Predigt 574

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Predigt vom 08.06.1987 - Pastor Schnabel - 1. Mose 3, 1-19

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde! Wir haben heute zwei Geschichten gehört aus der Bibel, die untrennbar zusammengehören. Die eine stammt aus dem Alten Testament, die andere aus dem Neuen. Am Anfang des Alten Testaments steht die Geschichte vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies.

Adam und Eva, Urbilder des Menschen, in denen wir uns selbst wiederfinden, sind frei. Aber sie haben diese Freiheit missbraucht und vom Baum der Erkenntnis gegessen und das Paradies verloren.

Die andere Geschichte steht nun am Anfang des Neuen Testaments. Sie handelt von der Versuchung Jesu in der Wüste.

Auch Jesus hat die Freiheit, die Macht und die Gaben, die Gott ihm gegeben hat, zum Guten und zum Bösen zu verwenden.

Aber Jesus widersteht der Versuchung und ist Gott in Freiheit gehorsam. So findet Jesus den Zugang zum Paradies, das er selbst später das Reich Gottes nennt.

Jesus Christus hat durch die Freiheit im Gehorsam das Paradies zurückgewonnen.

Wir selbst bewegen uns zwischen diesen beiden Kräften: Zwischen Ungehorsam und Gehorsam, zwischen Verlorenheit und Rettung. Wir sind Sünder und Gerechte zugleich. Und ich kenne keine Schrift, die den vielfältigen Zustand des Menschen so einfach und so kurz beschreibt, wie dieses heilige Märchen von Adam und Eva, und deren Vertreibung aus dem Paradies.

Unser Zustand ist, dass wir uns einrichten in der Welt. Wir versuchen Ruhe zu finden, wir wollen es uns gemütlich machen, wir wollen einen Zustand des Friedens erreichen. Aber immer bleibt da etwas Unerfülltes, eine Sehnsucht, die nichts stillen kann, was wir selbst anfertigen können.-Diese Welt wird uns nie richtig zur Heimat. Was wir tun, bleibt Stückwerk. Wir können uns aber nicht abfinden damit, dass es so ist, weil Gott seinen Geist in unsere Herzen gegeben hat. Und dazu gehört die Ahnung vom Paradies, in dem wir nicht leben. Und nur weil wir diese Ahnung vom Paradies haben, weil wir eine Ahnung vom Frieden haben, können wir überhaupt den Mangel an Frieden erkennen. Weil wir eine Ahnung von Vollkommenheit haben, spüren wir die Unvollkommenheit. Weil wir eine Ahnung von Gerechtigkeit haben, können wir überhaupt unter Ungerechtigkeit leiden. Weil wir einen Geschmack haben vom ewigen Leben, finden wir uns eben nie und nimmer mit dem Tod ab. Wir ahnen, wie paradiesisch das ist, ein Herz und eine Seele zu sein. Und darum leiden wir darunter, dass so viel Entfremdung ist zwischen Mann und. Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Bruder und Schwester und zwischen Freunden. Wir sind Vertriebene aus dem Paradies, so beschreibt die Bibel unsere Situation. Das heißt aber, wir gehören ursprünglich in’s Paradies, das ist eigentlich unsere Heimat. Wir sind sozusagen "Heimatvertriebene". Und darum sind unsere Ahnungen von Gott, von Liebe, von Vollkommenheit und Gerechtigkeit nie kaputt zu kriegen.

Die Bibel beschreibt nun auch, was uns vom Paradies trennt. Sie sagt einfach; da hat ein Sündenfall stattgefunden. Und der Sündenfall besteht darin, dass Menschen sein wollen wie Gott. Gott hat uns frei geschaffen. Darin besteht unsere Menschenwürde. Wir Menschen haben die Freiheit missbraucht, wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen, wir wollten sein, wie Gott, wir wollten ihm das Geheimnis entreißen. Gott sagte: du sollst nicht, aber er hat keinen Zaun um den Baum der Erkenntnis gebaut. Er hat auch die Menschen nicht an die Kette gelegt, dass sie gar nicht dran können. Er hat sie frei geschaffen. Und sie sahen, dass vom Baum der Erkenntnis gut zu essen wäre. Der Drang, der sie zum Apfel treibt, ist der, dass sie sein wollen wie Gott. Da war die Freiheit schnell missbraucht, da war der Apfel schnell gepflückt und gegessen. Und sofort - das ist faszinierend in diesem Märchen - geschieht eine Veränderung mit den Menschen. Vorher waren sie nackt und schämten sich nicht, waren eins miteinander. Und jetzt setzt die Entfremdung ein, sie schämen sich und sind nicht mehr unbefangen, sie sind nicht mehr ein Herz und eine Seele. Sie erkennen jetzt, dass die Erkenntnis zum Fluch wird. Denn jede Erkenntnis ist machtförmig und auf Abgrenzung bedacht. Zu keiner Zeit war das deutlicher erkennbar als heute.

Erkenntnis entwickelt eigene Gesetze. Erkenntnis hat immer mit Macht zu tun. Der Mensch kann sie alleine nicht steuern.

Ich will es nur an einem Beispiel darstellen. Mit Naturwissenschaft und Technik hat heute jeder von uns direkt oder indirekt zu tun. Wir leben alle damit, und wir leben alle davon. Wir leben nicht schlecht davon. Wir leben da von den Früchten vom Baum der Erkenntnis. So technisch kann man das auch sehen. Aber ihr werdet gleich merken, dass auch da die Sache zwielichtig ist, wie alles Stückwerk ist, was wir beginnen. Die Früchte der Erkenntnis sind süß, aber sie bekommen uns schlecht. Wir haben erst gedacht, dass der Gott, von dem das Alte Testament schreibt, mehr so ein alter, neidischer Daddy ist, der uns die Erkenntnis nicht gönnt. Der nur nicht will, dass wir auch so groß und mächtig werden.

Wer dieses Stadium durchlebt hat, der kommt in eine zweite Stufe im Glauben. Der merkt nämlich, dass wir dann die Erkenntnis an uns gerissen haben, und dass wir in dem Größenwahn gelebt haben, in den Händen der Menschen wäre unser eigenes Glück besser aufgehoben, als in Gottes Händen. Und das Reden von Gott, und das Beten und Glauben galt dann als rückständig und dumm. Wir selbst wollten es beweisen und schaffen.

Das ist ja nichts anderes als "sein wie Gott". Und mit der Erkenntnis dann in unseren Händen, ohne Gott, fern ab von Gott, da merkten wir, dass wir damit allein nicht zurecht kommen, dass wir gar nicht Herren der Lage sein können. Wer sein will wie Gott, der fällt in den Abgrund. Weil wir eben nicht Gott sind. Wir sind nicht der Schöpfer, sondern die Geschöpfe. Und wer das verwechselt, der bereitet sich die Hölle auf Erden.

Ein anderes Beispiel dafür, wie die Erkenntnis mit Macht zu tun hat: Otto Hahn, Physiker, hatte 1938 an einem kleinen Holztisch in Göttingen die Kernspaltung entdeckt. Und er war begeistert von dieser Erkenntnis. Aber er hat nicht daran gedacht, was man damit machen kann. Und sieben Jahre später fiel die erste Atombombe, die auf diesen Augenblick der Erkenntnis zurückging, sieben Jahre vorher, an dem kleinen Holztischchen, das wir heute noch im deutschen Museum in München betrachten können.

Das wollte der Mann nicht. Aber die Erkenntnis war nicht mehr zu steuern, es lauerten genug darauf, die ihm das wegnahmen und Bomben daraus bauten. Das wollte Otto Hahn nicht. Und einer, der Otto Hahn noch kannte, zu Lebzeiten, der hat mir erzählt, wie verzweifelt der Physiker war, und wie sie damals im Gespräch eben auf diese Geschichte vom Sündenfall zu sprechen kamen. Wie dieser Physiker sehr genau verstand, was mit dieser Geschichte vom Sündenfall gemeint ist.

Erkenntnis hat mit Macht zu tun, die wir nicht allein steuern können. Unsere Erkenntnis hat zur totalen Entfesselung der Naturkräfte geführt. Und was hat uns diese Erkenntnis gebracht durch die Technik? Sie ist vieldeutig. Sie hat uns Wohlstand gebracht. Aber sie hat Wohlstand gebracht nur für 20% der Weltbevölkerung. Und sie hat schlimme Folgen für die restlichen 80%. Und inzwischen haben die modernen Fabrikationsmethoden auch schlimme Folgen für jeden von uns.

Alles, was wir Menschen anpacken, ist vieldeutig, vielschichtig, und wenn wir uns loslösen von Gott, wird die Hölle aus dem selbstgebauten Glück.

Nehmen wir noch ein Beispiel, das unverfänglich erscheint; die Humanmedizin.

Die erscheint uns immer noch als die beste Seite der Technik. Aber auch hier ist uns das Gutgewollte aus der Kontrolle geraten. Die gleiche Medizin, die uns viel Schmerzen erspart, hat auch eine andere Seite. Sie hat nämlich eine Überbevölkerung hervorgebracht, die wir nicht lösen können.

Nur diese Beispiele sollen zeigen, welche Folgen Missbrauch der Freiheit hat, wenn Menschen Gott nicht gehorsam sind, sondern selbst sein wollen wie Gott.

Wir können jetzt nicht so tun, als wäre die Welt in Ordnung, wenn die Menschen nur gehorsam wären. Denn wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen, und wir können’s nicht rückgängig machen. Wir können jetzt nicht einfach den Apfel nehmen und ihn wieder an den Baum hängen. Wir haben davon gegessen, das ist Teil unserer Existenz, das ist unsere Lage.

Aber wir tragen eben zugleich auch die Ahnung und die Sehnsucht nach dem Paradies in uns. Und daraufhin spricht uns Jesus an, und daran appelliert er. "Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid". Ihr geistlich Armen. Ihr habt ja schon viel begriffen, ihr, die ihr gemerkt habt, dass ihr den Sinn nicht schaffen könnt. Ihr, die ihr ratlos seid, ihr habt ja schon begriffen, dass das ein zweischneidiges Schwert ist, mit der Erkenntnis. Ihr, die ihr am Ende seid mit eurer Erkenntnis und eurer selbstgemachten Hoffnung. Ihr, die ihr hungert und dürstet A Gerechtigkeit, weil in euch die Sehnsucht nach dem Paradies stark geworden ist.

"Ich will euch erquicken!" Lest die Seligpreisungen Jesu durch, sie weisen alle in diese Richtung.

Und er, Jesus, lebt uns den Weg vor, der zu Gott führt. Er lebt diese Freiheit, die aus dem Gehorsam kommt.

Jesus ist Gottes neue Schöpfung. Er ist der neue Mensch.

Die aus dem Paradies Vertriebenen sind eingeladen, nach Hause zu kommen. Verlorene Söhne und Töchter sollen wieder versöhnt werden mit Gott.

Aber auch das geschieht wieder in Freiheit. Jesus zieht nicht den verlorenen Söhnen und Töchtern einen Ring durch die Nase und schleppt sie ins Paradies. Sondern er lädt ein. Und wieder müssen wir uns mit dieser Freiheit herumschlagen. Und wir müssen das tun, weil sie ein Teil unserer Würde ist.

Im Neuen Testament erzählt die Apostelgeschichte von den ersten Christengemeinden nach Pfingsten. Da schließt sich der Kreis wieder. Da, wo der Geist Christi sich ergießt über Menschen, da leuchten plötzlich kleine Paradiese auf. Wo Menschen sich gegen den Willen Gottes nicht mehr wehren, und sich von ihm erfüllen lassen, da fangen sie an zu teilen, Frieden zu haben in ihm. Da wird erzählt, dass keiner mehr Not leidet. Da ist das Paradies wieder hergestellt. Da heißt es - wie es dann als Sprichwort in unsere Sprache eingegangen ist - "sie waren ein Herz und eine Seele".

Diese kleinen Gottesreiche, die brechen spätestens in der nächsten Generation wieder zusammen, weil Glaube nicht vererbbar ist. Manchmal erleben wir so einen Zipfel vom Reich Gottes auch nur in Augenblicken. Das müssen wir lernen, dass wir erst am Anfang stehen. Der Versucher macht uns immer wieder glauben, wir würden eben doch allein vom Brot leben, und nicht von Gottes Wort. Und wer sich bei den Versuchungen der Welt nicht eng an Jesus hält, der ist verloren.

In Jesus haben wir einen großen Bruder, der kampferprobt ist mit dieser Versuchung und in dem wir erkennen, wie aus der Freiheit im Gehorsam Segen wird.

Die Schlange in vielfältiger Gestalt verlockt uns immer wieder zum Ungehorsam.

Du sollst nicht! Will Gott gesagt haben? Sind wir nicht moderne Menschen, mit großer Erkenntnis? Sollen wir denn noch diese altertümlichen Gebote halten? Hat das überhaupt Sinn?

Sei frei! Tu, was du willst! Nur am Ende weißt du gar nicht mehr, was du willst, bist der Willkür des Augenblicks überlassen und fällst in den Abgrund.

Aber so soll es nicht sein. Uns ist Christus wie ein Stern aufgegangen. In dem Lied kommt die alte Schlange vor. Ein Stern ist aufgegangen, stillt das sehnliche Verlangen, bricht den Kopf der alten Schlangen und zerstört der Höllen Reich.

Habt ihr einmal bemerkt, dass alle unsere Weihnachtslieder den Sündenfall erwähnen?

Die Vertreibung aus dem Paradies ist mit der Geburt Jesu zu Ende. Und es taucht da nicht wieder ein Held auf, der andere das Fürchten lehrt, a

Christus, unser Bruder, der hat das Paradies aufgeschlossen.

Und darum lasst uns das singen jetzt auch mit einem Weihnachtslied. Lasst uns das singen und beten mit dem folgenden Lied 21, die Strophen drei bis sechs, wo es heißt; "Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis!"

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!