Predigt vom 24.04.1988 - Pastor Schnabel - 2. Kor. 4; 16-18
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Der Predigttext für diesen Sonntag Jubilate steht im 2. Brief an die Korinther im 4. Kapitel. Da schreibt Paulus:
"Wir werden nicht müde; sondern, wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig."
Gott segne an uns dieses Wort!
Dass der äußere Mensch verfällt, das sehe ich morgens im Spiegel an mir selbst. Nicht missmutig, aber ich sehe es.
Heute morgen sind wir aufgestanden, haben uns hier versammelt, ein neuer Tag hat begonnen. Und mit diesem neuen Sonntag beginnt auch eine neue Woche; es ist der Sonntag "Jubilate".
Wir haben eben diese Worte von Paulus gehört. Wir werden nicht müde, sagt er von sich. Wir stehen immer wieder auf. Zwar verfällt der äußere Mensch, aber der innere wird von Tag zu Tag erneuert.
Der äußere Mensch verfällt, hat Trübsal, ist zeitlich, ist sichtbar.. Der innere Mensch wird erneuert von Tag zu Tag, hat Herrlichkeit, ist ewig, ist unsichtbar. Und beides bist du und bin ich.
In den letzten zehn Tagen sind fünf Menschen aus unserer Gemeinde gestorben; evangelisch, katholisch, ohne Konfession. Am Ende heißt es immer: "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. " Und nur der Blick auf Christus lässt uns über den Grabeshügel hinüberschauen.
Da ist einmal der äußere Mensch, der verfällt; der ist zeitlich. Das ist eine Binsenwahrheit, mit der wir leben. Mit dem Kopf wissen wir, dass wir sterben müssen, aber das Herz kann es schwer begreifen. "Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden", sagt die Bibel. Aber Paulus hat ein großes Gegengewicht gegen diese zeitliche Trübsal. Und er stellt das mit dem Bild einer Waage dar. Er sagt: Die größere Herrlichkeit hat das Übergewicht. Der innere Mensch, der nicht vergänglich ist, der ahnt die gewichtige Herrlichkeit. Der innere Mensch ist unsichtbar aber höchst wirksam.
Die Paulusfigur, die ich für die Kinderpredigt machte, die hatte unsichtbar einen schweren, halbrunden Bleifuß. Das ist das Gegengewicht gegen die äußeren Widerstände. Paulus hat so leben können, wie ein Stehaufmännchen, weil er die Lebenskraft aus Gottes neuer Welt hatte. Es wird erzählt, dass Paulus ein kleiner, stotternder Mann war, aber er war eben fest verbunden mit Gott in die zukünftige: Herrlichkeit hinein. Und das gab ihm so viel Kraft, dass er alles überwinden konnte. Er trug das Gewicht der Herrlichkeit vom Reich Gottes in sich als Gegengewicht. Trotz aller Rückschläge, trotz aller Anfeindungen, bleibt dieser Paulus im Einsatz; steht immer wieder auf. Und das eben nicht aus Vertröstung auf ein himmlisches Jenseits. Nicht; jetzt den Kopf eingezogen, ausgeharrt, nur bis zum Tode, bis das Leben vorbei ist, und dann wird es besser! So nicht! Sondern er ist aufgestanden nach jeder Niederlage von Tag zu Tag. Und dieses "von Tag zu Tag", was der Paulus da sagt, das geht viel, viel tiefer, als man’s bei dem ersten Hinhören vermutet. Von Tag zu Tag wird der innere Mensch erneuert, so sagt Paulus. Das ist eine ganz wichtige Gotteserfahrung der Menschen, von denen die Bibel erzählt. Und es ist eine Gotteserfahrung, die wir bis auf den heutigen Tag machen. Wir bekommen nämlich nicht auf einmal die Kraft Gottes und leben dann davon. Sondern für jeden Tag bekommen wir, was wir brauchen, damit wir uns allein auf Ihn verlassen.
Natürlich sehnt sich jeder danach, es ein für allemal geschafft zu haben. Aber das geht nicht. Ich las in einer Reklameschrift von einem jungen, dynamischen Mann, da stand: Er hat es geschafft! Er hat Geld, er hat Unabhängigkeit die man kaufen kann; er hat es geschafft. Und ich musste an den reichen Kornbauern denken, von dem Jesus redet, der auch so ähnlich vor sich hin sprach. Aber zu ihm spricht Gott: "Du Narr, noch heute wird man deine Seele von dir fordern und wes wird’s sein, was du besitzest?
Der reiche Kornbauer, der will nicht von Tag zu Tag empfangen, was er an Kraft braucht sondern er möchte das Guthaben ein für allemal selbst schaffen und dann selbst darüber verfügen; und das eben geht nicht.
Es gibt keine Sicherheit für alle Tage! Aber es gibt Kraft für diesen Tag. Und morgen gibt es neue Kraft für den neuen Tag. Und genau das ist es, was Paulus damit meint, wenn er sagt: der innere Mensch wird von Tag zu Tag erneuert. Der innere Mensch, damit ist nicht eine neue Innerlichkeit gemeint, sondern der Christus in mir und in dir, der mir das kraftvolle Gottesverhältnis vermittelt; jeden Tag für den Tag, in dem du gerade lebst. Ohne einen Vorrat, den man heimlich an zweigen könnte, um nachher darüber zu verfügen. Eben ohne diese Reserve leben von Tag zu Tag.
Dietrich Bonhoeffer, 1945 im Gefängnis, dichtet diese tiefen Worte, die ja von ihm gelebt sind: "Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag"; aber von Tag zu Tag. Dieser Dietrich Bonhoeffer wurde eines Morgens, im Mai 1945, erschossen; hingerichtet. Die Menschen, die dabei sein mussten, haben alle bezeugt: Gott war auch an diesem Tag mit ihm. Auch an diesem Morgen war diesem Dietrich Bonhoeffer anzusehen, dass Gott ihm das Gegengewicht gab für diese zeitliche Trübsal.
Heute ist Sonntag Jubilate - lobsinget Gott. Selbst das gehört zu diesem Thema. Denn hier in Christus ist diese Kraft "Steh auf!" am Werk; die Kraft der Auferstehung. Von Tag zu Tag erneuert; von Tag zu Tag.
Als Israel durch die Wüste zieht und Hunger hat, spricht der Herr zu ihnen: "Ich will Brot vom Himmel regnen lassen und das Volk soll täglich sammeln, was’ es für den Tag bedarf". Und einige zweigen einen Vorrat ab, denn sie trauen der Verheißung nicht, da es wirklich von Tag zu Tag etwas gibt. Und am nächsten Morgen stinkt das Brot gen Himmel und die Maden und die Würmer sind drin; ungenießbar ist es geworden.
Das ist die Gotteserfahrung: Du wirst geführt von Tag zu Tag, jeden Tag bekommst du die Kraft, die du brauchst.
Paulus hat mit der Kraft Gottes das Gegengewicht gehabt. Für ihn war es wie eine Waage. Eine Waage, mit der ja eigentlich Gewichte verglichen werden. Die Trübsal ist schwer. Schmerz, Tod und Krankheit sind schwer. Aber sie ist leicht im Verhältnis zur gewichtigen Herrlichkeit, die noch unsichtbar ist.
Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt: "Wer weiß warum, erträgt auch jedes Wie". Wer weiß warum, der erträgt auch jedes Wie. Wer weiß, warum er leidet, erträgt auch das Wie; das Leid im Blick auf das zu erreichende Ziel.
Eine Mutter hat Schmerzen bei der Geburt. Aber die Schmerzen sind gering im Blick auf das Kind, das geboren wird. Und hält die Mutter das neugeborene Kind erst im Arm, dann spricht sie mit dem Kind und der Schmerz ist vergessen.
So ähnlich ist das. Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine neue, über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, sagt Paulus. Um diese gewichtige Herrlichkeit geht es, sie ist das starke Gegengewicht zu Trübsal und Verfall unterwegs.
Der Blick auf die starke Herrlichkeit des Reiches Gottes ist keine billige Vertröstung sondern es ist die Kraft, die hineinwirkt - "… hier auf dieser Erden in unsre armen Gebärden" - in die Jesus Christus hineingekommen ist.
Ihr Lieben! Wie soll es denn auch anders gehen? Natürlich lässt uns nur der Himmel die Erde ertragen. Wir werden nur dann die Realität wirklich klar einschätzen und ertragen können, wenn wir die gewichtige Herrlichkeit seines Reiches schauen. Wir werden nur dann etwas ändern auf Erden, wenn wir uns von Gott von Tag zu Tag erneuern lassen; immer wieder im Blick auf seine Herrlichkeit und sein Reich. Anders kann von uns keiner unterwegs sein und im Glauben bleiben. Ohne Gottes Herrlichkeit haben wir kein Gegengewicht und fallen um; können den Stößen dieser manchmal beleidigenden Trübsal nicht entgegenwirken. Sein ist das Reich und die Herrlichkeit.
Uns ist kein leichtes Leben verheißen. Es ist ausdrücklich auch bei Paulus von Trübsal die Rede. Aber sie ist eben leicht im Verhältnis zur gewichtigen Herrlichkeit Seines Reiches.
Einmal stand ich an einer Baustelle in einer Großstadt. Dort wurde ein sehr tiefes Loch ausgebaggert, da sollte das Fundament hinein. Und da wurde mir klar, das muss ein hohes Haus werden, denn je tiefer die Fundamente gelegt werden, desto höher wird das Haus sein. So ähnlich ist das mit Gottes Reich. Gott baut sein Reich in die Höhe und darum muss er in der Tiefe unseres Lebens das Fundament ausheben. Je höher er baut desto tiefer gründet er; gründet auch in unserer Trübsal. Die Gründung ist schmerzhaft, aber sie ist leicht im Blick auf Seine Herrlichkeit, die hoch hinauf ragt über Raum und Zeit hinaus.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!