Predigt 592

Zurück Kinderpredigt 592

Predigt vom 18.10.1987 - Pastor Schnabel - Mk. 10, 17-27

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Der Predigttext für diesen Sonntag steht bei Markus im 10. Kapitel, in den Versen 17 bis 27:

"Als Jesus sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und sprach: Guter Meister, was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: "Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter". Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin und verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen: Wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Jesus warnt vor dem Reichtum, weil der Reichtum uns verdirbt. Der Reichtum bezeichnet eine bestimmte Art zu leben; er bringt eine bestimmte Art zu leben zum Ausdruck, die uns in den Abgrund und in die Einsamkeit führt. Großer Reichtum trennt uns voneinander. Aber alle, die sich jetzt in diesem Augenblick nicht für reich halten, mögen nicht leichtfertig die Hände reiben und auf die Reichen zeigen, denn es gibt viele Arme, die sich ja nach nichts mehr sehnen, als auch gern reich zu werden. Und die sind in den Reichtum genauso verstrickt. Die Sehnsucht nach Reichtum macht Menschen genauso kaputt und einsam, wie der Reichtum selbst. Denn wer die Reichen beneidet, der wäre ja selbst gern reich und hat noch nicht den Fluch des Reichtums erfahren. Aber was ist Reichtum? Reichtum ist relativ. Das Wort "Reichtum" kann viel bedeuten. Als ABC-Schütze hatte ich eine Fibel. Da erinnere ich mich eines Gedichtes, das handelte von einem kleinen Jungen Namens Heiner. Der hatte Geld geschenkt bekommen und ging damit auf den Jahrmarkt. Am Ende der Strophen hieß es in diesem Gedicht: :"Drei Groschen hat der Heiner, so reich wie er ist keiner". Das ist ein Reichtum, der ein Kind glücklich machen kann. Ich fühle mich selbst heute noch manchmal so, wie der Heiner in der Fibel. Ich kann das gut nachempfinden: "Drei Groschen hat der Heiner, so reich wie er ist keiner". Wenn ich z.B. in den Ferien mit meiner Familie in ein Cafe gehe und dort sechs riesige Eisbecher bestellen kann, dann habe ich dieses Gefühl: "Drei Groschen hat der Heiner, so reich wie er ist keiner". Und ich möchte euch empfehlen, dass ihr solche Augenblicke, wo der Reichtum Spass macht, genießt, und dass ihr heute nicht das Wort mitnehmt, als würde Jesus vor dieser Art von Reichtum warnen. Diesen Reichtum will uns Jesus nicht vermiesen. Jesus will Fülle für uns Menschen, aber wir sollen miteinander Fülle haben, und es soll nicht der eine reich sein auf Kosten des anderen.

Umgekehrt finden wir keine Anhaltspunkte in der Bibel dafür, dass Jesus die Armut als Selbstzweck preist. Es ist kein Mensch gerechtfertigt durch seine Armut, sondern allein die Liebe zählt, die Liebe zu Gott, zu unserem Nächsten und zu uns selbst. Aber diese Liebe wird behindert durch den falschen Umgang mit dem Besitz.

Wenn man die Geschichte von dem reichen Jüngling aus dem Zusammenhang nimmt und auf alle Menschen übertragen will, dann wird sie falsch. Jesus schert nämlich gar nicht alle Menschen über einen Kamm. Gerade im Lichte seiner Liebe erscheinen die Menschen differenziert. Da wird jedem das Seine zuteil. Was Jesus zu dem reichen Jüngling sagt, das sagt er nicht an jeder Stelle und zu allen Menschen. Jesus ist eher wie ein Arzt, der bei diesem einen reichen Jüngling allerdings diagnostiziert; dein Reichtum ist bei dir der Infektionsherd. Dein Reichtum ist dir von höchster Wichtigkeit. Dein Reichtum ist dein wunder Punkt. Du willst Gott nicht Herr sein lassen über deinen Reichtum. Die Sorge um deinen Reichtum frisst dich auf. Und darum, weil du damit nicht umgehen kannst, brauchst du die Radikalkur: Du! verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, und folge mir nach. Diese Radikalkur hat Jesus nicht allen empfohlen. Das ist so ähnlich, wie wenn ein bestimmter Mensch süchtig ist. Ich habe einen Freund, der kann am Tage nur entweder 40 Zigaretten rauchen, oder er muss das Rauchen ganz sein lassen. Er braucht die Radikalkur. Er darf überhaupt nicht mehr rauchen. Das gilt nicht für alle. So ähnlich ist das bei dem reichen Jüngling. Jesus hat genau erkannt; da ist dein wunder Punkt, daran bist du krank. Der reiche Jüngling wendet sich auch prompt ab; Jesus hat den Punkt genau getroffen. Hier geht es nicht um den Reichtum, den man praucht, um mit seinen Freunden Eis essen zu gehen, sondern hier geht es um einen bestimmten Reichtum, der sxgh als Sicherheit und als Lebenszweck fungiert; hier ist der Reichtum zerstörerisch. Reichtum ist die Ansammlung von überfluss. Wir haben Jesus falsch verstanden, wenn wir ein gutes Essen mit schlechtem Gewissen verzehren.

Oder wenn wir bei einem ordentlichen Einkommen uns äußerlich den Anschein von Ärmlichkeit geben wollen; das ist Heuchelei.

Ich habe mich auf dem Kirchentag in Frankfurt gestritten mit erwachsenen Kindern wohlhabender Eltern, die Haus und gute Erbschaft in Aussicht haben. Und die sich abgerissen und schäbig kleiden, die eine Ästhetik der Armut zur Schau stellen und sich dabei selbstgerecht auf Jesus berufen und auf die anderen zeigen, die sich gern hübsch anziehen. Einige von denen fliegen im Sommer für 3000,-- Mark nach Peru und haben in ihrem selbstgenähten Jeans-Täschchen eine Photoausrüstung für 2000,-Mark, und Schecks für den Notfall. Und sie beklagen pathetisch die Armen, und zeigen mit Fingern auf die Reichen und auf die Konzerne, in denen die Zinsen erwirtschaftet werden, mit denen sie solche Reisen bezahlen können.

Jesus will nicht, dass wir ärmlich leben. Und wenn es uns gut geht, sollen wir nicht ärmlich tun, sondern sollen von ganzem Herzen Gott danken für das, was uns zuteil geworden ist, und sollen auch etwas teilen, und sollen vor allem uns und anderen nicht einreden wollen, als hätten wir’s verdient. Das ist nämlich die Wurzel des schlimmen Umgangs mit dem Reichtum. Eben, wenn wir erkennen, dass alle guten Gaben, und alles, was wir haben, eine Gabe Gottes ist, uns anvertraut nur für eine bestimmt Zeit. Wenn uns das klar wird, dann hat der Reichtum eine untergeordnete Bedeutung, dann fällt auch das Teilen leichter.

Aber noch einmal: Jesus fordert nicht alle Menschen auf, alles zu verkaufen. Er hat auch damals in Galiläa nicht alle aufgefordert, mit ihm zu ziehen. Da erzählt z.B. Lukas die Geschichte von dem geheilten Gerasener. Nachdem er geheilt ist, sagt er zu Jesus: Ich will dir jetzt nachfolgen, ich will mit dir gehen! Und da sagt Jesus: Nein, geh du nach Hause und erzähle von dem Heil, das dir widerfahren ist, das ist deine Aufgabe! Bleibe da, wo du bist und wirke dort! Jesus hat es ja auch nicht immer nur mit Kranken zu tun, und nicht nur mit ganz Armen und ganz Reichen. Unter seinen Jüngern sind Fischer und Handwerker, Beamte und ein Arzt. Und das waren auch damals Leute, die ihr ordentliches Einkommen hatten. Sie fastete wohl zuzeiten, sie beteten und sie heilten, und sie teilten. Aber sie feierten auch. Auf der Hochzeit zu Kanaan ging der Wein aus und Jesus schaffte neuen. Und: im Gleichnis vom verlorenen Sohn, unsere Hauptkonfirmanden kennen dieses Gleichnis ja genau, da erzählt Jesus ausdrücklich davon, wie der verlorene Sohn, der angerissen und kaputt nach Hause kommt, erst mal neue, schöne Kleider bekommt und einen . goldenen Ring. Und wie ein Kalb geschlachtet wird. Und wie der Vater zu einem rauschenden Fest einlädt; weil er sich freut, dass sein geliebter Sohn gerettet wurde und heimkam.

Jesus hat das gemeinsame Essen geradezu geheiligt. Sorgfältig, so erfahren wir aus der Bibel, bereitet er das Passamahl mit seinen Jüngern vor. Sie essen Lammfleisch und reichen einander Brot und Wein.

An einer anderen Stelle, als Maria-Magdalena Jesus mit einem kostbaren Öl salbt, da nimmt er es als Zeichen ihrer Liebe an. Da wird nicht mit schlechtem Gew.ssen gegessen und getrunken und gefeiert. Und da wird auch nicht geknausert. Und Jesus selbst schert sich nicht darum, als diese moralistischen Pharisäer ihn an einer Stelle in der Bibel einen Fresser und Weinsäufer nennen.

Gottes Gaben sind zum Teilen und zum Verbrauchen da.

Aber Jesus weist uns in dieser Geschichte eben auch darauf hin; Reichtum wird pervers, wo er auf Kosten anderer angehäuft wird, wo er als Sicherheit betrachtet wird und wo er als Machtmittel gegen andere eingesetzt wird. Bekommt der Reichtum so ein Bedeutung, dann kann der Mensch davon nie genug kriegen, geschweige denn etwas davon abgeben. Dieser Reichtum macht Sorge, und die Sorge macht Angst, und die Angst macht lieblos. Da wird der Reichtum zu einem Teil von dem Menschen, und eben darum kann er nicht in den Himmel kommen. Er wird nämlich unmenschlich und sperrig, wie ein Mensch, dem die großen Taschen des Reichtums an den Händen festgewachsen sind; wie ein Mensch, der dann nicht mehr durch die schmale Tür passt. Das ist das Bild, was Jesus benützt: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher, mit seiner großen, festgewachsenen Habe durch die schmale Pforte zum Himmel kommt, und zum seligen Leben. Die Pforte zum Himmel ist eben eine schmale Öffnung, durch a nur ein Mensch passt, ohne jedes Gepäck. Nur ohne Reichtum kannst du da hindurch gehen.

Hin und wider spüren ja Reiche selbst auch, dass sie einsam sind eben wegen ihres Reichtums. Wie der arme Schuster, der hat das kapiert und hat Konsequenzen draus gezogen. Wir kennen das auch aus anderen Geschichten. Da ein Reicher ja auch ein Mensch ist, der um seiner selbst geliebt werden möchte, darum ist die gute und auch die schlechtere Literatur voll von Geschichten, wo reiche Leute aus ihrer Einsamkeit mit ihrem Reichtum herabsteigen, und sich unerkannt als arme Leute ausgeben, um sich Mann oder Frau oder Freund zu suchen; denn sie wollen sicher sein, dass sie nicht um ihres Geldes wegen geliebt werden.

Da gibt es diese alten Romane, wo der reiche Grafensohn inkognito absteigt, und eine arme Weißnäherin in Paris im Frühling auf dem Seinedampfer verliebt sich in ihn. Und es gibt Geschichten,wo der Konzernerbe den Reichtum zuhause lässt und als Hilfsarbeiter in einer Fabrik arbeitet, und ein armes Mädchen verliebt sich in ihn. Und diese Liebe ist echt, sie ist nicht getrübt von dem Reichtum. Allerdings haben diese Geschichten meistens ein falsches Happyend. Im Roman wird meistens die Liebe durch des Geld dann noch gesteigert. Der arme Hilfsarbeiter lädt plötzlich zu einem Fest ein, und die armen Freunde kommen, und er steht lächelnd an Bord seiner großen Segeljacht. Und plötzlich ist alles verklärt durch den Reichtum. Da werden diese Geschichten falsch, denn in Wirklichkeit gehen solche Bindungen schnell wieder kaputt Außerdem kommen sie äußerst selten zustande. Und es ist an uns Menschen ein gutes Zeichen, dass uns solche Geschichten auch rühren und zu Herzen gehen. Denn wir sehnen uns, ob arm oder reich,im Grunde ja nach der Überwindung dieser Wirklichkeit, an der wir bewusst oder unbewusst leiden. In Wirklichkeit bleiben ja in unserer Welt die Reichen mit den Reichen unter sich, und die Armen mit den Armen unter sich. Und das ist zwischen reichen und armen Menschen genauso, wie zwischen reichen und armen Ländern auf dieser Welt. Und das Schlimme ist, dass die Reichen und die Armen an eine Strang ziehen, denn sie sind verstrickt in dem gleichen System, solange Christus sie nicht befreit. Denn die Armen hoffen ja, auch reich zu werden, und die Reichen fürchten, arm zu werden. Sie sind beide gekettet an den Fluch dieses Reichtums. Wir Menschen sind in diesem angeketteten Leben, an den Reichtum, sofern uns Christus nicht davon befreit, höchstens zu Interessengruppen fähig, aber nicht zur Gemeinschaft und nicht zum seligen Leben.

Schuld daran ist der Reichtum in verschiedenen Variationen, der uns voneinander trennt.

Als die Jünger diesen Zusammenhang am Ende erkennen, fragen sie Jesus: Jesus, wie kann man sich denn von diesen Ketten des Reichtums befreien? Wer kann dann selig werden? Fragen sie ihn. Und Jesus antwortet: "Bei den Menschen ist es unmöglich, aber alle Dinge sind möglich bei Gott". Das heißt: Eine Möglichkeit aus eigener Kraft haben wir offensichtlich nicht. Aber wenn die Liebe Gottes uns anrührig, und wenn uns das böse Spiel mit dem trennenden Reichtum schon mal fadenscheinig und anrüchig geworden ist, wenn wir eine Gemeinde sind von Menschen, denen das fragwürdig geworden ist, das Spiel mit dem Reichtum, dann hat ja Christi Geist an uns etwas bewirkt. Dann werden wir schon etwas empfänglich für brüderliches Leben sein, und dann werden wir heftiger darum beten und bitten, dass Gott uns hilft, den trennenden Reichtum loszulassen, damit wir frei werden und sorglos Ihm allein vertrauen - AMEN!