Predigt vom 01.05.1988 - Pastor Schnabel - Apostelgesch. 16, 23-34
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
In der Apostelgeschichte im 16. Kapitel steht der Predigttext für diesen Sonntag Kantate:
"Nachdem man Paulus und Silas hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und-legte ihre Füße in den Block.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen, von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und all die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben gekommen war."
Gott segne an uns dieses Wort!
Ihr Lieben!
Als der Fischer Petrus Jesus das erste Mal am See Gennesaret begegnet, fällt er auch mit zitternden Knien Jesus zu Füßen und sagt: Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!
Die Situationen sind so ähnlich. Der Aufseher hat gemerkt: Hier ist alles anders, hier ist eine große Kraft am Werk, die in diesen beiden Menschen zutage tritt, die meine Gefangenen sind. Der Aufseher erkennt, dass er verloren ist, wenn Gott ihn nicht rettet; wenn er nicht Anschluss findet an diese Kraft.
Begegnungen mit Gott sind immer erschütternd wie Erdbeben; sie rühren an die Fundamente; sie gehen in die Tiefe.
Und je näher ein Mensch zu Gott kommt, desto mehr erkennt er seine innere Armut und Leere, aber - das ist das Glück dabei - desto eher wird er auch mit der Kraft des Geistes Gottes erfüllt.
Was im Einzelnen mit dem Aufseher vor sich geht, erfahren wir nicht. Sie verkündigen ihm das Wort des Herrn, sagt die Bibel. Die einzelnen Wörter sind nicht überliefert. Und das hat sicher seinen Grund. Das ist nämlich so ähnlich, wie in einem Film. Da wird z.B. ein Mensch vom Anblick eines Bildes erschüttert und berührt. Aber meistens sieht man nur diesen Menschen, der das Bild sieht und erschüttert und gerührt ist, aber das Bild selbst wird in so einem Film nicht gezeigt. Und das machen die Regisseure aus gutem Grund. Denn was in so einer Situation geschieht, ist nicht beliebig wiederholbar. Das Bild, die Worte, die in dieser Situation in die Tiefe gingen, die können in einem anderen Augenblick ganz banal klingen. So, wie wenn du selbst eine tiefe Erfahrung gemacht hast und du versuchst, sie mitzuteilen und versuchst, sie in menschliche Worte zu fassen. Dann kann es dir leicht geschehen, dass ein anderer dabeisteht und sagt: Na und?!
Aber wir erfahren in dieser Geschichte die Wirkung der Worte. Der Aufseher hat seine Lebensgeschichte, und diese Lebensgeschichte hat sich zugespitzt bis zu diesem Augenblick. Und da löst sich alles, er wird neugeboren; er lässt sich taufen mit seinem ganzen Haus. Das heißt: mit seiner Familie und auch mit den kleinen Kindern.
So ist ja die Kindertaufe auch geworden. Und sie sitzen zu Tisch und feiern nach der Taufe das Abendmahl. Und der Aufseher ist zum Bruder geworden; er wäscht Paulus und Silas die Wunden, die von den Peitschenhieben herrühren.
Das ist eine Geschichte von der Wirkung des Geistes. Hier wird alles erschüttert und hier entsteht ein neues, wunderbares Leben.
Und alles fing an mit Gesang und Gebet. Nach menschlichem Ermessen in einer aussichtslosen Lage rechnen Paulus und Silas fest mit Gott. Sie beten und lobsingen und davon wird alles Bestehende erschüttert. Das ist die Kraft des Liedes und des Gebetes. Die kann man keinem vorrechnen; die erfährt man nur, wenn man betet und singt.
Es ist eine gute Ordnung unserer Kirche, dass vor etwa tausend Jahren dieser Gottesdienst am Sonntag Kantate eingeführt wurde; lobsinget! Und dieser Gottesdienst ist nicht zufällig in den Frühling gelegt, wo die Vögel singen und wo wir unsere Lieder und gesungenen Gebete bedenken. Sie wirken so, wie das Singen im Gefängnis. Und so, wie das Singen im Keller. ‚Ihr erinnert vielleicht euch alle, - die Kinder heute haben ja meistens nicht mehr Kohlen aus dem Keller zu holen - aber die Älteren erinnern sich vielleicht, wie wir die Kohlen und die Kartoffeln als Kinder aus dem Keller holen mussten. Da gab es oft kein elektrisches Licht. Da ging man mit einer Kerze runter. Und im flackernden Schein sah das manchmal sehr gespenstisch aus.
Ich kann mich erinnern, wie ich durch diesen dunklen Keller singend gegangen bin; da war ich nicht allein mit dieser flackernden Kerze. Und wenn ich dann meinen Korb mit Kartoffeln voll hatte und ich an der Kellertür anlangte, die Kerze auspustete, dann kam ich ganz schnell die Treppe hoch. Da hatte man das Gefühl; hinter mir sind sie her.
Besser ist es noch, gemeinsam zu singen.
Wir Pastoren haben um diese Jahreszeit immer einen Generalkonvent. Da kommen ein paar hundert Pastoren zusammen. Da gibt es umständliche Vorträge und viele Reden, die nicht immer so zu Herzen gehen. Aber ich gehe eigentlich aus einem wesentlichen Grund dahin: Weil wir dort das Abendmahl feiern, weil wir miteinander singen. Eine Melodie von vielen verschiedenen Menschen gesungen. Das tut mir so gut.
Und in unserer Gemeinde, wo ich mich immer freue, wie schön wir zusammen singen, da erfahren wir das ja auch, dass dieser gemeinsame Gesang eben ein gesungenes Gebet ist.
Lobsingen ist eine Kraft, die man nur erfährt, wenn man’s auch tut. Wir stimmen uns ein. In diesem Raum sind verschiedene Menschen. Die einen halten sich für musikalisch, die anderen für weniger. Aber jede Stimme, jeder mit seiner Anwesenheit, bestimmt ja diesen Gottesdienst mit. Und jede Stimme ergießt sich in eine große Melodie und ergibt ein Ganzes, weil wir der einen Melodie folgen, die Gott uns in Christus gegeben hat.
Verschieden Menschen, verschiedene Stimmen ergeben einen Chorus; eine Gemeinde, Menschen, die sich miteinander auf Gott einstimmen lassen.
Auch die wunderlichsten Gotteslieder können uns zum Lobgesang vereinigen und unsere Sachzwänge erschüttern, dass wir wieder Mut bekommen, wenn wir nach Hause gehen, dass das, was wir für Sachzwänge hielten, dass das erschüttert wird; dass das überstrahlt wird von Gottes Licht.
Manchmal, wenn ich durch den Tiergarten fahre mit dem Fahrrad, dann schau ich mich um, ob niemand in Sichtweite ist, und dann singe ich auch laut ein Lied. Da muss ich mit der Gangschaltung immer den entsprechenden Gang wählen, dass ich mit dem Treten nicht aus dem Takt komme. Ich habe das mal einer Frau erzählt und die gestand mir, dass sie das auch heimlich macht; sie singt zuhause, wenn alle weg sind.
Viele von uns singen und beten heimlich. Gemeinsam trauen wir’s uns nicht so oft, denn es ist ja ein Stück von uns selbst, was da heraus singt.
Merkwürdig z.B., wenn wir in der Männerrunde zusammen singen, dann singen wir beherzter zusammen, als wenn Frauen dabei sind. Ich kann das hier nicht ergründen, aber soviel; die Bibel ermutigt uns zum gemeinsamen Gebet und Gesang. Das ist eine Kraft, da kann man lange drüber reden, aber besser ist es, zu singen und zu beten miteinander, denn dann wirkt diese Kraft in uns.
Darum lasst uns jetzt einstimmen in diesen gemeinsamen Jubel mit dem Lied im blauen Heft Nr. 7.