Predigt vom 13.09.1987 - Pastor Schnabel - Mk. 3, 31 - 35
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde; Schwestern und Brüder in Christus!
Heute erinnert uns die Schrift an die geistige Verwandtschaft, die uns mit Christus verbindet. Die Bibel unterscheidet oft zwischen Kindern nach dem Fleisch, und Kindern nach dem Geist.
Nach dem Fleisch, das bezieht sich auf unsere irdische Abstammung; daher haben wir unseren Familiennamen. Die Rasse, zu der wir gehören, das Volk, in dem wir geboren sind, .das ist unsere irdische Abstammung.
Und dann gibt es die Kindschaft nach dem Geist. Daher kommt die Redewendung: Mal sehen wes Geistes Kind einer ist. Wes Geistes Kind ein Mensch ist, das wird erkennbar an dem, was ihm’ von’ höchster Wichtigkeit ist, was ihn führt und leitet; was er als seine Bestimmung erkennt.
Zu Jesu Zeiten haben sich die Kinder Israels sehr viel auf ihre irdische Abstammung eingebildet. Und da hat Jesus einmal gesagt: Bildet euch da nicht so viel drauf ein! "Wenn Gott will, kann er sich aus diesen Steinen Kinder erwecken".
Jesus hat die geistige Verwandtschaft höher gestellt als die irdische.
Irdische Verwandtschaft ist vererbbar, so wie man Geld vererben kann oder Grundstücke oder Namen. Aber geistige Verwandtschaft, die ist nicht so leicht vererbbar; manchmal auch zum Leidwesen der Eltern. Wir Eltern prägen ja unseren Kindern ein, was im Leben wichtig und richtig und gut ist. Und wir denken all zu oft, dass wir das durch unsere Worte tun. Aber das stimmt gar nicht. Wir prägen es ihnen viel stärker ein durch die Art, wie wir selbst leben. Ob sie das dann aber annehmen, das steht nicht in unserer Macht.
Das Aufwachsen in einem christlich geprägten Kulturkreis ist sicherlich gut und hilfreich, aber es garantiert den Glauben nicht. Der Glaube ist nicht erblich, so wie man einen Namen erbt oder ein Vermögen. Jeder Mensch muss selbst den Glauben annehmen. Das bedeutet einmal schmerzlich, dass gläubige Eltern ihren Glauben an die Kinder nicht vererben können. Das bedeutet auf der anderen Seite auch eine große Chance, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Gott haben; dass es nicht von der vornehmen oder von der religiösen Abstammung abhängt.
Unsere Gemeinde hier ist ein Ort, wo Gottes Wort und Willen in Sakrament und in gebrechlichen Menschenworten dargestellt wird. Weil Christus es so will, gibt es diese Gemeinde. Wir Eltern haben unsere Kinder zur Taufe gebracht. Die Kinder werden mit Gottes Geist beschenkt. Aber wann sie das Geschenk annehmen und wie sie den Wert dieses Geschenks erkennen, das ist für uns nicht verfügbar. Das können wir nicht an- und abstellen; da würde auch ein Testament nichts nützen. Hier hören wir Gottes Wort und feiern das Heilige Abendmahl. Aber wann und wie uns dieses Wort oder das Sakrament trifft, wie es uns stärkt und tröstet und beflügelt, das ist für uns nicht verfügbar. Das Einzige, was ich als Methode vorschlagen kann ist: Je öfter wir das hören und je mehr wir die leeren Hände und die leeren Herzen zu Gott ausstrecken, desto wahrscheinlicher ist, dass wir Hände und Herzen gefüllt bekommen.
Im Reich Gottes geht es echt und wahrhaftig zu. Fromme Gesten und eine religiöse Koketterie nützen: da gar nichts.
Jesus sagt: Meine Brüder und Schwestern sind die, die den Willen Gottes tun. Das ist der Grund unserer geistigen Verwandtschaft mit Christus. Das verbindet uns zu einer Gemeinde und macht uns zu Schwestern und Brüdern nach dem Geiste.
Daher gibt es Gemeinden, die die schöne Tradition haben, dass sie sich tatsächlich mit Bruder und Schwester anreden. Ob sie das dann erfüllen, das ist die zweite Frage.
Die geistige Verwandtschaft fängt damit an, dass wir gemeinsam bekennen; Gott hat mich geschaffen. Das ist unser gemeinsamer Ursprung. Und Christus ist gekommen, um uns Gottes Willen zu erklären; das ist unsere gemeinsame Bestimmung. Und wer sich zu beidem versteht, wer beides bekennt, der gehört zu denen, die Jesus mit Bruder und Schwester bezeichnet.
Es ist nicht beliebig, wie wir leben und was wir mit unserem Leben machen, sondern Leben heißt; wir sollen uns bewähren. Wir haben eine Bestimmung und eine Aufgabe.
Was Gott von uns will, erkennen wir in Jesus Christus. Er lehrt uns, dass Liebe größer ist, als die Gerechtigkeit. Aber was das dann im Einzelnen heißt, dass muss jeder Mensch seibst leben. Dazu brauchen wir immer wieder Gottes Wort und die Sakramente. Jeder Christ muss Gottes Willen selbst kennen, damit er nicht verführt werden kann.
Darum hat ja Luther in der Reformation den Katechismus gebracht und hat gesagt: Jeder Christ muss Gottes Willen kennen. Und er hat formelhaft bestimmte Worte zusammengestellt, die alle Christen lernen sollen und zeitlebens beherzigen sollen. Denn es hat früher auch in unserer Kirche Zeiten gegeben, wo Leute, ähnlich wie die Ajatollahs heute, den Menschen eintrichterten und sagten: Das und das und das ist Gottes Wille und ihr müsst das tun! Auch Religion ist nicht sicher vor dem Mißbrauch; nichts, was Menschen tun, ist sicher vor dem Missbrauch.
Die Reformation hat uns einen Schatz gebracht im Katechismus. Der Katechismus, der enthält nämlich fünf Säulen. Fünf Pfosten, die unseren Lebensraum markieren, und in einer Kurzform den Willen Gottes definieren. Und wenn jeder Christ diese fünf Säulen in seinem Herzen trägt, dann kann man ihn nicht irreführen. Dann kann man ihn nicht mehr.mitnehmen auf Kreuzzüge und zu bösen Taten im Namen Gottes verführen.
Diese fünf Pfosten sind: Das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote, Taufe und Abendmahl. Diese fünf Pfosten gehören zum Katechismus. Und das ist Sozusägen der formulierte Minimalkonsens der Christen. Den sollen unsere Konfirmanden lernen.
Diese fünf Säulen, das ist dargestellt manchmal in einer bildhaften, gleichnishaften Sprache, das muss man lernen zu verstehen. Manches klingt uns altertümlich. Als ich vorhin die zehn Gebote vorlas, habe ich betont: "Du sollst nicht begehren...' und was dann angefügt ist aus archaischen Zeiten: "deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist", das ist eine Erläuterung, die heute vielleicht anders zu füllen wäre. Aber die Gebote gelten! Diese fünf Säulen gelten!
In den nächsten zwei Jahren sollt ihr diese fünf Säulen lernen und wir wollen darum beten, dass Ihr sie euch auch zu Herzen nehmt.
Ich selbst habe diese fünf Säulen als Konfirmand gelernt. Ich habe sie nicht in an einem Tag gelernt. Ich habe sie eigentlich auch nicht in zwei Jahren gelernt, sondern ich lerne sie mit dem Herzen bis auf den heutigen Tag, und vermutlich bis zur letzten Stunde meines Lebens. Ich muss sie immer wieder hören und beten, damit ich das auch leben kann. Und ich weiß keine andere Möglichkeit, wie es anders gehen soll, als dass wir diese fünf Grunddinge in die Tafel unseres Herzens schreiben.
Wir Schwestern und Brüder im Geiste Christi, wir sind verschieden begabt. Wir sind In verschiedenen Lebensphasen. Wir sind alt und jung, reich und arm. Jeder muss den Willen Gottes auf sein Leben übertragen. Darum kann für einen Konfirmanden das siebte Gebot bedeuten; ich soll kein Geld aus Mutters Portemonnaie nehmen. Und für einen Erwachsenen Christen kann das siebte Gebot bedeuten; ich soll keine Steuer hinterziehen und bei einer Erbschaft nicht mogeln.
Aber die frohe Botschaft, die Gott uns in Christus gesandt hat, die ist größer als die zehn Gebote. Es ist das Leben allein aus Gottes Geist und aus seiner Liebe, das uns befreit füreinander, das uns tatkräftig macht, das die Angst besiegt, das überhaupt erst soetwas wie Solidarität zwischen Menschen schafft.
Dazu hat Er uns miteinander bestimmt; die Kleinen und die Großen, die Alten und die Jungen. Ganz verschiedene Brüder und Schwestern sind wir. Schwestern und Brüder Christi, wenn wir den Willen Gottes über unser Leben gelten lassen und tun.
Das will gelebt sein. Und kein Mensch wird damit fertig bis zu seinem Tode.
Und ich hoffe, weit Konfirmanden an den erwachsenen Christen der Gemeinde erkennt, dass auch sie nicht fertig sind, sondern dass Leben auch dann ja lebendig und abenteuerlich ist, wenn uns klar ist‚ dass wir unterwegs sind im Leben; dass wir nicht fertig werden, bis wir heimkommen zu Gott.
Und ein Letztes noch; Christus ist nicht in die Welt gekommen, um uns zu lehren, wie wir einen Beruf ausüben sollen, oder wie wir Naturwissenschaft und Technik treiben sollen, oder sonstige Fähigkeiten entwickeln. Das ist lernbar durch die Vernunft, die Gott allen Menschen gegeben hat.
Christus ist vielmehr gekommen, um unserem Leben das Ziel zu setzen. Um uns zu zeigen, wie wir das Leben richtig gebrauchen; wie wir es richtig anwenden. Wie wir erkennen, wo unser Ziel und unsere Bestimmung ist.
Und Er ist auch gekommen, um uns zu zeigen, wo wir bleiben, wenn dieses Leben aufhören muss. AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne ich Christu Jesu - AMEN!