Predigt vom 05.10.1986 - Pastor Schnabel - Erntedankfest - Jes. 58, 7-12
Liebe Gemeinde!
Manchmal sieht es so aus, als brauchte der, dem wir danken, unseren Dank. Das stimmt aber nicht; wir brauchen vor allem das Danken selbst.
Das Danken verwandelt unser Dasein und schafft in uns eine ganz neue Gesinnung, die wir ohne das Danken nicht hätten. Das Danken verwandelt dein Leben vor Gott und den Menschen.
Mir ist das aufgefallen bei einem Klassentreffen. Da erzählen Menschen, die ähnlich begabt sind, unter ähnlichen Bedingungen gelebt haben, die einen Beruf gelernt haben und ein Haus gebaut haben vielleicht, eine Familie haben und ihren Beruf mehr oder weniger erfolgreich ausüben. Sie sind in der Mitte ihres Lebens. Und man merkt, dass sie bei aller Ähnlichkeit in einem großen Unterschied leben. Und der Unterschied - das ist mir beim Nachdenken deutlich geworden - der Unterschied besteht tatsächlich darin, dass der Eine in Dankbarkeit vor Gott lebt und der Andere nicht.
Der Eine, der dankende Mensch, wenn er von seinem Leben rückblickend redet, von seinen Erfolgen und seinen Niederlagen, der sagt: "Ich bin beschenkt mit guten Gaben. Bis hierher hat mich Gott geführt. Meine Arbeit war gesegnet. Manches ist mir nur deshalb gelungen, weil mir liebe Menschen über meinen Lebensweg geschickt wurden. Ich habe bestimmte Not erlebt und ich bin gerettet worden. Damals wäre ich beinahe auf der Autobahn verunglückt. Damals, als ich eine schwere Krankheit hatte. Gott hat mich nicht verlassen, als ich leichtsinnig in meiner Jugend war. Gott hat mir geholfen, als ich nach einer enttäuschten Liebe mir das Leben nehmen wollte. Ich danke Gott, ich weiß, dass es auch anders hätte sein können."
Und der andere Mensch, der dankt nicht, auch wenn er das Gleiche erlebt hat. Er kann das Gleiche erlebt haben, es kann ihm das Gleiche widerfahren sein, aber er sagt: "Ist doch klar, dass das so gegangen ist, ich bin tüchtig gewesen, ich bin eben intelligent. Ich habe etwas aus mir gemacht. Ich bin immer den geraden Weg gegangen. Und wenn es mal nicht so gerade war, dann habe ich es geschickt vertuschen können. Ich habe es zu etwas gebracht. Was ich besitze, habe ich alles selbst erarbeitet. Ich wusste immer mit Menschen umzugehen und sie für meine Ziele zu gewinnen. Ich habe mich in Notzeiten eben klug verhalten. Weil ich eine schnelle Reaktionsfähigkeit habe, konnte ich mich in einem Unfall bewähren."
Der Eine ist krank gewesen und sagt: "Ich bin genesen mit Gottes Hilfe." Der Andere ist krank gewesen und sagt: "Ich habe einfach darauf bestanden, dass der Herr Professor an mein Bett kommt und mich heilt. Einmal, in einer enttäuschten Liebe, na ja, das war schon schlimm - aber da denke ich einfach nicht mehr dran, da muss man durch, man muss sich eben zusammenreißen, darf keine Schwäche zeigen, dann geht das schon."
Merkt ihr, diese beiden Menschen, die leben in verschiedenen Welten. Der dankende Mensch redet von Gott, wenn er von Seinem Leben redet. Und der nicht dankende Mensch, der redet nur von sich selbst, er baut auf sich selbst, er ist mit sich selbst allein, und das nimmt ein böses Ende. Wenn er fällt, dann geht seine Welt unter, und außer sich selbst hat er nichts, woran er sich halten kann. Er lebt wie in einem kleinen Kasten, wo er sich selbst nur als den Bewirkenden sieht. Und in diesem kleinen Kasten wird er zugrunde gehen. Mit seinem Besitz wird er eben nicht frei umgehen können, sondern er wird ihn belasten, er wird ihm Sorgen machen, weil er absichern muss.
Diese Art von Leben, sagt Christus, ist dem Tod verfallen. Wer so lebt, der hat sich schon die Hölle bereitet. Und es gibt nur eine Hoffnung für ihn; dass er umkehrt und Gott dankt, und frei wird von sich selbst.
Das Danken ist der Drehpunkt, mit dem alles beginnt; das Heil und das Gute.
Wir haben es heute im Alten Testament gehört; Gottes Wort ruft uns in leuchtenden Worten zu einem reichen und erfüllten Leben, das aus der Dankbarkeit kommt, und das Ganze begreift.
Wer Gott dankt, der ist frei von sich selbst. Wir haben manchmal Hemmungen zu danken. Und diese Hemmung, die verweist auf das in uns, was verquer ist. Wer nämlich dankt, der gibt zu, dass es mehr gibt, als er selbst kann. Der gibt zu, dass er ein Teil von einem Ganzen ist. Wer dankt, der bekennt auch seine Ohnmacht; ich kann nicht alles. Aber wer seine Ohnmacht bekennt vor Gott und dankt, der kann zugleich seine Ohnmacht ertragen. Und wenn er traurig ist und in Niederlagen sein Leben fristet, dann kann er beten und auf Rettung und Wunder hoffen, wo er mit seiner eigenen Kraft am Ende ist.
Der Dankbare weiß; es hängt nicht alles von mir ab. Ich werde geführt. Es gibt auch Rettung, wo ich selbst keine sehe und keine machen kann. Und an meiner Schuld zerbreche ich nicht, denn Gott, dem ich danke, den kann ich auch bitten. Und da merken wir schon; danken können und bitten können gehören zusammen. Der dankende Mensch weiß genau, dass er eigentlich nichts hat, was ihm nicht von Gott her gegeben wäre. Und das hat wieder Auswirkung auf das Geben. Denn der dankende Mensch, der gibt eigentlich nichts aus sich selbst, sondern wenn er gibt, dann gibt er eigentlich nur weiter, was er von Gott empfangen hat.
Merkt ihr; so steht mit dem Danken und dem Bitten auch das Geben in einem untrennbaren Zusammenhang.
Ich will euch aus meinem Leben eine Geschichte erzählen, wo mir das deutlich wurde.
1963/64 ging ich in Texas zur Schule. Als mein Jahr dort an der Schule zu Ende ging, besuchte ich noch einmal meine Lehrer. Ich besuchte auch meine alte Lateinlehrerin. Diese alte Frau war eine Witwe, die gerade nach diesem Schuljahr auch pensioniert wurde - sie hieß Louise [Name]. Sie erzählte bei diesem Besuch von ihrem Leben. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ihr Mann im zweiten Weltkrieg gefallen war. Sie wurde dann berufstätig und zog ihre drei Kinder alleine auf, und war sehr froh und dankbar, dass ihre Kinder geraten waren. Und als ich dann aufstand und mich verabschiedete, stand sie an der Tür und gab mir einen Umschlag. Da waren $50 drin. (Vor 22 Jahren, $50 das waren rund 200DM. Da konnte man damals einen Monat lang studieren von dem Geld.) Das war viel Geld. Darum war ich überrascht und ich dankte ihr. Und da sagte sie etwas, was ich nie vergesse, sie sagte: "Just take it! It’s the Lord’s money". Es ist das Geld des Herrn, das ist kein Opfer, es ist nicht meins, sondern ich gebe es weiter, du brauchst es jetzt, und ich brauch’s nicht, nimm es hin! "Just take it! It’s the Lord’s money". Louise [Name] habe ich nie wieder gesehen. Wir haben noch Briefe gewechselt und dann ist sie gestorben.
Aber sie hat mir damals mehr als Geld gegeben, sie hatte mir zugleich mit diesen Worten eine kurze Predigt über den Besitz gehalten und wie ein Christenmensch damit umgehen soll - dargestellt an ihrem eigenen Leben.
Wer Gott dankt, hat ein neues Verhältnis zu seinem Besitz. Alles ist ihm anvertraut und er geht frei damit um. Wer dankt, hat dadurch auch ein neues, freies Verhältnis zu den Menschen neben sich. Wer nämlich Gott seine Gaben verdankt, der kann die anderen Menschen auch nur als Menschen erkennen, die ihr Leben und ihre Gaben Gott verdanken. Und es gibt nichts mehr, dessen man sich unmittelbar rühmen kann, sondern man kann miteinander eigentlich nur in Freiheit und Dankbarkeit umgehen.
Merkt ihr, durch das Danken wird ein neues Leben gestiftet, das aus einer neuen Gesinnung kommt. Ein Mensch, der danken kann, der ist ja auch entlastet, der muss sich selbst nicht beweisen. Der kann sich freuen über die Gaben anderer und der Neid wird ihn nicht auffressen. Er wird allerdings auch nicht mit ansehen können, wenn ein Mensch anderen Menschen die Lebensmittel wegnimmt um sich selbst damit Schätze zu sammeln.
Wir haben bei Jesaja vorhin gehört, dass Licht und Heil und Gerechtigkeit mit dir sein sollen. Dass dir ein blühendes, sprudelndes Leben - die Bilder von dem Brunnen, der nie versiegt, von dem blühenden Feld - dass dir das verheißen ist, dass du, wenn du in dieser Gesinnung des Dankes gegenüber Gott lebst, dass du davon eben nicht schwach, sondern stark wirst. Dass du durch das Teilen reicher wirst. Dass du Wege ebnen kannst und Brücken zwischen Menschen bauen kannst, und dass du selbst zum Segen für andere Menschen wirst. Dieses neue, gesegnete Leben beginnt mit dem Danken. Denn im Danken bekennst du; ich bin nicht aus mir selbst, was ich bin und was ich habe, verdanke ich Gott.
Wer Gott so dankt, der kann auch bitten. Und dieser Zusammenhang zwischen Bitten und Danken im Verhältnis zu Gott, der färbt ab, der schlägt durch auf das Leben untereinander.
Im Bitten und Danken bekennen wir, dass wir im Zusammenhang leben. Wir sind uns nicht zu fein, zu bekennen, dass wir einander brauchen. Dass keiner für sich selbst lebt, und dass auch keiner für sich selbst stirbt.
In Christus ist unser Zusammenhang mit Gott, und unser Zusammenhang untereinander neu gestiftet und lebendig geworden.
Seitdem er da war in dieser Welt, arbeitet sein Geist weiter an uns.
Wir können nur diesen Geist durchlässig in uns aufnehmen, oder wir können mauern und versuchen, ihn zurückzuweisen. Eine andere Möglichkeit haben wir als Menschen gar nicht.
Aber sein Geist arbeitet an uns, zu unserem Heil. Und sein Geist lässt nicht locker bis wir dieses Heil gefunden haben.
Das fängt an mit dem Danken. Mit dem Danken beginnt ein neues Leben, in dem wir zwar immer wieder rückfällig werden, aber Christus lässt uns nicht los.
Gott sei Dank! AMEN!