Predigt vom 17.01.1988 - Pastor Schnabel - 1. Kor 1, 26-31
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - A M E N I
Liebe Gemeinde! Hört noch einmal dieses Wort aus dem 1. Korintherbrief:
"Seht auf eure Berufung: Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit kein Mensch vor Gott sich rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Heiligkeit und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht: "Wer sich rühme, der rühme sich des Herrn!"
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde!
Das Rühmen ist eine Mischung aus Angeberei und Selbstrechtfertigung. Und das Rühmen steckt jedem Menschen in den Knochen, so wie Luther eben sagt: In uns steckt der alte Adam und die alte Eva. Wir sind ja so raffiniert, dass wir sogar damit angeben, dass wir darauf hinweisen: Ich gebe nicht an! Wir rühmen uns der Bescheidenheit. Oder wir rühmen uns mit anderem. Ob vor Gott, oder vor anderen Menschen, das ist hier zunächst mal gleich. Denn die Lebenshaltung des Rühmens, die Lebenshaltung der Selbstrechtfertigung und der Angeberei, vor Gott oder vor den Menschen, ist grundsätzlich die gleiche, und die engt das Leben ein. Denn wer sich rühmt, der Schielt ständig auf die Wirkung auf andere, auf den. Lohn, auf den Verdienst. Der schaut sich ständig über die Schulter. Wer sich rühmt, der fragt sich ständig:
War ich heute gut vor Gott oder vor den anderen? Vor meinen eigenen Maßstäben? Das Rühmen macht den Menschen furchtbar befangen. Hab' ich’s heute gebracht? Ja, ich hab’s heute gebracht! Ich war gut! Mein Leben hat Sinn! Ich bin gut und groß und nützlich, ich hab’s zu was gebracht.
So spricht die Lebenshaltung des Rühmens. Ich habe mein Leben verdient, ich habe es gerechtfertigt durch gute Taten! Ich bin ein wertvoller Mensch, ich bin ein nützliches Glied der Gesellschaft!
Merkt ihr, das klingt eigentlich ganz vertraut; das klingt so ordentlich und sauber. Strebsamkeit wird belohnt, Schlampigkeit wird bestraft. Und so ist das in den alten Religionen gang und gäbe: Der Reine, der Saubere, Geläuterte, der durch gute Taten bewährte Mensch, der wird belohnt mit Gottes Segen. Das leuchtet ein.
Aber nun kommt dieser Jesus von Nazareth, und hier sein Apostel, und er bringt das durcheinander und sagt: Es gibt kein Rühmen, es gibt keine Rechtfertigung. Alle guten Taten können dir das Heil nicht verdienen. Jesus sagt ausdrücklich:
Ihr sollt keine Opfer bringen, denn wer Opfer bringt, der will mit Gott handeln, und das ist unangemessen und töricht und zerstört das Leben. Deswegen schmeißt Jesus auch die Händler und Wechsler aus dem Tempel heraus, weil dort die Opfergaben verhandelt wurden. Schau, lieber Gott, ich bringe dir jetzt eine gebratene Taube, dafür musst du mir aber die Schuldvergeben, oder so. Das ist eine alte, archaische Gottesvorstellung, dass man mit der Schicksalsmacht handelt. Aber Jesus reißt diesen Schleier weg und befreit uns von diesem alten Klimbim. Er sagt: Kein Mensch soll sich vor Gott rühmen! Gott, so heißt es hier in der Schrift, hat uns Christus gemacht. Gott hat uns den Christus gemacht Zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Was Weisheit und Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung Gottes heißt, das ist in Christus enthalten.
Das alte Rechtfertigen und Rühmen - ich sehe immer uns Menschen wie mit so einem Bauchladen vor Gott treten und sagen: Schau her, hier habe ich diese oder jene gute Tat, kann ich damit bei dir was werden? Aber es hat alles keinen Sinn, was wir da tun - in das alte Rechtfertigen und Rühmen kommt neu die Liebe hinein als die Kraft, die dieses alte Handeln mit der göttlichen Schicksalsmacht überwindet und zunichte macht. Haben Menschen vorher aus Angst Gutes getan, um Lohn in Form von Segen zu empfangen, oder als Ausgleich für böse Taten, so geht jetzt Gott mit uns in Christus ganz neue Wege, die wir bis heute noch nicht ganz mit dem Herzen begriffen haben.
Gott macht uns ganz neu und anders. Er liebt uns Angeber und Rechthaber und Sünder und Gernegroße so sehr, dass wir im Kraftfeld seiner Liebe aufgetaut und verwandelt werden, und nicht anders können, als erfahrene Liebe weitergeben. Markt ihr: Die alte Moral, die immer noch nach der Logik geht, heißt: Du musst Gutes tun, damit du Segen bekommst, damit du gut wirst.
Das neue Leben in Christus geht anders. Gottes Güte gewinnt uns das Herz ab und lässt uns nicht gleichgültig. Gottes Güte macht uns gut und das Leben, das daraus folgt, was da herausfließt, das kann nur gut sein.
Hier gibt es keine Berechenbarkeit mehr. Gott fängt an mit uns in dem wirklichen Leben, das du wirklich erleidest. Und wir müssen einfach lernen, dass es keine Vorbereitung auf die Erfahrung der Liebe Gottes gibt, denn es gibt keinen Bereich des Lebens, den man vor Gott verbergen kann.
Also, versuche nicht, fromm zu sein, denn das ist wieder eine Form des Rühmens.
Alles, was wir vorzuweisen haben als Menschen, taugt nicht zur Rechtfertigung. Das Eine, worauf wir uns berufen können, ist Christus. Auf ihn können wir uns berufen und wir können sagen; dieser Mann, diese Torheit am Kreuz in der Welt, das ist unsere Weisheit und das ist unsere Gerechtigkeit vor Gott.
Wenn wir uns allein auf Christus berufen, dann sind wir frei in der Welt; dann haben wir etwas von dieser seligen Narrenfreiheit. Seliges Leben in Christus ist da, wo wir an den Wert oder Unwert des eigenen Lebens gar keinen Gedanken mehr verschwenden. Es ist das unmittelbare Leben, in dem du deine Gestalt empfängst durch Christus den Meister deines Lebens.
Auf’s Rühmen verzichten, eben das scheint so schwer, weil wir immer auf Lohn aus sind. Das ist in Jahrtausenden so gewesen, und das schütteln wir deshalb so schwer ab.
Unser religiöses Gehabe ist immer noch urmenschlich auf Verdienst und Strafe eingestellt. Wir können mit der Liebe Gottes noch wenig anfangen; sie will uns einfach nicht in den Kopf. Aber die Liebe verbietet jede Angeberei und jedes Rühmen und jede Selbstrechtfertigung. Und sie verbietet es nicht nur, sondern sie befreit uns davon.
Wir könnten jetzt die Gleichnisse Jesu durchgehen, sie haben alle die gleiche Pointe; nicht rühmen und angeben, sondern sich lieben lassen; nicht versuchen, krampfhaft mit Gott ins Geschäft zu kommen, sondern einfach Gottes Kind sein; nicht berechnen und verdienen wollen, sondern sich beschenken lassen; nicht Rechthaberei betreiben, sondern vergeben, wie dir vergeben wurde. Unsere Herzen haben’s immer noch schwer, das zu begreifen. Aber wenn unsere Herzen von den Strahlen dieser Liebe überwältigt sind, dann sind wir frei und erlöst.
Der verlorene Sohn wird wieder aufgenommen unter Tränen der Freude, "ohn all sein Verdienst und Würdigkeit", weil der Vater ihn liebt; sonst gibt es keinen Grund dafür.
Die Arbeiter im Weinberg, sie arbeiten verschieden lange, werden am Ende alle gleich reich bezahlt; "ohn all ihr Verdienst und Würdigkeit". Merkt ihr, das sind alles Geschichten, die laufen unserer Verdienstlogik zuwider.
Die Menschen, die Christus im Weltgericht lobt - "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!" - die, zu denen Jesus sagt: "Kommt auf die rechte Seite, ihr Gesegneten meines Vaters", die haben Gutes getan, aber sie schauen Christus an und Sagen: Herr, wann haben wir denn überhaupt Gutes getan? Sie haben Gute getan und es gar nicht gemerkt, weil sie es aus Liebe taten, und nicht auf Lohn aus waren; Herr, wann haben wir denn... ?
In diesem Zustand zu leben, das ist Freiheit und höchste Seligkeit. Da wächst im Menschen der Glaube, der Berge versetzen kann.
Eine Gemeinde, in der sich keiner mehr rechtfertigt und rühmt, in der sich auch keiner mehr rechtfertigen und rühmen muss, weil sich alle auf Christus berufen; aus Gottes Liebe leben da alle - in so einer Gemeinde kann auch das härteste Menschenherz auftauen.
Aber dazu muss uns Christus befreien, das schaffen wir nicht alleine. Es fällt uns furchtbar schwer, dieses alte Lohndenken loszulassen.
Ein Letztes noch: Paulus schreibt ja an die Korinther. Und Paulus hat jetzt im Geiste die Gemeinde vor Augen, schaut um sich, betrachtet die Gemeinde in Korinth und sagt: Es sind wenig Vornehme, wenig Mächtige und wenig Reiche. Aber er macht kein Armutsideal draus. Paulus betont immer wieder; Armut rechtfertigt nicht. Reichtum rechtfertigt auch nicht. Es sind auch Gebildete, auch Einflussreiche, auch Angesehene, mächtige Leute in der Christengemeinde, aber es sind wenige.
Die Pointe, auf die es ankommt, heißt: Gottes Liebe ist genauso über die ausgegossen, die nach den Maßstäben der Welt niedrig und gering sind, und das ist natürlich die Mehrzahl in der Gemeinde. Paulus sagt; das hat Gott ausdrücklich so gemacht, damit an der Gestalt der Gemeinde alle erkennen können; es gibt kein Angeben und kein Rühmen und kein Verdienen vor Gott.
Gott liebt uns - Luther hat es kurz und gut gesagt - "ohn all unser Verdienst und Würdigkeit".
Wir sind hier beim Kern des Evangeliums; beim Kern der befreienden Botschaft.
Hier brechen die Ketten der Verzweiflung, des Größenwahns und des Minderwertigkeitsgefühls, beides Dinge, zwischen denen unser Herz hin und her irrt.
Lasst das Rühmen und Angeben und Rechnen ganz sein und beruft euch allein auf die Liebe Gottes, die in Christus ist, unserem Herrn - AMEN!