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Predigt vom 27.09.1987 - Pastor Schnabel - 1.Könige 17, 7-16

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Hört noch einmal diese zweieinhalbtausend Jahre alte Geschichte, die einen wichtigen Punkt markiert auf dem Wege der Menschheit hin zu Christus, hin zu unserer Gegenwart. Im 1. Buch der Könige im 17. Kapitel steht es geschrieben:

"Elia verbarg sich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es war kein Regen im Lande. Da kam das Wort des Herrn zu Elia: Mach dich auf und geh nach Zarpat, das bei Sidon liegt, und bleibe dort; denn ich habe einer Witwe geboten, dich zu versorgen. Und er machte sich auf und ging nach Zarpat. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, das ich trinke! Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch noch einen Bissen Brot mit! Sie sprach: So wahr der Herr, dein Gott lebt: ich habe nichts Gebackenes, nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe einen Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will mir und meinem Sohn zurichten, dass wir essen - und sterben. Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. Denn so spricht der Herr, de:' Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er durch Elia geredet hatte".

Gott segne an uns dieses Wort!

Elia ist auf der Flucht. Er hat Gottes Anweisung von Tag zu Tag. Weiter kann er nicht schauen. Gott hat ihn zu dieser Witwe geschickt. Die Witwe hat wenig. Es reicht nicht, um sich selbst und ihren Sohn zu ernähren. Die lange Trockenheit hat nichts wachsen lassen. Und das Lezte, das teilt sie, und sie wird dafür belohnt, und es reicht bis zur nächsten Ernte.

Ihr Lieben!

Keiner von uns lebt so ungesichert, wie diese Witwe. Vielleicht können einige Ältere von euch sich noch erinnern an Zeiten, an ähnliche Situationen während des Krieges oder auf der Flucht. Da kam es auf den Augenblick an. Wer hilft dir durch die Not jetzt? Wer braucht deine Hilfe jetzt im Augenblick? Das wissen wir aus unserem eigenen Leben, dass Hilfe eine Terminsache ist. Sie muss im rechten Augenblick geschehen. Geistesgegenwärtige Hilfe tut not. Das ist, wie wenn ein Schiff in Seenot gerät. Dann sendet das Schiff in Seenot Signale aus; SOS! und das nächste Schiff, das ist zur Hilfe verpflichtet, das, was am nächsten dran ist, das muss zu dem Schiff in Seenot fahren und dort Hilfe leisten.

Die Pharisäer hatten Jesus einmal gefragt: Ja, wer ist denn eigentlich unser Nächster, Herr? Und da hat Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt. Er hat diese Geschichte dann abgeschlossen mit den Worten: Dein Nächster ist der, der jetzt im Augenblick gerade deine Hilfe braucht. Der dir über den Lebensweg geschickt wird.

Wir haben in unsere Geschichte ein Beispiel an dieser Witwe, die geistesgegenwärtig zu dem Nächstliegenden greift; die Hand voll Mehl und das bisschen Öl im Krug. Und sie backt und hilft, und sie begegnet Gott dabei. Unser Namenspatron Martinus, der Martin von Tours, der greift ja auch geistesgegenwärtig zum Schwert, teilt den Mantel mit dem frierenden Bettler - und begegnet Christus. Da wird nicht lange überlegt; die Not des anderen lässt zum Nächstliegenden greifen. Die Sorge um die Zukunft wird klein in diesem Augenblick. Morgen werden wir sehen, wie wir weiterkommen; jetzt tut die Hilfe Not.

Wir haben es im Evangelium gehört, wo Jesus immer sagt: Sorget nicht, ihr habt die Zukunft ohnehin nicht in eurer Hand; sie ist in Gottes Hand. Sorget nicht, denn wenn ihr sorgt, eilt ihr immer der Zeit voraus und verpasst jetzt den Augenblick; verpasst euer Leben. Ihr verbaut euch den Augenblick durch Lebensvorvorsorge und ihr lebt dadurch nicht wirklich. Man kann mit Lebensvorbereitung sein ganzes Leben verbringen und gar nicht zum Leben kommen. Christus sagt uns immer wieder; ihr sollt euch bewähren jetzt und hier. Wir hören, dass er das noch betont und sagt: Was ihr für das Reich Gottes aufgebt, das bekommt ihr vielfach zurück; ihr riskiert eigentlich gar nichts. Setzt nur alle eure Mittel und Möglichkeiten ein. Haltet nichts zurück und sorgt euch nicht. Alles, was wir haben,.ist uns nur für eine bestimmte Zeit anvertraut, das heißt; alles, was wir haben, ist zeitlich.

Vor da her kann man fragen, ob es überhaupt etwas gibt, was wir wirklich besitzen. Na ja, besitzen schon, wir können drauf sitzen. Aber wenn wir aus dieser Welt gerufen werden, werden wir alles zurücklassen.

Dein Leben mit allen Begabungen, mit allem Besitz, mit aller Zeit, die dir anvertraut ist, ist eine Terminsache - eine Terminware, könnte man sagen; leicht verderblich. Das ist wie im Obst- und Gemüsehandel. Das muss rechtzeitig an den Mann gebracht werden, sonst ist es verdorben. Später ist es nichts mehr wert.

Es gibt schreckliche Geschichten, wo Chancen vertan werden; wo dann der Vorrat verdorben ist und keinem mehr nützt.

Ich habe einen Bekannten, der hat in seiner Schreibtischschublade eine Papierschere liegen. Diese Papierschere ist ihm besonders verhasst, denn mit dieser Papierschere hat sein Vater früher von den Wertpapieren immer die Coupons abgeschnitten. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Aber er hat mir mal die Geschichte erzählt, die dazu gehört.

Sie waren drei Kinder zuhause, und nach dem Krieg als Flüchtlinge haben sie in Not gelebt; die Kinder wurden knapp gehalten. Jeder dieser Jungs hatte nur eine geflickte Hose, sie trauten sich nirgends hin. Sie konnten nicht zur Tanzstunde gehen. Sie litten darunter, dass es in der Umwelt schon wieder etwas reichlicher war, und sie, diese drei Söhne immer ärmlich gehalten wurden.

Und dann vor acht Jahren - einer dieser drei Söhne, mein Bekannter, der ist inzwischen so alt wie ich - vor acht Jahren stirbt der Vater. Und sie gucken in seinem Schreibtisch nach und stellen fest: Er ist wohlhabend, er hat sein Haus bezahlt, er hat Wertpapiere im Aktenordner liegen. Und da lag eben auch die Schere dabei, mit der er immer die Coupons geschnitten hat.Aber:er hat mit dem Geld, was da an Zinsen reinkam, nun nicht seinen Kindern Leben ermöglicht, sondern er hat sie weiter karg gehalten und hat das verzinste Geld wieder neu angelegt. Und die Söhne - gut, sie erben das jetzt - aber sie haben’s mit Bitterkeit geerbt; denn sie haben jetzt alle genug. Aber sie sagen: damals hätten wir’s dringend gebraucht So ist das auch ein Beispiel: Der Vater hat damals die Situation verpasst. Sein Geld war in einem gewissen Sinne verdorben. Es hätte zu einer anderen Zeit gut und wichtig eingesetzt werden können. Und nun lag es herum, die Söhne mussten daran denken: hätte er’s doch damals ausgegeben; als wir in Not waren.

Mir fällt da noch eine andere Geschichte ein. Auf einer Konfirmandenfreizeit vor einigen Jahren - es war nicht hier in Deutsch Evern - da hatten wir einen Konfirmanden dabei, der war zuckerkrank. Ich wusste das vorher nicht. Aber unterwegs, auf einer Waldlichtung, erlebt er plötzlich einen Schwächeanfall. Und er sagt mir; ja, ich habe Diabetes. Ich kriege einen Schreck, weil ich auch keinen Zucker mithabe. Ich frage sofort die Konfirmanden: Hat jemand Zucker dabei? Keiner meldet sich. Ich frage noch einmal. Und dann holt ein Mädchen eine halbe Tafel Traubenzucker hervor. Und wir geben’s dem Jungen mit einem Schluck Wasser. Es hilft, aber es ist eben sehr wenig und ich sage: Hast du vielleicht noch mehr? Schau doch nochmal nach! Und sie schüttelt den Kopf. Und so kommen wir mit diesem Jungen eben in den nächsten Ort. Dort am Marktplatz ist eine Apotheke. Ich kaufe Traubenzucker und kann den Jungen nun damit versorgen. Wir fahren mit der Eisenbahn zurück. Auf der Rückfahrt kippt in der Eisenbahn die Tasche des Mädchens um und eine angebrochene Packung Traubenzucker fällt heraus. Ich sehe sie an, sie wird rot im Gesicht und macht wortlos ihre Tasche zu. Und wir haben nie ein Wort darüber verloren. Ich hoffe, dass sie diesen Augenblick etwas begriffen hat, das sie nie vergessen wird. Auch dieser Zucker war zwei Stunden später in einem gewissen Sinne verdorben, denn er war nicht im rechten Augenblick reichlich ausgegeben. Die Sorge hielt diesen Zucker zurück. Vielleicht hat das Mädchen gedacht; wir wissen ja nicht, bis wir in den Ort kommen, vielleicht brauch ich’s noch selber. Sie hat es zurückgehalten, aber keiner hat es mehr gebraucht. In dem Augenblick wäre es wichtig gewesen, alles zu teilen und hinzugeben. Zwei Stunden später war der Zucker beliebig kaufbar; war er belanglos. Aber im rechten Augenblick hat sie ihr Leben verpasst. Genauso ist es mit dem Wort und mit der Tat und mit der Hilfe, die an den Augenblick gebunden ist, in dem wir uns zu bewähren haben.

Nun kommt zum Schluss noch ein Problem dazu. Man kann die Hilfe im rechten Augenblick nicht trainieren. Dazu ist das Leben zu vielfältig. Jede Situation ist anders, und die Vielfalt des Lebens lässt sich nicht in Gesetzlichkeit fassen. Darum ist es eine Sache der inneren Einstimmung, die uns den Blick weitet für den rechten Augenblick, in dem wir uns bewähren müssen. Die Angst, es könnte nicht reichen, die wird leicht zu einer Lebenshaltung, in der wir den Blick versperren; die wird dich immer das Falsche tun lassen. Lebst du aber in dem Vertrauen, dass deine ganze Bemühung, das Leben abzusichern in einem gewissen Rahmen sicher wichtig ist, aber sehr vorläufig und auch nicht weitreichend. Lebst du in dem Vertrauen, dass dein Leben eigentlich in Gottes Hand ist, und dass du dein Leben gar nicht absichern kannst, dann stimmt dich diese Einstellung so ein, dass du eine Grundhaltung bekommst, die aus Liebe das Rechte tut. Die aus Liebe das Rechte tut im rechten Augenblick, ohne dass du vor- oder nachrechnest. Diese Tat im rechten Augenblick, die wird dir schon dadurch vergolten, dass du in diesem Augenblick wirklich gelebt hast. Denn alles, was wir sind und haben, ist uns ja zum Leben gegeben, zum Ausgeben, zum Anwenden, zum Einsetzen, und nicht zum Horten und zum Verschimmelnlassen.

Jesus sagt: "Sammelt nicht Sachen, die Motten und Rost fressen".

Bestenfalls hinterlassen wir am Ende unseres Lebens vielleicht etwas Werkzeug, geistiges oder mechanisches, das die Nachkommenden dann in die Hand nehmen und damit weitermachen. Aber Leben selbst ist eine Terminsache. Was nicht im rechten Augenblick geschieht, das hast du verpasst. Was im Augenblick Not tut, erkennst du nur, wenn du dich selbst loslassen kannst. Und sich selbst loslassen, kann man nur, wenn man Gott vertraut. So hängt das zusammen.

Und genauso ist das zu verstehen, wenn Jesus dieses merkwürdige Wort spricht: "Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen; der wird es finden".

"Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden".

Elia auf der Flucht und die Witwe in Zarpat, das sind zwei Menschen, die im rechten Augenblick loslassen, teilen, die geistesgegenwärtig das Richtige tun und sich verausgaben ohne Sorge, und die gerade in diesem Augenblick teilhaben am ewigen Leben.

Mit solchen Menschen, wie der armen Witwe oder dem flüchtenden Propheten, mit solchen Menschen, die eigentlich durch’s Leben gepustet werden, ohne Sicherung, mit solchen Menschen stürzt Gott den mächtigen Ahab mit seinen Baalspriestern und menschenfressenden Götzen.

Im Alten Testament dämmert in dieser Geschichte etwas Neues vom Menschsein auf, etwas, was dann tausendfünfhundert Jahre später in Christus in strahlender Klarheit uns entgegentritt.

Gottes Geist ist in Ihm gegenwärtig. Und aus Seiner Geistesgegenwart kommt für uns die Kraft, an seinem Reich mitzubauen. Und was wir dabei an Zeit und Kraft verlieren, zu verlieren scheinen, das wird uns umgewandelt in tiefes, unvergängliches Leben - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!