Predigt 628

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Predigt vom 31.07.1988 - Pastor Schnabel - Jer. 1, 4-10

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Liebe Gemeinde!

Propheten sind Menschen, die den Nebel des Zeitgeistes durchschauen. Gott hat ihnen den Durchblick geschenkt. Sie können Wahrheit von Lüge unterscheiden. Sie haben meistens die Mehrheit gegen sich. Darum sind Propheten meistens nicht sehr beliebt, weil die Wahrheit Gottes immer zur Umkehr treibt. Aber wer will schon umkehren, wo es sich in gewohnten Vorurteilen so bequem leben lässt.

Propheten zeigen im Auftrag Gottes Missstände und ihre Ursachen auf und ihre Worte in der Bibel haben immer eine Einleitungsformel, die heißt: "So spricht der Herr …" und dann folgt sinngemäß; wenn ihr so weitermacht, dann geschieht dies und das!

Und das ist sehr wichtig bei den Prophetensprüchen; Propheten wollen eigentlich nicht recht behalten, aber leider behalten sie oft recht. Sie sagen: Wenn ihr so weitermacht, dann erfolgt das und das, und sie möchten eigentlich, dass die Menschen daraufhin sagen: Nein, ehe es so weit kommt, dann wollen wir vorher umkehren! Ganz selten geschieht mal ein Wunder, dass Menschen sich bekehren und kurz vor dem Abgrund umkehren und den guten Weg finden.

Beim Propheten Jona ist es so gekommen, dass die ganze Stadt Ninive umkehrt und sich bekehrt. Beim Propheten Jeremia, von dem der heutige Predigttext stammt, haben die Menschen nicht gehört und sie haben bitter die Folgen tragen müssen.

Propheten haben die Bekehrung nicht in der Hand. Propheten sind wie Boten, die eine -Botschaft überbringen, die ja nicht von ihnen selbst stammt. Um es in einem Bild zu sagen: Propheten sind wie Briefträger, die einen Scheck abgeben, von Gott ausgestellt, aber sie selbst können gar nicht dafür haften, ob dieser Scheck auch gedeckt ist; das ist Gottes Sache und nicht ihre.

Der Predigttext für diesen 9. Sonntag nach Trinitatis steht im Alten Testament beim Propheten Jeremia. Als Jeremia berufen wurde, war er etwa 15 Jahre alt. 40 Jahre lang hat er den "Beruf" eines Propheten ausüben müssen. Das Unheil, das er ankündigen musste, trat ein; er hat das zusammen mit seinem Volk bitter erfahren und ist 700 Jahre vor Christus im Exil in Ägypten gestorben. Die heilbringende Wirkung seines Wortes trat nach seiner Lebenszeit zutage: Er hat sie nicht mehr erlebt.

Hört das Wort aus dem Alten Testament in dem Buch des Propheten Jeremia im 1.Kapitel:

"Des HERRN Wort geschah zu mir: »Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.«

Ich (das ist der Jeremia) - Ich aber sprach: »Ach Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.« Der HERR sprach aber zu mir: »Sage nicht: Ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR." - Das ist ein Nachsatz - "Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: »Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.«"

Gott segne an uns dieses Wort!

Was uns da überliefert wird liegt weit zurück. Israel steht im Alten Testament immer als ein ganzes Volk vor Gott. Gott ruft einzelne prophetische Menschen heraus und die müssen dann die Botschaft überbringen.

Seit Christus in die Welt kam, ist das anders. Gott ist in einem Menschen dem Volk Gottes entgegengekommen. Gott bringt uns in Christus Heil und Rettung und beruft jetzt jeden einzelnen in der Gemeinde. Und jeder einzelne Mensch kann den Ruf hören und auf diesen antworten mit seinem Leben. Ob er antwortet oder nicht, das ist seine Freiheit. Aber du musst es verantworten. Das Wort verantworten kommt da her. Menschliche Verantwortung ist immer auf Gott bezogen, der der Richter ist und der uns am Ende fragen wird: Was hast du denn mit deinem Leben getan und mit den Gaben, die ich dir gegeben habe? Darauf müssen wir antworten und das macht unsere Verantwortung aus.

Worum es aber nun im Leben geht und was unsere Bestimmung ist, und wozu wir unser Leben und unsere Gaben einsetzen sollen, und was vor Gott zählt, das erkennen wir in Jesus Christus. Christus ist gleichsam Gottes Ruf an uns zur Rettung und zur Heilung.

Und nun ist manches ähnlich an Gottes Berufung des Jeremia und der Berufung, die Gott durch Christus an uns ergehen ließ.

Alle Christen, alle in diesem Raum, haben eine prophetische Aufgabe durch die Berufung in Christus. Man könnte auch sagen: Wir Christen haben gleichsam alle den gleichen Beruf. Und das trifft den ursprünglichen Sinn des Wortes. Ich hörte mal einen. Amerikaner sagen, dass er uns um dieses deutsche Wort "Beruf" beneidet. Es stammt tatsächlich aus Luthers Bibelübersetzung: Wer Gottes Ruf gehört hat, ist berufen, der hat diesen Beruf; ob er ihn ausüben will oder nicht, daran entscheidet sich’s. Dieser Sinn ist etwas untergegangen, wenn wir heute von Berufswahl und Berufsausbildung und von Berufsschule reden. Aber Beruf heißt: Zu etwas berufen zu sein. Das heißt; ein anderer beruft dich, du kannst dich nicht selbst berufen. Mit deinem Beruf - im wahrsten Sinne des Wortes - bist du nie allein, denn du hast immer den im Sinn, der deine Fähigkeiten erkannt hat und dir deine Berufung gibt; dich zu dieser Aufgabe, zu dieser Arbeit gerufen hat, der verantwortet deinen Beruf mit. In diesem Sinn hat z.B. Luther ganz unbefangen von einem Amt gesprochen; von dem Amt des Vaters und dem Amt der Mutter; wozu euch Gott berufen hat. Und aus diesem Zusammenhang heraus kam erst später das Wort "Beruf" dann auf Handwerk und Gewerbe. Und auch da hat Luther immer betont: Es gehört zur Berufung des Christen, dass du mit deinen Gaben ordentliche Arbeit leistest. Ob als Straßenkehrer, oder als Lehrer, oder als Mutter, oder als Kaufmann; sie alle dienen Gott auch mit ihrer Arbeit, wozu sie berufen sind.

Und so kommt es, dass Luther immer betont hat: Ob ein Stellmacher z.B. ein Rad ordentlich herstellt und fachgerecht macht, das hat er nicht nur vor dem zu verantworten, der ihn dafür bezahlt, sondern das hat er vor Gott zu verantworten. Dass das täglich Brot und alles, was man zum Leben braucht, beim Ertrag der Arbeit mit abfällt, das ist für ihn völlig klar gewesen. Aber ein Job nur für Geld, losgelöst von Gottes Berufung und Verantwortung, das war für Luther immer eine böse und zerstörende Sache, weil da die Arbeit in keinem Zusammenhang mehr steht. Man hat später diesen Konflikt wiedererkannt, indem man von entfremdender Arbeit sprach, die Menschen zerstört, weil sie keinen Zusammenhang mehr erkennen können. Warum z.B. die Arbeit einer Mutter so gering geachtet wird, und warum Arbeitslosigkeit so schlimm ist, obwohl doch Essen und Trinken und Anzuziehen da ist, das könnte man im Lichte dieses Wortes noch mehr erhellen, aber hier sei es nur am Rande bemerkt.

Wichtig an der Berufung ist, dass dich Gott berufen hat, der dir zutraut: Du kannst es tun! Du bist zum Leben berufen und du musst es nicht allein bewältigen; das umgreift dein ganzes Sein, auch deine Tätigkeit am Arbeitsplatz; aber nicht nur.

Und wenn Christen zusammen sind, dann kann der eine ein Techniker sein und der andere ein Bauer und der dritte ein Kaufmann und der vierte ein Schmied und die fünfte eine Mutter. Aber dann haben diese versammelten Christen, so wie wir jetzt hier in diesem Raum, alle von Gott den gleichen Beruf; nämlich den Beruf dazu, an Gottes Reich zu bauen; Christus zu bezeugen, wo wir hingestellt sind in der jeweiligen Arbeit; zu handeln in der Verantwortung vor Gott.

Das Heil und der Segen dabei ist, dass du das nicht mehr alleine tun musst. Du bist vom Erfolg nicht mehr total abhängig, du musst nicht haften für die Botschaft, die du anderen bringst; in der du selbst lebst.

Christus steht mit Kreuz und Auferstehung hinter dir. Gott steht für seine Botschaft ein. Du sollst nur gehorchen und dem Ruf antworten und den Beruf eines Christen annehmen.

Und da kommt uns nun Jeremias Berufung, Jeremias Gotteserfahrung, von der wir heute aus der Bibel gehört haben, sehr nahe. Denn der Jeremia ahnt ja sofort, wie groß die Aufgabe sein wird. Und er tut genau das, was wir allzu oft auch in unserem Kleinglauben tun: Jeremia schaut nur sich an. Er schaut an sich herab, seine Kraft, seine Möglichkeiten, die er aus sich selbst hat. Und darum zählt er vor Gott seine Schwachheiten auf: Herr, ich tauge nicht zum Predigen; Herr, ich bin zu jung, sie werden gar nicht auf mich hören! Ich kann das nicht, was du von mir erwartest! Ich muss es ja alleine tun! Aber das ist der Irrtum des Jeremia.

Gott erinnert ihn daran: Ich, der Schöpfer, gab dir deine Bestimmung noch ehe du geboren warst. Gott geht gar nicht drauf ein, auf Jeremias Gejammere und seine Einwände, sondern er stellt die Berufung in den Zusammenhang:

Jeremia, du musst meine Botschaft nicht allein ausrichten! Du sollst gehen und tun und gehorsam sein; du bist ja nicht allein, du bist mein Bote und stehst in meinen Diensten! Ich bin bei dir, ich will dich erretten!

Jeremia ist gar nicht auf seine eigene Kraft angewiesen, auch nicht auf seine eigenen Worte; Gott legt sie ihm in den Mund.

Und so wird dem Jeremia Menschenunmögliches möglich. Und genauso meint es Jesus, was er in der Taufe sagt: "Gehet hin in alle Welt und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe!"

Aber - wenn ihr vorhin genau darauf gehört habt - das Taufevangelium enthält die Forderung: Gehet hin und tut und lebt! Und es endet mit den Worten: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!"

Dass wir oft so zaghaft sind, den Glauben beherzter weiterzusagen und zu leben.

Wenn die düsteren Zweifel auf uns zukommen und wir an uns selbst vielleicht verzweifeln, dann sollen wir beherzt sagen: Ich bin ja nicht allein, Er ist ja bei mir alle Tag bis an der Welt Ende!

Das wir so kleingläubig sind, hängt damit zusammen, dass wir immer meinen, wir müssen’s alleine tun; wie Jeremia.

Aber wir haben von Christus den Beruf; wir sind gerufen. Und weil Er uns rief, wird Er uns auch die Kraft und die Gaben schenken, die wir auf Seinem Weg brauchen.

Keiner muss allein sein Leben bestehen. Christus hat uns in einen neuen Zusammenhang mit Gott gebracht. Und wir sind erlöst von uns selbst, weil Seine Kraft uns umgibt und weil es auf unsere Kraft gar nicht ankommt.

So sind wir frei zu einem tätigen Leben in unserem Beruf, und so bleiben wir unterwegs im Leben, bis wir heimkommen - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!