Predigt vom 22.03.1987 - Pastor Schnabel - Sonntag Okuli - Mk. 12, 41-44
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Hört den Predigttext dieses Sonntags Okuli aus dem Evangelium nach Markus im 12. Kapitel; die Geschichte vom Schärflein der Witwe:
"Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Schärflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte."
Gott segne an uns dieses Wort! Amen!
Liebe Gemeinde! Jesus moralisiert nicht, er zeigt nur auf diese arme Witwe und sagt: Schaut sie euch an, sie lebt ohne Sicherung, sie vertraut auf Gott und darum ist sie frei und braucht nicht zu sorgen.
Unsere erste Reaktion auf solche Geschichten ist immer: "Wo kommen wir denn da hin, wenn wir leben würden, wie diese Witwe? Ohne Geld kann keiner leben!"
Dazu muss man erklären, dass im Altertum, zu Jesu Zeiten, im Alltag das Geld allerdings eine andere Rolle spielte als heute. Man hatte damals einen Garten, vielleicht ein paar Hühner. Man tauschte Eier gegen Sandalen, oder Korn gegen Öl. Das Geld hatte damals nicht die Bedeutung, dass man täglich einkaufen ging, sondern es hatte die Funktion der Sicherung; für’s Alltägliche. Sie kennen diese Redeweise; das hat er für einen Apfel und ein Ei gekauft. Das heißt; das hat er eingetauscht für etwas, das nach - wächst, was man so im Haus hat. Das Tägliche, das man zum Leben brauchte, das verdarb, das musste man entweder aufessen oder tauschen, aber es war nicht wertbeständig.
Eier und Korn kann man nicht auf die hohe Kante legen. Aber Silbermünzen und .Kupfermünzen, die konnte man auf die hohe Kante legen, die konnte man in einen Topf tun und vergraben. Die konnte man verstecken für schlechte Zeiten. Damit fingen die Menschen an, ihre Zukunft abzusichern.
Nun dürfen wir vermuten, dass diese arme Witwe zwei Kupfermünzen eingelegt hat. Vielleicht hat sie ein Knäuel Wolle gesponnen und das verkauft. Aber diese Witwe macht das nun nicht so, wie man es erwarten würde. Dass sie diese Kupfermünzen auf die hohe Kante legen würde, dass sie sich daraus eine kleine Rücklage macht, sondern sie legt das Geld in den Gotteskasten, aus dem die Armen gespeist werden.
Und Jesus sitzt da und sieht das alles und sagt: Guckt mal, schaut euch diese Witwe an, sie gibt alles, was sie an Rücklagen hat; sie sorgt sich nicht. Das ist die Pointe dieser Geschichte; sie vertraut auf Gott, und sie ist weise, denn sie weiß, dass die Zukunft nicht mit Geld gesichert werden kann.
In einer anderen Geschichte erzählt Jesus von dem reichen Kornbauern, der große Vorräte anlegt und meint, seine Zukunft sei gesichert. Jesus erzählt, wie der Kornbauer sich zurücklehnt und sagt: Habe Ruhe liebe Seele, iss und trink und sei guter Dinge, du hast ausgesorgt, dir kann nichts mehr passieren. Aber Gott spricht zu ihm:
"Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern und wes wird sein, was du besitzest?"
Es gibt keine Sicherheit, die wir selbst schaffen können. Und wir leben wie die Narren, wenn wir immer wieder versuchen, unsere Zukunft abzusichern. Wer sich auf Hab und Gut verlässt, der ist verlassen. Hab und Gut ist wichtig, aber es reicht nur so weit, wie die Dinge des Lebens bezahlbar sind. Und damit wir nicht zu viel Lebenskraft in die falsche Sache investieren (denn alles, was man in die falsche Sache investiert, das ist verloren - wer seine Lebenskraft in die falsche Sache investiert, der hat einen Teil, oder sein ganzes Leben verloren), darum sagt Jesus: Um Himmels willen sorget nicht, denn Sorge ist Ausdruck von Angst. Wer sich sorgt, kann nicht lieben, Wer sich sorgt, der ist nicht bei der Sache. Und wer Angst hat, der sieht in jedem anderen einen Feind. Wer Angst hat, der baut Waffen. Die Angst baut Waffen, sie legt Vorräte an und macht Feinde aus Schwestern und Brüdern.
Alle, die Jesus nachgefolgt sind, konnten ihre eigene, selbstgemachte Sicherheit aufgeben. Und dadurch sind sie frei geworden und erlöst; vor allem von sich selbst, von ihrer Sorge, von ihrer eigenen Angst. Sie konnten lieben, weil sie nichts verteidigen mussten. Sie waren frei von Sorge, sie konnten ihren Besitz loslassen, das heißt: sie konnten geben. Sie konnten deshalb wachsen und reifen.
Macht euch Freunde mit dem Mammon, sagt Jesus; dazu ist es da. Geld hat nur dann eine Wirkung, wenn du es ausgibst. Das ist mit anderen Gaben genauso. Nur beim Geben hast du etwas davon, sonst ist Geld sinnlos.
Das Schwierige mit uns Menschen ist, dass wir von Klein an auf’s Nehmen eingestellt sind, und nicht auf’s Geben und Teilen. Das ist das, was Luther immer "den alten
Adam und die alte Eva" genannt hat. Wir erwarten immer, mehr zu nehmen als zu geben. Wir erwarten immer mehr Aufmerksamkeit und Liebe für uns selbst, als wir selbst zu geben bereit sind. Und dahinter steckt im Grunde dieser böse Trieb, dass wir uns auf Kosten anderer bereichern wollen. Wir können nicht genug kriegen, es könnte nicht reichen, so werden wir geizig. Geizig kann man nicht nur mit Geld sein, geizig kann man auch mit Zeit und Liebe und Aufmerksamkeit und Zuwendung sein.
Je mehr er hat, je mehr er will, nie stehen seine Wünsche still! Da ist dieser Teufelskreis. Und das kann gar nicht anders sein, denn wenn du erst mal anfängst zu sorgen, dann merkst du; da ist noch eine Lücke, und da ist noch eine Lücke. Dann füllst du diese Lücke aus, und dann befindest du dich auf einer vermeintlichen Sicherheitsstufe und steigst in die nächste. Und so mauerst du dich ein und kommst in einen Teufelskreis, der dein Leben auffrisst.
Wir sind auf der einen Seite auf’s Nehmen eingestellt. Auf der anderen Seite spüren wir zugleich im Herzen, dass alle Güter der Welt nicht ausreichen, um mein Leben und meine Zukunft abzusichern. Ohne Vertrauen auf Gott sorgen wir uns und müssen immer mehr auf die hohe Kante legen, und dabei werden wir immer ärmer und immer unsicherer.
Das ist das Merkwürdige, das ist im Grunde die Sünde, die uns auf den Weg der Sicherheit lockt, und am Ende gehen wir leer aus. Sorge dich! Und je mehr du sorgst, desto ärmer wirst du.
Schaut euch diese Witwe an, sagt Jesus. Sie gibt, was sie hat. Sie braucht keine Sicherheit, sie vertraut auf Gott. Heute hat es gereicht, morgen wird es wieder reichen; ich vertraue auf Gott. Sie hat alles von Gott, und sie nimmt alles von Gott und sie teilt auch alles. Jesus sagt jetzt nicht: O ihr Bösen, ihr müsst alles hergeben. Sondern - das ist typisch diese liebevolle Art unseres Herrn - er sagt: Schaut euch diese Frau an. Jesus sagt nicht: Gebt ab, teilt, sonst hat euch Gott nicht lieb. Sondern es geht umgekehrt, Jesus sagt: Gott liebt euch! Und wenn ihr das von Herzen _ angenommen habt, wenn ihr euch davon beschenken lasst, dann braucht ihr euch gar nicht mehr zu sorgen, da wird das Sorgen gegenstandslos. Denn je mehr ihr euch sorgt, desto weniger könnt ihr loslassen. Aber je mehr ihr erfahrt, dass ihr Gottes geliebte Kinder seid, desto unwichtiger wird, was ihr auf der hohen Kante liegen habt.
Im Lichte der Liebe Gottes und seiner Gnade werden die Dinge dieses Lebens überhaupt erst wieder normale Dinge. Sonst haben die Dinge ja immer eine übersteigerte Bedeutung. Das könnt ihr an der Reklame sehen; da wird selten der wirkliche Nutzen verkauft, sondern da wird Sinn und Glück verkauft. Und da appelliert man an unser Sorgen und unser Geltenmüssen.
Wenn der Geist Jesu dein Herz anrührt, dann taust du auf und dann erkennst du, wie diese Witwe, dass alles aus Gottes Hand kommt. Dann kannst du geben und teilen; das kannst du dann gar nicht mehr vermeiden.
Es ist nicht so, dass du heute nachmittag, sollten dir diese Worte nahe gehen, dich hinsetzen sollst und sagen: was muss ich jetzt eigentlich abgeben? So läuft es gar nicht, sondern wir müssen unsere kalten Herzen von der Liebe Gottes bestrahlen lassen. Und dann springt unser Herz auf wie ein Gefängnis, und dann schmelzen wir dahin und können gar nicht anders als geben und teilen. Dann ist es dir ein Glück und die klarste Sache der Welt, zu geben und zu teilen. Dann kommt das aus Gottes Geist heraus und es wirkt durch dich hindurch. Wenn du die arme Witwe fragen würdest, warum sie das tut, dann würde sie wahrscheinlich gar nicht sagen können warum, sie würde sagen: Das ist doch völlig klar, das muss man doch so machen!
Also, geben kann man nicht trainieren, sonst wird es Moralismus. Erst muss Gott in uns wirken, der Geist Jesu muss uns anblasen und uns die Sorge nehmen, und dann brauchen wir nicht’s mehr festzuhalten.
Es gibt genug Lebensgeschichten, die uns illustrieren, wie schlimm das Sorgen ist, und dass es gar nicht harmlos ist, falsch zu leben, weil man nämlich sein Leben dabei verliert.
Lasst mich zum Schluss noch eine Geschichte erzählen zur Warnung für mich und für euch. Sie ist authentisch.
1945 kam eine Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen mit drei kleinen Kindern bei Nacht und Nebel in einer niedersächsischen Kleinstadt an. Sie wurden - wie das damals so war - in einem Haus einquartiert bei einer älteren Frau, die dort allein lebte. Ihr gehörte das Haus. Diese Familie blieb dann auch später zur Miete in diesem Haus wohnen. Es waren Notzeiten. Die Hausbesitzerin wohnte oben, die Flüchtlingsfamilie unten. Die Flüchtlinge hatten natürlich nichts, und die ersten zwei Jahre waren sehr hart. Die Kinder gingen manchmal hungrig zu Bett. Die Hausbesitzerin oben hielt ihre Türen verschlossen und lebte einsam vor sich hin. Und dann wurde es mit den Jahren langsam besser. 1965 starb plötzlich die Hausbesitzerin oben in ihrer Wohnung. Sie hatte keine Kinder, nur eine entfernte Nichte. Diese Nichte kam aus Süddeutschland zur Beerdigung, erbte das Haus und verkaufte es. Sie nahm ein paar Möbel mit und bat die Familie - die nun immer noch unten wohnte und deren Kinder nun schon groß waren - bat diese Familie, doch die Wohnung und den Dachboden dieser alten Frau bei der nächsten Sperrmüllaktion zu entrümpeln. Sie taten das und entdeckten dabei auf dem Dachboden Schreckliches. Auf diesem Dachboden standen Schränke voll mit verdorbenen Lebensmitteln. Die alte Frau hatte auf die Fleisch- und Wurstkonserven, die nun alle verdorben waren, fein säuberlich das Datum aufgeschrieben. Wurst und Fleisch und Konserven von 1946, 1947, 1948. In den Jahren, als wenige Meter von diesen Vorräten entfernt die Flüchtlingskinder hungerten, da hortete diese Frau Lebensmittel, die sie nie in ihrem Leben gebraucht hat, aus Sorge, es könnte nicht reichen.
Ich habe diese Geschichte immer vor Augen, weil ich gesehen habe, wie schrecklich das eigentlich war für die Leute, jetzt Kartons mit diesen vergammelten Lebensmitteln wegzuwerfen, die im richtigen Augenblick nicht genutzt worden waren.
Wäre es nicht schrecklich, wenn Gott nach unserem Tod bei uns so viele konservierte und ungenutzte und verdorbene Lebensmöglichkeiten und Lebensmittel finden würde?
Und bitte, beschränkt das nicht nur auf’s Geld. Wofür sparen wir denn unsere Liebe und unsere Aufmerksamkeit und unsere Talente und unser Geld? Wofür sparen wir das denn immer auf? Es ist alles heute zum Geben da, zum Mitteilen, zum Austeilen.
Seht euch diese Witwe an, sagt Jesus, so lebt sie, sie sorgt sich nicht.
Solltest du Jesus nun antworten und versuchen mit ihm in ein Gespräch zu kommen, und wieder damit anfangen und sagen: Jesus, heute kann man das nicht, und man muss doch..., Jesus würde sich nicht mit dir streiten, sondern er würde zu uns wie zu den Jüngern sagen: Schaut hin, seht euch das Beispiel der Witwe an, sie nimmt alles aus Gottes Hand, sie gibt alles weiter. Sie gibt wenig, aber weil es alles ist, gibt sie mehr als andere.
Sie sorgt nicht, sie ist eine starke- Frau, diese arme Witwe - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne auch vor dem Sorgen, um Christi Willen - AMEN!