Predigt 639

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Predigt vom 20.11.1988 - Pastor Schnabel - Jesaja 65, 7-25

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN!

Liebe Gemeinde!

Die Worte des Propheten Jesaja kannten die Jünger, und Jesus hat sie von Klein auf im Tempel gehört.

Beim Propheten Jesaja im 65. Kapitel steht:

"So spricht der Herr: Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenke und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freut euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.

Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr."

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Da wird Heil angekündigt für Israel und für die ganze Schöpfung.

Da wird das Heil geschildert für Israel und für die ganze Schöpfung.

Wie soll der neue Himmel aussehen und die neue Erde?

Wir merken schon: nimmt man das wörtlich, dass der Löwe Gras und Stroh frisst, das wirkt komisch. Aber wie soll der neue Himmel aussehen und die neue Erde, in der kein Hass und kein Neid und kein Leid und Geschrei ist? Das sprengt ja alle menschlichen Vorstellungen, wenn Gott das Neue schafft.

Wir können uns aber in der Verneinung das Neue, Strahlende vorstellen. Wir können uns das vorstellen, indem wir sagen, was alles nicht mehr sein wird.

Aus den Worten Jesajas wird deutlich: Gott weiß, was uns quält. Gott weiß um die Dinge, die uns fertig machen, die uns zweifeln lassen. Gott kennt die Bosheit in uns und den Schaden, den wir damit untereinander anrichten, und die Schmerzen, die wir anderen zufügen. Gott weiß aber auch, dass das schicksalhaft Leidvolle, was wir nicht ergründen können, wo wir auch nicht wissen, warum das so geschieht und warum es mir zustößt.

Das alles soll nicht mehr sein. Die Mühsal der Entfremdung zwischen Menschen soll aufhören.

Diese neue Schöpfung soll mehr sein, als das "Nichtleid" und die "Nichttrauer" und der "Nichtschmerz".

Aber das "Mehr" können wir uns wieder nur in der Negation vorstellen. So ähnlich, wie wir Menschen, die wir der Schwerkraft auf Erden unterworfen sind und jetzt hier sitzen oder stehen, können wir uns den anderen Zustand nur als Schwerelosigkeit vorstellen. Und wir können ihn auch nur in der Negation beschreiben als ein "Nichtvorhandensein" von Schwerkraft.

Den neuen Himmel und die neue Erde können wir uns nur in der Verneinung vorstellen - was alles nicht mehr sein wird.

Das ist das, was Jesaja 600 Jahre vor Christus ankündigt und schildert. Und die Jünger sind die ersten, die diese Verheißung in Christus wiedererkannt haben. Dieser neue Himmel und die neue Erde sind das, was wir heute mit Jesu Worten das "Reich Gottes" nennen. Es ist angebrochen. Es ist noch nicht da, aber das Alte ist am abnehmen, das Neue ist am wachsen.

Manchmal sind wir zuversichtlich und sagen: Ja, es gibt viele Anzeichen, dass es bergauf geht, dass das Reich Gottes kommt, das mit Christus angebrochen ist. Und dann verzweifeln wir wieder so furchtbar und haben das Gefühl, dass wir vielleicht doch unsere Hoffnung auf Sand gebaut haben. Wir lernen, dass wir in unserem Leben immer nur kleine Ausschnitte überschauen und dass die Zeit, die Heilszeit, in der Gott das Neue schaffen will, viel größer sein kann, als wir uns das denken.

In Jesus leuchtet das Reich Gottes auf.

Darum, weil die Emmausjünger und auch die anderen Jünger das Neue in Jesus haben aufleuchten sehen, sind sie so furchtbar verzweifelt, weil nach Jesu Tod am Kreuz die Welt wieder dunkel ist.

Müde, niedergeschlagen und resigniert gehen sie nach Hause. Es gibt doch keine Hoffnung auf das Reich Gottes, und der Tod des Herrn ist das Ende.

Als aber der Auferstandene ihnen begegnet, mit ihnen geht und bei ihnen ist - unterwegs im Wort, und in der Herberge im Sakrament - da laufen sie noch in der gleichen Nacht zurück voll Kraft und Hoffnung und sagen’s den anderen.

Äußerlich hat sich für die Jünger in diesen wenigen Stunden gar nichts geändert. Aber sie haben wieder Hoffnung, und das lässt sie das Leben in einem ganz neuen Licht sehen.

Das Reich Gottes wird kommen. Gott hat Christus von den Toten auferweckt. Und der, der so viel Kraft hat, Christus von den Toten aufzuerwecken, der wird auch die Mauern unseres Leides sprengen. Also wird Gott den verfahrenen Karren eines Menschenlebens nicht im Dreck stecken lassen. Gott wird seine Schöpfung nicht untergehen lassen. Der Strahl der Ewigkeit ist in die Wirrnis dieser Zeit hineingegangen und erhellt, was dunkel war.

Wie die Jünger, leben auch wir noch innerhalb der Mauern des Todes und der Sachzwänge. Aber diese Mauern haben Risse bekommen. Und da, wo die Kraft der Auferstehung die alte Welt erschüttert hat, da scheint durch diese Risse das Licht Gottes.

Heute am Ewigkeitssonntag schließen wir besonders die Toten in unser Gebet ein, die im letzten Jahr aus unserer Gemeinde gestorben sind.

Ich habe im stillen alle Namen noch einmal gelesen, ich habe an ihren Gräbern gestanden. Wenn ihr nachher die Namen hört, werden euch auch Lebensgeschichten einfallen von denen, die wir kannten. Einige von ihnen sind hochbetagt nach einem erfüllten Leben gestorben; erfüllt, soweit wir das sehen können. Einige sind früh gestorben durch Krankheit, Unfall, auch durch Mord. Ich habe in den Häusern gesehen, dass noch Bilder von ihnen auf dem Schrank stehen oder an einer Wand hängen. Es gibt gute und schmerzhafte Erinnerungen. Viele leiden immer noch an der Lücke, an dieser leeren Stelle, die der Tote hinterlassen hat und auf die sie so gerne zurückgreifen würden. Manches ist unterblieben, was noch zu Lebzeiten hätte gesagt werden müssen. Aber dann kam plötzlich der Tod und es war keine Zeit mehr dazu. Da sind Mütter, die um ihre Kinder trauern, und das bleibt ihnen ein Leben lang. Es sind auch Kinder, die um ihre Mütter und um ihren Vater trauern.

Das ist die Dunkelheit unseres Lebens. Und wer weise genug ist, der weiß, dass wir mitten im Leben vom Tod umgeben sind.

Herr, bleibe bei uns, weil es dunkel ist. Bleibe bei uns am Abend unseres Lebens und am Abend der Welt.

Wo ist das Reich Gottes? Wo ist das himmlische Jerusalem, die neue Schöpfung?

Ist dies eine Utopie? Ist das Reich Gottes eine Utopie? "U-topie" ist ein griechisches Wort. "U" - heißt nicht - und "topus" heißt Ort. Die Utopie ist eigentlich ein "Nichtort". Es ist gut, dass die Griechen dafür ein Wort hatten, dass es etwas gibt, wofür es noch keinen Ort gibt; Utopie, etwas, das verheißen wird, das vorgestellt wird, aber das es noch an keinem Ort gibt.

Und doch - wenn es eine Utopie gibt, dann ist die Utopie da, So, wie ein Lichtstrahl der durch die Risse von Gefängnismauern bricht. Ein Licht, das von außen kommt, was noch einen Platz sucht, um uns zu erleuchten und zu erneuern.

Der Strahl der Ewigkeit wirkt in diese alte Welt. Unser Herr ist ja nicht der strahlende Gottessohn, der Lichtgott, der eben mal auf die Erde flattert und die Welt erneuert, sondern er ist der, der das menschliche Leid kennt, der diese Welt mit Lüge und Verrat, mit Tod und Elend erlitten hat. Er hatte die Hoffnung für diese Utopie - für das Reich Gottes. Er hatte diese Hoffnung in sich, er hat sie gelebt. Und er hat noch durch die Verzweiflung seines Kreuzestodes hindurch diese Hoffnung hindurchgebracht bis in die Auferstehung hinein. Sein Kreuz ist keine Utopie, das steht wirklich in dieser Welt. Es steht an einem Ort in der Welt, und von da aus geschieht die neue Schöpfung - das Reich Gottes.

Dieser Christus ist gleichsam die Werkstätte Gottes bei den Menschen, wo das utopische plötzlich topisch wird, örtlich, zeitlich, seinen Anfang nimmt.

Am Ende des Neuen Testamentes heißt es in einer ähnlichen Verheißung: Gott selbst wird bei ihnen sein und abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei. (Offb. 21, 4)

Jesus weiß, dass wir es schwer genug damit haben, darum hat er uns gelehrt, täglich zu beten: "Dein Reich komme, dein Wille geschehe, …" Er weiß, dass wir Angst haben. Darum hat er gesagt: Fürchtet euch nicht! Vor allem fürchtet euch nicht vor denen, die euch den Leib töten können. Fürchtet euch vielmehr vor denen, die euch die Seele töten. (Matt. 10, 28)

Und wenn wir ein Leben lang unterwegs sind und Angst haben vor dem Tod, so sagt Jesus zu uns: "In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. (Jh. 14, 2) Glaubt an Gott und glaubt mir und folgt nach!

Zu einem der beiden Schächer, die neben Christus gekreuzigt wurden - der eine hatte über Christus gespottet und gesagt: wenn du der Erlöser bist, dann steig doch herab vom Kreuz und befreie auch uns. Daraufhin hat der andere gesagt: du sei still, wir haben die Strafe verdient, aber dieser ist ein Gerechter Gottes! - sagte Jesus: "Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein!" (Lk. 23, 43) Das sagt Christus, weil er weiß, dass es diesen Ort gibt, das Paradies.

Oder wo Jesus sagt: "Ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (Joh. 16, 22)

Das spricht Jesus zur Gemeinde: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich bei euch." [Mt. 18, 20)

Ihr sollt miteinander glauben und euch aneinander aufrichten, SEIN Wort hören und SEIN Sakrament feiern.

Es kann ja kein Mensch sich selbst taufen. Und es kann sich auch keiner selbst das Abendmahl reichen.

Wir sind aufeinander verwiesen in diesem Glauben zu bleiben, nur so bleiben wir ja unterwegs. Wir können leben nur in den Begriffen des Unterwegsseins - verstehen und leben.

So bricht das Reich Gottes an, mit seinem Trost, dass wir in IHM eins werden.

Lasst uns nun von Herzen singen und beten, dass wir in dieser Hoffnung und in diesem Glauben eine Gemeinde werden, die Hand in Hand geht, so verschieden wir auch sind, und in der wir einander trösten und ermutigen und auf dem Weg bleiben.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu - AMEN!