Predigt vom 16.10.1988 - Pastor Schnabel - 1. Korinther 7, 29-33
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!
Der Predigttext für diesen Sonntag steht im 1. Korintherbrief im siebten Kapitel. Da schreibt der Apostel:
"Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht."
Gott segne an uns dieses Wort!
Aus diesem Text kommt das fast geflügelte Wort unter Christen: "Haben, als hätte man nicht."
Ihr Lieben!
Das Haben, das können wir verstehen: Mitten in die Welt hineingehen, kaufen, schaffen, lachen, weinen, eine Frau haben, einen Mann haben, Kinder haben, lieben und leiden; das ist die Weltsucht. Wo etwas ist, da will ich dabei sein mitten in der Welt.
Das Nichthaben können wir uns auch vorstellen; Das Nichthaben ist, wenn der Mensch die Einsamkeit sucht, versucht, sauber zu bleiben, versucht, sich nicht in Dinge der Welt verwickeln lassen, sich nicht einzumischen. Nicht heiraten, dann hast du keine Verantwortung. Keine Frau haben, dann bist du nicht abhängig. Keinen Besitz haben, dann musst du ihn nicht verteidigen.
Die niedrigen Dinge des Lebens fliehen in höhere Sphären. Weg von den niedrigen Sorgen und Dingen des Lebens; vielleicht ein bisschen Esoterik betreiben. Das ist die Weltflucht. Das können wir uns auch vorstellen. Früher ging man dann in’s Kloster.
Diese beiden Extreme können wir Menschen uns gut vorstellen: Weltsucht - mitten hinein, alles haben. Oder Weltflucht - ganz fern, sich raus halten aus allem. Das ist klar.
Aber der Apostel sagt nun: "Haben, als hätte man nicht." Und das scheint dazwischen zu liegen. Eine Frau oder einen Mann haben, als hätte man sie/ihn nicht. Zu weinen, als weinte man nicht; sich freuen, als freute man sich nicht; kaufen, als kaufe man nicht - das scheint dazwischen zu liegen und das ist unklar. Und dieses "Dazwischen" beschreibt der Apostel in drei Sätzen. Er erteilt hier einen Rat. Es ist kein Gebot des Herrn und aus ihm spricht die Lebenserfahrung mit Christus.
Haben, als hätte man nicht, mit dieser Weisheit fängt natürlich ein Mensch sein Leben nicht an. Diese Weisheit ist in Christus zu erkennen, sie ist wie die Frucht eines Reifeprozesses. Und sie zu haben ist ein großes Geschenk.
Zuerst kommen wir Menschen in diese Welt. Und als Kinder lernen wir - so, wie ich das an einem Heiligabend erlebt habe - Weltsucht oder Weltflucht; alles, oder nichts. Ich will alles haben, oder ich will gar nichts mehr haben.
Ich kann mich an ein Mädchen entsinnen, die nach einer großen Liebe, die unglücklich endete, der Welt ade sagen wollte. Nie wieder lasse ich mich auf die Liebe ein!, sagte dieses von der Liebe enttäuschte Mädchen zu mir und fragte mich, ob es ein protestantisches Kloster gäbe, wo man hingehen könnte.
Dieses "Alles-oder-nichts" - Weltsucht oder Weltflucht, kann natürlich auch jungen Männern widerfahren. Das kann uns im Beruf so gehen, mit dem Besitz, mit der Karriere.
Paulus benennt da verschiedene Beispiele. Aber er sagt: "Haben, als hätte man nicht." Und da geht es um diese Abhängigkeit. Mann und Frau, Familie, Beruf, Glück, Besitz, nennt der Apostel beispielhaft für die Bande, mit denen wir an diese Erde geheftet sind. Diese Bindungen können uns einen guten Halt in der Welt geben, aber aus jeder guten Bindung kann auch eine Kette, eine Fessel werden; eine schreckliche Fessel, die uns abhängig macht.
Paulus macht sich’s nicht so leicht und sagt: Raus aus der Welt, nicht mehr mit den niederen Dingen umgehen, sauber bleiben! Sondern er sagt: "Haben, als hätte man nicht."
Friedrich der Große pflegte zu sagen: Ein verheirateter Soldat ist nur ein halber Soldat. Der König wollte seine Soldaten ganz für sich haben; total. Religiosität war Privatsache, solange sie den Dienst nicht störte.
Wenn du in einem großen Konzern arbeitest, dann erwartet man auch von dir den ganzen Einsatz für die Firma, dass das an erster Stelle steht. Deine Kinder, deine Frau, dein Mann, deine Liebe, dein Gesang, dein Gottesverhältnis, das muss drunter bleiben; das ist Hobbv und Freizeit in den Augen der Welt, das darf den beruflichen Einsatz nicht stören. Und das ist auch wieder dieses "Alles-oder-nichts"; ganz, oder gar nicht.
Und dabei wissen wir, dass Leben so nicht geht. Wir wissen auch , dass es in der Beziehung zwischen Mann und Frau schrecklich wird, wenn der eine den anderen klammert, ihn zu seinem Gott macht. Das ist schrecklich für den, der den anderen klammert, und auch schrecklich für den, der geklammert wird. Das ist nicht mehr menschlich.
Der junge Luther, Bruder Martinus, nach dem wir unsere Gemeinde benannt haben, erlebte das Reich Gottes wie einen kirchlichen Konzern: Entweder Gott dienen, oder der Welt dienen; Weltflucht, oder Weltsucht.
Luther stand als begabter junger Mann an dem Scheideweg: entweder Jurist, Fürstenberater, angesehen und rein, oder Mönch im Kloster; Flucht in die Einsamkeit. Und Luther ging ins Kloster. Aber im Kloster erfuhr er durch den Geist Jesu Christi, dass das keine Lösung ist, mit der Welt umzugehen. Das Leben ist nicht zu bewältigen, indem man sich total rein - schmeißt. Es ist auch nicht damit zu bewältigen, indem man sich völlig raus zu lösen versucht. Und darum verließ Luther das Kloster und heiratete Katharina von Bora. Die Eheleute schlugen sich herum mit dem Kreuz der Ehe in Liebe und in Streit. Und wer seine Briefe und Tischreden liest, der weiß, dass Bruder Martinus alle Höhen und Tiefen einer irdischen Ehe kannte. Luther musste plötzlich wirtschaften und wie ein Hausvater mit Geld umgehen. Das hatte er nie gelernt, das konnte er nicht. Gott sei Dank war seine Frau praktischer, sie hat es für ihn gemacht. Hinein in die Welt - alles Dinge, die er früher gemieden hatte; das fasst man nicht an. Hinein in die Welt, damit umgehen. Aus der Klosterzelle in den Stand der Ehe; aus der Einsamkeit der Meditation an die Seite einer streitbaren, aber tüchtigen Frau.
Und da, hat Luther gesagt, da findet der Gottesdienst statt, in diesem "Haben-als-hätte-man-nicht"; das ist der Gottesdienst in seinem täglichen Tun als Mann und Frau, als Großmutter, im Beruf. Lachen und weinen, kaufen und umgehen mit der Welt, das sollst du, daran erweist sich der Glaube, aber du sollst nicht kleben daran.
Dieses Haben, als hätte man nicht - immer wissen, du bist unterwegs im Leben; immer wissen, Christus baut sein Reich mit dir und du wirst nichts mitnehmen. Hänge dein Herz nicht daran; nichts soll dich erpressen.
Das erste Gebot heißt: "Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir". Dieses erste Gebot hängt ja nicht in der Luft, sondern das heißt: Gott soll … das Größte, das Süßeste, Gewisste sein, wie wir’s gesungen haben, und alles andere sollst du haben und damit umgehen, aber es soll darunter bleiben, es soll dich nicht besitzen,
Paulus sagt nicht: weil das in der Ehe so schwierig ist, lass es lieber ganz sein, sondern er sagt: Du sollst eine Frau - du sollst einen Mann haben, aber er oder sie darf nicht dein Gott sein. Du sollst kaufen und schaffen und leisten, aber nicht zur Rechtfertigung.
Die Weltsucht ist zerstörerisch, da klammern sich die Menschen an Mann und Frau und Kind, an Besitz, Erfolg und Leistung. Und fällt eins von dem, woran sie ihr Herz hängen, dann zerbricht ihr ganzes Leben.
Und die Weltflucht, die ist öde. Da versuchen Menschen sauber zu bleiben, indem sie sich aus allem raus halten, um am Ende ein unbenutztes Leben abzugeben. Wehe dem, sagt Jesus zu dem Menschen, der seine Talente vergräbt.
Haben, als hätte man nicht, das gelingt uns allein, wenn wir Gott gehorsam sind. Und von da haben wir erst die Kraft, mit der Welt umzugehen, ohne die Welt aufzugeben.
Unser Herr und Meister Jesus Christus hat so gelebt. Er hat geweint über seine Jünger, über Jerusalem. Jesus hat die Menschen geliebt, Jesus hat gelacht, und ob Jesus eine Frau hatte, darüber streiten sich gerade die Gelehrten.
Aber Jesus ließ sich von all dem nicht erpressen. Der Versucher, der Teufel der da in der Wüste an ihn herantritt und ihm die Welt zu Füßen legen will, sagt: Knie nieder vor mir, und dein ist die ganze Welt!, den weist er ab.
Jesus hat das Leben geliebt, aber er gab sein Leben hin im Streit gegen die Macht der Sünde und der Gewalt; er ließ sich nicht erpressen. Auch der Tod konnte Christus nicht in die Knechtschaft der Menschen und Dinge zwingen.
Wer sich in die erpresserische Knechtschaft begibt, der missbraucht die Welt
Lieben und Klammern ist ein großer Unterschied. Und dieses "Haben-als-hätte-man-nicht", das schließt eben nicht aus, dass man sich nicht liebhaben würde. Es gibt die Affenliebe, und die ist schlimm.
Dieses Haben-als-hätte-man-nicht unterscheidet uns vermutlich wesentlich von den anderen Menschen, mit denen wir jetzt auf Erden leben. Wir teilen mit den anderen Menschen das gleiche Los, wir unterscheiden uns aber vermutlich nur im Wachen und im Beten. Und die Gnade Unseres Herrn ist es, dass er uns durch sein Wort führt und leitet, und dass wir weder in die schläfrige Bequemlichkeit fallen, noch dass ein größenwahnsinniger Rausch uns übermannt. "Haben, als hätten wir nicht."
Lasst mich am Schluss noch etwas von Luther erzählen.
Martin Luther hatte ein Töchterchen, Lenchen. Lenchen war zwölf Jahre alt und er liebte sie sehr. Und Lehnchen starb. Als er sein geliebtes Töchterchen im Sarg liegen sah, so wird glaubhaft berichtet, weinte Luther bittere Tränen. Und er sagte dann, und dies Wort ist überliefert: :"Wunderlich ist es, zu wissen, dass sie bei Gott und ja wohl ist, und doch so traurig sei."
Dieser Luther hatte sein Kind, als hätte er es nicht. Das schließt eben die Liebe nicht aus,
In dem Lied: "Ein feste Burg ist unser Gott", was wir jetzt gleich zum Schluss singen wollen, da gibt es auch dieses "Haben-als-hätte-man-nicht". Und da in der letzten Strophe tauchen Dinge auf, da stockt euch vielleicht der Atem. Da heißt es nämlich: "Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib; lass fahren dahin, sie haben”s kein” Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben."
Wer diese Zeilen begriffen hat, wer so betet, der sagt ja nicht: Mir ist alles egal! Sondern der liebt, aber der hat,als hätte er nicht, der ist im Leben unterwegs. Er ist bei Gott festgemacht. Er ist nicht mehr erpressbar durch die Mächte dieser Welt, und auch nicht durch die Macht des Todes. Der ist frei zum tätigen Leben, weil er in Gott seinen Grund hat.
Lasst uns nun dieses Lied singen, "Ein feste Burg ist unser Gott" wie ein Gebet.