Predigt vom 25.01.1987 - Pastor Schnabel - Joh. 4, 46-54
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Die Geschichte, die wir gehört haben, ist eine Geschichte von der Kraft Gottes, die in Christus mächtig ist.Und es ist zugleich auch eine Geschichte vom Glauben eines Menschen, dem diese Kraft widerfahren ist.
Jesus reagiert in der Geschichte auf die Bitte des Vaters ja anders, als wir das von hilfsbereiten Menschen erwarten. "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht", sagt Jesus. Aber der Vater geht nicht darauf ein; jetzt ist sein krankes Kind das Wichtigste für ihn, und ohne, dass er näheres von Jesus weiß - er ist ja eigentlich ein Heide - bittet er ihn. Denn soviel weiß er; Jesus hat die Kraft zum Heilen. Und das Kind wird gesund. Die Bibel erzählt von dem Mann weiter: "Er glaubte mit seinem ganzen Haus".
Aus anderen Geschichten wissen wir, dass Jesus gelegentlich auch sagte: Hört doch endlich auf, große Zeichen und Wunder zu fordern.
Aber aus dieser Geschichte wird deutlich, dass Jesus eben auch weiß, wie schwach wir Menschen sind, und dass wir gelegentlich Zeichen und Wunder brauchen.
Aber da dürfen wir nicht stehen bleiben. Jesus will uns nämlich weiterbringen. Auf sein Wort hin sollen wir leben, aus seinem Sinn und Geist. Und wir selber sollen durchlässig werden für die Kraft Gottes. Wir sollen teilhaftig werden an dieser gleichen Kraft, die Christus ungehindert durchströmt und erfüllt.
Zeichen und Wunder können nur etwas bewirken, wenn wir die Kraft erkennen, die dahintersteht. Nur der Mensch hat im Grunde ein Zeichen und ein Wunde: mit Gewinn erfahren, der Zusammenhänge begreift. Nur wenn wir glauben, haben Zeichen und Wunder eine Bedeutung, sonst nicht.
Zwei Menschen haben den gleichen Autounfall, und beide werden gerettet. Der Eine sagt: Ja, ich bin gut gefahren und ich habe eben ein gutes Auto. Und der Andere sagt: Gott sei Dank, ich bin bewahrt worden. Man wird über beide Aussagen nicht streiten können. Der Eine hat diese Rettung erkannt und der Andere nicht. Wir sagen ja auch in unserer Sprache, "Es geschehen noch Zeichen und Wunder", wenn etwas Unerwartetes eintritt. Und die Zeichen und Wunder geschehen wirklich. Unter uns hier sind Menschen, die Zeichen und Wunder in ihrem Leben erlebt und verstanden haben. Aber wir bezeugen viel zu selten das, was wir mit Gott erfahren haben, denn wir haben eine verständliche Scheu. Diese Erfahrungen gehen sehr tief, und wir können leicht verletzt werden. Jeder kann sie entwerten mit leichtfertigem
Gerede. Und doch sind diese persönlichen Zeugnisse gerade die überzeugendsten.
Lasst mich erzählen von einem Menschen, dem man von seinem Beruf her vielleicht besondere Glaubwürdigkeit zugesteht.
Im letzten Herbst war ich mit Herrn [Name] auf einer Tagung in Loccum. Dort war einer der wichtigsten Referenten Klaus Müller. Er ist Prof. für Festkörperphysik in Braunschweig, 56 Jahre alt, ein Mensch, der gegenwärtig lebt. Er hat uns und anderen davon erzählt, wie er die Kraft Gottes erfahren hat in seinem Leben.
Er ist aufgewachsen wie die meisten von uns. In einer bürgerlichen Familie, die so in der Kirche ist, wie sich das so gehört. Er ist getauft worden, stammt aus Schlesien. Als Kind auf der Flucht, wurde er in Niedersachsen konfirmiert. Die Familie war nicht besonders christlich, wie er selbst sagt. Von Klein an ist er hochbegabt, es fliegt ihm alles zu. Aber er neigt zum Zynismus. Er bestreitet jeden höheren Lebenssinn und klammert sich nur an seine eigene Leistung. Und er erzählt, wie er mit seiner Leistung selbstgefällig wurde. Er beginnt das Studium der Mathematik und Physik in Braunschweig. Es müsste so 1953 gewesen sein. Er zieht auf eine Bude mit einem anderen Studenten, der nicht so begabt ist, aber menschliche Wärme ausstrahlt. Die beiden werden Freunde und ergänzen sich. Der Eine hilft mit Mathematik, und der Andere bei den Existenznöten des Hochbegabten. Und in seinem Größenwahn, so sagt er, steigt er ins Vordiplom und schreibt plötzlich eine 3.
Und da bricht er zusammen. Da hat er das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, dass der Gott "Leistung" ihn verlassen hat. Er wird dann zu einem Psychotherapeuten, einem Freund seines Vaters, geschickt. Der baut ihn wieder auf mit autogenem Training. Er macht eine Kur. Danach setzt er sein Studium fort. Er sagt selbst, er kommt sich vor, wie aufgeblasen, er hat auch wieder Kraft. Aber dann folgt ein zweiter Zusammenbruch. Schlaflosigkeit plagt ihn. Drei Wochen nach dieser Kur kommt er wieder am Nullpunkt an. Während dieser Zeit, es sind ganz alltägliche Umstände, bemerkt er plötzlich, wie sein Freund mittwochs abends immer weggeht. Erst denkt er; na ja, er hat vielleicht eine Freundin, da will ich nicht nachfragen. Aber durch einen Zufall bekommt er heraus; der Freund geht mittwochs abends zur Studentengemeinde in Braunschweig. Und das entsetzt ihn erst einmal. Er kann es gar nicht fassen, dass sein Freund sich auf soetwas Museales, mittelalterlich Abergläubisches einlässt. Das widerspricht ja aller Wissenschaftlichkeit! Und er fängt an zu spotten. Aber dieser Freund ist geistesgegenwärtig und lädt ihn ein. Er sagt: Du kannst danach auf mich losdreschen, aber morgen komme bitte ein einziges Mal mit. Und er will nun den Freund auch nicht im Streit verlieren, und willigt ein. Und er erzählt dann, wie er sich das Treffen vorher vorgestellt hat. Ihm ist das peinlich, er stellt sich so eine Gruppe von geistlich eingestellten Studenten und Studentinnen vor, mit einem salbungsvollen Amtsträger in einem kirchlichen Raum. Er stellt sich vor, irgendwelche weltabgewandten Kirchenlieder, ein sektiererisches, wundergläubiges Gespräch über Bibelstellen, die jeder Naturwissenschaft Hohn entsprechen. So stellt er sich das vor, wie es sein würde, und wieder wird er überrascht; es kommt ganz anders. Damals, 1953, gab es noch keine eigenen Häuser der Studentengemeinde. Sie kommen an ein Haus, wo eine Wohnung angemietet ist. Dort soll die Bibelstunde stattfinden. Vor dem Haus, so weiß er noch zu berichten, liegt Einer unter einem selbstgebauten Motorrad, das nicht anspringt. Dieser, mit seinen verschmierten Händen, kommt dann auch noch zu diesem Abend. Und da wird zunächst erst einmal zusammen gegessen. Und um 20 Uhr erhebt sich Einer, es stellt sich heraus, das es der Studentenpfarrer ist. Sie singen ein Lied und machen eine Bibelarbeit. Zufällig ist es an diesem Tag der Bibeltext von der Pfingstgeschichte. Und er sperrt Mund und Ohren auf und denkt; das kann nicht sein, die scheinen das Wunder überhaupt nicht für diskussionswürdig zu halten, sondern nehmen das als gegeben hin. Und dieses Gespräch, so berichtet er, bewegt sich dann über Fragen, ob heute ähnliches passieren könnte. Die Studenten verhandeln auch ihre eigene Dürftigkeit im Glauben. Einige machen schüchterne Mitteilungen über zaghafte Hoffnungen, die sie an diese Verheißung mit dem Pfingstereignis knüpfen. Zum Schluss sagt der Studentenpfarrer noch etwas über Jesus, und die Gruppe löst sich auf, nachdem sie einen Termin für’s nächste Mal vereinbart hat. Es beeindruckt ihn gar nicht. Am Abend will er mit seinem Freund streiten. Und der Freund sagt; du, es ist spät, lass uns erst schlafen, wir können ja morgen darüber reden. Und am nächsten Morgen ist nun etwas Wunderbares passiert. Jeder von uns, der einen regelmäßigen, festen Schlaf hat, kann das nicht verstehen. Aber jemand, der viele Nächte nicht schlafen kann, der weiß, dass das wie ein Wunder wirken muss. Dieser Klaus Müller hat nämlich in der Nacht nach diesem Abend das erste Mal seit drei Wochen wieder ruhig und fest und erquickend geschlafen. Trotzdem fängt er an, sich lustig zu machen über diese komische religiöse Vereinigung. Der Freund sagt nichts mehr. Aber es kommen wieder Nächte, wo er nicht schlafen kann. Und der nächste Mittwoch kommt heran. Der Freund sagt: Du, komm doch einfach am Mittwoch wieder mit, vielleicht schläfst du danach gut.
Ich mache es kurz; es geschieht tatsächlich so. Er sagt selbst, es war wie eine Sucht zum Schluss, ich konnte immer gut schlafen, wenn ich an diesem Abend dort gewesen bin. Und so sagt er wörtlich; ich habe gleichsam schlafend den Anschluss an das gefunden, was die Christen "ihren Glauben" nennen. Dieser eine Tag erquickenden Schlaf’s in der Woche, war wie ein wunderbares Licht inmitten einer Nacht von Angst und Verlassenheit. Nicht die Worte einer Predigt erreichten mich zuerst, sondern ich erfuhr das Heil durch Heilung. Geheilt wurde ich von der unaufhaltsamen depressiven Abwärtsbewegung in die Sinnlosigkeit einer einsamen, sich selbst nichtigen Rationalität. Er erzählt dann; es hat Monate gedauert, bis er mit der Bibel überhaupt etwas anfangen konnte. Das war ihm alles völlig fremd. Er wusste nicht, wie viele Evangelien es gibt, und wie das mit dem Alten und Neuen Testament ist. Das war ihm alles fern. Aber er hat zunehmend Anschluss an die Kraft bekommen, und ist heute ein engagierter Mann. Ein schmächtiger, fahriger Mann, dem man diese Kraft nicht ansieht. Der aber getrieben ist von diesem Geist und das bezeugt. Diese moderne Wundergeschichte wird bezeugt von Einem, der das erfahren hat.
Da wirkt die Kraft Gottes auf ganz alltägliche Weise. Einer wird geheilt dadurch, dass er schlafen kann. Und hier geschieht Heil. Hier ist das ganze Leben dieses Menschen verwandelt worden.
Gottes Kraft repariert nicht ein Bein oder einen Arm, oder nur die Schlaflosigkeit sondern das Ganze des Menschen kommt in den Blick, und das ist das Heil, das wir erwarten. Das Heil betrifft den ganzen Menschen und hat Folgen für sein Leben.
Nun haben wir Menschen allerdings immer wieder Schwierigkeiten mit der Kraft Gottes. Und das liegt daran, dass wir über die Kraft Gottes nicht verfügen können. Wir können sie nicht ergreifen und anwenden wie eine Salbe. Wir nehmen natürlich alle lieber Tabletten und Salben, wo wir sagen; zack, jetzt wirkt das hier ein und es klappt. Die Kraft Gottes kannst du nicht beweisen, die kannst du nur bezeugen. Du kannst sagen; es ist wahr, wirklich, ich habe es erfahren.
Gottes Kraft und Heil wirkt, indem sie dem Bittenden geschenkt wird, dem, der die Hände ausstreckt. Ich kann die Kraft nicht an- und abstellen, wie man Strom an- und abstellt. Ich kann sie - wie man in der Technik sagt - nicht operabel machen.
Denn hier handelt Gott mit seinen Geschöpfen. Die Kraft, die alles hervorgebracht hat, was ist, die wirkt in Christus, der uns entgegenkommt. Und diese Kraft Gottes die wird in ihm gebündelt, wie in einem Kristall das Licht.
Durch sein Wort, in der Kraft des Geistes, ist etwas geschehen; überwältigende Zeichen und Wunder.
Die Geschichten der Bibel, auch die wir heute gehört haben, die sollen uns ermutigen, die Zeichen zu erkennen, die Wunder, die in unserem Leben geschehen. Und aus der Erfahrung dieser Kraft kommt dann der Glaube.
Denn der Glaube ist immer dieses "Berührtsein". Dieses Ergriffensein von der Kraft, die nicht aus mir selbst kommt, und die mich doch erst zu einem Menschen macht.
Und verloren sind wir, wenn wir nur an die Kraft glauben, die wir in uns selbst wähnen. Solange wir auf unsere eigene Kraft bauen, können wir gar nicht glauben, denn auch der Glaube kommt aus Seiner Kraft, die uns umgibt und der wir uns ergeben - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!