Predigt vom 22.02.1987 - Pastor Schnabel - Mk. 4, 26-32
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Jesus hat in Gleichnissen vom Reich Gottes gesprochen. Wir selbst sind ja erst langsam dabei, zu begreifen, was es bedeutet. Um im Bild der Hörer zu bleiben, hat er zwei Gleichnisse benützt. Sie stehen bei Markus im 4. Kapitel. Das erste haben wir gehört, von der Saat, die ohne Zutun wächst.
"Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn jemand Samen auf’s Land wirft, und schläft, und aufsteht, Nacht für Nacht, Tag für Tag, und der Same geht auf und wächst, er weiß aber nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht. Zuerst die Halme, danach die Ähren, danach den vollen Weizen in den Ähren. Wenn sie aber Frucht gebracht hat, schickt er sogleich die Sichel hin, denn die Ernte ist da."
Und nun das zweite Gleichnis, was sich gleich daran anschließt: "Und er, Jesus, sagte; womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen und durch was für ein Gleichnis wollen wir es darstellen? Es ist, wie mit einem Senfkorn; wenn das auf’s Land gesät wird, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; wenn es aber ausgesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, so dass die Vögel unter dem Himmel in seinem Schatten wohnen können".
Gott segne an uns dieses Wort!
Der Geist Gottes, der am Pfingsttag über die Menschen kam, der wirkt seitdem rund um die Erde. Und das ist wichtig; das waren nämlich nicht Menschen, die sich zusammengetan haben und beschlossen hatten: wohl an, lasst uns einen Jesusverein gründen! Sie wollten von sich aus das Reich Gottes so wenig, wie die Israeliten in die Freiheit wollten.
Aber der Geist Gottes unter den Menschen war es, der die Gemeinde zusammenrief und zustande brachte, bis auf den heutigen Tag. Das dürfen wir nie vergessen.
Man hört nämlich oft Menschen sagen; man müsse eben besser für die Kirche werben. Oder wir selbst sind in Sorge und meinen, wir müssten härter arbeiten, um die Kirche zu erhalten. So, als ob die Kirche zusammenfiele, wenn wir es nicht schaffen würden. Wir müssten netter sein. Hinter all dem steht eigentlich der falsche Ansatz. Dahinter steht nämlich .die Sorge, das Reich Gottes könnte untergehen, wenn wir nicht die besseren Ideen hätten. Mit dieser fromm klingenden Sorge Schleicht sich zugleich der Versucher in die Kirche ein. Ihr müsst schaffen, ihr müsst raffen, damit ihr das Reich Gottes bauen könnt. Sorgt euch! Grenzt euch ab! Zäunt euch ein! Arbeitet mehr! Betet weniger! Verzagt und verkriecht euch wenn ihr nicht’s schafft, oder wenn eure Kirche bröckelt!
So spricht der Versucher, weicht die Gemeinde von innen auf und argumentiert sehr geschickt und sehr plausibel, denn das verstehen wir sofort, während wir das andere nicht so leicht verstehen; dass es Gottes Geist ist, der die Gemeinde überhaupt treibt und zusammenruft.
Jesus hat diese Versuchung schon sehr früh entlarvt; nämlich als er in die Wüste ging, ehe er öffentlich zu wirken begann. Als dort der Versucher an ihn herantritt und sagt; mach doch die Steine zu Brot! Spring hinab, gib den Leuten ein kleines Mirakel und sie werden dir aus der Hand fressen, da sagt Jesus: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von dem Wort Gottes; von seinem Willen und seinem Geist. Und daran geht der Versucher kaputt; er verkrümelt sich. Und Jesus hat die Klarheit des Geistes in sich und fängt an, von da aus beherzt und liebevoll und in der Macht des Geistes Gottes zu wirken.
Mit dem Reich Gottes ist es, wie wenn man Samen auf das Land streut und danach wächst es von selbst.
Und Jesus sagt weiter: Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Samenkorn, aus dem ein Baum wächst, größer als alle Kräuter. Und dieser Baum treibt große Zweige, so dass die Vögel unter dem Himmel in seinem Schatten wohnen können. Der Same des Wortes Gottes fällt auf den menschlichen Geist, auf das Ganze, und geht auf in unserem Leben und wächst.
Das Reich Gottes wirkt und wächst unter uns und durch uns ohne, dass wir wissen wie. Aber das gibt’s zu lernen; es wächst in der Fülle des Lebens und wir sollen um Himmels willen nicht versuchen, gewisse Lebensbereiche auszusondern, die wir vielleicht nicht für fromm oder nicht für religiös halten. Immer gibt es nämlich Menschen, die in ängstlicher Sorge von der Gemeinde fernhalten wollen, Dinge, von denen sie meinen, es würde nicht zur Entwicklung des Geistes gehören. Sie meinen nämlich, das Reich Gottes könnte ohne ihre Aufsicht, ohne ihre Aufseherei, nicht wachsen. Da gibt und gab es Kirchen in der Geschichte und auch heute, die wollen Kunst und Bilder und Musik fernhalten. Da gibt es Christen, die wollen Naturwissenschaft und Technik verbannen und diese Bereiche menschlichen Lebens abwehren als eine Gefahr für den Glauben. Da gibt es welche, die den Leib und alle Sinnlichkeit als störend und böse heraushalten wollen. Da gibt es Christen, die Politik und öffentliches Leben vom Reich Gottes ausklammern wollen. Sie alle haben im Grunde Angst, dass das Reich Gottes ohne ihren kümmerlichen Schutz nicht wachsen könnte. Dabei ist das Reich Gottes doch viel größer. Jesus sagt; das Reich Gottes wächst von allein weil Gott es will, denn ihr wollt es ja eigentlich nicht.
Wir müssen vor allem sehen, dass wir selbst dabei sind, dass wir selbst mitwachsen.
Man kann das erste Gleichnis weiterdenken; jede gereifte Ähre bringt wieder 70 Körner hervor. Und wenn diese 70 Körner ausgesät werden, und nur zur Hälfte aufgehen und Frucht bringen, dann sind es im zweiten Sommer schon 2450 Körner.
Wir sollen mitreisen und den Samen weiter aussäen, den Samen Seines Wortes.
Wir müssen das nicht krampfhaft machen und nicht konstruieren, sondern wachsen und Frucht bringen und durchlässig werden unter der Sonne, die Christus mit seinem Geist über uns scheinen lässt.
Und dann spricht Jesus im zweiten Gleichnis vom Reich Gottes wie von einem Baum, in dessen großen Zweigen die Vögel wohnen. Und mit diesen Vögeln, die da frei herumfliegen und unter diesen großen Ästen landen, mit diesen Vögeln sind alle Bereiche menschlichen Geistes und menschlichen Lebens gemeint, die eben im Reiche Gottes ihren Platz finden; ihr Nest, ihre Herberge. Die aus schwirren und weg fliegen und wieder zurückkommen und da ihren Platz finden; die Wissenschaften und die Künste, die Techniken. Es sind bunte Vögel, die im Geäst des Reiches Gottes ihren Platz finden. Sie werden unter die großen Äste dieses Baumes flüchten, wenn wir nicht zu Vogelscheuchen werden.
Wir müssen immer bedenken, dass das Reich Gottes größer ist, als unsere Ortskirche, oder unsere Konfession, ob katholisch oder ev.reformiert oder lutherisch. Das sind alles kleine Kästchen, die wir im Laufe der Geschichte gebastelt haben. Vielleicht auch kleine Hilfskonstruktionen, die wir noch brauchen.
Aber über diesen kleinen Kästchen steht Gottes Verheißung nicht; das ist vorübergehend, das wird sich auflösen. Das Reich Gottes - das müssen wir auch immer bedenken - ist nicht eine total verkirchlichte Welt. Für mich wäre eine total verkirchlichte Welt ein Alptraum. Uns hat Christus lediglich den Auftrag gegeben, Salz der Erde zu sein. Aber wir sollen die Welt nicht versalzen. Salz löst sich auf und bringt den eigentümlichen Geschmack hervor, der in einer Speise steckt. Die Glieder der Kirche sollen allerdings wirklich Salz sein; nicht mehr und nicht weniger. Das Reich Gottes wächst immerhin in einer Welt, die Gott schon geschaffen hat. "Ihr seid das Licht der Welt", sagt Jesus. Im Lichte Seines Geistes erscheint die vorhandene Welt in einem neuen Licht als Gottes Schöpfung. Und es leuchtet uns plötzlich auf, dass wir in dieser Welt nur für eine bestimmte Zeit sind, und dass wir eine Bestimmung haben, und dass darin der Sinn unseres Lebens liegt.
Die Vögel unter dem Himmel - Jesus hat sie offensichtlich geliebt, er verwendet sie häufig als Gleichnis, - die Vögel unter dem Himmel; die Künste, die Wissenschaften, das menschliche Tun. Das wartet ja gerade in unserer Zeit darauf, ein Ziel und einen Platz zu finden im Schatten dieses großen Zusammenhanges, den Gott uns in Christus gegeben hat. Das ist ja gerade die Krise unserer Gesellschaft und unserer Umwelt, dass wir so viel machen können, aber nicht wissen, worauf es angelegt ist. Wir können es nicht zuordnen. Wir sind in der Krise unserer Zielsetzungen, die wir uns eben nicht selbst geben können, sondern die uns Gott gibt. Unsere Zeit ist reif dafür, denn fern von Gott ist unser Leben beliebig geworden. Wir können mal dies und mal das tun, aber es ergibt so keinen rechten Zusammenhang. Und da viele Menschen so leben, wächst sich das aus zu einer Krise, die wir allein nicht bestehen können.
Alle Welt sehnt sich nach dieser Zuordnung und dem Zusammenhang, den Gott allein geben kann. Das steht nahe vor uns, das bringt uns das Heil. Behaltet bitte dieses Bild vor Augen; das Reich Gottes wächst zu einem Baum. Und wehe uns, wenn wir zu Vogelscheuchen werden, die sich anmaßen, sie müssten den Baum vor den Vögeln schützen, vor den bunten Vögeln dessen, was menschlicher Geist hervorbringt. Alles, was zur Fülle des Lebens gehört, findet in Seinem Reiche Schutz und gedeiht weiter in Seiner Kraft zum guten leben.
Christus sät die Kraft seines Wortes unter uns aus. Und - um es in einem anderen Gleichnis zu sagen - man hat herausgefunden, dass wir das am besten lernen, was wir möglichst unverkrampft aufnehmen. Ihr kennt das, ihr habt eine Sache nur mal am Rande gehört, habt sie aufgenommen und wisst, ihr habt sie behalten. Oder ihr Schüler - ich kenne das von mir selbst auch - man setzt sich hin und sagt; und jetzt muss ich das aber lernen! Und du kriegst es nicht rein, weil du verkrampft bist. Daher dieses schöne Bild von der Saat. Unsere Seele sperrt sich ja auch. Und wenn wir nun die Anforderungen, die Anweisungen, das Wort Gottes in uns aufnehmen und das Gefühl haben; ich muss es jetzt tun, ich muss es schaffen, dann sperren wir uns auch, dann werden wir hart. Dann ist das so, wie wenn der Ackerboden eine harte Kruste bekommt und der Samen dringt nicht ein.
Die selbst wachsende Saat, setzt euch dem aus, lasst es reifen und wachsen in euch. Lasst Gott sorgen - seid gehorsam und lasst Gott sorgen!
Nehmen wir den Samen auf, dann wächst er auch in uns.
Um in dem Gleichnis zu bleiben; wir sind natürlich auch wie die Bauern, die lieber dort säen, wo der Same gleich aufgeht. Denn das Wort Gottes wird nicht nur in uns gesät, sondern wir sollen es auch weitergeben. Wir wissen, die Witterung ist verschieden, der Boden ist verschieden. Wir können oft den Boden - dargestellt durch einen anderen Menschen, ein anderes Menschenherz - wir können diesen Boden oft gar nicht beurteilen. Aber denkt daran; Gott lässt es wachsen, es soll nicht deine Sorge sein; säe es aus! Wenn Gottes Wort in uns aufgegangen ist, dann sollen wir es weiter säen und uns freuen über das Zusammenwirken von der Kraft des göttlichen Wortes und der Natur des menschlichen Geistes.
Wir wissen vorher gar nicht wo es aufgeht. Und manchmal sind es gerade die ärgsten Spötter in unserer nächsten Umgebung, die im tiefsten Innern ihres Herzens darauf warten, dass du vor ihnen etwas ausstreust von dem, was du selbst empfangen hast und was in dir gekeimt ist.
Es wird wachsen ohne deine Berechnung und ohne dein Zutun.
Ein Letztes noch: Es ist auch von diesem Baum die Rede, der am Anfang klein ist, der aber am Ende größer ist, als alle anderen Gewächse. Gottes Wort wird über ähnliche Gewächse hinauswachsen; darum brauchen wir uns nicht zu sorgen.
Das Reich Gottes ist das Ganze. Wir beten ja auch im Vaterunser nicht: "Deine Kirche komme", sondern: "Dein Reich komme". Und das ist eben viel mehr; das ist das große Ganze, das ist der große Baum, in dessen Geäst alle Menschen ihren Platz finden. Und die Kirche erscheint ja in diesem Bild wie - sagen wir - wie das Gerüst von einer Baustelle. Und je höher der Bau wächst, und je vollkommener er wird, desto mehr erübrigt sich dieses Gerüst.
Nicht ein religiöses Imperium, oder eine heilige Maffia will Gott in seinem Garten haben, sondern es geht um sein Reich, das wird wachsen wie ein Baum mit großen Ästen, der Schatten spendet und Zuflucht gibt und Heimat und Kraft zum ewigen Leben.
Darum sorgt nicht, sondern nehmt den Samen Seines Wortes auf und lasst die Saat in euch aufgehen und streut sie aus.
Sorgt euch auch nicht, wie klein das Samenkorn ist, wie klein der Anfang ist in uns und unter uns.
Sein Reich wächst in Seinem Sinn und Geist und darin leben und weben und sind wir - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!