Predigt 633

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Predigt vom 04.09.1988 - Pastor Schnabel - Markus 1, 40-45

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Der Predigttext für diesen Sonntag steht bei Markus im 1. Kapitel:

"Es kam zu Jesus ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: willst du, so kannst du mich reinigen. Und es jammerte ihn, und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sei rein! Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh hin und Zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekanntzumachen, so dass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von allen Enden."

Gott segne an uns dieses Wort!

Sie kamen zu ihm von allen Enden und hatten bestimmte Erwartungen; an einen Wunderdoktor vielleicht. Viele sind auch enttäuscht worden von den Erwartungen, die sie an Jesus richteten. Denn wo waren denn die Vielen, als Christus gefangen wurde? Wo waren sie denn alle, die ihn verehrten, als er gekreuzigt wurde?

Von außen sieht die Geschichte so aus: Da wandert ein Mann mit seinen Freunden durch Palästina. Eine Gegend, das müssen wir uns klar machen, die ja nicht viel größer ist, als Schleswig Holstein. Und er sagt geheimnisvolle Dinge. Er begegnet Kranken, legt seine Hände auf und sie werden heil. Er begegnet einem toten Kind; und das Kind lebt. Er ist mit anderen im Boot unterwegs, ein Sturm kommt, sie geraten in Seenot, und er hebt seine Hand; und der Sturm legt sich. Er geht in den Tempel, benimmt sich da so, als sei er zuhause, mit zwölf Jahren versetzt er die Theologieprofessoren in Erstaunen. Mit Gott steht er auf "Du", er redet Gott mit Papa an; Abba - lieber Vater.

Was ein Mensch besitzt, welche Titel er hat, ob er Präsident oder König ist, das beeindruckt ihn nicht. Vor kranken und behinderten und entstellten Menschen schreckt er nicht zurück. Er hat selbst keine eigene Wohnung. Mal ist er Gast bei Menschen, die im Obdachlosenasyl wohnen, und mal ist er bei Menschen, die ein eigenes Haus haben, und auch bei Reichen in großen Villen kehrt er ein.

Von diesem Mann geht eine geheimnisvolle Kraft aus. Das spüren Menschen, aber keiner kann es recht in Worte fassen. Wer Jesus begegnet, der kann ihn schwer beschreiben. Die einen sagten damals: Er ist wie ein König. Aber sie wussten auch; es stimmt nicht ganz, denn er hat ja kein Schloss. Andere sagten wieder: er ist arm wie ein Bettler. Aber das stimmte auch nicht, denn er kann Brot vermehren und die Hungrigen speisen, und er hat auf der Hochzeit zu Kanaan Wein gemacht. Und sie kennen ihn auch als einen der gesellig mit den Seinen zusammen feiert. Die Menschen sind damals Jesus als einem Menschen begegnet, der alle dagewesenen Vorstellungen sprengte. Er war so ähnlich wie ein Prophet, sagten sie, aber er war auch ganz anders. Er war so ähnlich wie ein König, aber auch wieder ganz anders. Er war so ähnlich wie ein Hohepriester, der die Verbindung zwischen Mensch und Gott herstellt, aber er war auch viel mehr. Er war so ähnlich wie ein guter Lehrer, aber er War mehr als das. Er war für die Menschen, die ihm folgten, wie ein guter Hirte. Die hatten das vor Augen; ein Hirte, der sich um seine Schafe sorgt und sie führt zu einer frischen Weide, dass sie immer reichlich haben bis zum Ende ihrer Zeiten. So ähnlich ist er, Jesus; wie ein guter Hirte zu seinen Schafen, so ist er zu uns. Er führt uns zum frischen Wasser, er erquickt unsere Seelen.

Bis auf den heutigen Tag ist das so, dass wir nicht genau fassen können, wer Jesus ist, denn Jesus ist uns immer voraus. Alles, was wir über Jesus sagen, trifft immer nur - einen kleinen Teil von dem Ganzen; weil wir selbst ja auch nur einen kleinen Teil von Christus erfahren.

Jesus lässt sich nicht vereinnahmen. Keine Partei kann sagen: Jesus ist auf unserer Seite! Stellen wir Jesus wie einen Heiligen auf einen goldenen Altar, dann steigt er herab mit seinem armen Rock und seinen Sandalen und wäscht seinen Jüngern die Füße und sagt: Ich bin euer Diener!

Und mit Jesus kann man auch keine Revolution machen und keinen Thron rechtfertigen. Versuchen wir aber, Jesus wie einen guten Freund an unsere Seite zu nehmen und ihm auf die Schulter zu klopfen, dann merken wir - je näher wir ihm kommen - dass es in seiner Nähe unheimlich ist, dass er zu groß ist, als dass wir ihm auf die Schulter klopfen könnten und mit ihm umgehen, wie mit unseres gleichen. Was immer wir versuchen; wir fassen Jesus nicht. Er lässt sich nicht vereinnahmen.

Es gibt nur einen Weg: Er erfasst uns. Er vereinnahmt uns mit unserem ganzen Leben. Er nimmt das Gute und auch den ganzen Krempel unseres Lebens hin, und ordnet es, und nimmt uns an, und macht uns neu.

Die Geschichte von der Heilung des Aussätzigen stammt aus der Zeit vor dem Leidensweg, vor dem Tod am Kreuz, vor der Auferstehung.

Der aussätzige Mann - wir würden heute sagen; er hat Lepra - hat von Jesus gehört. Jesus ist für ihn eine gute Adresse. Und er glaubt fest: Wenn es einen gibt, der mir helfen kann, ER kann es. Wenn du willst, kannst du mich reinigen! Und es heißt weiter in der Bibel: "Jesus hatte Erbarmen" mit ihm. Es genügt die Berührung, es genügt, dass er ihn anrührt und sagt: "Ich will’s tun; sei rein!" Und so geschieht es. Und als der Mann ihm danken will, sagt er: Geh zu den Priestern, bedanke dich bei Gott! Lobe Gott, ER hat an dir gehandelt!

Wir sind hier nahe an dem Geheimnis, das Jesus umwittert. Er ist der, in dem sich Gott zu erkennen gibt.

Mir sagte eine Konfirmandin neulich mal, sie wüsste eigentlich gar nichts von Gott. Man könnte ihn nicht sehen. Und sie hat völlig recht damit. Ich kann Gott auch nicht sehen. Wir haben aber alle eine Ahnung von Gott in unserem Herzen, von dem, "der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn", von dem, der uns geschaffen hat. Es gibt Momente, wo wir das Gefühl haben, er hat uns verlassen; es gibt gar keinen Zusammenhang, alles ist ein Chaos, sinnlos, wir sind nur eine Laune der Natur.

Der schlimmste Zweifel, der uns überkommen kann, meistens, wenn wir hilflos sind und mit unserem Latein am Ende. Die Ahnung von Gott kann auch furchtbar sein. Und wir wären nicht die ersten Frommen, die sich fragen: Will ER mich zerschmettern? Wir wären aber auch nicht die ersten Frommen, die erfahren, dass die finsteren Täler, durch die wir hindurch müssen, oft gerade die Phasen unseres Lebens sind, wo wir die Macht und die Führung Gottes spüren, und dass Gott manchmal das selbst gezimmerte Dach unseres Lebens zerbrechen muss, damit wir den Himmel wieder sehen.

Jesus ist der Mensch, der so eng mit Gott verbunden war, dessen Leben so von Gott durchglüht war, dass er sagen konnte: Ich und der Vater, wir sind eins. Und deshalb sagen wir ja auch; Christus ist der Sohn Gottes. Wer das dinglich festmachen will und sich nun streiten will; was heißt hier Sohn und wie ist das mit der Mutter Maria? Und wer das auseinander puzzeln will, der trifft ja gar nicht den Kern dieses großen Bekenntnisses: Er ist der Sohn Gottes; ER ist so eins mit Gott. Der unsichtbare, unfassbare Gott, der gibt sich in Jesus zu erkennen. Gottes Wille und das, was Jesus will, ist untrennbar verwoben.

Nur in zwei Geschichten der Bibel scheint es durch, dass Jesus auch Schwankungen des menschlichen Herzens kennt. Und da kommt er uns ganz nahe als unser Menschenbruder. Einmal in der Versuchungsgeschichte, wo der Teufel ihm alle Dinge anbietet, die uns im Leben ja manchmal auch eine Versuchung bereiten, und sagt: Mach doch, komm, du hast doch die Macht! Und Jesus siegreich daraus hervorgeht und den Teufel in die Ecke verweist: Kusch! Platz! Sitz! Da ist dein Platz! Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gottes Wort. Wo sich die Kraft unseres Herrn das erste Mal bewährt.

Und die andere Geschichte, wo er im Garten Gethsemane betet. Aber alle Bitten Jesu auf Golgatha und im Garten Gethsemane enden mit den Worten: "Dein Reich komme, dein Wille geschehe!" Damit wird auch unsere Geschichte verständlich. Jesus lebt und handelt ganz aus Gott. Und als er den aussätzigen Menschen heilt, da handelt er in Gottes Vollmacht, und deshalb nimmt er selbst den Dank nicht an und sagt: Bedanke dich bei Gott!

In Christus erkennen wir, wer wir sein sollen, was Gott mit uns vor hat. Er ist das Licht der Welt in der Dunkelheit unserer Unkenntnis. Er ist das Fenster, durch das Gott in unsere Welt hereinscheint. Und auf dieses Licht hin leben wir, dahin sind wir unterwegs, und das allein kann der Grund unserer Hoffnung und unseres Trostes sein - AMEN!