als man kaufen und bezahlen kann und dass"das letzte Hemd keine Taschen hat". So spricht der Weise.
Ihr merkt also, Weisheit hat auch mit Demut zu tun. Nämlich, dass ein Mensch klug genug ist, seine Grenzen zu erkennen und zu wissen, wie weit seine Kenntnis und seine Macht reichen. Umgekehrt hat Torheit immer auch mit Hochmut und mit Größenwahn zu tun.
J)er Weise schätzt die Lage richtig ein, er macht sich keine Illusionen und scheut sich auch nicht vor unangenehmen Erkenntnissen und Einsichten. Der Weise hat auch ein Gespür dafür, Signale und Zeichen der Zeit zu erkennen, auch wenn sie störend sind, auch wenn sie gar nicht in den Kram passen. Der Weise hat nämlich erfahren und weiß, dass es besser ist, gleich unangenehme Kursänderungen vorzunehmen, als so lange zu mogeln, bis es nicht mehr geht. Darum ist das, was Außenstehende manchmal bei uns für alberne Schwäche halten, ein Zeichen von Weisheit.
Es ist weise, wenn wir vor Gott beichten, wenn wir Buße tun, wenn wir immer wieder umkehren und den Kurs unseres Lebens immer wieder neu einstimmen, wenn wir unser Leben immer wieder im Lichte der Wahrheit messen lassen. Das ist natürlich demütig, dabei wird man nicht der große Herr sein, sondern da wird man einer sein, der die Hände zu Gott ausstreckt. Aber es steckt in dieser Schwachheit vor Gott doch eine Stärke im Leben.
Ihr merkt schon, Buße tun, Sünde und Verfehlung bekennen, sich ändern lassen, das ist weise. Aber diese Weisheit gilt in den Augen der Welt eher als Schwäche und als Unentschlossenheit. Mit Weisheit kann man in dieser Welt keine Blumentopf gewinnen - der Blumentopf steht hier symbolisch für Applaus.
Und trotzdem, wenn man genau hinschaut, lebt die Welt von der Weisheit Gottes - der Weisheit, die als Gabe in einzelnen Menschen zutage tritt. Die Torheit erscheint dagegen in den Augen der Welt als stark und als entschlossen.
Das sind die Parolen; immer so tun, als hab: man schon alles gewusst. Ein markiger Spruch oder eine geschickte Lüge die findet in der Welt immer mehr Beifall als ein einfaches Eingestehen von Schuld oder Irrtum.
Aber täuscht euch nicht - die Torheit hat nur kurzfristig Vorteil. Langfristig richtet Torheit großen Schaden an und richtet am Ende die Menschen selbst zugrunde.
Ich will es noch einmal in einem Gleichnis sagen: Das ist so, wie wenn zwei Menschen mit dem Auto fahren. Die fahren meinetwegen die Autobahn von Göttingen in Richtung Kassel, und die kommen da an die Kasseler Berge, da ist eine große Steigung. Plötzlich leuchtet bei beiden Autos die Ölkontrollampe auf. Das ist das Signal; es stimmt etwas nicht, irgendwo ist ein Defekt! Beide Fahrer halten an und suchen den Schaden und beide finden ihn nicht gleich.
Aber die Motoren laufen noch. Und der Weise steht unschlüssig da und denkt nach, woran es liegen könnte, eher will er nicht weiterfahren. Aber der Törichte, der denkt: ach, den Fehler finde ich jetzt nicht - der Motor läuft ja - und er greift mit der Hand hinters Armaturenbrett und schraubt einfach das kleine rote Signallämpchen aus der Fassung und fährt weiter. Er sagt sich; mein Signallämpchen leuchtet ja nicht, der Motor läuft, was will ich mehr? Und schnell ist er über alle Berge. Er hält den weisen Fahrer für kleinlich und überängstlich.
Der weise Fahrer steht noch da, sucht nach dem Fehler, es dauert eine Stunde, aber dann findet er’s, der Ölfilter ist verstopft. Er besorgt einen neuen, wechselt ihn aus - das ist langwierig - aber das Kontrollämpchen verlischt, der Motor ist jetzt in Ordnung und der fährt weiter. Nach 50 km Strecke sieht er rechts an der Autobahn am Rande eine große dunkle, bläulichschwarze Qualmwolke - und ratet mal, wer da steht - es ist der törichte Fahrer mit seinem kaputten Motor.
Ihr Lieben, wir wollen uns in diesem Gleichnis nicht der Schadenfreude hingeben, sondern wir wollen Weisheit aus Gottes Wort lernen.
Wo nämlich törichte Menschen selbstherrlich alle Signale überrennen, weil sie nicht warten können, weil sie einfach nicht ertragen können, mal in Situationen zu sein, wo sie ohnmächtig sind und sagen; hier ist ein Fehler, den finde ich nicht gleich, ich kann jetzt nichts tun, ich muss nachdenken und sehen...
Wo Menschen diese Signale nicht erkennen und nicht mal stehen bleiben können und ihre Ohnmacht zugeben können, da misslingt das Leben, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick großartiger und stärker aussieht als das Leben der weisen Menschen.
Es lässt sich dieses Gleichnis auf alle Bereiche unseres Lebens übertragen. Viele Freundschaften, viele Familien, viele Gemeinschaften wären zu retten gewesen, wenn man in Weisheit die ersten Signale einer Störung beachtet hätte - auch da, wo es unangenehm war. Unsere Kirche, unser Land, unser Volk, wir könnten gesegneter leben, wenn wir die Weisheit annähmen, die aus Gottes Wort kommt.
Wir haben im Rückblick schon viele Signale in der Geschichte unseres Volkes überrannt, die am Wege unserer Geschichte lagen. Wir wollten sie nicht sehen, sie passten uns nicht. Wir machten es so ähnlich wie der törichte Autofahrer, wir schraubten einfach das Signallämpchen raus.
Merkt ihr - die Weisheit ist nicht das Allheilmittel. Die Weisheit löst gar nicht alle Probleme, die wir miteinander haben.
Aber; die Weisheit ermöglicht uns, überhaupt erst einmal an das Problem wirklich heran zu kommen, damit wir überhaupt wahrhaftig erkennen, woran wir leiden und worin wir uns ändern müssen.
Das Weisheit etwas Gutes ist, das wissen wir.
Lasst uns schließlich darauf achten, was die Bibel am Ende sagt. Sie sagt nämlich, dass die Weisheit mit Gott zu tun hat. Dass Gott die Weisheit gibt denen, die ihn lieben.
Bedenkt; die Kraft eines weisen Menschen kommt aus dem Vertrauen auf Gott, aus der Liebe zu ihm. Und die Kraft der Weisheit kommt deshalb aus Gott, weil ein weiser Mensch seine Ohnmacht ertragen kann. Ein weiser Mensch kann sich seine Gefühle eingestehen, auch seine Schwäche. Er kann seine Verfehlungen zugeben. Ein weiser Mensch kann Buße tun und Sünde bekennen, er kann singen und beten und hält das nicht für schwächlich, er muss seine Schwäche nicht verbergen, und das macht den Weisen stark.
Dazu hat der Weise die Kraft, weil sein Leben sich auf Gott gründet und nicht auf seine eigenen Taten. Wer in dem Wahn, in dem heidnischen Wahn lebt, er könnte den Sinn seines Lebens durch Arbeit und Tüchtigkeit schaffen, der muss natürlich krampfhaft immer recht haben.
Die Kraft des Weisen, die kommt aus einer anderen Quelle. Die Würde des Weisen und sein Sinn, das erkennt er sehr genau, ist ein Geschenk von Gott, das er sich nie verdienen kann. Der Weise ist dadurch so stark, weil er sich erst mal vorfindet als ein Geschöpf, und darum muss er sich nicht rechtfertigen. Er muss sich nicht verteidigen, er muss nicht ständig etwas beweisen vor anderen Menschen. Er kann das Leben bedächtig und tatkräftig angehen. Er kann auch mit unangenehmen Erkenntnissen über sich selbst leben. Er muss auch nicht dauernd beurteilen und immer moralische Zensuren verteilen.
Wer die Weisheit - wie die Bibel sagt - wer die Weisheit zur Schwester hat, der kann auch unvollkommene Menschen lieben, weil er weiß, dass er selbst unvollkommen ist. Weil er erfährt, dass Gott ihn erst mal liebt wie er ist, darum kann er sich auch ändern.
Weil Gott ihn hält, kann er sich selbst loslassen. Die Liebe ist die größte Gabe Gottes an seine Gemeinde. Aber hinter der Liebe folg in geringem Abstand die Weisheit, gleich danach. Und wir wollen nicht aufhören, Gott um die Weisheit zu bitten, damit er jeden von uns auf der Baustelle seines Reiches gebrauchen kann. AMEN!