Predigt vom 22.11.1987 - Pastor Schnabel - Ewigkeitssonntag - Luk. 12, 42 - 48
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Der törichte Knecht in der Geschichte, die wir aus dem Evangelium gehört haben, geht von einem großen Irrtum aus. Er denkt nämlich, es gibt Bereiche, die Gott nicht sieht. Es gibt Bereiche, in denen kann ich tun, was ich will, ohne dass es entdeckt wird.
Dem gegenüber steht die alte Wahrheit, die wir als Kinder schon gehört haben in dem einfachen Satz: "Gott sieht alles". Dies ist eine Kurzfassung der Gotteserfahrung, die wir aus dem Psalm 139 kennen, da heißt es:
"Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege, denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles wissest."
Gott sieht und hört alles!
Und wir sind töricht, wie der böse Knecht im Gleichnis, wenn wir diese Erfahrung leichtfertig verharmlosen, indem wir entweder sagen: Es gibt gar keinen Gott, vor dem wir uns verantworten müssen. Oder wenn wir sagen wie dieser Knecht: Es mag wohl einen Herrn geben, aber wenn es ihn wirklich gibt, dann kann ich mich später auch noch nach ihm richten.
Gott sieht alles!
Diese Erfahrung haben wir uns als Kinder vielleicht anders vorgestellt, als später im Erwachsenenalter. Aber in welchem Gleichnis oder Bild wir uns das auch vorstellen, es bleibt dabei; Gott sieht alles! Und wir werden am Ende unseres Lebens nach unserem Tun gefragt werden.
Die Bibel sagt hier mit den Worten Jesu: Wer viele Gaben und Möglichkeiten hatte, der muss verantworten, was er damit getan hat. Wer wenig Gaben und Möglichkeiten hatte, der muss das Wenige verantworten, was er damit getan hat. Auf die Menge kommt es hier nicht an; auf den verantwortlichen Umgang kommt es an, mit der Fülle der Gaben, die dir gegeben sind. Und da wir nicht wissen, wann wir aus der Welt gerufen werden, sollen wir täglich Gott gehorsam sein; so leben, dass dieser Tag heute auch der letzte sein kann.
Ich weiß, dass die Worte: "Gott sieht alles", bei manchen vielleicht durch eine pietistische, puritanische Erziehung auch Allergien auslösen kann. Dass man das als schrecklichen Zwang empfunden hat, als Knebelung. Aber wir wollen miteinander drei Dinge bedenken:
Gott sieht alles, das ist einmal tatsächlich beängstigend. Das ist aber auch tröstend, und drittens ermutigend.
Beängstigend ist es, weil es keinen Winkel meines Lebens gibt, den ich ausklammern kann vor Gott. Ich kann mich in einem Bunker verstecken, oder in dem letzten Winkel meines Hauses; Gott sieht alles, ich kann mich vor ihm nicht verbergen. Meine Mogeleien, meine kleinen und großen Bosheiten, meine Lieblosigkeiten, mein finsteres Herz, auch meine verborgenen guten Taten, sie kommen alle ans Licht, ich kann vor Gott nichts verbergen. Dem absoluten Geist ist alles offenbar. Und vor allem: Es gibt da auch keine zeitlichen Lücken, wo ich innerhalb dieser Lücken etwas Unerkanntes tun könnte. Das ist beängstigend. Aber es ist zweitens auch tröstlich. Denn wir haben gerade in unserer Zeit erfahren, dass viele, die den Glauben völlig von sich gewiesen haben und gesagt haben: Es gibt keinen Gott, dass diese Menschen plötzlich erfahren haben, dass sie in einer schrecklichen Weise allein sind; gottverlassen. Dass Gott alles sieht, hat eine tröstende Seite, denn das heißt ja auch, dass ich nicht nur in meiner Sünde erkannt bin, sondern dass ich in der Not auch nicht allein bin. Ich bin nie gottverlassen. Es gibt keinen gottverlassenen Raum und keine gottverlassene Zeit in meinem Leben und in deinem Leben. Und auch, wenn du plötzlich aus deinem geselligen, bürgerlichen Leben herausgerissen wirst und, wie es anderen geschehen ist und wie ich es selbst auch erfahren habe, wo du plötzlich auf dem Bett einer Intensivstation ganz allein aufwachst, auch da bist du von Gott nicht verlassen. Gottes Gegenwart gibt dir dann Geborgenheit. Du fällst nicht in einen beliebigen Zufall, sondern du wirst geführt in guten wie in bösen Tagen. Du dienst Gott, das heißt: Du bist nicht allein. Das ist der Trost der Geborgenheit, die daraus kommt, dass Gott alles sieht.
Und drittens: Dass Gott alles sieht, entlastet uns auch. Denn die Ungerechtigkeit dieser Welt, die eigene Ungerechtigkeit und die, die andere tun, die wäre nicht zu ertragen, wenn ich nicht vertrauen könnte, dass Gott der Richter ist. Dass der Herr und der gütige Vater richtet, dass ich die Gerechtigkeit dieser Welt nicht leisten und schaffen muss.
Ein Mensch ohne Gott, der muss Rache üben. Ich glaube, dass viel Terrorismus unserer Tage aus dieser gottlosen Gerechtigkeit kommt, die unbarmherzig ist, die Böses mit Bösem vergelten muss, weil sie nicht glauben kann, dass es eine höhere, letzte Gerechtigkeit gibt, und dass Gott richten wird.
Gott sieht alles, das entlastet uns. Gott wird richten, du musst es nicht. Du musst die Gemeinheiten, die dein Nachbar an dir getan hat, nicht richten und nicht rechten.
"Die Rache ist mein, spricht der Herr."
Du kannst darauf vertrauen, dass Gott alles sieht, dass er auch das Unrecht sieht, das dir geschieht. Gott wird richten, du musst es nicht. Deine Sache ist es, gehorsam zu sein, die Gebote selbst zu halten und Gott das Richten zu überlassen.
Ich selbst bin ein Mensch, der mit dem Moralismus schwer zu kämpfen hat; ich habe ein schreckliches Gedächtnis für Unrecht. Und ich würde vermutlich manchmal nicht in den Schlaf finden, wäre nicht diese Entlastung und dieses tröstende Wort: Gott ist:der: Richter und nicht du.
Ich aber soll gehorsam sein. Und wenn dann auf diese Weise mein Blick umgelenkt wird auf das eigene Unrecht, dann muss ich ohnehin verstummen.
Ihr seht, es ist nicht nur unheimlich, sondern es ist auch ein Heil, dass Gott alles sieht. Auch wenn die Welt vor sich hin klappert und es manchmal so aussieht, als gäbe es Gott gar nicht; lasst euch nicht beirren! Es ist noch nicht aller Tage Abend es ist auch noch nicht meiner oder deiner Tage Abend. Wir sollen treu und gehorsam sein und am Ende werden wir erleben, was Jesus verheißen hat.
Und ein Letztes noch,auch das ist wichtig. Dass Jesus zum wiederholten Male immer wieder darauf hinweist; er sagt: "Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen. Wem viel anvertraut ist, von dem wird man viel fordern."
Ich habe hier vorn ein paar Gläser stehen. Diese Gläser sollen verschiedene Menschen darstellen. Gott verlangt ja von uns, dass wir am Ende ein erfülltes Leben abgeben. Und dieses Erfüllen, das hängt ja mit Füllen, mit Gießen zusammen. Wir können auch eine Aufgabe erfüllen. So ein Gefäß kann auch gleichnishaft wie eine Aufgabe sein, und man muss die Aufgabe erfüllen. Jeder Mensch ist wie ein Gefäß. Aber wir Menschen sind verschieden.
Ihr seht, bei diesem Menschen, da ist die Erfüllung schon ziemlich reichlich - (P. füllt das erste Gefäß). Bei diesem Menschen ist das Maß kleiner, da passt nicht so viel rein;dieser Mensch kann nicht so viel halten (P. füllt das kleinste Gefäß) Aber auch das Wenige, was er nun bekommen hat, das erfüllt ihn. Bei dem passt wieder etwas mehr rein. Und dieser Mensch, der ist ein großes Gefäß, da will man viel hinein füllen (alle Gefäße sind gefüllt). Aber ihr seht, am Ende der Zeit sind alle diese Gefäße gefüllt. Und da jeder Mensch sein Maß hat, seine Erfüllung, wird Gott nicht einem Menschen mit kleinem Maß einen Vorwurf machen, und auch nicht einem mit großem, das weiß nämlich Jesus, sondern er wird sagen: Bist du erfüllt, hast du deine Aufgaben erfüllt? Jemand, der ein großes Maß hat, von dem wird viel in der Erfüllung verlangt. Wir Menschen sind wie verschiedene Gefäße, wie verschiedene Maße. Wie viel wir aufnehmen können in uns an Kraft, an Begabung, an Leid, an Leistung, wie viel wir aufnehmen können, bis wir erfüllt sind, das zeigt sich erst am Ende. Aber am Ende sollen wir ein erfülltes Leben abgeben. Es erweist sich erst im Leben, wieviel wir ertragen können und wie groß unser Maß ist.
Gott wird uns erfüllen nach dem Volumen, das er uns gab, nach den Dingen, die er uns in den Weg gelegt hat; die wir tragen sollen.
Und das erfüllte Litergefäß wird genauso angenommen, wie der erfüllte Fingerhut.
Nicht wieviel einer am Ende vorweist, sondern ob er sein Maß erfüllt hat.
Bereit sein und jeden Tag nach Gottes Wort leben, das ist uns aufgegeben und das macht unser Leben erfüllt.
Und um an dieses Ziel zu kommen, müssen wir hören auf unseren Herrn und Meister Jesus Christus - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!