Predigt vom 02.08.1987 - Pastor Schnabel - Joh. 6, 30-35
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Der Predigttext für diesen Sonntag, den 7. nach dem Dreifaltigkeitsfest, steht bei Johannes im 6. Kapitel.
"Das Volk sprach zu Jesus: Was tust du für Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsere Väter haben in der Wüste Manna gegessen, wie geschrieben steht: "Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen." Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, was vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben." Da sprachen sie zu ihm: "Herr, gib uns allezeit solches Brot." Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, der wird nimmermehr dürsten."
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde!
Das Himmelsbrot stillt einen Hunger, der eine Sehnsucht in uns zum Ausdruck bringt. Zunächst ist da vom Glauben die Rede.
Der Glaube war früher nicht leichter als heute. Der Glaube ist bei uns Menschen noch nicht das Selbstverständliche, sondern wir Menschen sind oft genug uneins in uns selbst. Und in jedem von uns ist Glauben und Unglauben. Wenn wir ganz und gar eins wären mit Gott, und aus dem Glauben ganz leben würden, dann brauchten wir keine Kirche, dann brauchten wir uns hier nicht zu versammeln, dann wäre alles klar.
Aber eben weil dieser Widerstreit in uns vor sich geht, brauchen wir Gottes Wort.
Der Mensch ohne Glauben, der sieht nur das, was vor Augen ist, was er mit seinen Sinnen wahrnehmen kann. Er sieht die einzelnen Gegenstände, die Dinge, die meßbaren Gemütszustände, den Nutzen. Der Mensch ohne Glauben muss sich tatsächlich an den Kopf fassen und sagen: Wieso gibt es eigentlich so etwas Komisches wie Kirche? Es ist völlig unnütz! Dagegen der Mensch, der im Glauben lebt, der erkennt die Dinge und Gegenstände des Lebens als Ausdruck eines Größeren, eines Ganzen. Als Ausdruck von etwas, das größer ist als er selbst.
Im Glauben erfährst du, dass etwas hinter den Dingen ist, dass etwas darüber hinausgeht.
Was uns sonst im Bereich der Dinge als Einzelheit erscheinen muss, das findet erst im Licht des Glaubens seine Zuordnung. Im Glauben leben, heißt eigentlich; weise leben. Der Glaube ist die angemessene Sicht. Im Glauben zu leben, ist realistisch. Und im Unglauben zu leben ist unrealistisch. Es ist also genau anders herum, als man gemeinhin annimmt. Der gläubige Mensch hat nämlich erkannt, dass das Irdische ein Gleichnis ist; ein Ausdruck des Geistes. Und diese Sicht ist dem Leben viel angemessener. Und gerade darum kann der Gläubige aus dieser Sicht seine Intelligenz und seine Fähigkeiten viel gezielter einsetzen, als der Ungläubige, der immer nur in dem kleinen Zimmer seiner vermeintlichen Realität umhergeht und die Gläubigen für gefühlsduselige Spinner hält.
Die Geschichte des Volkes Israel, die in der Bibel steht, sie wird ja in unserem Predigttext zitiert, die ist wie ein großer Erziehungsroman Gottes.
An diesem ungläubigen Volk wird ein Lernprozeß dargestellt, ein Wachsen und Reifen zum Glauben hin.
Da gibt es einzelne Szenen; Israel in der Sklaverei, Israel in der Wüste, Israel im gelobten Land. Das sind irdische Stationen, realistisch geschildert, in die hinein der Himmel einbricht.
Das ist eine Geschichte vom Heil. Da wird für uns eine Heilsgeschichte draus.
In dem grauen Alltag von Unglauben, in dem Nützlichkeit und Gewalt und harte Verrechnung das Leben bestimmen, da bricht der Himmel ein, da geschieht Neues; für Menschen unberechenbar. Da fallen Lichtstrahlen des Geistes hinein in menschliche Enge. Da werden neue Wege eröffnet. Und da kann es sogar dazu kommen, dass Tod und Niederlagen plötzlich aufleuchten als ein Durchgang zu neuem Leben.
Gott schickt den Mose. Der Geist Gottes verdichtet sich in einem Menschen, der mit einem Holzstab in der Hand, und mit Gottes Wort auf seiner schweren Zunge, die Weltmacht Ägypten in die Knie zwingt und das Volk aus der Sklaverei befreit. Eine Urerfahrung des Volkes Israel.
Wer diese Geschichte hört, der bekommt etwas vorgespielt von der Kraft des Geistes und von der Güte Gottes. Aber auch bei Israel ist der Glaube nie ein für allemal geschaffen, denn diese Erfahrung bricht wieder zusammen; es wird vergessen.
Und darum steht in der Bibel immer wieder; erinnert euch! Erinnert euch an diese Ereignisse des Geistes! Traut dieser neuen Wirklichkeit des Glaubens!
Die es erfahren haben, die leben davon.
Und dann kommen neue Generationen, die müssen die Erfahrungen des Geistes wieder neu machen. Sie müssen leider auch wieder neu in die Wüste geführt werden, in Ohnmacht und Ratlosigkeit, damit sie wieder neu lernen können, dass in ihrem Leben mehr im Gange ist als das, was sie selbst verfügen und steuern.
Nur im Glauben können wir unser Leben deuten.
Jeder von uns, wie er hier sitzt, trägt ja einen unsichtbaren Rucksack auf dem Rücken, in dem so viele ungedeutete Erfahrungen seines Lebens sind. Das ist unser Lebensgepäck; Ungereimtes und Schmerzliches und auch Gutes. Und erst wenn die Strahlen des Glaubens, der Gotteserkenntnis, auf diesen Vorrat fallen, erst dann erkennen wir in Bruchstücken, wie es zusammen passt.
Dieser Vorgang ist nie abgeschlossen solange wir auf Erden leben. Bis in unsere letzte Stunde auf Erden wird dieses Wachsen, dieser Lernprozeß, nicht zum Stillstand kommen. Das ist der Hunger der Seele, der uns durch’s Leben treibt. Und von diesem Hunger ist hier die Rede und entsprechend vom Himmelsbrot, mit dem allein dieser Hunger zu stillen ist.
Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht betäuben und ablenken lassen von diesem Hunger; dass wir uns nicht abfinden.
Die Bibel sagt deutlich und immer wieder: Es ist würdevoller und klarer, zu sagen: ich komme nicht weiter! Ich bin ratlos! Ich finde es schwer, der Güte Gottes zu trauen! Ich sehne mich nach Sinn und Klarheit! Ich suche! Das ist würdiger, als wenn du die Segel deines Lebens streichst und nur noch hoffst, zu vergessen und sagst: Die Zeit wird darüber weggehen, es ist alles egal! Du findest sowieso keinen Zusammenhang in deinem Leben.
Das Brot des Lebens bekommt nur der, der Hunger danach hat. Und den Hunger, den gilt es erst mal auszuhalten und nicht zu betäuben.
Ich beobachte an meinem eigenen Leben und an dem, was andere Menschen tun, dass der größte Teil unserer menschlichen Betriebsamkeit nur den einen - oft unerkannten - Zweck hat, den Hunger nach Leben zu betäuben.
Den Lebenshunger stillen können wir nicht aus uns selbst, auch wenn wir es immer versuchen.
Den Hunger stillen, sagt unsere Sprache. Das Stillen ist zunächst ein Wort, das bezeichnet, wenn ein Baby an die Mutterbrust gelegt wird; es wird still gemacht. Es hat Hunger, es schreit. Medizinisch: da sinkt der Blutzuckerspiegel; ein Kind muss schreien. Und dann wird es an die Brust gelegt und dann trinkt es und dann schläft es ein, still, selig lächelnd; wie ein satter Säugling. Da ist der Hunger gestillt. Dieses Bild wird übertragen in dem Ausdruck; den Hunger stillen. Dieses Wort heißt ja, dass der Hunger uns schreien macht, dass er keine Ruhe gibt, dass er nach Brot verlangt. Man kann den Hunger betäuben. Aber er bricht immer wieder hervor, bis er wirklich gestillt ist.
Und ihr habt wenigstens erkannt, dass der Hunger des Magens hier ein Bild für den Hunger der Seele ist.
Aber auch das wohnt ja so nahe beieinander, dass wir es manchmal gar nicht trennen können. Wir kennen doch diese Erfahrung; diesen Hunger auf Süßigkeiten und nach viel Essen. Diesen Hunger, den wir haben, wenn wir unzufrieden sind. Ich warte auf einen Einfall, ich stehe vom Schreibtisch auf, gehe an den Kühlschrank, mache ihn auf, gucke, ob nicht irgendwas da ist. Und ich esse irgendwas, aber ich merke: eigentlich geht es um ganz etwas anderes, ja? Und ich betäube nur den Hunger, der eigentlich woanders hinreicht. So naschen wir uns manchmal durch’s Leben. Manchmal kaufen wir auch irgend einen Fummel, einen Ramsch, den wir eigentlich gar nicht brauchen, nur weil wir das Gefühl haben; ich muss diesen Hunger stillen.
Und ich weiß im Grunde; den Hunger, der eigentlich in dir wühlt, den stillst du damit gar nicht. Wir sind unzufrieden, unerfüllt, und wir strecken uns aus. Wir merken, der Leib ist eigentlich längst satt, aber wir essen und trinken und setzen vielleicht Kummerspeck an. Aber wir werden nicht satt davon. Womit wir uns betäuben, das muss nicht das Essen sein, das können auch Hobbys sein. Da kann jemand Briefmarken sammeln, oder Autos, oder sonst irgendwas. Hinter dieser Betriebsamkeit steht oft die Sehnsucht nach erfülltem Leben. Das ist dieser Hunger des Lebens, den wir immer mit den falschen Dingen füttern. Und umgekehrt haben wir Gott sei Dank auch die Erfahrung gemacht, zu Zeiten, wo der Magen wenig zu essen hatte, dass das Leben trotzdem erfüllt sein konnte. Dass dann dieser Hunger der Seele gestillt war; da konnte der Magen ruhig etwas knurren.
Ein hungriger Magen ist leichter zu ertragen als eine hungrige Seele.
Das erkennst du aber erst im Lichte des Glaubens. Die geistige Gestalt, in der in unserem Land gelebt wird, die ist schon bezeichnend. Wir werden vor allem unruhig, Wenn die Export- und die Wirtschafts- und die Wechstumsraten sinken. Aber der Hunger der Seele nach einem erfüllten Leben, der beunruhigt nur wenige. Dabei brauchen wir doch die meisten Güter, die wir im reichen Land haben, nur um den Hunger nach Leben zu betäuben.
Ihr Lieben, wir sind heute hier versammelt, weil wir vor allem den Hunger nach dem Brot des Lebens gemeinsam haben.
Glauben heißt im ersten Schritt, diese Ahnung zu haben: Alles, was du kaufen kannst, stillt diesen Hunger nicht, da muss noch mehr sein.
Uns verbindet die Erfahrung, dass wir mit allen Sachen, kaufbaren und zählbaren und messbaren Dingen des Lebens, nicht satt geworden sind.
So wie Luther in der Beichtpredigt sagt: "Wie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele nach dir!"
Natürlich hat jeder von uns schon versucht, den Hunger nach Leben mit allem möglichen Hab und Gut zu stillen. Ich tu das ja auch, ich habe ja auch Freude am Besitz. Aber ich erfahre immer wieder; es macht mich nicht satt. So schön das alles ist, wir brauchen etwas, was von draußen hereinkommt, was wir uns nicht selbst sagen können.
Das ist das Brot des Lebens, was von oben hereinkommen muss in unsere Enge; von außerhalb des Produzierbaren und Verfügbaren.
Der Mose war eine Gestalt, der so ähnlich wie ein Briefträger ein Päckchen, eine Botschaft brachte in die Geschichte der Menschheit hinein. Da klang eine neue Melodie an, die brach wieder ab.
Und dann ist Jesus gekommen. Und die Hungrigen, die Hungrigen haben ihn erkannt, nicht die Satten.
"Selig sind, die hungern und dürsten nach Gottes Gerechtigkeit."
"Selig sind die geistlich Armen", das sind Menschen, die diesen Mangel gespürt haben. Herr, gib uns Brot des. Lebens!
Wer Jesus so anspricht, wer ihn so anbettelt oder anbetet, der hat schon die Ahnung, dass in diesem Menschen »Gottes Geist sich verdichtet hat.
Die irdische Speise ist für den Leib. Aber die Seele, die wird nur satt mit dem, was der Geist uns eingibt.
Jesus sagt: "Ich bin das Brot des Lebens!" Ihr Hungrigen kehrt um, kommt zu mir und glaubt der Wirklichkeit Gottes, das macht uns satt!
Wenn wir bei Ihm sind, dann ist das eigentlich so, als ob wir zu Gott kommen und ihm bekennen: Wir haben unsere Seele mal wieder falsch ernährt. Wir haben unseren Hunger nach Leben mal wieder mit dem falschen Kram betäubt, mit der falschen Speise. Und so sind wir immer wieder hungrig geworden, und jetzt kommen wir zu dir; mach uns satt mit dem Brot des Lebens!
Christus ist das Brot des Lebens.
Da ist die Fülle des Geistes auf ein einfaches Wort gebracht.
In Christus hat Gott deutlich gemacht, was er mir uns vor hat. Und zur Erinnerung sollen wir Brot und Wein miteinander teilen.
"Solches tut zu meinem Gedächtnis", hat Christus gesagt. Sein Geist weht in dieser Welt, er drückt sich aus im Sakrament, den erzählenden Menschenworten, in Taten, in kunstvollen Bildern, Dichterzeilen.
Sein Geist bewirkt in uns das Gute und lässt uns, Gott sei Dank, nicht zur Ruhe kommen. Es ist unter unserer Würde, diesen Hunger, diese Sehnsucht nach Gott, mit irgendwelchem Ramsch abzuspeisen; das geht, Gott sei Dank, nicht.
Er bewirkt in uns das Gute und lässt uns keine Ruhe, bis wir zu Ihm kommen und in Seinem Geist zueinander finden - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!